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Richard Dawkins’ Kampf gegen die Götter und das Übernatürliche

Das Buch steht zur Zeit ganz oben auf den internationalen Bestseller-Listen: „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins. Es handelt sich um das leidenschaftliche Plädoyer eines Atheisten gegen die Religion. Zitat: „Ich greife nicht eine bestimmte Version von Gott oder Göttern an. Ich wende mich gegen alle Götter, alles Übernatürliche.“

Dawkins meint, Religion sei eine Art Virus, der sich in den Köpfen der Menschen vermehre, sozusagen eine fehlgeleitete Spielart der Evolution. „Wir können nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt, aber das macht ihn trotzdem nicht sehr wahrscheinlich“, argumentiert Dawkins – allerdings geht es bei der Religion ja auch um Glauben und nicht um Wissen. Für einen Wissenschaftler ist seine Generalabrechnung mit der Religion oft erstaunlich unredlich. So findet er die Bibel „in großen Teilen einfach nur grotesk. Nichts anderes erwartet man von einer chaotisch zusammengestoppelten Anthologie, die von Hunderten anonymer Autoren, Herausgebern und Kopisten verfasst, umgearbeitet, übersetzt und verfälscht wurde.“

Unbestritten gibt es Perversionen des Glaubens, etwa wenn Menschen im Namen Gottes ihre Kinder züchtigen oder gar missbrauchen. Allerdings stellt sich durchaus die Frage, wer hier Gewalt verharmlost, wenn Dawkins schreibt, sexueller Missbrauch sei zwar etwas Entsetzliches, aber der dadurch verursachte langfristige psychische Schaden nachweislich geringer als der, den eine katholische Erziehung anrichte.

Es war der Frankfurter Psychologe Erich Fromm, der zwischen humanistischer und autoritärer Religion unterschied. Die autoritäre Religion sei gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass eine höhere Macht Anspruch auf Verehrung und Anbetung, aber auch auf Gehorsam habe. Wesentliches Element der autoritären Religion sei die Unterwerfung unter eine Macht jenseits des Menschen. Allerdings könne diese Macht auch von einem Führer direkt ausgeübt werden.

Die humanistische Religion hingegen beschreibt Fromm so: „Das religiöse Erlebnis innerhalb dieser Art der Religion besteht in der Empfindung des Einsseins mit dem All, gegründet auf die Beziehung zur Welt.“ Selbstverwirklichung, nicht Unterwerfung wolle der Mensch in dieser Art von Religion erreichen. „Die vorwiegende Stimmung ist Freude, während sie in autoritären Religionen in Kummer und Schuldgefühl besteht.“

Offenbar müssen sich aber immer wieder Autoren an der autoritären Religion abarbeiten. Nach Tilmann Mosers „Gottesvergiftung“ nun eben der „Gotteswahn“. Was dabei auf jeden Fall nachgewiesen werden kann: Es nützt dem Buchgeschäft.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt November 2007

Der Reiz der Verschwörung

Oder: Warum die Frauen Weltmeisterinnen wurden…

Während draußen auf dem Römerberg Tausende die deutschen Fußballweltmeisterinnen feierten, fand doch annähernd eine halbe Hundertschaft den Weg in die Evangelische Stadtakademie „Römer 9“, um über so etwas Sperriges wie „Verschwörungstheorien“ zu diskutieren.

Lutz Lemhöfer, Weltanschauungsbeauftragter des Katholischen Bistums Limburg, definierte Verschwörungstheorien „als Denkmuster, deren Anhänger davon ausgehen, dass alles, was geschieht, von Verschwörern angezettelt und durchgeführt wird.“ Verschwörungstheorien reduzierten die Komplexität von Wirklichkeit und schafften eine einfache Struktur im Kopf. „Da man den Feind kennt, kann und muss man ihn bekämpfen“, führte Lemhöfer aus. Diesen Mechanismus verglich er mit dem klassischen Exorzismus. „Ein unerklärliches, zugleich Angst erzeugendes Verhalten eines Menschen wird als ‚Besessenheit’ gedeutet.“ Der Exorzist hat die Aufgabe, die Dämonen zu benennen. „Erst der mit Namen ansprechbare Dämon konnte erfolgreich ausgetrieben werden.“

Die Tageszeitung „taz“ hat eine Hitliste der besten Veschwörungstheorien zusammengestellt. Ganz oben auf der Liste steht die Überzeugung, dass die NASA die Mondlandung nur vorgetäuscht habe. Rang zwei belegt die Überzeugung, dass die Krankheit Aids
in Laboren der CIA entwickelt wurde, um in den USA ethnische Gruppen wie Afroamerikaner oder Minderheiten wie Homosexuelle auszurotten. Auf Rang drei steht schließlich die Überzeugung, dass eine geheime jüdische Organisation die Weltherrschaft anstrebt und deshalb allerlei Entscheidungen in der Weltpolitik manipuliert.

