Tag Archiv für Frankfurt

Frankfurter aus Afrika: Ein Buch erinnert an Jean Claude Diallo

„Jean-Claude Diallo – Ein Frankfurter aus Afrika“, 264 Seiten, erschienen im Nomen Verlag

Der Buchtitel hätte nicht besser gewählt werden können. „Ein Frankfurter aus Afrika“ zeichnet ein buntes Mosaik eines ungewöhnlichen Menschen mit einer unglaublichen Biographie; fest verwurzelt in seinem Geburtsland Guinea, wo Jean Claude Diallo in einer kurzen Phase des demokratischen Aufbruchs Minister wurde, sowie in Frankfurt, wo er als erster Schwarzafrikaner die Position eines Stadtrats und Dezernenten für Integration übernahm. Im Evangelischen Regionalverband leitete er den Fachbereich für Ökumene und Ausländerarbeit. In einem von Diallos Ehefrau Barbara Gressert-Diallo herausgegebenen Buch kommen jetzt zahlreiche Weggefährt:innen des 2008 im Alter von 60 Jahren verstorbenen Psychologen zu Wort.

Die vielen unterschiedlichen Perspektiven lassen nicht nur ein lebendiges Bild des Menschen Diallo entstehen, sie zeigen auch sein großes Netzwerk. Als Student bricht Diallo auf, um in Europa zu studieren. Doch bald wird er eingeholt von den Vorgängen in seinem Heimatland Guinea. Diktator Sékou Touré brach damals die Beziehungen zu zahlreichen westeuropäischen Ländern ab, und die Studenten mussten 1971 die BRD verlassen und sich in Rom versammeln, wie Diallos Studienfreund Ansoumane Camara berichtet. Es ist spannend nachzulesen, wie er die Zeit dort verbrachte, schließlich in der Schweiz studierte und schon damals sich eine Gruppe Guineer um ihn versammelte. Man kann sich gut vorstellen, wie die Studentenbude zum Treffpunkt wurde.

Durch Zufall hörte Jean Claude Diallo 1980 im Radio davon, dass die Evangelische Kirche in Frankfurt einen Psychologen für die Arbeit mit politisch Geflüchteten in ihrem Psychosozialen Zentrum (PSZ) suchte. So kam er nach Frankfurt und begann seine Laufbahn beim Evangelischen Regionalverband. 1984 ging er allerdings nach dem Tod von Touré, nach 15 Jahren im Exil, erst einmal zurück nach Conakry, in die Hauptstadt Guineas. Dort lernte er den neuen Staatschef Lansana Conté kennen und wurde noch im selben Jahr zum Staatssekretär, später zum Minister für Information und Kultur ernannt. Malte Rauch berichtet über ein aufregendes Filmprojekt damals mit Diallo. Nicht nur in die politische Situation wird Einblick gewährt, sondern auch in die soziale Lage eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Haus und Dienstwagen war die finanzielle Absicherung für die Familie damals nicht gesichert, wie Barbara Gressert-Diallo sich erinnert: „Unsere Bemühungen, ein ruhiges und normales Leben zu führen, wurden immer wieder durch nicht vorhersehbare Ereignisse unterbrochen.“ Mit 300 DM Ministergehalt kam man selbst in Guinea nicht weit.

Victor Pfaff beschreibt in dem Buch den Rücktritt vom Ministeramt und die fluchtartige Rückkehr nach Deutschland. Der Anwalt für Flüchtlingsfragen hatte Diallo damals in Afrika besucht. Er schreibt: „Jean Claude hatte zwei Eigenschaften in das Amt mitgebracht, die unter den gegebenen Bedingungen völlig fehl am Platze waren: Er war Gestalter und er war unbestechlich. Vor allem das Letztere erwies sich als lebensgefährlich.“ Nach beruflicher Tätigkeit in Düsseldorf übernahm Diallo bald die Leitung des PSZ in Frankfurt, später dann Leitung des Fachbereichs Ökumene und Ausländerarbeit des Evangelischen Regionalverbandes, zu dem zahlreiche Bildungs- und Therapieeinrichtungen gehörten. Seine damalige Stellvertreterin Angelika Berghofer-Sierra erinnert sich: „Er entschied nicht über die Köpfe der Mitarbeitenden hinweg. Häufig lagen vor Entscheidungen lange Diskussionsprozesse.“

Auch am Main mischte sich der Frankfurter aus Afrika politisch ein. Ab 1997 gehörte er als Stadtrat und Dezernent für Integration dem Magistrat der Stadt an. Jutta Ebeling, Bürgermeisterin und Bildungsdezernentin nennt Diallo „einen Glücksfall für die Stadt“. Und weiter: „Er war das intellektuelle wie sinnlich anschauliche Symbol für eine Politik der Multikulturalität.“

