Tag Archiv für Kinder

Qualität für Krippen

Evangelisches Frankfurt Juli 2009

Qualität für Krippen
Sozialminister Banzer gegen Akademisierung

Durch den massiven Ausbau des Betreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren sieht der Hessische Sozialminister Jürgen Banzer die Gefahr, dass die Qualität auf der Strecke bleibt. Bei einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Akademie Arnoldshain über die Perspektiven frühkindlicher Erziehung sagte Banzer, zur Zeit habe man für 18 Prozent dieser Altergruppe einen Krippenplatz, angestrebt seien 35 Prozent. Der Hessische Bildungsplan für Kinder von null bis zehn Jahren könne ein Weg sein, die Qualität zu sichern. Da die Kindertagesstätten von zahlreichen freien Trägern unterhalten werden, können Standards nicht von oben verordnet werden. Darum will der Minis­ter bei der Qualitätssicherung „goldene Zügel“ nutzen. „Es geht nur mit viel Kommunikation, Elternarbeit und einem umfangreichen Fortbildungsangebot.“.

Banzer wandte sich gegen die Forderung, die Ausbildung von Erzieherinnen zu akademisieren. Er bescheinigte der derzeitigen Ausbildung eine hohe Qualität. „Die Fachschulen bilden hervorragend aus.“ Vielmehr solle man darüber nachdenken, ob während der Ausbildung nicht ein Lehrlingsgehalt gezahlt werden könne. „Wir müssen den Beruf attraktiver machen.“

Den Wandel des Kindergartens zu einer Bildungseinrichtung mahnte Pfarrer Michael Frase, der Leiter des Diakonischen Werks für Frankfurt, an. Die Kindergärten kämen historisch betrachtet aus der Tradition der familienergänzenden Betreuung. Dies habe durchaus seine eigene Qualität. Jetzt gehe es aber darum, träger­übergreifende Netzwerke in den Stadtteilen zu knüpfen, um die Übergänge zwischen den Bildungseinrichtungen „flach zu halten“. Frase begrüßte die Entstehung von Familienzentren, die verschiedene Angebote unter einem Dach bündeln.

Kurt-Helmuth Eimuth

Die Krabbel-Offensive

Evangelisches Frankfurt April 2009

Die Krabbel-Offensive

Krabbelstuben sind nichts Böses – vorausgesetzt, die Qualität stimmt. In den nächsten vier Jahren will die evangelische Kirche in Frankfurt tausend neue Plätze für Kinder unter drei Jahren schaffen und ihr derzeitiges Angebot damit fast verfünffachen. Die Bedürfnisse und Bildungschancen der Kinder selbst stehen dabei im Mittelpunkt.

Es ist ein sonniger Tag, und die Kinder in der evangelischen Krabbelstube in Zeilsheim freuen sich, raus zu kommen – eifrig steigen sie in ihre Stiefel und Anoraks und toben kurz darauf im Außengelände herum. Lena hingegen ist müde und hat sich in ihr Bettchen im Schlafraum gelegt, Samantha knabbert an ihrem Tischchen an einem Brot, während der kleine Stefan, der noch nicht laufen kann, auf eigene Faust den Raum erkundet. „Bei uns machen nie alle Kinder zur gleichen Zeit dasselbe“, sagt Leiterin Tanja Stadtmüller, „wir passen uns ganz dem Rhythmus jedes einzelnen Kindes an.“

Neuankömmling Jarne weiß noch nicht genau, ob es ihm in der Krabbelstube gefällt. Aber er hat ja Zeit, sich daran zu gewöhnen – mindestens vier Wochen lang sind Mama oder Papa jederzeit erreichbar. | Foto: Ilona Surrey

Neuankömmling Jarne weiß noch nicht genau, ob es ihm in der Krabbelstube gefällt. Aber er hat ja Zeit, sich daran zu gewöhnen – mindestens vier Wochen lang sind Mama oder Papa jederzeit erreichbar.
Foto: Ilona Surrey

Dreh- und Angelpunkt dieses Konzeptes, das sich an den Vorschlägen der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler orientiert, ist die Beziehung zwischen Erzieherin und Kind. So ist in der Eingewöhnungsphase, die in der Regel vier bis sechs Wochen dauert, eine einzige Erzieherin für das Kind zuständig – wird sie krank, muss der Eingewöhnungsprozess unterbrochen werden. „Nur wenn die Bindung zwischen Kind und einer festen Bezugsperson stark und sicher ist, wird es anfangen, die Umgebung aktiv zu erkunden“, sagt Vanessa Hoch, die im Diakonischen Werk für Frankfurt die fachliche Ausrichtung betreut.