Solche Denkmuster seien nicht einfach spinnert, sondern überaus gefährlich, betonte Lemhöfer: „Die Anhänger solcher Theorien können eine Pogromstimmung erzeugen, die für andere lebensgefährlich wird.“ Um die Denkmuster von Verschwörungstheorien zu bekämpfen, setzte Peter Scherle vom Theologischen Seminar Herborn auf Bildung. Und Roberto Fabian von der Jüdischen Volkshochschule beklagte, dass „der Geist der Aufklärung verloren gegangen ist“. Um nicht in solche Muster zu verfallen, wünschte sich Naime Cakir, die Frauenbeauftragte der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, eine größere Differenzierung in der Auseinandersetzung mit dem Islam.

Offen blieb an diesem Abend, ob nicht die Frauen nur deshalb Fußballweltmeisterinnen geworden sind, damit verhindert werden konnte, dass das Denkmuster der Verschwörungstheorie entlarvt würde. Denn wie sonst könnte der unterschiedliche Zuspruch dieser beiden Veranstaltungen erklärt werden?

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt November 2007

Fechenheimer Gemeindezeitung ausgezeichnet

Evangelisches Frankfurt November 2007

Zum sechsten Mal hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ihren Förderpreis für Gemeindezeitungen vergeben. Bei der Preisverleihung in der Bockenheimer Jakobskirche überreichte Kirchenpräsident Peter Steinacker den Hauptpreis an die Gemeinde in Mainz-Hechtsheim. Auch die Gemeinde Fechenheim aus Frankfurt wurde für ihre farbige, journalistisch hochwertige Gemeindezeitung ausgezeichnet. Insgesamt hatten sich 117 Redaktionen beworben. Wolfgang Weinrich, der den Preis 1999 ins Leben gerufen hatte, fasste die Trends zusammen. Die Gemeindezeitungen würden äußerlich immer attraktiver und farbiger. Die journalistische Qualität nehme zu. Kritisch beurteilte die Jury aber eine starke Fixierung auf das innergemeindliche Geschehen.

Der „Förderpreis Gemeindebrief“ der EKHN ist mit insgesamt 4500 Euro Preisgeld der höchstdotierte Preis seiner Art und wird alle zwei Jahre verliehen. Seine Sponsoren sind das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (gep), die Zeitung „Evangelisches Frankfurt“, die Bruderhilfe PAX Familienfürsorge und die Evangelische Kreditgenossenschaft. Eine Jury, zu der Journalisten aus dem kirchlichen und dem säkularen Bereich sowie Förderer der Idee gehören, prämiert Redaktionen, die mit ihrer Gemeindezeitung bewusst nach Qualität streben. Kriterien sind Originalität, Themenvielfalt, Aktualität, journalistische Darstellungsformen, überschaubares Layout und Druckqualität.

Kurt-Helmuth Eimuth

Anlass zur Umkehr gibt es genug

Evangelisches Frankfurt November 2007
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Vor gut zehn Jahren verschwand er als gesetzlicher Feiertag, und heute, so scheint es, ist er schon völlig in Vergessenheit geraten: der Buß- und Bettag. Selbst die evangelische Kirche scheint ihn nicht so richtig ernst zu nehmen. Wie sonst ist es zu erklären, dass auch der Terminkalender kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am 21. November so prall gefüllt ist wie an jedem anderen Tag? Das ist wohl auch der Grund, warum der zentrale Gottesdienst in der Katharinenkirche an der Hauptwache von 10 Uhr auf 19 Uhr verlegt wurde. Auch der kirchliche Betrieb legt eben für den Buß- und Bettag keine Pause mehr ein.

