Archiv für Presse

Die große Sehnsucht nach der Stille

Evangelisches Frankfurt Juni 2010
Meditation

Meditation und Kontemplation sind längst in christlichen Kirchen angekommen

Der „Ökumenische Arbeitskreis Meditation“ hat sich aufgelöst. Er wurde in den 1980er Jahren als Alternative zu esoterischen Angeboten von den Weltanschaungsbeauftragten Lutz Lemhöfer und Kurt-Helmuth Eimuth initiiert. Sein Ziel war, niedrigschwellig auf christliche Traditionen der Kontemplation aufmerksam zu machen. Der Kreis habe 18 lange Jahre intensive Lobbyarbeit geleistet und das Thema ins Bewusstsein gerückt, erklärte der katholische Pastoralreferent Franz-Karl Klug im evangelischen Zentrum Verkündigung, wo man sich zuletzt regelmäßig traf. Der Erfolg habe den Arbeitskreis nun überflüssig gemacht. Mittlerweile finde man Angebote zu christlicher Spiritualität in vielen Kirchengemeinden Frankfurts, im katholischen Zent­rum Heilig Kreuz und eben im Zentrum Verkündigung. „Wir sind also zuversichtlich, dass unsere Arbeit fortgesetzt wird und weiter Früchte bringt“, versicherte Klug.

Bei der letzten Veranstaltung des Arbeitskreises machte Pfarrer Sven Joachim Haack noch einmal auf das christliche Schatzkästchen mit den Perlen Kontemplation und Mystik aufmerksam. Der in der Psychiatrie und Suchtrehabilitation tätige Klinikseelsorger schätzt die „heilsame Kraft“ dieser Erfahrungswege. Die Lebenskultur aus der Stille wirke einem verbreiteten Phänomen entgegen: der Entfremdung vom eigenen Leben. Wie Haack beobachtet, sind „viele Seelen verhungert“, die „äußeren Formen der Religion so verholzt, dass niemand mehr andocken kann“.

Bei seinem Vortrag in Frankfurt gewährte der Schüler des Benediktinermönchs und Zen-Meisters Willigis Jäger Einblick in die Praxis. Sich in die Stille zu versenken sei zwar eine schlichte, aber ganz und gar nicht einfache Übung. Um durchlässig für die Erfahrung der Verbundenheit zu werden und den Mist seines Lebens in Kompost zu verwandeln, brauche es Ausdauer und Geduld. In diesem Zusammenhang warnte Haack, der seit mehr als einem Jahrzehnt an der Würzburger Schule der Kontemplation unterrichtet, namentlich die Protestanten davor, Krieg gegen sich zu führen. Kontemplation lasse sich nicht erzwingen, sie verlange vielmehr Herzenswärme und Freundlichkeit sich selbst gegenüber. Es sei ein Weg, der Zeit benötige und nie ende. Im Sinne des Benedikt von Nursia, der dazu anhielt, mit allen Dingen so umzugehen als seien sie heiliges Altargerät, solle Kontemplation in eine veränderte Haltung im Alltag münden. Angesichts der globalen Katastrophen misst Haack diesem Aspekt wachsenden Stellenwert bei. Über den ökologischen Umweg hätten viele Menschen ihre Sehnsucht nach Stille entdeckt. Haack glaubt, dass sich diese Entwicklung verstärken wird, und hält eine Aussage des katholischen Theologen Karl Rahner für prophetisch: „Der Christ der Zukunft wird Mystiker sein… oder er wird nicht mehr sein“.

Doris Stickler

Fundamentalismus in Familien

Evangelisches Frankfurt Mai 2010

Fachtagung: Religiös-totalitäre Minigruppen schaden Kindern

Rund hunderttausend Kinder und Jugendliche sind nach Schätzung von Kurt-Helmuth Eimuth in Deutschland „totalitären Erziehungssystemen“ ausgesetzt, die unter dem Deckmantel von Religion auftreten. Für die „Gefährdung des Kindeswohls durch Sekten und christlichen Fundamentalismus“ wollte eine von „Sinus“, der hessischen Sekteninformations- und Selbsthilfe-Initiative, organisierte Tagung in Frankfurt sensibilisieren. Eingeladen waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern, Kitas sowie Kinder- und Jugendberatungsstätten.

Waren religiös-totalitäre Erziehungsmethoden früher haupt-sächlich in klassischen Großsekten wie den Zeugen Jehovas oder Scientology zu finden, so habe man es heute mit einer Vielzahl kleiner Gruppen zu tun, berichtete Eimuth, der beim Diakonischen Werk für Frankfurt den Arbeitsbereich Kindertagesstätten leitet. In dem „fast undurchschaubaren Dickicht“ wisse man nicht, welche Gruppierung unschädlich und welche bedrohlich ist. Daher müsse jeder Einzelfall genau geprüft werden.

Wenn sich die Betroffenen unter Druck gesetzt fühlen, wanderten sie nicht selten ab, so Eimuth. Die Mutter, die mit Kind ihrem Guru ins Ausland gefolgt ist, sei kein Einzelfall. Aufsehen erregte ein Fall aus Baden-Württemberg, wo Eltern ihre fünf Kinder aus religiösen Gründen nicht in die Schule schicken wollten und in den USA Asyl erhielten.

