Tokio, 20. März 1995: Zwölf Menschen sterben an den Folgen eines Giftgasanschlages in der U-Bahn, über 5.500 werden verletzt. Verantwortlich gemacht wird die Aum-Sekte um ihren Guru Asahara.
Nicht nur Japan ist schockiert. Die Zahl und das Ausmaß der geplanten Anschläge verursacht auch über Japan hinaus Angst und Schrecken. Asahara ist nicht so einzigartig, wie er denkt. Das Gemisch aus Selbstüberschätzung, Charisma, Endzeitprophezeiung und religiösem Wahn findet sich bei vielen Führern, die den Tod brachten. Asahara hatte ebenso das Weltende prophezeit wie Luc Jouret und sein Orden des Sonnentempels. Am 5. und 6. Oktober 1994 starben über fünfzig Personen in Kanada und an zwei Orten der Schweiz. Sie haben die Erde „für einen neuen Zyklus der Erde verlassen“, wie es im Abschiedsbrief heißt.
Auch für den selbsternannten Messias David Koresh in Texas, USA, war das Weltende gekommen, ebenso für die über neunhundert Menschen, die sich 1978 im Urwald von Guayna umbrachten.
Und bei uns in Deutschland?
Es ist eher unwahrscheinlich, dass es bei den hier tätigen Organisationen zu einem solchen Endpunkt kommt. Aber die Denkstruktur ist in vielen – auch kleineren – Gruppen erstaunlich ähnlich.
Da gibt es eine feindliche Außenwelt, die völlig verkennt, dass die Gruppe das Patentrezept zur Rettung dieser Welt hat. Ja, es bildet sich eine Art Verschwörung gegen die eigene Gruppe. So lässt sich jede Kritik von außen abblocken und sogar das Weltende erklären. Die Verblendeten werden gerichtet, während die eigene Gruppe zu einem neuen, besseren Leben in einer jenseitigen Welt aufsteigt. Dieses Denkschema findet sich beim Universellen Leben mit seiner «Posaune Gottes» Gabriele Wittelk ebenso wie bei den „Kindern Gottes“, die sich heute „Family“ nennen, oder auch den Zeugen Jehovas, für die das Endgericht unmittelbar bevorsteht.
Kein Zweifel: es handelt sich bei den Gruppen, die für den Tod von vielen Menschen verantwortlich sind, um eine krankhafte Form von Religiosität. Aber die Zutaten des tödlichen Mix finden sich eben auch bei anderen Endzeitsekten. Es bedarf für ein solches Desaster vor allem eines Gurus, Meisters oder Führers, der dazu fähig ist, seine Anhänger und Anhängerinnen dorthin zu führen. Er braucht Ausstrahlung und quasi göttliche Autorität. Seine Anweisungen müssen im Namen einer überirdischen Macht ausgesprochen werden. Erst wenn göttliche und menschliche Autorität des Führers deckungsgleich sind, besitzt er wirkliche, unbestreitbare, letzte Autorität. Wenn diese Voraussetzungen zusammenkommen, sind alle – um es mit dem Religionswissenschaftler Johannes Aagaard zu sagen -„Höllenhunde losgelassen“.
„Das Gemisch aus Selbstüberschätzung, Charisma, Endzeitprophezeihung und religiösem Wahn findet sich bei vielen Führern, die den Tod brachten.“ |
Werbeschrift der „Familie“/Heaven’s Love, ehemals Kinder Gottes:
„Offen gesagt, die Weit ist heute in sich in einem schlimmen Zustand, dass wir wirklich froh sind, dass Jesus bald wiederkommt; denn die einzige Lösung, die wir im heutigen Chaos und in der heutigen Verwirrung sehen können, ist die baldige Wiederkunft des Herrn!“
Auszug aus den Offenbarungen der Gabriele Wittek (Universelles Leben), aus der Jesus Christus sprechen soll:
„Meine Worte sind das Allgesetz, das ewige Gesetz,- sie verlangen Entscheidung für oder gegen mich. Wer es fassen kann, der fasse es. Wer es lassen will, der lasse es. Jeder trägt das, was er ist – und für das, was er ist, selbst die Verantwortung vor dem Allgesetz, Gott. “
Auszug aus einer Schrift, die nach den Tod von über 50 Mitgliedern des Sonnentemplerordens bei einer Schweizer Sektenexperten einging (zitiert nach Berliner Dialog Nr. 1/95):
„Mit einer unergründlichen Liebe, mit einer unvergleichlichen Freude und ohne jedes Bedauern, verlassen wir diese Welt. Menschen, weint nicht über unseren Abgang, aber weint lieber über Euren. Der unsere ist beneidenswerter als Eurer. Euch, die ihr empfänglich seid für diese letzte Botschaft, sagen wir, dass unsere Liebe und unser Friede Euch begleitet in den schrecklichen Prüfungen der Apokalypse, die Euch erwartet. Wisset, dass von dort, wo wir sind, wir immer die Arme ausstrecken zu denjenigen, die würdig sind uns zu treffen. “
1999 Kurt-Helmuth Eimuth