Es ist jedoch nicht immer leicht, konsequent die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Da komme es vor, dass Eltern sich beklagen, wenn ihre Kleinen am Nachmittag zu lange geschlafen haben – weil sie dann am Abend wach sind und beschäftigt werden wollen. Andere fragen schon in der Krabbelstube nach Frühenglisch und sind skeptisch, wenn die Erzieherinnen die Kleinen nicht ständig „bespielen“ und beim Lernen vorantreiben.

Vielleicht ist diese Erwartungshaltung kein Wunder, denn schließlich wurde der massive Ausbau von Krippenplätzen in Deutschland nicht zuerst aus pädagogischen, sondern vielmehr aus wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Gründen angestoßen: Junge Frauen sollen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und der Nachwuchs „bildungsferner“ Schichten möglichst früh gefördert werden. Auch Tanja Stadtmüller weiß um den Druck, dem viele Eltern heute im Alltag ausgesetzt sind. „Deshalb bemühen wir uns sehr, ihnen möglichst entgegen zu kommen.“ Feste Bring- und Abholzeiten gibt es nicht, Verbesserungsvorschläge sind jederzeit willkommen.

Wann immer die Kleinen Hunger haben, gibt's etwas zu essen. Die Wünsche der Kinder werden von den Erzieherinnen sehr ernst genommen. | Foto: Ilona Surrey

Wann immer die Kleinen Hunger haben, gibt’s etwas zu essen. Die Wünsche der Kinder werden von den Erzieherinnen sehr ernst genommen.
Foto: Ilona Surrey

Viel zu lange sind in Deutschland Familien und öffentliche Einrichtungen beim Thema Kleinkinderbetreuung gegeneinander ausgespielt worden. Es wird höchste Zeit, dass sie an einem Strang ziehen. „Der Weg zu einer Institutionalisierung der Kinderbetreuung auch unter drei Jahren ist richtig und notwendig“, bekräftigt Pfarrer Michael Frase, der Leiter des Diakonischen Werkes für Frankfurt. Auch in der Kirche – lange Zeit ein Hort überkommener Familienmodelle – hat sich diese Erkenntnis inzwischen durchgesetzt.

Beim Ausbau der Krabbelstuben dürfe es aber nicht einfach um „Betreuungsplätze“ gehen, sondern vielmehr um Bildung, ist der zuständige Arbeitsbereichsleiter Kurt-Helmuth Eimuth überzeugt. Wobei sich der Bildungsbegriff nicht länger an dem klassischen Schulmodell orientiert, wo die Lehrer vorgeben, was wann gelernt wird. Eher steht das Verhalten einer Mutter Modell, die verlässlich da ist, dem Kind erklärt, was es wissen will, und ihm im ganz normalen Lebensalltag Anregungen bietet.

„Der Mensch lernt durch Nachahmung, Ausprobieren und Kommunikation“, erläutert Eimuth diesen Prozess. Material dazu gibt es in den Krabbelstuben zur Genüge: Holzrampen und Treppen, Sachen zum Rütteln, Betasten, Auf- und Zuschrauben. „Wir nehmen gerne Alltagsgegenstände“, sagt Tanja Stadtmüller und deutet auf leere Plastikflaschen, Cremedosen, bemalte Würfel und vieles mehr, das auf den Entdeckungsdrang der Kleinsten wartet. Die Erzieherinnen fragen regelmäßig nach den Wünschen der Kinder und erklären ihnen alles, was sie selbst tun. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Windelwechseln, das nicht etwa als lästige Notwendigkeit, sondern als wichtiger Teil des Bildungsprozesses verstanden wird. „Diese intime Interaktion trägt ganz entscheidend zur Vertrauensbildung bei“, sagt Vanessa Hoch. Wobei das Kind selbst entscheidet, wann die Windel gewechselt werden soll.