Harald Achilles, Referent für Schulrechtsangelegenheiten im Hessischen Kultusministerium, sieht darin eine neue Wendung. Differenzen zwischen staatlichem Erziehungsauftrag und elterlichem Erziehungsrecht sind nach Erfahrung des Juristen immer eine Gratwanderung. Das schulgesetzlich verbriefte Toleranzgebot verlange schließlich, auf weltanschauliche Hintergründe Rück- sicht zu nehmen. „Wir können die Sekten nicht abschaffen“, sagte Achilles, „sollten aber für ein Bewusstsein der Problematik sorgen“.

Das gehört sozusagen zum Alltagsgeschäft von Jürgen Zillikens. Der Rechtsanwalt und Vizepräsident des Vereins „Kids“ („Kinder in destruktiven Sekten“) glaubt, dass sich der Zug zu solchen Gruppen in Zukunft noch verstärken wird. In einer Gesellschaft, die „immer kälter wird“, würden Menschen in sektenartigen Zusammenschlüssen Halt, Wärme und soziale Kontakte suchen.

Auch Frauke Zahradnik, die Leiterin des Kinderbüros der Stadt Karlsruhe, geht davon aus, dass das Thema sich nicht so schnell erledigt. Sie verfolgt, „wenn wieder eine dubiose Gruppe auf dem Markt erscheint“, und berät päda­gogische Einrichtungen. Gleichwohl warnte sie vor überzogener Angst: „Nicht jede Sektenmitgliedschaft gefährdet gleich das Kindeswohl.“ Zudem dürfe man nicht vergessen, dass auch Armut oder zerrüttete Familien Kindern erheblichen Schaden zufügen können.

Doris Stickler

Diakonie wirbt in Gaststätten um Erzieherinnen

Evangelisches Frankfurt April 2010

Diakonie wirbt in Gaststätten um Erzieherinnen

Ein Mädchen mit einer Wäscheklammer auf der Nase, ein Junge, der von einem Kameraden geschlagen wird, ein drittes Kind, das versucht, etwas in eine Steckdose zu bekommen – ein Albtraum für jede Erzieherin, jeden Erzieher. Zu sehen ist die Szene auf einer Karikatur, mit der das Diakonische Werk für Frankfurt um Personal für seine Kitas wirbt. In 120 Gaststätten wird die Karikatur bald als Postkarte ausliegen.

„Wir wollen neue Wege bei der Personalgewinnung gehen und probieren es deshalb mit Werbemaßnahmen an ungewöhnlichen Orten. Und mit einem Augenzwinkern, denn dieser Beruf macht ja wirklich Spaß“, sagt Kurt-Helmuth Eimuth, der für die evangelischen Kitas in Frankfurt zuständig ist. Der Arbeitsmarkt für Erzieherinnen sei in Frankfurt „leergefegt“. Allein in evangelischen Einrichtungen seien bis Sommer etwa hundert Stellen zu besetzen, sagt Eimuth. Grund für den hohen Personalbedarf sei der Ausbau von Krabbelstuben für die Unter-drei-Jährigen, die steigende Kinderzahl in Frankfurt sowie der Wunsch nach einer besseren Personalausstattung.

Um Berufsanfängerinnen wirbt das Diakonische Werk gesondert mit einem Plakat, das an Fachschulen in ganz Hessen ausgehängt wird. Auch im Internet will man verstärkt werben, kündigte Eimuth an.

Antje Schrupp

Marion Eimuth über Margot Käßmann

Pfarrerin Marion Eimuth referierte in Obereisenhausen (Sonntagszeitung 28.2.2010)

Assistentinnen sollen in Kitas aushelfen

Evangelisches Frankfurt November 2009

Assistentinnen sollen in Kitas aushelfen

Steigende Kinderzahlen und ein gesetzlicher Betreuungsanspruch bescheren Frankfurt einen Boom an neuen Kitas und Krabbelstuben. Allerdings fehlt es an geeignetem Personal. Das Diakonische Werk hat nun ein Projekt initiiert, bei dem Langzeitarbeitslose zu „pädagogischen Assistentinnen“ qualifiziert werden.

Auf dem regulären Arbeitsmarkt tendierten Anna Starodubzewas Chancen gegen Null. Der „Generation 50 plus“ angehörend und ohne in Deutschland anerkannte Berufsausbildung, blieben für die Kasachin mit deutschen Wurzeln nur Ein-Euro-Jobs. Weil die studierte Pädagogin aber unbedingt arbeiten wollte, nahm sie das in Kauf – fast fünf Jahre lang.

Ein vom Diakonischen Werk im Evangelischen Regionalverband Frankfurt initiiertes Qualifi­zierungsprojekt mit dem Titel „Pädagogische Assistenz“ hat ihre Situation jetzt um 180 Grad gewendet: Seit Anfang November hält Anna Starodubzewa ein Zertifikat in Händen und vermutlich auch bald einen Anstellungsvertrag. Die Ginnheimer Krabbelstube „Gabriel“, in der sie den praktischen Teil ihrer Qualifizierung absolvierte, will sie übernehmen. Leiterin Sabine Ruschitschka wartet nur noch auf grünes Licht der Mitarbeitervertretung.