Einen tiefen Einblick in das Familienleben gewähren in dem Buch die vier Kinder. Ob Riten oder die ausgedehnten Urlaubsfahrten: Jean Claude Diallos Leben hatte viele Facetten, eben auch die des Familienvaters. Er legte Wert auf Rituale. So bat er kurz vor seinem Tod zu einem gemeinsamen Essen in intimer Runde. „Wenn man seinen christlichen Glauben kannte und seinen traditionellen Glauben kannte, wusste man: Da schwingt jetzt ein wenig Motivationstrainer kombiniert mit einer Prise Übersinnlichem mit.“

Die Offenheit für Neues zeigte sich auch in Diallos Mitgliedschaft bei den Freimaurern. Seinem Sohn David gegenüber begründete er sie so: „Weißt du, diese Treffen tun mir so gut. Einmal nur unter Männern zu sein ist etwas anderes, es ist für mich erholsam und entspannend.“

Neben diesen und weiteren Berichten von Menschen, die Diallo kannten, enthält das Buch auch Texte von Diallo selbst, die belegen, für welche Ideale er gekämpft hat. Besonders beeindruckend ist ein Beitrag mit dem Titel „Der Mann aus der Zelle 18“ über die Entwürdigung und Folterung eines politisch Verfolgten.

In dem Erinnerungsband wird die ganze Bandbreite von Diallos Leben ausgebreitet, ohne ihn zu glorifizieren. Diallo nahm die Herausforderungen des Lebens an und behielt seine Ideale fest im Blick. Dabei verbreitete er eine von Lebensfreude durchdrungene Atmosphäre. Wenn er freundlich lächelnd in seinen afrikanischen Gewändern über die Flure des Dominikanerklosters, dem Sitz des Evangelischen Regionalverbandes, schritt, spürte man etwas von seiner gewinnenden Persönlichkeit.

Für alle, die ihn kannten, wird beim Lesen dieses Buches vieles wieder in Erinnerung gerufen. Aber es ist auch lesenswert für die, die ihn nicht kannten. Denn nicht nur ein Leben wird hier lebendig, sondern auch gesellschaftliche Spannungen und Konflikte, die sich gar nicht so sehr von den heutigen unterscheiden.

Kurt-Helmuth Eimuth

Zu Pfingsten läuten fünfzig Glocken aus zehn Kirchen

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. Mai 2020

Am Samstag vor Pfingsten, 30. Mai, um 16.30 Uhr ist es wieder soweit: Die Glocken der zehn Frankfurter Innenstadtkirchen vereinigen sich zu einem großen Klangteppich. Erstmals kann man das Große Stadtgeläut in diesem Jahr auch online erleben.

Große und kleine Glocken in den zehn Frankfurter Innenstadtkirchen erklingen gemeinsam beim großen Stadtgeläut.  |
Große und kleine Glocken in den zehn Frankfurter Innenstadtkirchen erklingen gemeinsam beim großen Stadtgeläut. | Bild: http://www.colourbox.de

Fein aufeinander abgestimmt nach einem Konzept des Glockensachverständigen Professor Paul Smets aus dem Jahr 1954 schwingen fünfzig Glocken aus zehn Frankfurter Innenstadtkirchen beim Großen Stadtgeläut. Diesmal ist es am Samstag vor Pfingsten erstmals auch online auf http://frankfurt.de/ zu hören.

Man braucht also in Corona-Zeiten nicht in die Innenstadt zu laufen, wo der akustische Eindruck durch den üblichen Verkaufslärm vermutlich selbst in diesen Zeiten getrübt wird.

Zu hören sind die Glocken der Dotationskirchen St. Katharinen, St. Peters, Heiliggeist, Alte Nikolaikirche und die Sachsenhäuser Dreikönigskirche, die drei katholischen Gotteshäuser Dom, Liebfrauen und Leonhard sowie die nicht mehr kirchlich genutzte Paulskirche und das ebenfalls säkularisierte Karmeliterkloster.

Der Frankfurter Magistrat hatte die Chance beim Wiederaufbau ergriffen und damit ein einzigartiges akustisches Kunstwerk geschaffen. Vollendet wurde das Große Stadtgeläut aber erst 1995 mit den neuen Glocken des Karmeliterklosters.

Dominant zu hören ist die Glocke „Gloriosa“ im Dom. Sie ist über zweieinhalb Meter hoch und breit und mit 11.950 Kilogramm das Schwergewicht unter den Glocken der Frankfurter Innenstadtkirchen – und die zweitschwerste Bronzeglocke Deutschlands. Insgesamt wiegen die fünfzig Glocken der zehn Innenstadtkirchen 64.804 Kilogramm.

Übrigens kann man Einblicke in die Dotationskirchen ebenfalls virtuell gewinnen. Die Stadt bietet im Internet Besichtigungen in 360 Grad.

Die Irrationalität der Welt: Schopenhauer im Historischen Museum

von Kurt-Helmuth Eimuth 6. November 2019

Ohne Zweifel ist er ein berühmter Sohn der Stadt Frankfurt: Arthur Schopenhauer wurde jetzt in das biografische Kabinett im Historischen Museum aufgenommen.