Auch für viele Erzieherinnen ist so ein Konzept eine Herausforderung. „Sie müssen lernen, sich selbst zurückzunehmen und die Kinder machen zu lassen.“

In den meisten Ausbildungsgängen gibt es in punkto Frühpädagogik jedoch noch einen gewissen Nachholbedarf. Forderungen nach einer Akademisierung der Erzieherinnenausbildung sieht Kurt-Helmuth Eimuth zwiespältig. Er setzt eher auf differenzierte Ausbildungsgänge und „multiprofessionelle“ Teams: akademisch ausgebildete „Bildungsorganisatorinnen“ in der Einrichtungsleitung, dazu Spezialistinnen für interkulturelle oder religiöse Bildung, die mit ihren Fachkenntnissen diejenigen unterstützen, die als erste Bezugspersonen für die Kinder da sind.

Antje Schrupp

Frankfurt braucht 4500 zusätzliche Erzieherinnen

Ab dem Jahr 2013 haben Eltern in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Krabbelstuben-Platz für ihre Kinder. Zuständig sind die Kommunen. Für die Stadt Frankfurt heißt das: In nur vier Jahren müssen rund 5500 neue Plätze geschaffen werden. Die evangelische Kirche will sich mit 1000 neuen Plätzen an diesem gewaltigen Ausbau beteiligen. Dafür ist ein Bauvolumen von rund 20 Millionen Euro vorgesehen, finanziert ganz überwiegend von der Kommune sowie aus Landes- und Bundeszuschüssen.

Dabei stellen sich vor allem zwei Probleme. Erstens gilt es, geeignete Liegenschaften zu finden. Sie müssen aus Sicherheitsgründen im Erdgeschoss liegen und über ein Außengelände verfügen – keine leichte Sache, vor allem im Innenstadtbereich. Noch schwieriger wird es jedoch sein, genügend Erzieherinnen zu finden. Die Stadt Frankfurt schätzt den Bedarf in den kommenden vier Jahren auf 4500 zusätzliche Kräfte. Dem stehen aber in diesem Zeitraum nur rund 1500 Absolventinnen und Absolventen der Berta-Jourdan-Schule gegenüber.

Antje Schrupp

"Man hat mir gesagt, da musst du unbedingt hin“

Evangelisches Frankfurt Februar 2009

„Man hat mir gesagt, da musst du unbedingt hin“

Mit Politikerbesuchen hat man inzwischen schon Erfahrung im Gallusviertel. Nachdem Bundeskanzlerin und Ministerpräsident schon da waren, kündigte sich im Januar der Hessische Innenminister Volker Bouffier an und besuchte die evangelische Versöhnungs-Kindertagesstätte.

Innenminister im Kindergarten: Volker Bouffier informierte sich in der Frankfurter Versöhnungs-Kita über das Projekt „Frühstart“. Er und eine Elternbegleiterin lasen den Kindern zweisprachig Geschichten vor. | Foto: Rolf Oeser

Innenminister im Kindergarten: Volker Bouffier informierte sich in der Frankfurter Versöhnungs-Kita über das Projekt „Frühstart“. Er und eine Elternbegleiterin lasen den Kindern zweisprachig Geschichten vor.
Foto: Rolf Oeser

„Man hat mir im Ministerium gesagt, da musst du unbedingt hin.“ Regelmäßig besuche er Kindertagesstätten, denn als Innenminister sei er ja auch für Integration zuständig, so Bouffier. Und so informierte er sich über das Projekt „Frühstart“, eine besondere Form der frühkindlichen Sprachförderung. Kita-Leiterin Birgit Liebow hob hervor, dass insbesondere die „Elternbegleiter“ eine besondere Qualität darstellen. Sie sind selbst mehrsprachig und ebnen Kindern den Weg in das deutsche Bildungssystem.