Anna Starodubzewa - links - hofft, nach ihrer Qualifizierungsmaßnahme in der Krabbelstube „Gabriel“ in Ginnheim wieder eine reguläre Arbeit zu finden – als pädagogische Assistentin. | Foto: Doris Stickler

Anna Starodubzewa – links – hofft, nach ihrer Qualifizierungsmaßnahme in der Krabbelstube „Gabriel“ in Ginnheim wieder eine reguläre Arbeit zu finden – als pädagogische Assistentin.
Foto: Doris Stickler

Die neue Kollegin habe sich als Glücksgriff erwiesen und sei eine Bereicherung für das Team, schwärmt Ruschitschka. Die Chemie stimmte, und auch die Ansichten zum Umgang mit Kindern waren ähnlich. Die Krabbelstube „Gabriel“ orientiert sich, wie alle evangelischen Krabbelstuben in Frankfurt, an der Pädagogik der 1984 verstorbenen Kinderärztin Emmi Pikler. Deren Forderung, Kinder vom Säuglingsalter an als eigenständige Wesen zu respektieren, ihren individuellen Entwicklungsstand zu beachten und nichts zu forcieren, wird den Kursteilnehmerinnen im Theorieteil der Qualifizierung ebenso vermittelt wie Kenntnisse in Spielpädagogik oder Ernährungswissenschaft.

Verbunden mit ihren ursprünglichen beruflichen Hintergründen sieht Kurt-Helmuth Eimuth, der Leiter des Arbeitsbereichs Kindertagesstätten im Diakonischen Werk, durch die Assistentinnen die „Teamkompetenz in den Einrichtungen erhöht“. Als ehemalige Musikerinnen, Chemielaborantinnen oder Handwerkerinnen würden sie die „rein pädagogische Arbeit durch ihre Multiprofessionalität sinnvoll ergänzen“. Eimuth hält es „ohnehin für einen Fehler, in Kitas ausschließlich Pädagoginnen und Pädagogen zu beschäftigen“. Es geht bei dem Projekt also auch um eine Erweiterung in der Konzeption. Deshalb hofft Eimuth, dass das bundesweit einmalige Projekt Schule macht.

Doch es gibt auch kritische Stimmen: Werden hier nicht ausgebildete Erzieherinnen durch rasch angelernte Hilfskräfte verdrängt? Eimuth versichert, das sei nicht der Fall: Wenn künftig pro Jahr etwa zwanzig Personen ein solches Zertifikat erhielten, so läute das „nicht den Untergang des Berufstandes“ ein. Dafür spricht auch der Fachkräftemangel im Kita-Bereich. Immerhin müssen mit dem seit kurzem verankerten Rechtsanspruch von Eltern auf einen Betreuungsplatz bis 2013 allein in Frankfurt weitere 6000 Plätze für Kleinkinder unter drei Jahren entstehen. Für rund 1000 davon will die evangelische Kirche sorgen.

Woher man allerdings die zusätzlich benötigten 300 Erzieherinnen und Erzieher nehmen soll, sei bislang schleierhaft, sagt Eimuth. Bereits jetzt würden pädagogische Kräfte händeringend gesucht. Mit enormem Aufwand werde Personal angeworben, bis in den Lahn-Dill-Kreis hinein. Dennoch seien in den evangelischen Kitas derzeit rund 40 Stellen vakant. Und dieses Defizit werde sich in der „Boom-Stadt“ Frankfurt noch vergrößern. Die Anzahl der Kinder wachse hier seit geraumer Zeit an. In den nächsten Jahren würden in Frankfurt 30 neue Kitas gebaut.

Auch Joachim Otto, der im Diakonischen Werk den Arbeitsbereich „Beschäftigung und Qualifizierung“ leitet, hält Einwände wie „hier werden mit einer Schmalspurqualifizierung reguläre Arbeitsplätze blockiert“ für unberechtigt. Und er bedauert es, dass die kirchliche Mitarbeitervertretung bislang nur dem Einsatz von Assistentinnen in den Krabbelstuben zustimmt, nicht jedoch in Kitas. Dennoch habe man für die Mehrzahl der ersten Absolventinnen bereits eine Stelle gefunden, und für den Rest sei eine Vertragsunterzeichnung „ziemlich sicher“, so Otto. Er werde weiterhin für das Projekt werben, will aber keine Konfrontation: „Die Mitarbeitervertretung soll mit ins Boot.“ Es gehe schließlich vor allem um die Frage, wie sich „Bedarf und Angebot sinnvoll zusammenbringen“ lassen.

Die Krabbelstube „Gabriel“ hat darauf eine befriedigende Antwort parat: Anna Starodubzewa entlastet mit ihren Kenntnissen das Team, ihr selbst bleibt das Tingeln durch zeitlich befristete Ein-Euro-Jobs erspart.

Doris Stickler

„Pädagogische Assistenz“ – nächster Kurs im Januar

Foto: Rolf Oeser

Foto: Rolf Oeser

Mit der Qualifizierungsmaßnahme „Pädagogische Assistenz“ reagiert das Diakonische Werk für Frankfurt auf eine Bedarfslücke von professionellen pädagogischen Hilfskräften in Krabbelstuben und Kindertagesstätten. Das einjährige Beschäftigungsprojekt richtet sich an langzeitarbeitslose Menschen über 40 Jahre, die möglichst das zehnte Schuljahr abgeschlossen haben und über berufliche Erfahrungen verfügen.