Arthur Schopenhauer zu seiner Frankfurter Zeit. Die Fotografie stammt vermutlich aus dem Jahr 1852. | Foto: Wikimedia, gemeinfrei.
Arthur Schopenhauer zu seiner Frankfurter Zeit. Die Fotografie stammt vermutlich aus dem Jahr 1852. | Foto: Wikimedia, gemeinfrei.

Auf sechs Wänden werden im neuen Schopenhauer-Kabinett des Historischen Museums Schlaglichter von Schopenhauers Wirken am Main geworfen. Der Philosoph hatte eine sehr enge Beziehung zu Frankfurt. 1833 wählte er die Stadt aus Angst vor der in Berlin grassierenden Cholera bewusst als Wohnort aus und lobte sie in den höchsten Tönen:

„Gesundes Klima. Schöne Gegend. Abwechslung großer Städte. Besseres Lesezimmer. Das Naturhistorische Museum. Besseres Schauspiel, Oper, Conzerte. Mehr Engländer. Bessere Kaffeehäuser … Die Senckenbergische Bibliothek. Du … hast die Freiheit, dir missliebigen Umhang abzuschneiden und zu meiden. Ein geschickter Zahnarzt. … das Physikalische Kabinett, notierte der damals 45-Jährige.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1860 lebte Schopenhauer in Frankfurt und widmete sich hier der Ergänzung und Verbreitung seines Werks. Sein Grab findet sich auf dem Hauptfriedhof; in der Obermainanlage, nahe dem Rechneigraben, hat man ihm ein Denkmal gesetzt.

Max Horkheimer hat über Schopenhauers Denken gesagt, es sei „unendlich aktuell“. Worin diese Aktualität besteht, erschließt sich dem unbedarften Besucher im Historischen Museum allerdings nicht so ohne weiteres. Man kann aber immerhin den Blick aus seinem Arbeitszimmer nachempfinden, der rekonstruiert wurde.

Der 1788 in Danzig geborene Philosoph stand mit seinem Denken im Widerspruch zu vielen damals vorherrschenden geistigen Strömungen. Waren diese überwiegend vom Glauben an Vernunft und Fortschritt geprägt, entwarf Schopenhauer eine Lehre, die Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ästhetik und Ethik gleichermaßen umfasst. Als einer der ersten Philosophen im deutschsprachigen Raum vertrat er die Überzeugung, dass der Welt ein irrationales Prinzip zugrunde liege. Damit sah er sich jedoch keineswegs im Widerspruch zur Rationalität Immanuel Kants, sondern als dessen Schüler und Vollender.

Mit der Aufnahme in die biografische Bibliothek gibt das Museum nun einen Anstoß sich mit dem Werk Schopenhauers erneut auseinanderzusetzen.

Biografische Bibliothek im Historischen Museum Foto. Kurt-Helmuth Eimuth

Frankfurt wächst und wird noch internationaler

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 28. August 2014

Frankfurts Einwohner und Einwohnerinnen sind zunehmend international: Bald haben mehr als die Hälfte aller Menschen, die hier wohnen, einen Migrationshintergrund, so Oberbürgermeister Peter Feldmann beim Presseempfang der Stadt Frankfurt.

Oberbürgermeister Peter Feldmann beim Presseempfang Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Beim Presseempfang der Stadt Frankfurt in der Villa Merton prognostizierte Oberbürgermeister Peter Feldmann, dass die Fünfzig-Prozent-Marke in Kürze genommen werde. Dies bedeute, dass dann mehr als die Hälfte der Einwohner Frankfurts einen Migrationshintergrund haben, also entweder selbst aus dem Ausland zugewandert oder Kinder von Zugewanderten sind. „Für die internationalen Firmen ist das ein Plus“, betonte Feldmann. Wie nicht anders zu erwarten, lobte Feldmann die Attraktivität der Mainmetropole. Allein im letzten Jahr sei die Stadt um 13.000 Menschen gewachsen. In diesem Zusammenhang verwies er auf seinen Vorschlag, vorhandene Ackerflächen zu bebauen.

Mit Bezug auf seinen Arbeitsstil bemerkte Feldmann, dass der Gestaltungswille der Bürgerschaft spürbar sei. Ohne in Fraktionen eingebunden zu sein, könne er sich so der Stadt und den Bürgerinnen und Bürgern widmen. „Das genieße ich“, so der Oberbürgermeister.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 28. August 2014 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe Web.

„Nur wenige lehnten den NS-Staat ab“

„Nur wenige lehnten den NS-Staat ab“

Vor 80 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt. Jürgen Telschow hat die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die evangelische Kirche in Frankfurt untersucht. Ein Interview.

Herr Telschow, Sie haben über den „Kirchenkampf“ in Frankfurt geforscht. Um was ging es denn dabei?