Kurt-Helmuth Eimuth

Den Kindern vertrauen, nicht den Noten

Evangelisches frankfurt Februar  2009

Kommentar:
Den Kindern vertrauen, nicht den Noten

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Bildung ist entscheidend. Deshalb ist es gut, dass die Politik in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gerade hier investiert. So manche Schule wartet seit Jahrzehnten auf Sanierung. Da ist jeder Euro aus dem Konjunkturprogramm gut angelegt. Doch nicht nur die Gebäude müssen in Ordnung gebracht werden. Auch die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Die Klassen sind zu groß, die Ausstattung ist schlecht. Der Markt hat längst reagiert. Fast jedes sechste Kind in Frankfurt besucht eine Privatschule. Tendenz steigend.

Die Kehrseite der Medaille: Wenn Schulnoten höchsten Stellenwert bekommen, spüren die Kinder das. Beste Noten werden zur Norm. Wer mittelmäßig oder gar schlecht ist, gehört nicht mehr dazu. Und Kinder können brutal sein. Auch im Ausgrenzen.

Doch Schulnoten sagen nichts über Bildung aus. Leider ist die Schule immer mehr dazu übergegangen, Wissen abzufragen. Das eingeführte Zentralabitur fördert dies. Abfragbares Wissen ist sicher nicht schlecht, aber eben nur ein Teil von Bildung. Bildung ist Verstehen im umfassenden Sinne. Zusammenhänge begreifen und kritisch zu reflektieren gehört ebenso dazu wie Fußball- oder Gitarrespielen. Soziale Kompetenz ist heute auch in Unternehmen eine Schlüsselqualifikation. Die lässt sich aber nur sehr eingeschränkt in der Schule vermitteln oder gar im Zeugnis ablesen.

Es ist jedoch zu befürchten, dass der eingeschlagene Weg der Wissensvermittlung, das Eintrichtern, landespolitisch beibehalten und sogar auf den Kindergarten übertragen wird. Das von der FDP ultimativ geforderte Vorschuljahr lässt diesbezüglich nichts Gutes ahnen. Ein gemeinsames Abendessen kann aber mehr Bildung vermitteln als so manche Unterrichtsstunde. Rücksichtnahme, das Einhalten von Regeln und anregende Gespräche über Gott und die Welt bilden die Grundlagen für das Verstehen von Zusammenhängen. Schade, dass viele Familien den Ritus des täglichen gemeinsamen Essens nicht mehr kennen.

Eines gilt leider immer noch: Der Zugang zu den Gymnasien wird in der vierten Klasse über die Noten gesteuert. Finnland und andere Staaten zeigen, dass dies ein Irrweg ist. Er setzt schon Zehnjährige unter Leistungsdruck, dem manche Eltern mit der Gabe von Beruhigungsmitteln begegnen. Dieses Aussortieren ist bildungspolitischer Unsinn und muss aufhören. Der Kinder wegen. Die brauchen Zeit zum eigenen Forschen, sie brauchen ihre Zeit zum Lernen und zum Aneignen der Welt. Vertrauen wir ihrem Interesse, ihrer Intelligenz. Dazu bedarf es keiner Noten.

Kurt-Helmuth Eimuth

Kitas vermitteln Wissen kreativ

Evangelisches Frankfurt Oktober 2008

Kitas vermitteln Wissen kreativ
Fortbildung für Erzieherinnen zu projektbezogenem Lernen

„Unsere Aufgabe als Erzieherinnen war es, den Kindern, die auf ein Forschungsgebiet gestoßen waren, immer wieder Material zur Verfügung zu stellen und sie dann machen zu lassen“, erzählt Petra Lauer, Leiterin der Kindertagesstätte Sternenreich in der Martinusgemeinde in Schwanheim. Soviel Vertrauen in kindliche Entdeckerfreude und Forschergeist löste eine Welle der Begeisterung und Schaffensfreude aus, die auch 19 andere evangelische Kindertagesstätten erreichte: Zwei Jahre lang hatten sie an der Fortbildungsreihe „Der Zeit auf der Spur – Bildung von Anfang an – Lernwerkstätten zum Bildungsplan“ teilgenommen, die von ihrer Fachberatung initiiert worden war. Angeregt und begleitet wurden die Erzieherinnen dabei von zwei Referenten der Fortbildungsstätten für pädagogische Praxis in Hessen, die„intelligent, kreativ und einrichtungsspezifisch“ arbeiteten, wie Fachberaterin Magdalena Lagemann in der abschließenden Präsentation hervorhob.