Der Qualifizierungsweg ist ähnlich wie das Berufspraktikum für angehende Erzieherinnen in die Bereiche Theorie und Praxis gegliedert. An 30 Unterrichtstagen, am wöchentlichen Reflexionstag sowie an den Fortbildungstagen wird theoretisches Wissen vermittelt. In der restlichen Zeit führt man die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Krabbelstuben oder Kindertagesstätten an die Praxis heran.

Für die Dauer des in Kooperation mit dem Rhein-Main-Job- Center organisierten Projekts beziehen sie weiterhin Arbeitslosengeld II und erhalten überdies eine monatliche Zusatzvergütung von bis zu 150 Euro. Die Qualifizierung endet mit einem Kolloquium und einem Zertifikat.

Vanessa Hoch (Foto), die im Diakonischen Werk für den Bereich Krabbelstuben zuständig ist und die Qualifizierung betreut, betont, dass hier ausschließlich Personen teilnehmen, mit denen man vorher Gespräche geführt hat, und die sich für die Arbeit mit Kindern eignen. Zudem würden die pädagogischen Assistentinnen ihre Rolle in den Einrichtungen sehr genau kennen: „Sie sollen zuarbeiten und die Erzieherinnen unterstützen, aber weder Gruppen leiten noch Elterngespräche führen oder Entscheidungen fällen.“

Das nächste Qualifizierungsprojekt startet im Januar. Weitere Informationen: Diakonisches Werk, Koordination und Organisation von Arbeitsgelegenheiten, Telefon 069 299255100, oder unter www.diakonischeswerk-frankfurt.de.

Doris Stickler

Besser gemeinsam: Reli in der Grundschule

Evangelisches Frankfurt September 2009

Kommentar:
Besser gemeinsam: Reli in der Grundschule

Foto

Die Frage stellt sich spätestens mit der Einschulung. Soll mein Sohn, meine Tochter am Religionsunterricht teilnehmen? Wenn ja, an welchem? Und was machen die Kinder, die nicht teilnehmen?

Man ahnt die organisatorische Herausforderung für Schulleitungen. Sie müssen für eine Minderheit (in einigen Schulen erreicht der Anteil der christlichen Kinder gerade mal ein Viertel) Religionsunterricht organisieren, und das dann auch noch für evangelisch und katholisch getrennt. Da bleiben nur „Randstunden“. Das ist durchaus symbolisch: Der Religionsunterricht wird allein durch die geringe Zahl von Kindern, die ihn besuchen, an den Rand gedrängt.

Die scheidende Studienleiterin des Religionspädagogischen Amtes der evangelischen Kirche hat jetzt noch einmal Alarm geschlagen (siehe Seite 9). Ein konfessionsgetrennter Unterricht sei Eltern nicht mehr zu vermitteln. Recht hat sie. Die Vermittlung christlicher Grundlagen sollte durchaus ökumenisch gelingen. Schließlich berufen sich ja beide Kirchen auf die Bibel. Da sollte es doch möglich sein, Schöpfungsgeschichten und die biblische Überlieferung vom Leben Jesu gemeinsam kindgerecht weiterzugeben. Der Streit um den Absolutheitsanspruch des Papstes oder um unterschiedliche Auffassungen vom Abendmahl dürfte Kinder im Grundschulalter überfordern und wird sie vermutlich auch wenig interessieren.

In den weiterführenden Klassen werden zunehmend Differenzierungen notwendig. Hier sollten den Schulen und deren Fachkonferenzen Möglichkeiten des gemeinsamen Unterrichtens eröffnet werden. Dies gilt auch für den islamischen Religionsunterricht. Ein solches Angebot muss ebenso wie Ethik vorgehalten werden. Alles andere ignoriert die gesellschaftliche Realität. Dass diese Entwicklung den Religionsgemeinschaften einiges abverlangt, ändert nichts am Ziel. Eine umfassende Bildung darf den Bereich der Religion und der religiösen Tradition nicht ausblenden. Die multireligiöse Vielfalt in den Schulen erfordert es, neue Wege zu finden.

Die Verantwortlichen in Darmstadt und Limburg sollten diese Realität zur Kenntnis nehmen. In einigen Bereichen haben die Kirchen nur noch gemeinsam eine Chance, sich Gehör zu verschaffen. Welche Bedeutung man auch immer einem Religionsunterricht zumisst: Wenn nur noch gut zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler den Unterricht einer Konfession besuchen wollen, wird es auch für die Gutwilligen in den Schuldirektorien schwierig, kirchliche Ansprüche zu verteidigen. Beide Kirchen müssen ihre Positionen überdenken, sonst stellen sie sich ins Abseits.