Wenn man den Begriff traditionell verwendet, ging es um eine Auseinandersetzung innerhalb der evangelischen Kirche zwischen den „Deutschen Christen“, die der Ideologie des Nationalsozialismus folgten, und einer kirchlichen Richtung, die sich „Bekennende Kirche“ nannte. Sie bestand auf einer theologischen und organisatorischen Eigenständigkeit gegenüber dem NS-Staat. Damit wird aber eigentlich verdeckt, dass meines Erachtens der Gegner der Bekennenden Kirche gar nicht die Deutschen Christen waren, sondern der NS-Staat. Die Bekennende Kirche hat zwar an einem ganz entscheidenden Punkt der Gleichschaltung widerstanden, aber sie hat mitgemacht oder toleriert oder sich weggeduckt bei all dem anderen, was dieser NS-Staat über Deutschland und die Welt gebracht hat. Mit dem Begriff „Kirchenkampf“ konnte sie ihr Bild von dem Kämpfer gegen das Unrecht schlagwortartig skizzieren.

Man kann also nicht sagen, dass die Bekennende Kirche Widerstand geleistet hätte?

Nein. Es gab in der Bekennenden Kirche nur ganz wenige, die den NS-Staat grundsätzlich abgelehnt haben.

Sie schreiben, dass das protestantische Milieu eine Nähe zum Nationalsozialismus gehabt hätte. Wie erklärt sich das?

Von der Urchristenheit her sind die Christen aufgerufen worden, den Staat, ganz gleich wie er ausschaut, als von Gott gegeben anzusehen. Es gibt das bekannte Wort von Römer 13, wo es nicht nur heißt: „Seid Untertan der Obrigkeit“, sondern es geht weiter: „… denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott“. Und so haben die Christen über 2000 Jahre damit gelebt, dass man sich dem Staat zu unterwerfen hat. Dann hatten sie erhebliche Probleme, die Weimarer Republik als eine Obrigkeit von Gott anzusehen, weil die Regierung von Menschen gewählt war. Es fiel ihnen leichter, Hitler als von Gott Gesandten anzusehen und damit in die alten Denkmuster zu verfallen. Auch gehörten die Pfarrer als Teile des Bürgertums einer Bevölkerungsgruppe an, die dem Verlust der Monarchie nachtrauerte, schockiert über die Formen des Atheismus war, und die moderne Zeit mit der Liberalitiät in der Gesellschaft kritisch sah.

Sie schreiben, dass sich die Deutschen Christen die rassistische Ideologie zu Eigen gemacht hätten. Dies sei sogar konstitutiv gewesen.

Das ist das Erschreckende. Theologisch war ja die evangelische Kirche schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr gespalten – zwischen den pietistischen Traditionalisten und der so genannten liberalen Theologie, die Glauben mit Wissenschaft und Kultur vereinbaren wollte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich mit Karl Barth eine theologische Richtung entwickelt, die den Liberalen vorwarf, dass sie theologische Fragen zu sehr mit kulturellen Fragen vermischten und nicht mehr nur aufs Evangelium schauten. Karl Barth hat dafür gekämpft, dass man ausschließlich das Evangelium als Richtschnur betrachtet und es nicht mit anderen Philosophien oder weltanschaulichen Elementen verbindet. Das Eigenartige ist, dass dann parallel dazu mit den Vorläufern der Deutschen Christen genau das Umgekehrte passierte: Jetzt war es nicht die Kultur und die Wissenschaft, denen man sich annäherte, sondern es waren plötzlich rassische Fragen oder das Führerprinzip.

Aber es gab in Frankfurt auch Widerstand gegenüber dem Beschäftigungsverbot von nicht „reinarischen“ Ärzten, zum Beispiel in evangelischen Krankenhäusern.

Die Frage, wie die evangelische Kirche mit Juden und insbesondere getauften Juden umgegangen ist, beschäftigt uns bis heute. Es ist nicht ganz zufällig, dass die Pfarrerschaft der Machtübernahme der Nationalsozialisten weitgehend zugestimmt hat. Erst in dem Moment, als auch in der Kirche der „Arierparagraph“ eingeführt wurde, also das Verbot, nicht „reinarische“ Menschen im kirchlichen Dienst zu beschäftigen, begann man, sich zu wehren. Es ist interessant, wenn man sich dazu die drei der Landeskirche nahestehenden Krankenhäuser in Frankfurt anschaut: das Diakonissenkrankenhaus, das St. Markuskrankenhaus und das Privatkrankenhaus Sachsenhausen. Auf alle drei ist Druck ausgeübt worden, sich von jüdischen Ärzten zu trennen. Aber die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Der Träger des Sachsenhäuser Krankenhauses, der Gemeinschaftsdiakonieverband in Marburg, lag auf der Linie der Deutschen Christen und der Nationalsozialisten und hat – sehr freundlich gesagt – überhaupt nicht den Versuch gemacht, sich vor seine jüdischen Ärzte zu stellen. Der Träger des St. Markuskrankenhauses, der Vorstand des Bockenheimer Diakonissenvereins, hat es versucht, auch mit juristischen Tricks, hat sich aber nicht durchsetzen können. Beim Diakonissenkrankenhaus schließlich hat der Vorstandsvorsitzende, Senatspräsident am Oberlandesgericht Dr. Heldmann, sofort gesagt: Hier gilt der Arierparagraph nicht. Und man konnte das durchhalten.