So halbherzig wie die evangelische Kirche mit diesem protestantischen Feiertag umgeht, so halbherzig hat sie seinerzeit auch ihre Stimme gegen seine Abschaffung erhoben. Schließlich sollte der Verzicht auf den arbeitsfreien Tag einem guten Zweck dienen, nämlich der Finanzierung der Pflegeversicherung: Die Mehrarbeit der Arbeitnehmer sollte die Mehrbelastung der Arbeitgeber ausgleichen. Übrigens gab es den Buß- und Bettag als arbeitsfreien Tag auch in der DDR. Dort hat man ihn 1966 für die Einführung der Fünf-Tage-Woche gestrichen.

Am Buß- und Bettag geht es um die Umkehr zu Gott, um eine Haltungsänderung also. In Frankfurt gab es früher die Tradition eines ökumenischen Bußgangs an diesem Tag. Es war ein Gang zu Orten der Stadtzerstörung und der sozialen Herausforderung. Heute wären wohl das Arbeitsamt und die Obdachlosenunterkunft, die Stadtautobahn oder der Hauptbahnhof geeignete Stationen. Schließlich schreien Themen wie Arbeitslosigkeit, Armut, Umweltzerstörung oder Privatisierung der Bahn geradezu nach Umkehr. Es ist gut, wenn Christinnen und Christen konkrete Schlussfolgerungen aus dem Auftrag ziehen, die Schöpfung zu bewahren. Doch mit der Abschaffung des Buß- und Bettages wurde ein regelmäßiger Anlass dafür aus dem kollektiven Gedächtnis entfernt.

Die Abschaffung des Buß- und Bettages war ein Schritt hin zu einer Gesellschaft, die zwischen Alltag und Feiertag nicht mehr unterscheidet. Nur mühsam und mit Einschränkungen gelang es, den Sonntag vor den Interessen des Einzelhandels vorerst zu schützen. Doch die Begehrlichkeiten bleiben. Kurzsichtiges Konsumdenken sollte das Kulturgut der arbeitsfreien Tage nicht zerstören. Menschliches Leben ist mehr als Arbeiten und Konsumieren. Dafür stehen Feiertage. Sie abzuschaffen macht die Einzelnen, aber auch eine säkular geprägte Gesellschaft ärmer.

Kurt-Helmuth Eimuth

Kirchen in Konkurrenz

Evangelisches Frankfurt November 2007

In Zeiten zurückgehender Mitgliederzahlen und nachlassender Milieubindung setzen die Konfessionen auf Abgrenzung, um das eigene Profil zu schärfen.

Als Ökumene wird gemeinhin das Miteinander der katholischen und evangelischen Kirche bezeichnet. Nach römischem Verständnis ist dieser Satz schon falsch, denn die katholische Kirche ist nach eigener Auffassung die einzig wahre Kirche. Die Orthodoxen werden als Schwesterkirchen verstanden, alle anderen, ob lutherisch, reformiert, anglikanisch oder baptistisch, sind – so der feine Unterschied – lediglich „kirchliche Gemeinschaften“.

Solchen theologischen Spitzfindigkeiten zum Trotz geht auf der praktischen Ebene dennoch vieles gemeinsam: In Frankfurt zum Beispiel erscheint seit 1970 das „Ökumenische Kirchliche Jahrbuch“, in dem alle Anschriften kirchlicher Dienststellen gesammelt sind. Oder es gibt das ökumenische Reformationsgedenken: Ausgerechnet an dem Tag, der wie kein anderer für die Trennung der Kirchen steht, setzen Evangelische und Katholische sich gemeinsam mit einem aktuellen Thema auseinander. Diese Traditionen stammen jedoch aus einer Zeit des ökumenischen Aufbruchs. Ob so etwas heute noch einmal gestartet werden könnte, erscheint fraglich. Denn auch am Main weht zwischen den Konfessionen heute ein rauerer Wind. Der ökumenische Beratungsdienst an der Hauptwache wurde geschlossen – beiden Partnern war wohl der Einspareffekt wichtiger als die Symbolkraft einer gemeinsamen Einrichtung. Der katholische Kirchenladen an der Liebfrauenkirche hätte als ökumenischer Kirchenladen ein Gewinn für die Mitglieder beider Kirchen sein können. Doch das wurde vom katholischen Bischof strikt abgelehnt. Andererseits verkaufte der Kirchenladen auch Eintrittskarten zum evangelischen Kirchentag.