Kurt-Helmuth Eimuth

Krippen akut in Not

FRANKFURTER RUNDSCHAU

Kleinkind-Betreuung

VON MARTIN MÜLLER-BIALON

Schwierig ist die Lage ist schon jetzt: Besonders wenn Virusinfektionen umgehen, kommt es in den Krippen und Krabbelstuben immer wieder zu

Engpässen. Denn bei dem besonders engen Kontakt zwischen Kleinkindern und Betreuern sind oft auch die Erzieher betroffen. „Es kommt immer

wieder vor, dass ich meinen Sohn beim Abholen mit einer ihm nicht vertrauten Person in nicht vertrauten Räumen vorfinde“, berichtet eine Mutter

der städtischen Krippe „Kunterbunt“ in Bornheim. Sie habe oft „kein gutes Gefühl“, wenn sie ihr Kind zur Krippe bringe. „Das liegt aber nicht an den

Erzieherinnen, es gibt zu wenig Personal.“

Nach den Vorgaben der hessischen Verordnung für die frühkindliche Betreuung ist das Personal ausreichend. „Wenn alle da sind, reicht der

Stellenplan aus“, sagt „Kunterbunt“-Leiterin Christina Spaethen. Immer wieder gebe es aber Ausfälle wegen Fortbildungen oder Erkrankungen der

Kolleginnen.

„Wir versuchen dann, im Sinne der berufstätigen Eltern die Gruppen trotzdem offen zu halten.“ Die Zahl der „Springerinnen“ – zurzeit ist eine für

zwei Krippen zuständig – zu verdoppeln, wie es der Kita-Gesamtelternbeirat fordert, hält die Leiterin für wünschenswert.

Keine gute Ausgangslage für die gigantische Aufgabe, die die Stadt in den kommenden fünf Jahren zu stemmen hat: Der vom Bund beschlossene

Rechtsanspruch für einen Krippenplatz ab 2013 bedeutet eine glatte Verdreifachung der Plätze und des Fachpersonals. Zu den derzeit 3200

Krippenplätzen bei der Stadt sowie freien und kirchlichen Trägern müssen weitere 6000 geschaffen werden.

Bei einem Stellenschlüssel von 1:5 (eine Erzieherin, fünf Kinder) bedeutet das 1200 neue Stellen – derzeit sind es 640. Weitere 400 Erzieher-Stellen

will die Stadt freiwillig schaffen – die Aufstockung des Personalschlüssels von eineinhalb auf zwei Stellen je Kindergartengruppe läuft derzeit.

Wie das gehen soll, weiß zurzeit niemand. „Engpässe gibt es schon jetzt, der Ausbau kommt oben drauf“, sagt etwa Kurt-Helmuth Eimuth,

Abteilungsleiter im für die evangelischen Kitas zuständigen Diakonischen Werk. Eimuth leitete bis 2005 die Erzieherschule im Diakonissenhaus, deren

Betrieb ausläuft.

Fehlende Ausbildungsplätze

Eine Entscheidung, die sich nun rächt. Denn die Berta-Jourdan-Schule kann als Berufsschule für pädagogische Berufe den Bedarf nicht decken. So

wird nun im Schul- wie im Sozialdezernat nach alternativen Lösungen gesucht. Bildungsdezernentin Jutta Ebeling (Grüne) hat bereits eine

Werbekampagne für den Erzieherberuf angekündigt, wobei besonders die in den Kitas stark unterrepräsentierten Männer angesprochen werden

sollen.

Zudem erwäge man, wie Eimuth berichtet, ein Quereinsteigerprogramm. „Dabei könnten Leute qualifiziert werden, die eine ähnliche Ausbildung oder

Qualifikation mitbringen.“ In Einzelfällen sei auch die Einarbeitung von Naturwissenschaftlern denkbar. Gegen solche Überlegungen steht freilich die

Kita-Verordnung, wie Rainer Lossa vom Stadtschulamt betont. „Wir dürfen den Fachkraft-Status nicht aufgeben.“

Das Qualifizierungs-Modell der Werkstatt Frankfurt würde diese Problem lösen. Im Benehmen mit der Berta-Jourdan-Schule erwägt die Werkstatt,

arbeitslose und allein erziehende Frauen für den Erzieher-Beruf zu gewinnen. „Ich gehe davon aus, dass etwa 100 bis 120 von ihnen die nötige

Eignung haben“, sagt Geschäftsführer Conrad Skerutsch. Diesen Frauen soll eine stark praxisorientierte Umschulung angeboten werden

Die Krabbel-Offensive

Evangelisches Frankfurt April 2009

Die Krabbel-Offensive

Krabbelstuben sind nichts Böses – vorausgesetzt, die Qualität stimmt. In den nächsten vier Jahren will die evangelische Kirche in Frankfurt tausend neue Plätze für Kinder unter drei Jahren schaffen und ihr derzeitiges Angebot damit fast verfünffachen. Die Bedürfnisse und Bildungschancen der Kinder selbst stehen dabei im Mittelpunkt.

Es ist ein sonniger Tag, und die Kinder in der evangelischen Krabbelstube in Zeilsheim freuen sich, raus zu kommen – eifrig steigen sie in ihre Stiefel und Anoraks und toben kurz darauf im Außengelände herum. Lena hingegen ist müde und hat sich in ihr Bettchen im Schlafraum gelegt, Samantha knabbert an ihrem Tischchen an einem Brot, während der kleine Stefan, der noch nicht laufen kann, auf eigene Faust den Raum erkundet. „Bei uns machen nie alle Kinder zur gleichen Zeit dasselbe“, sagt Leiterin Tanja Stadtmüller, „wir passen uns ganz dem Rhythmus jedes einzelnen Kindes an.“

Neuankömmling Jarne weiß noch nicht genau, ob es ihm in der Krabbelstube gefällt. Aber er hat ja Zeit, sich daran zu gewöhnen – mindestens vier Wochen lang sind Mama oder Papa jederzeit erreichbar. | Foto: Ilona Surrey