Wie war das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Richtungen in der Frankfurter Pfarrerschaft?

Zwischen 1933 und 1945 haben in Frankfurt 137 Pfarrer gearbeitet. Davon waren 60 Mitglieder der Bekennenden Kirche. Das ist ein enorm hoher Anteil. Den Deutschen Christen gehörten 29 Pfarrer an, 17 traten aber nach relativ kurzer Zeit wieder aus.

Heißt das, das protestantische Milieu war hier kritisch eingestellt war?

Ich habe nichts gefunden, was die Ausrichtungen der Gemeindemitglieder betraf. Es gab nur wenige Gemeinden, die sich eindeutig zuordnen lassen. Die Gemeinden waren gespalten. Einige Protagonisten der Bekennenden Kirche wie Otto Fricke und Wilhelm Fresenius hatten nicht einmal in ihren Kirchenvorständen die Mehrheit.

Warum sollte man sich heute noch mit Kirchenkampf beschäftigen?

Was zwischen 1933 und 1945 passiert ist, war ein ganz schrecklicher Irrweg Deutschlands, der aber doch weitgehend Zustimmung gefunden hatte. So richtig überzeugt sind die Menschen auch nach 1945 nicht davon abgerückt. Wir beschäftigen uns heute fast täglich mit den Rechtsradikalen. Wenn ich mich mit Geschichte befasse, geht es mir auch darum, den Menschen, die früher gelebt haben, gerecht zu werden. Auch bin ich jemand, der als Kind sehr darunter gelitten, was zwei Generationen angerichtet haben. Ich bin 1936 geboren, ein paar Bombenangriffe mit Todesangst, die letzten Kämpfe um Berlin, die Besatzung durch die russischen Truppen, dann in Berlin die Blockade, die Teilung Deutschlands und Europas. Das hat Spuren hinterlassen. Deshalb ist es mir nicht egal, was die Verantwortlichen damals gedacht haben.

Jürgen Telschow: Ringen und den rechten Weg – Die evangelische Kirche in Frankfurt zwischen 1933 und 1945, Hessische Kirchengesch. Vereinigung, 17,50 Euro.  Die Buchvorstellung ist am 31. Januar um 18 Uhr im Dominikanerkloster am Börneplatz.

Vortrag: Ein fatales Bündnis

Über „Das Bündnis von Nationalprotestantismus und Nationalsozialismus“ spricht der Kirchengeschichtler Günter Brakelmann am Donnerstag, 21. Februar, um 18 Uhr im Spenerhaus, Dominikanergasse 5. Brakelmann, der an der Ruhr-Universität in Bochum Christliche Gesellschaftslehre lehrte, hat in seinen Forschungen herausgearbeitet, wie sehr Protestantismus und Nationalsozialismus antiaufklärerische, antiliberale und antidemokratische Haltungen teilten.

Beitrag von , veröffentlicht am 30. Januar 2013 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

Fusion mit Offenbach?

In Frankfurt soll demnächst ein evangelisches Stadtdekanat entstehen. Doch die hessen-nassauische Kirchenleitung schlägt jetzt in einem Papier vor, Frankfurt und Offenbach zu fusionieren. Die Idee erntet Widerspruch.

Die Straffung der Strukturen mit dem Ziel der Gründung eines Frankfurter Stadtdekanats ist seit Jahren Thema in den evangelischen Gremien der Stadt („Evangelisches Frankfurt“ berichtete in der letzten Ausgabe). Die Vorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, Pfarrerin Esther Gebhardt, überraschte nun das Frankfurter Kirchenparlament mit der Mitteilung, dass es in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau bereits weitergehende Überlegungen gibt. In einem Impulspapier der Kirchenleitung wird vorgeschlagen, die derzeit vier Frankfurter Dekanate mit dem Dekanat Offenbach zu fusionieren. Dies liege aufgrund der vergleichbaren urbanen Lebenssituation nahe.

Die Zahl der Dekanate in Hessen-Nassau soll bis zum Jahr 2027 drastisch reduziert werden, von heute 47 auf maximal 28. Die hessische Kirchenleitung verspricht sich davon mehr Stabilität und größere Planungssicherheit. Gebhardt wies vor den Delegierten der Frankfurter Gemeinden und Dekanate darauf hin, dass der Frankfurter Reformprozess jetzt mit dem in der Landeskirche zu synchronisieren sei.