Bei der wichtigsten Frage, die beide Kirchen derzeit umtreibt, der Nutzung von Kirchen und Gemeindehäusern, gibt es ebenfalls kein Gespräch. Besonders absurd ist das im Neubaugebiet am Riedberg: Eine gemeinsame Kirche für beide Konfessionen und daneben je ein eigenes Gemeindezentrum hätte doch für Organisationen, die unter einer angespannten Finanzlage leiden, nahe gelegen.

Immerhin ist in vielen Stadtteilen der so genannte Kanzeltausch selbstverständlich. Dies bedeutet, dass die Geistlichen im Gottesdienst der jeweils anderen Konfession predigen. In der kirchlichen Praxis vor Ort werden dogmatische Unterschiede nämlich weit weniger beachtet als an der Spitze. Theologische Probleme hält man hier eher für „Probleme der Theologen“.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Wir kommen in den Himmel!“

Im Privaten hat die evangelisch-katholische Zusammenarbeit schon immer weit besser funktioniert als auf kirchenoffizieller Ebene. Mit ironischem Augenzwinkern schilderte etwa der Frankfurter Dichter Friedrich Stoltze seine „Mischehe“ mit der Katholikin Mary Messenzehl. Als die beiden im Jahr 1849 in der Katharinenkirche heirateten, war Mary bereits zum dritten Mal schwanger. Stoltzes Gedicht „Mischehe“ erschien am 26. August 1882 in der „Frankfurter Latern“:

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Wir armes altes Ehepaar!
Ach wehe! Wehe! Wehe!
Wir leben schon so manches Jahr
In einer wilden Ehe!

Den lutherischen Dickkopf, ach,
Anstatt ihn zu verfehmen,
Warst du, o Frau, dereinst so schwach,
Zu lieben und zu nehmen!

Und weil du Katholikin bist
Und ich hab’ dir gefallen,
So hat dich nun der Antichrist,
Der Teufel in den Krallen.

Ein Pfarrer hat uns zwar getraut,
Doch luth’risch-diabolisch,
Und Gott war nicht davon erbaut,
Denn Gott ist streng katholisch.

Und was mich ganz besonders beugt,
Denn es verdiente Hiebe:
Die Kinder all, die wir erzeugt,
Sind Kinder, ach, der Liebe!

Verschlossen ist die Kirche dir,
Zu meiner ist’s noch weiter;
Wenn Andre beten, müssen wir
Spazieren gehen leider.

Du darfst zu keiner Ohrenbeicht
Und mußt sie ewig missen; –
Du machst dir selbst die Seele leicht:
Du hast ein gut Gewissen!

Und stieß man dich auch grausam aus
Wie Sündenrost und Schimmel, –
Wir machen uns den Teufel draus
Und kommen in den Himmel.

Reklame an Kirche umstritten

Evangelisches Frankfurt November 2007

Zur Automobilausstellung prangte ein Plakat an der Matthäuskirche

Ein koreanischer Automobilkonzern warb zur Internationalen Automobilausstellung mit einem Großplakat an der Kirchenmauer der Matthäuskirche. Dabei versteht sich diese Kirche, zwischen Hauptbahnhof und Messe gelegen, eigentlich als Gegenpol zu den sie umgebenden Banken-Symbolen von Macht und Geld.

Es war nicht die erste Werbung an einer Kirche in Frankfurt. Den Dom, dessen Turm während der Renovierung dick eingerüstet und in Baustellenfolie verpackt war, zierte seinerzeit ebenfalls weithin sichtbar eine Autowerbung. Da wie dort ging es ums Geld: Die Stadt, die als Eigentümerin für die Dom-Werbung verantwortlich war, mochte auf die finanzielle Unterstützung ebenso wenig verzichten wie nun die Hoffnungsgemeinde. Von den Werbeeinnahmen an der Kirche, immerhin 10000 Euro für zwei Wochen, solle der Küster bezahlt werden, so Pfarrer Johannes Herrmann, der auch Vorsitzender des Kirchenvorstandes ist. Und fügt mit Blick auf seinen Etat hinzu: „Uns steht das Wasser bis zum Hals.“

Umstritten: Plakatwerbung an der Matthäuskirche. | Foto: Rolf Oeser

Umstritten: Plakatwerbung an der Matthäuskirche.
Foto: Rolf Oeser

Die Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, Pfarrerin Esther Gebhardt, hat allerdings große Bedenken, eine Kirche als Plakat- und Werbefläche zu nutzen: „Schließlich ist eine Kirche ein Ort der Gottesbegegnung und keine Litfass-Säule.“