Neuankömmling Jarne weiß noch nicht genau, ob es ihm in der Krabbelstube gefällt. Aber er hat ja Zeit, sich daran zu gewöhnen – mindestens vier Wochen lang sind Mama oder Papa jederzeit erreichbar.
Foto: Ilona Surrey

Dreh- und Angelpunkt dieses Konzeptes, das sich an den Vorschlägen der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler orientiert, ist die Beziehung zwischen Erzieherin und Kind. So ist in der Eingewöhnungsphase, die in der Regel vier bis sechs Wochen dauert, eine einzige Erzieherin für das Kind zuständig – wird sie krank, muss der Eingewöhnungsprozess unterbrochen werden. „Nur wenn die Bindung zwischen Kind und einer festen Bezugsperson stark und sicher ist, wird es anfangen, die Umgebung aktiv zu erkunden“, sagt Vanessa Hoch, die im Diakonischen Werk für Frankfurt die fachliche Ausrichtung betreut.

Es ist jedoch nicht immer leicht, konsequent die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Da komme es vor, dass Eltern sich beklagen, wenn ihre Kleinen am Nachmittag zu lange geschlafen haben – weil sie dann am Abend wach sind und beschäftigt werden wollen. Andere fragen schon in der Krabbelstube nach Frühenglisch und sind skeptisch, wenn die Erzieherinnen die Kleinen nicht ständig „bespielen“ und beim Lernen vorantreiben.

Vielleicht ist diese Erwartungshaltung kein Wunder, denn schließlich wurde der massive Ausbau von Krippenplätzen in Deutschland nicht zuerst aus pädagogischen, sondern vielmehr aus wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Gründen angestoßen: Junge Frauen sollen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und der Nachwuchs „bildungsferner“ Schichten möglichst früh gefördert werden. Auch Tanja Stadtmüller weiß um den Druck, dem viele Eltern heute im Alltag ausgesetzt sind. „Deshalb bemühen wir uns sehr, ihnen möglichst entgegen zu kommen.“ Feste Bring- und Abholzeiten gibt es nicht, Verbesserungsvorschläge sind jederzeit willkommen.

Wann immer die Kleinen Hunger haben, gibt's etwas zu essen. Die Wünsche der Kinder werden von den Erzieherinnen sehr ernst genommen. | Foto: Ilona Surrey

Wann immer die Kleinen Hunger haben, gibt’s etwas zu essen. Die Wünsche der Kinder werden von den Erzieherinnen sehr ernst genommen.
Foto: Ilona Surrey

Viel zu lange sind in Deutschland Familien und öffentliche Einrichtungen beim Thema Kleinkinderbetreuung gegeneinander ausgespielt worden. Es wird höchste Zeit, dass sie an einem Strang ziehen. „Der Weg zu einer Institutionalisierung der Kinderbetreuung auch unter drei Jahren ist richtig und notwendig“, bekräftigt Pfarrer Michael Frase, der Leiter des Diakonischen Werkes für Frankfurt. Auch in der Kirche – lange Zeit ein Hort überkommener Familienmodelle – hat sich diese Erkenntnis inzwischen durchgesetzt.

Beim Ausbau der Krabbelstuben dürfe es aber nicht einfach um „Betreuungsplätze“ gehen, sondern vielmehr um Bildung, ist der zuständige Arbeitsbereichsleiter Kurt-Helmuth Eimuth überzeugt. Wobei sich der Bildungsbegriff nicht länger an dem klassischen Schulmodell orientiert, wo die Lehrer vorgeben, was wann gelernt wird. Eher steht das Verhalten einer Mutter Modell, die verlässlich da ist, dem Kind erklärt, was es wissen will, und ihm im ganz normalen Lebensalltag Anregungen bietet.

„Der Mensch lernt durch Nachahmung, Ausprobieren und Kommunikation“, erläutert Eimuth diesen Prozess. Material dazu gibt es in den Krabbelstuben zur Genüge: Holzrampen und Treppen, Sachen zum Rütteln, Betasten, Auf- und Zuschrauben. „Wir nehmen gerne Alltagsgegenstände“, sagt Tanja Stadtmüller und deutet auf leere Plastikflaschen, Cremedosen, bemalte Würfel und vieles mehr, das auf den Entdeckungsdrang der Kleinsten wartet. Die Erzieherinnen fragen regelmäßig nach den Wünschen der Kinder und erklären ihnen alles, was sie selbst tun. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Windelwechseln, das nicht etwa als lästige Notwendigkeit, sondern als wichtiger Teil des Bildungsprozesses verstanden wird. „Diese intime Interaktion trägt ganz entscheidend zur Vertrauensbildung bei“, sagt Vanessa Hoch. Wobei das Kind selbst entscheidet, wann die Windel gewechselt werden soll.

Auch für viele Erzieherinnen ist so ein Konzept eine Herausforderung. „Sie müssen lernen, sich selbst zurückzunehmen und die Kinder machen zu lassen.“

In den meisten Ausbildungsgängen gibt es in punkto Frühpädagogik jedoch noch einen gewissen Nachholbedarf. Forderungen nach einer Akademisierung der Erzieherinnenausbildung sieht Kurt-Helmuth Eimuth zwiespältig. Er setzt eher auf differenzierte Ausbildungsgänge und „multiprofessionelle“ Teams: akademisch ausgebildete „Bildungsorganisatorinnen“ in der Einrichtungsleitung, dazu Spezialistinnen für interkulturelle oder religiöse Bildung, die mit ihren Fachkenntnissen diejenigen unterstützen, die als erste Bezugspersonen für die Kinder da sind.