Dekan Achim Knecht erwartet trotz des Darmstädter Papiers weiterhin Unterstützung für ein Frankfurter Stadtdekanat. Schließlich hätten beide Reformprozesse dasselbe Ziel: eine stabile und tragfähige Struktur. Eine Fusion von Frankfurt und Offenbach wird wohl nicht überall auf Zustimmung stoßen. „Das ist einfach dummes Zeug“, sagte etwa der Delegierte Max Schumacher.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Mai 2012

Orte der Identifikation

Kommentar

Kurt-Helmuth Eimuth

Orte der Identifikation

Eine Auseinandersetzung über die Neubebauung von Frankfurts „gudd Stubb“ ist entbrannt. Gut so.

(Bild: S.Kasten/Wikimedia)

Bietet sich doch die Chance, die Bausünden der Vergangenheit zwischen Dom und Römer zu lindern. Das krankgraue Historische Museum und das monströse Technische Rathaus dokumentieren einen Selbstverwirklichungswahn von Architekten, die Modernität ohne jedes Gespür für das Umfeld und die Historie des Ortes durchsetzten. So entstanden Gebäude, auf die man getrost verzichten kann.
Nun will man Neues, Besseres schaffen, indem man das Alte wiederherstellt. Woher kommt diese Sehnsucht nach der vermeintlich guten alten Zeit? Diese Sehnsucht ist im ganzen Land zu beobachten. Ausgehend von Dresden wird in vielen Städten nach alten, Identität stiftenden Gebäuden gefahndet. Berlin will sein Stadtschloss wieder, Potsdam, Hannover und Braunschweig desgleichen, mal komplett, mal nur als nachgebaute Fassade mit dahinter verstecktem Einkaufszentrum. In Frankfurt freute man sich über die Rekonstruktion der kriegszerstörten klassizistischen Stadtbibliothek, deren Anblick allerdings durch das dahinter stehende Schwesternwohnhochhaus auch etwas Befremdliches hat.
Die Projektion auf altes Gemäuer rührt aus dem Wunsch nach Gewissheit, nach Verlässlichkeit, nach Beständigkeit. Das bedeutet keineswegs, wie Kritiker meinen, ein Ignorieren der Wunden, die ein von Deutschland ausgehender Krieg gerissen hat. Nein, es zeigt sich vielmehr eine Sehnsucht, sich der eigenen Wurzeln zu vergewissern. Wenn schon Staaten auseinander brechen, Währungen verschwinden und Unternehmen ihre Arbeitnehmer wie Schachfiguren behandeln, dann soll wenigstens die Stadtarchitektur Dauerhaftigkeit und Stabilität vermitteln.
Ein Phänomen, das die Kirchen gut kennen. Auch wenn die Dorfkirche kaum genutzt wird, so soll sie doch stehen bleiben. Da engagieren sich dann auch viele Atheisten bei der Sanierung. Die emotionale Bindung ist groß. Das zeigte sich auch an der Diskussion um den Abriss der Matthäuskirche an der Messe.
Für Frankfurt bietet sich jetzt die einmalige Chance, weitere Identifikationsorte zurück zu gewinnen. Gleichwohl wird den exakten Wiederaufbau der Altstadt kaum jemand wollen. Eine behutsame, sich an den alten Wegen orientierende Bebauung, die auch die Form der alten Giebeldächer aufgreift, ist eine Möglichkeit. Wenn dabei auch noch eine Verbindung zwischen Dom und Römer entsteht, die wirklich zum Flanieren einlädt und als „Krönungsweg“ von der Tourismusförderung vermarktet werden kann, soll’s recht sein. Jedenfalls gilt es, die Chance zu nutzen.
Kurt-Helmuth Eimuth

Albert Schweitzer fasziniert

Evangelisches Frankfurt November 2009

Albert Schweitzer fasziniert

Spielfilm und Dauerausstellung über den Universalgelehrten

Vermutlich hätte es Albert Schweitzer gefallen, dass die neue Ausstellung über sein Leben in eher bescheidenen Räumen im ersten Stock eines Wohnhauses im Westend zwar durchaus professionell, aber keineswegs aufgemotzt daherkommt. Das Ausstellungsgestänge wurde aus Resten des Messebaus zusammengeschraubt, die Ausstellungsdidaktik ist modern und interaktiv: Im Frankfurter Albert-Schweitzer-Zentrum in der Wolfsgangstraße 109 können sich Besucher und Besucherinnen die wesentlichen Stationen des Universalgelehrten an Audiostationen mit Einspielungen von Schweitzers Bachinterpretationen und Predigttexten oder mittels Quiz und Brettspielen aneignen. Filmausschnitte ergänzen den Einblick in das Leben des Kulturphilosophen, Theologen, Organisten und Tropenarztes.