Ein öffentliches Bekenntnis legte die Hoffnungsgemeinde trotz aller Werbefreundlichkeit ab, Greenpeace durfte ganz ohne finanzielle Gegenleistung ein Plakat am Kirchengemäuer aufhängen, etwas höher und kleiner. „IAA – Klimaschweine“ war da zu lesen. Nicht gerade feine Sprache, aber für Johannes Herrmann inhaltlich korrekt: „Jeder Mensch, der die Umwelt unnötig verpestet, ist ein Umweltschwein“, bekräftigt der Pfarrer. Dem werbenden Automobilkonzern gegenüber habe man kein schlechtes Gewissen: „Die wussten das,“ so Herrmann.

Mit dem Ende der IAA ist das Thema Werbung an der Matthäuskirche keineswegs abgeschlossen. Es gibt nämlich bereits eine weitere Anfrage für ein Großplakat, das ein Jahr lang die Matthäuskirche zieren könnte – die erwarteten Einnahmen lägen im sechsstelligen Bereich. Der Kirchenvorstand wird demnächst entscheiden.

Kurt-Helmuth Eimuth

Auf dem Weg zur Normalität

Polen ist heute ein modernes Land im Umbruch. Glasbürobauten, Einkaufszentren und Discounter machen deutlich: Hier brummt die Wirtschaft. In der Begegnung mit Menschen ist viel von einem aufgeklärten, dem Fortschritt und Europa zugewandten Geist zu spüren.

Aber es gibt auch das andere Polen, das politisch und katholisch rückständige, antieuropäische Polen. Unvergessen ist die beschämende Karikatur der Bundeskanzlerin auf der Titelseite des polnischen Gegenübers zur Bildzeitung. Polen gilt auch als das christlichste aller EU-Länder. Bei den Gottesdiensten, die sonntags im Stundentakt abgehalten werden, sind die Kirchen bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Einfluss der evangelischen Kirche hingegen ist gering. Mit der Ver­ treibung etwa aus Ostpreußen schmolz auch die Zahl der Evangelischen, bis heute gilt der Protestantismus als „deutsche“ Religion. So sagt etwa der Pfarrer von Rastenburg (Kêtrzyn), er werde als deutscher Pfarrer bezeichnet, obgleich er Pole sei.

Noch immer ist das Verhältnis von Deutschen und Polen weit von der Normalität entfernt. Doch Begegnungen und Gesten wie etwa der Kniefall von Willy Brandt am Denkmal des Warschauer Ghettos sind wichtige Stationen. Und die Initiative „Zeichen der Hoffnung“ ist weit mehr als eine Geste.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Sept 2007

Abschied vom Pfarrhaus

Der Trend geht zur Multifunktions-Kirche

Welche Räume eine Kirchengemeinde braucht, hängt immer auch mit dem gesellschaftlichen Umfeld zusammen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert stand das Pfarrhaus im Zentrum des evangelischen Gemeindelebens. Vorbild war dabei das Wittenberger Heim des Reformators Martin Luther und seiner Ehefrau, Katharina von Bora.

Glaubt man den zahlreichen Beschreibungen in der Belletristik, so lebten die Pfarrersleut’ früher in einer geradezu biedermeierlichen Idylle. Ihr Haus wurde zum Beispiel für eine christliche Lebenskultur. Dort war der Ort für Hausandachten, für diakonische Tätigkeiten wie die Speisung von Armen – meist durch die Frau des Pfarrers – und Bildungsveranstaltungen, etwa dem Konfirmandenunterricht. Wie selbstverständlich war die ganze Pfarrfamilie im Gemeindeleben engagiert. Selbst in Sachen des Gemüseanbaus war der Pfarrgarten beispielgebend.