„Die Fortbildung war glücklicherweise zunächst ganz praktisch und auf Materialien bezogen“, lobte Christine Funk-Geissler, die die Villa Kunterbunt in der Regenbogengemeinde in Sossenheim leitet. „Das hat bei uns eine Lawine ausgelöst. Wir haben vier Räume in unserer Kita neu gestaltet, in denen wir den Kindern jetzt verschiedene Materialen zur Verfügung stellen.“ In der eigentlichen Projektarbeit beschäftigten die Kinder sich dann zunächst mit Steinen, bevor sie auf das Thema Dinosaurier stießen. Die Erzieherinnen stellten Materialien zum Basteln, Begreifen und Formen, Sachbücher und Internetseiten zur Verfügung, die Kinder fragten immer weiter und bastelten ganze Dinosaurierlandschaften.

Die Kita der Wicherngemeinde in Praunheim präsentierte große Höhlen, in die die Kinder Bären und Fledermäuse aus Pappmaschee gesetzt hatten. Die Thomas-Kita aus Heddernheim dokumentierte, wie die Kinder zunächst an einem Haus in der Nachbarschaft mitbauten und sich mit Architektur beschäftigten, bevor sie auf die Römerstadt aufmerksam wurden: Das führte zu archäologischen Grabungen, Geschichtsfragen, Töpferwerkstatt, Besuchen im Denkmalsamt und auf der Saalburg sowie einer ersten Berührung mit Latein.

„Wie man an diesem Projekt sieht, kann Bildung Spaß machen“, unterstrich Kurt-Helmuth Eimuth, der Leiter des Arbeitsbereiches Kindertagesstätten im Diakonischen Werk für Frankfurt.
Bildung nach evangelischem Verständnis meine dabei ein ganzheitliches Geschehen der Persönlichkeitsbildung, die sich an der Einsicht ausrichtet, dass der Mensch als Gottes Ebenbild geschaffen ist, und das Seele, Verstand und Körper gleichermaßen umfasst.

Stephanie von Selchow

Religion in der Kita

Evangelisches Frankfurt Oktober 2008

Religion in der Kita
Defizite bei frühkindlicher Bildung

Jedes vierte Kindergartenkind gehört der islamischen Religion an. Diese Tatsache werde nicht zur Kenntnis genommen, kritisiert der Tübinger Hochschullehrer Friedrich Schweitzer. Gemeinsam mit seinem Kollegen Albert Biesinger hat er eine bundesweite Pilotstudie zur religiösen Begleitung von Kleinkindern erstellt. Beim Kita-Kongress zum Thema „Mein Gott, dein Gott, kein Gott?“ im Frankfurter Dominikanerkloster führte Schweitzer vor über 400 Pädagoginnen und Pädagogen aus, dass eine religiöse Begleitung nur in christlichen Kindertagesstätten gewährleistet sei.

Dabei ist die religiöse Bildung für Kindergartenkinder in zahlreichen Bildungsplänen der Bundesländer, auch in Hessen, verankert. Sie ist somit eigentlich nicht nur Aufgabe der konfessionellen Kindertagesstätten, sondern auch etwa der städtischen. Die Studie zeigt jedoch, dass in den nicht-konfessionellen Kitas kaum religiöse oder gar interreligiöse Bildung stattfindet. Nur in etwa zehn Prozent der Einrichtungen sei diese auch für die ­ mu­ slimischen Kinder gegeben. Schweitzer: „Wie soll man ohne interreligilöse Bildung Toleranz einüben können?“

Kinder fragen Dinge wie: „Kommt Alexander in die Hölle, wenn er Wurst aus Schweinefleisch ist?“ oder „Warum faltet Ayse beim Gebet die Hände nicht?“ Um solche Fragen kompetent aufgreifen zu können, brauchen Erzieherinnen ein Basiswissen über die Religionen. Während des Kongresses wurde festgestellt, dass auch Kinder ohne Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft – immerhin bald jedes fünfte Kind – ein Recht auf religiöse und interreligiöse Begleitung haben.