Antje Schrupp

Frankfurt braucht 4500 zusätzliche Erzieherinnen

Ab dem Jahr 2013 haben Eltern in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Krabbelstuben-Platz für ihre Kinder. Zuständig sind die Kommunen. Für die Stadt Frankfurt heißt das: In nur vier Jahren müssen rund 5500 neue Plätze geschaffen werden. Die evangelische Kirche will sich mit 1000 neuen Plätzen an diesem gewaltigen Ausbau beteiligen. Dafür ist ein Bauvolumen von rund 20 Millionen Euro vorgesehen, finanziert ganz überwiegend von der Kommune sowie aus Landes- und Bundeszuschüssen.

Dabei stellen sich vor allem zwei Probleme. Erstens gilt es, geeignete Liegenschaften zu finden. Sie müssen aus Sicherheitsgründen im Erdgeschoss liegen und über ein Außengelände verfügen – keine leichte Sache, vor allem im Innenstadtbereich. Noch schwieriger wird es jedoch sein, genügend Erzieherinnen zu finden. Die Stadt Frankfurt schätzt den Bedarf in den kommenden vier Jahren auf 4500 zusätzliche Kräfte. Dem stehen aber in diesem Zeitraum nur rund 1500 Absolventinnen und Absolventen der Berta-Jourdan-Schule gegenüber.

Antje Schrupp

Erzieherinnen braucht das Land

Erzieherinnen und Erzieher braucht das Land

Während derzeit viele Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen, gibt es eine Berufsgruppe, die sich diesbezüglich überhaupt keine Sorgen machen muss: Erzieherinnen. Allein in Frankfurter Kindertagesstätten und Krabbelstuben werden in den nächsten vier Jahren schätzungsweise 4500 neue Kräfte gebraucht. Wo die herkommen sollen, weiß derzeit noch niemand. In derselben Zeit werden nämlich in der Berta-Jourdan-Schule, der einzigen Ausbildungsstätte für Erzieherinnen in der Stadt, nur rund 1500 Absolventinnen – und wenige Absolventen – ihren Abschluss machen.

Der Grund für diesen großen Bedarf ist die Tatsache, dass ab 2013 Eltern in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für ihre Kinder haben. Auch in der evangelischen Kirche, lange ein Hort überkommener Familienmodelle, hat sich diese Erkenntnis inzwischen durchgesetzt: „Der Weg zu einer Institutionalisierung der Kinderbetreuung auch unter drei Jahren ist richtig und notwendig“, betont Pfarrer Michael Frase, der Leiter des Diakonischen Werkes im Evangelischen Regionalverband Frankfurt.

Von den rund 5500 neuen Krippenplätzen, die nach Schätzungen der Stadt in den nächsten vier Jahren geschaffen werden müssen, sollen 1000 in evangelischer Trägerschaft sein. Das bedeutet, dass die Kirche ihr derzeitiges Angebot fast verfünffachen will. Dabei kommt es vor allem auf die Qualität an, betont Kurt-Helmuth Eimuth, der im Diakonischen Werk für Kitas und Krabbelstuben zuständig ist. „Es geht um Bildung“, so Eimuth. Allerdings kann Bildung bei Ein- oder Zweijährigen nicht so ablaufen wie in der Schule, wo die Lehrer vorgeben, was wann gelernt wird. Die evangelischen Krabbelstuben arbeiten vielmehr nach einem Konzept, das die Bedürfnisse der Kinder selbst konsequent in den Mittelpunkt stellt. „Der Mensch lernt durch Nachahmung, Ausprobieren und Kommunikation“, so Eimuth.

Was das praktisch bedeutet, erläutert Tanja Stadtmüller, die Leiterin der evangelischen Krabbelstube in Zeilsheim: „Bei uns machen nie alle Kinder zur gleichen Zeit dasselbe.“ Die Kinder selbst entscheiden, wann sie schlafen, essen, spielen oder die Windeln gewechselt haben möchten. Die Erzieherinnen bieten ihnen kein „Programm“, sondern begleiten die Kleinen bei ihrem Entdeckungsdrang. Überall gibt es etwas zu erkunden, zum Beispiel Alltagsgegenstände wie leere Cremedosen oder Plastikflaschen. Rampen und Stufen animieren zum Klettern, die Kinder dürfen auch im Waschbecken plantschen oder sich in die Kuschelecke verziehen – je nachdem, was gerade ihr Interesse weckt. Das pädagogische Konzept dazu stammt von der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler.