In der Folge wurde das evan­gelische Pfarrhaus, so der Schriftsteller Rolf Schneider, „für Deutschland eine Institution, ein fester zivilisatorischer Topos.“ Das protestantische Pfarrhaus in Deutschland ist demnach „streng patriarchalisch organisiert und kinderreich. Die Räume sind dunkel. Im Bücherschrank stehen die gesammelten Musterpredigten aus dem Hause Bertelsmann. Der Nachwuchs tut fleißig mit im Kirchenchor. Die Frau Pastor ist eine graue Maus, die das Gewürzgärtlein bestellt und sonst wenig zu bestimmen hat. Der Hausherr selbst ist ein dauerlächelnder selbstverliebter Pfeifenraucher, umwimmelt von lärmenden Konfirmanden und demütigen Diakonissen.“

So wenig man heute noch junge Frauen bei den Diakonissen findet, so wenig gibt es noch das klassische evangelische Pfarrhaus, auch wenn die Pfarrwohnungen oft noch Amtszimmer und Konfirmandensaal aufweisen. Mit der Veränderung der Lebensräume entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts überall Gemeindehäuser. Neben neuen Gottesdienstorten für eine geradezu explodierende Stadtbevölkerung konnten so auch weitere Bedürfnisse abgedeckt werden. In den kleinen Stadtwohnungen gab es meist keinen Platz für größere Versammlungen. So wurden die Kirchengemeinden zu einem wichtigen Ort öffentlichen Lebens.

In den 1960er Jahren kamen weitere Aufgaben hinzu: Kirchen­ musikalische Arbeit, Frauenkreise, Gruppen der Familien- und Erwachsenenbildung, Jungschar, Jugendkreis, Pfadfinder oder Theaterkreise fanden hier ihre Heimat. Oft wurden diese Angebote initiiert und unterstützt von Gemeindepädagoginnen und -pä­ dagogen, die in den 70er Jahren in großer Zahl angestellt wurden.
Heute zeichnet sich hingegen eine Konzentration auf eher funktional genutzte Kirchen ab. Gemeinden stellen wieder stärker Gottesdienst und Seel­ sorge in den Mittelpunkt. Eine Renaissance des protestantischen Pfarrhauses im Stil des 19. Jahrhunderts dürfte allerdings ausgeschlossen sein. Da gibt es wohl keinen Bedarf.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Sept 2007

Gute Betreuung braucht Vertrauen

Die Bundesregierung hat einen Rechtsanspruch auf die Betreuung von unter Dreijährigen eingeführt. In gut fünf Jahren müssen alle Kommunen ausreichend Plätze für Kleinkinder bereithalten. Das bedeutet allein für Frankfurt, dass bis zum Jahr 2013 etwa 6000 neue Krabbelstubenplätze geschaffen werden müssen.

Schon in den vergangenen Jahren hat die Stadt Frankfurt in diesem Bereich enorme Anstrengungen unternommen und jedes Jahr 300 neue Plätze im Krippenbereich geschaffen. Doch nun wird ein ganz anderes Tempo vorgelegt werden müssen. Frankfurt kann nämlich nicht, wie andere Regionen Deutschlands, darauf hoffen, dass die Kinderzahl rückläufig ist. Im Gegenteil: Seit Jahren steigt die Zahl der Geburten. Frankfurt ist nicht nur eine kinderfreundliche Stadt, sondern verfügt auch über eine vergleichsweise hohe Zahl von Arbeitsplätzen, weshalb gerade junge Menschen hierher ziehen. Vor allem in den innenstadtnahen Quartieren sind Kinderbetreuungsplätze ebenso rar wie begehrt.

Die notwendige planerische Herausforderung beim Neubau von Einrichtungen darf dabei aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Ausbau von Krippenplätzen vor allem eine pädagogische Herausforderung ist. Aus gutem Grund nämlich beginnt der Kindergarten normalerweise erst mit drei Jahren. In diesem Alter können Kinder die Trennung von zuhause und den Wechsel der Bezugsperson meist leicht verkraften, ohne dass große pädagogische Anstrengungen notwendig sind. Jüngere Kinder hingegen bedürfen einer viel stärkeren emotionalen Bindung. Das heißt, die Betreuerinnen in Krabbelstuben müssen viel intensiver auf die Kinder eingehen als in Kindertagesstätten.

Sprache, soziales Verhalten, Bewegungsabläufe – das alles wird in dieser Lebensphase durch Nach­ ­ ahmung gelernt. Dieser Prozess bedarf des Vertrauens zwischen zwei Menschen, zwischen Kind und Betreuungsperson. Nur wer sich intensiv auf das Kind einlässt, fördert es.