Ärztliche Hilfe für Menschen in Afrika: Szenenfoto aus dem Film über Albert Schweitzer, der von Jeroen Krabbè gespielt wird. | Foto: NFP / Stefan Falke

Ärztliche Hilfe für Menschen in Afrika: Szenenfoto aus dem Film über Albert Schweitzer, der von Jeroen Krabbè gespielt wird.
Foto: NFP / Stefan Falke

Schweitzer begründete eine universell gültige Ethik der Verantwortung für alles Leben und kämpfte noch im hohen Alter für atomare Abrüstung und den Frieden in der Welt. Das Leben des Friedensnobelpreisträgers zeichnet auch die britische Produktion „Albert-Schweitzer – Ein Leben für Afrika“ nach, die am Heiligen Abend, 24. Dezember, in den Kinos anläuft. Der Spielfilm wurde vom gleichen Team realisiert, das auch „Luther“ auf die Leinwand brachte. Zum Kinostart gibt es zahlreiche Begleitveranstaltungen. Für Schulklassen werden Sondervorführungen und umfangreiches Unterrichtsmaterial angeboten.

Das Drehbuch konzentriert sich auf zwei Schauplätze – New York in den 50er-Jahren, damals das Zentrum fortschrittlichen Denkens, und den Dschungel von Gabun. Dort leben die Menschen in großer Armut. Im Zentrum steht das Krankenhaus, in dem unter anderem Lepra-Kranke behandelt werden. Der Film zeigt, wie schwierig es für Albert Schweitzer im vom Kalten Krieg dominierten Nachkriegsamerika war, seine Kritik am Atomkrieg vorzutragen. Regisseur Gavin Millar sagt:

„Ich wusste wenig über Albert Schweitzer, und als ich mich umhörte, erfuhr ich in England ganz widersprüchliche Ansichten.“ Millar schreibt diese Widersprüchlichkeit einer Verleumdungskampagne der CIA gegen Schweitzer zu, die noch heute nachwirke.

Wer nach dem Film mehr über Schweitzer wissen möchte, dem sei der Besuch im Albert-Schweitzer-Archiv angeraten. Schließlich hatte der Goethe-Preisträger und Ehrenbürger der Stadt Frankfurts stets eine besondere Beziehung zur Mainmetropole. Mehr als zwanzig Mal war er zu Konzerten, Vorträgen und Preisverleihungen hier, und 1951 nahm er in der Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen. Eine Schule und eine Wohnsiedlung wurden nach ihm benannt.

Das Albert-Schweitzer-Zentrum verfügt über eine umfangreiche Sammlung aus Schweitzers Nachlass und eben über eine ganz neue, zwar kleine, aber dennoch angemessene Dauerausstellung. Weitere Informationen im Internet unter www.albert-schweitzer-zentrum.de sowie www.albertschweitzer-derfilm.de.

Kurt-Helmuth Eimuth

Schindlers letzte Jahre in Frankfurt

Evangelisches Frankfurt März 2008

Schindlers letzte Jahre in Frankfurt
Der Retter von 1200 Menschen wäre in diesem Jahr 100 geworden

Mit einigem Herzklopfen, so erinnerte sich später der inzwischen verstorbene Frankfurter Propst Dieter Trautwein, stieg er damals die Treppen im Haus Am Hauptbahnhof 4 hinauf. Trautwein hatte den Namen Oskar Schindler 1966 in Israel entdeckt. In Yad Vashem, der Gedenkstätte für die sechs Millionen während des Nationalsozialismus ermordeten Jüdinnen und Juden, standen dieser Name und der Länderhinweis „Allemagne“ an einem Baum in der „Allee für die andersgläubigen gerechten Helfer“.

Wenig später bekam Trautwein für eine „Werkmappe zur Reformation“ die Geschichte jenes Mannes, der über 1200 Menschen vor dem Tode bewahrt hatte, als literarisches Beispiel geliefert. Als Trautwein, der damals Jugendpfarrer in Frankfurt war, schließlich noch den Hinweis bekam, dass Oskar Schindler keineswegs eine literarische Erfindung, sondern eine höchst reale Person sei, die zudem noch in Frankfurt wohne, machte er sich kurzentschlossen auf den Weg. „Oben im letzten Stock an der letzten Tür rechts war tatsächlich ein kleines handgeschriebenes Schild „Oskar Schindler“, so Trautwein.