Auch das Windelwechseln wird dabei nicht etwa als lästige Notwendigkeit angesehen, sondern als wichtiger Teil des Bildungsprozesses, erklärt Vanessa Hoch, die für die fachliche Ausrichtung der evangelischen Krabbelstuben zuständig ist: „Diese intime Interaktion trägt ganz entscheidend zur Vertrauensbildung bei.“ Und weil das Vertrauen zwischen Kind und Erzieherin so wichtig ist, ist in der Eingewöhnungsphase, die vier bis sechs Wochen dauert, eine einzige Kollegin für ein Kind zuständig. Wird sie zum Beispiel krank, muss die Eingewöhnungsphase unterbrochen werden. „Nur wenn die Bindung zwischen Kind und einer festen Bezugsperson stark und sicher ist, wird es anfangen, die Umgebung aktiv zu erkunden“, erklärt Hoch.

Auch für viele Erzieherinnen ist so ein Konzept eine Herausforderung, denn sie müssen sich selbst zurücknehmen und großen Respekt vor den Kleinen mitbringen. In der Ausbildung haben sie das nicht unbedingt gelernt – hier gibt es selten einen speziellen Schwerpunkt auf Frühpädagogik. Kurt-Helmuth Eimuth kritisiert die „Allround“-Pädagogik, die heute oft noch das Berufsbild Erzieherin prägt – sie müssen alles können, von der Krabbelstube bis zum Heim für Jugendliche.

Forderungen nach einer Akademisierung des Berufs sieht Eimuth allerdings zwiespältig. Er setzt eher auf differenzierte Ausbildungsgänge und „multiprofessionelle“ Teams aus „Bildungsorganisatorinnen“ in der Einrichtungsleitung und Spezialistinnen, etwa für interkulturelle oder religiöse Bildung, die mit ihren inhaltlichen Kenntnissen dann diejenigen unterstützen, die als erste Bezugspersonen für die Kinder verlässlich da sind und Vertrauen aufbauen.

Krabbelstuben: Eine Aufgabe, die alle angeht

Nachdem in Punkto Kinderbetreuung für unter Dreijährige lange Zeit Familien und öffentliche Einrichtungen gegeneinander ausgespielt wurden, hat jetzt endlich ein Umdenken eingesetzt. Mit ungefähr vierzig Jahren Verspätung vollzieht die deutsche Gesellschaft das, was Feministinnen schon lange vorschlagen: Sie begreift, dass die Versorgung und Erziehung kleiner Kinder eine Aufgabe ist, die alle angeht und für die es ordentliche Konzepte braucht – und zwar ökonomische ebenso wie pädagogische.

Was die pädagogische Seite betrifft, so hat sich bereits vieles verändert. Das Konzept der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler, nach dem die evangelischen Krabbelstuben in Frankfurt arbeiten, ist durchaus überzeugend. Zentral ist der Respekt vor den Kindern, auch bereits den Kleinsten, die als eigenwilliges Gegenüber ernst genommen werden. Modell für dieses Verständnis von Bildung ist nicht mehr der autoritäre Lehrer, der Wissen einpaukt, sondern eher die Mutter, die verlässlich da ist, dem Kind erklärt, was es interessiert, und ihm im ganz normalen Alltag Anregungen bietet. Im Zentrum steht die Vertrauensbeziehung zwischen einem Kind und einer erwachsenen Person – ob es nun die Mutter, der Vater oder eben die Erzieherin ist.

Nicht richtig durchdacht ist aber nach wie vor die ökonomische Seite. Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es zum Lachen: Der massive Ausbau an Krippenplätzen, der jetzt holterdipolter aus dem Boden gestampft werden muss, droht nämlich daran zu scheitern, dass es schlicht und ergreifend nicht genügend Erzieherinnen gibt. Was ja auch kein Wunder ist, wenn gleichzeitig jungen Mädchen bei „Girls Days“ beigebracht wird, dass sie doch besser Kfz-Mechanikerin oder Ingenieurin werden sollen anstatt etwas „typisch Weibliches“.

Hier liegt also durchaus ein Fehler im System. Zwar ist es inzwischen Konsens, dass junge Mütter berufstätig sein sollen. Doch die Frage bleibt, wer dann eigentlich die Arbeit der ehemaligen „Hausfrauen“, die ja auch nicht den ganzen Tag nur Däumchen gedreht haben, übernehmen soll – und vor allem unter welchen Bedingungen. Denn Tätigkeiten, die auf Beziehungen, Vertrauen, Fürsorge gründen, lassen sich nun mal nicht in unser derzeitiges Verständnis von „Wirtschaft“ integrieren. Sie „rechnen“ sich nicht, bringen keinen Profit, versprechen nicht Macht und allgemeine Anerkennung. Sie entziehen sich der betriebswirtschaftlichen Logik, und trotzdem muss irgendjemand sie erledigen.

Wer die eigene Berufstätigkeit nach streng „kapitalistischer“ Logik plant, also vor allem auf Einkommen und Status achtet, ist dazu kaum motiviert. Deshalb ist der Anteil von Männern an der Kindererziehung im institutionellen Bereich genauso winzig wie früher in der Familie. Vielleicht bietet ja die Finanzkrise, die eine Wirtschaftsexpertin kürzlich sehr treffend „Testosteronkrise“ genannt hat, einen Anlass zum Umdenken. Es wäre jedenfalls nicht das Schlechteste, wenn demnächst arbeitslose Ingenieure und Kfz-Mechaniker auf Erzieher umschulen müssten. Denn Autos haben wir längst genug, Zeit für Kinder aber nicht.

In: Kirche Intern, April 2009

Musiker sind "Laut gegen Gewalt"

Hinterländer Anzeiger 27.3.2009