Dies hat schon in den 1930er Jahren die ungarische Ärztin Emmi Pikler erkannt. Sie entwickelte, ursprünglich für die Kinder von TBC-kranken Müttern, ein Programm der „achtsamen Pflege“ und der „freien Bewegungsentwicklung“, das auf solche emotionalen Aspekte Rücksicht nimmt und noch heute wertvolle Anregungen für die Betreuung der Kleinsten gibt. Die Krabbelstuben des Diakonischen Werkes für Frankfurt arbeiten zum Beispiel nach dem Ansatz von Emmi Pikler.

So sollte etwa das Wickeln weder für das Kind noch für die Erwachsenen eine lästige Prozedur sein, sondern eine Zeit des intensiven und vergnügten Beisammenseins. Das klingt einfach, ist aber schon im familiären Alltag nicht immer zu verwirklichen. Umso schwieriger in der Krippe. Vor allem Zeit ist gefragt: Behutsam das Händchen waschen oder die Jacke achtsam anziehen, das erfordert mehr als die schnelle Versorgung des Kindes.

Um die Betreuung und Bildung der Kleinsten zu ermöglichen, sind deshalb sowohl eine spezielle pädagogische Kompetenz nötig als auch entsprechende Ressourcen. Vor allem müssen die Erzieherinnen über die notwendige Zeit – und das heißt auch, Arbeitszeit – verfügen, um eine echte Bindung zu den Kindern her­ stellen zu können. Wer Ja zum Rechtsanspruch sagt, muss Qualität garantieren. Denn nur gute Betreuungseinrichtungen sind ein Gewinn für Kinder, Eltern und Gesellschaft.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Sept 2007

Islamunterricht nicht in Sicht

Ministerin Wolff unterstreicht die Bedeutung des Schulfaches Religion

In Hessen wird es in naher Zukunft wohl keinen Islamunterricht an Schulen geben. Zwar hob Kultusministerin Karin Wolff, die auf Einladung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU in die Frankfurter Katharinengemeinde gekommen war, die Bedeutung der Religion für die Identitätsbildung des Menschen hervor. Sie erläuterte jedoch auf Nachfrage, dass ihr zur Einführung eines muslimischen Religionsunterrichts die Ansprechpartner fehlten. Es gebe keine Organisationsform, die die Muslime wirklich vertreten könne. „Wir haben eine Vielzahl von Gruppierungen. Das macht Vereinbarungen schwierig“, erläuterte Wolff. Zudem fehlten Lehrpläne und Ausbildungsmöglichkeiten für muslimische Religionslehrerinnen und -lehrer.

Dabei betonte Wolff jedoch, dass der Religion in der Schule eine wichtige Bedeutung zukomme: „Jugendliche müssen sich verorten in der Gesellschaft, und dafür brauchen sie Orientierung.“ In der Schule könne deshalb der Religionsunterricht nicht nur ein „Sahnehäubchen“ sein, vielmehr durchzögen Fragen von Identität und Interkulturalität alle Schulfächer. So sei es Aufgabe aller Lehrkräfte, gleich welchen Glaubens, kulturelle Zusammenhänge darzustellen: Wenn etwa im Re­ ligionsunterricht die biblische Schöpfungsgeschichte vermittelt werde, könne die Biologie dieses Thema naturwissenschaftlich ergänzen.

Die Kultusministerin hob hervor, dass ein Kind ein Recht darauf habe, sich nicht nur in seiner eigenen Kultur zurecht zu finden, sondern auch eine eigene Identität zu finden. „Ein Kind fragt schon im Kindergarten, woher komme ich, warum gibt es mich, was ist
einzigartig.“ Wer einen eigenen Standpunkt zu diesen Fragen finde, werde keine Angst haben, anderen Standpunkten zu begegnen, führte die Ministerin mit Blick auf die Begegnung mit anderen Religionen aus. Das Wissen von anderen Religionen hält Wolff für unabdingbar notwendig. Doch wer nur alles nebeneinander stelle, verwechsele Toleranz mit Gleichgültigkeit.

Die Ministerin betonte, dass der christliche Religionsunterricht in Hessen ordentliches Unterrichtsfach sei. Wenn dieses abgewählt werde, sei der Ethikunterricht als Ersatzfach die Alternative. Wolff kündigte an, dass durch verstärkte Ausbildung von Ethiklehrerinnen und -lehrern in den nächsten drei Jahren flächendeckend dieser Ersatzunterricht angeboten werden könne.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt Juli 2007