„Ich klingelte. Ein Mann öffnete. Ich fragte: ‚Heißen Sie…sind Sie…?’ ‚Ja’, antwortete mein Gegenüber. Ich stellte mich vor, und er ließ mich eintreten. Sofort hielt ich ihm die Druckfahnen hin und fragte: ‚Sagen Sie mir bitte, ob das, was hier steht, mit Ihnen zu tun hat?’ Bald schon gab er mir das Papier zurück und sagte: Ja, das ist meine Geschichte, es stimmt nicht im Einzelnen so genau, aber das Wesentliche ist schon wiedergegeben.“

Wenige Wochen später saß Oskar Schindler beim Evangelischen Jugendtag 1967 im Dominikanerkloster auf dem Podium, um dort nicht nur die – möglicherweise erste – literarische Verarbeitung seiner Rettungstat zu sehen, sondern auch, um aus seinem Leben zu berichten. Auf dem Podium war damals auch Leopold Pfefferberg, einer jener geretteten „Schindler-Juden“. Es war dieser Leopold Page, wie er sich in seiner neuen Heimat Los Angeles nannte, der die Geschichte von Oskar Schindler dem australischen Schriftsteller Thomas Keneally erzählte. Keneally schrieb daraufhin den biografischen Roman „Schindlers Liste“, den Steven Spielberg später verfilmte und durch den der Name von Oskar Schindler und seine Rettungstat, die über 1200 Jüdinnen und Juden vor dem Tod im Konzentrationslager bewahrte, in aller Welt bekannt wurde.

Doch diese Berühmtheit kam erst zwanzig Jahre nach Schindlers Tod im Jahr 1974. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Schindler als eher unbekannter Mann, der in einfachen Verhältnissen lebte, in Frankfurt. Hier versuchte er auch einen wirtschaftlichen Neubeginn, musste aber mit seiner Zementfabrik Konkurs anmelden.

In diesem Jahr, am 28. April, wäre Oskar Schindler hundert Jahre alt geworden. Heute erinnert an ihn in Frankfurt nicht nur eine Ausstellung im Jüdischen Museum, sondern auch eine Bronzetafel an seinem letzten Wohnhaus im Bahnhofsviertel sowie seit 1976 die Oskar Schindler-Straße in Bonames: kein großes Denkmal, wie Dieter Trautwein seinerzeit, kritisierte, sondern „lediglich eine
Kleinstraße am Ortsrand.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Zum Weiterlesen: Dieter Trautwein: Oskar Schindler – immer neue Geschichten, Societäts-Verlag.

Frankfurt: Familienstadt!

Kommentar

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Da hatten die beiden Frauen gut lachen: Pfarrerin Esther Gebhardt, Vorsitzende des Vorstandes des Evangelischen Regionalverbandes, und Jutta Ebeling, Bürgermeisterin und Bildungsdezernentin, waren sich bei der Einweihung der evangelischen Krabbelstube in Griesheim einig: Das, was im fernen Berlin diskutiert wird, „machen wir hier in Frankfurt“. Ebeling sprach gar von dem Ziel, Frankfurt als „Familienstadt“ zu profilieren.

Die Stadt unternimmt wirklich gewaltige Anstrengungen im Hinblick auf die Kinderbetreuung. Gleich ob grün, rot oder schwarz. Seit Jahren ist es Konsens in der Frankfurter Kommunalpolitik, die Betreuungsplätze für Kindergarten- und Krabbelkinder massiv auszubauen. Da wird nicht nur geredet, sondern richtig Geld in die Hand genommen. Weiß man doch, dass die Frage der Kinderbetreuung auch entscheidend für die Auswahl des Wohnortes ist. Wer künftig darauf baut, junge Familien in die Stadt zu holen oder dort zu halten, muss eine ausreichende Infrastruktur anbieten.

„Anbieten“ heißt das Verb, meine konservativen Herren – nicht nur – von der CDU! Niemand soll verpflichtet werden, sein Kind in eine Krabbelstube zu geben. Aber wer es tut, ist weder Rabenmutter noch Rabenvater. In einer Situation, in der die Großelterngeneration für solche Aufgaben nicht zur Verfügung steht, in der es keine Geschwisterkinder gibt oder in der zu Hause kein Deutsch gesprochen wird, ist eine Krabbelstube mehr als eine Betreuungsalternative. Sie ist zugleich eine Bildungsinstitution. Die PISA-Studie hat gezeigt, dass vor allem Kindern mit Migrationshintergrund Bildungschancen vorenthalten werden. Die Krabbelstube stellt auch für den Spracherwerb ein enormes Bildungspotenzial dar.

Und da wäre noch die Rolle der Kirche, die schon vor 150 Jahren begann, für verwahrloste Kinder Betreuungseinrichtungen anzubieten. Es ist ihr diakonischer Auftrag, in die Gesellschaft hinein zu wirken, ohne Ansehen der Person. Damit hat sich auch die Frage, warum die Kirche Kindergartenplätze für Muslime anbietet, erledigt. Der evangelische Kindergarten ist aber mehr als eine Bildungs- und Betreuungseinrichtung. Wenn es stimmt, dass Kinder eine geistige Verwurzelung und Zuversicht brauchen, dann dürfen sie nicht um Gott betrogen werden. Kinder haben auch ein Recht auf Religion. Das schätzen übrigens auch muslimische Eltern an evangelischen Kindertagesstätten. Krabbelstuben sind – genau wie Kindergärten – ein Gewinn für Eltern, für Kinder, für die Stadt und eben auch für die Kirche.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt April 2007