Das von der Stiftung Ravensburger Verlag geförderte Forschungsprojekt wurde mit dem Innovationspreis „365 Orte im Land der Ideen“ ausgezeichnet.

Kurt-Helmuth Eimuth

Kita als Bildungsinstitution

Merkel besuchte evangelische Kita

Andacht, Kita Bildung

Kurt-Helmuth Eimuth

8-9-2008 Heiliggeistkirche, Frankfurt

Orgel

Lied: EG 447, 1-3, 7+8

Votum:

Im Namen Gottes kommen wir zusammen

Gott nimmt uns an, wie wir sind.

Jesus gibt unserem Leben Richtung und Sinn.

Gottes Geist ruft uns auf den richtigen Weg. Amen.

Psalm: 145, Nr. 756

Lied: EG 621, 1-3

Ansprache:

Vor gut zwei Wochen besuchte Bundekanzlerin Angela Merkel eine Bildungsinstitution. Sie besuchte in Begleitung des Ministerpräsidenten, der Sozialministerin und der Oberbürgermeisterin den Kindergarten der Friedensgemeinde. Beim anschließenden Gespräch mit den Erzieherinnen, den Eltern und dem Träger zeigte sie sich tief beeindruckt von der Arbeit. Sie habe verstanden, was Sprachförderung schon mit eineinhalb Jahren bedeutete. Und sie zeigte sich als „evangelische Christin“ wie sie hervorhob beeindruckt von der interreligiösen Bildung im Kindergarten.

Die christliche Kirche, insbesondere in ihrer evangelischen Gestalt, ist ihrem Wesen nach eine Bildungsinstitution. Dabei meint Bildung nicht einen auf das Kognitive begrenzten Prozess des Wissenserwerbs, sondern ein ganzheitliches Geschehen der Persönlichkeitsbildung, das sich an der Einsicht ausrichtet, dass der Mensch als Gottes Ebenbild geschaffen ist. Bildung heißt, um eine von der Mystik Meister Eckarts über die Theologie Martin Luthers bis hin zu zeitgenössischen Autoren reichende Tradition aufzunehmen, die Ausrichtung des inneren Menschen an der Entsprechung zu Gott. Bildung in diesem Sinne ist zuerst und zuletzt „Herzensbildung“. Es ist spannend wahrzunehmen, dass ein solcher Hinweis heutzutage schon nicht mehr als so altväterlich und überholt angesehen wird wie noch vor wenigen Jahren. Der ganzheitliche Zugang zum Verständnis von Bildung gewinnt vielmehr wieder an Resonanz. Ganzheitliche Bildung aber schließt neben den kognitiven auch affektive Aspekte ein.

Um welche Bildung geht es? Was ist mit Bildung gemeint, wenn im christlichen Verständnis von ihr die Rede ist? Das christliche Verständnis von Bildung ist nicht primär ein kognitives oder kumulatives, das auf die Anhäufung und Addition von Bildungsgütern setzen würde. Vielmehr geht es um ein lebendiges Geschehen der Persönlichkeitsentwicklung, genauer gesagt, um die Orientierung des Menschen an seiner Entsprechung zu Gott im Kernbereich seiner Existenz. Bildung heißt, dieser Entsprechung zu Gott zu folgen, also bestimmungsgemäß zu Gottes Ebenbild zu werden. Martin Luther schreibt in seiner für diesen Zusammenhang in der zentralen Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ im Jahr 1520:

„Darum soll das billig aller Christen einziges Werk und einzige Übung sein, dass sie das Wort und Christus wohl in sich bilden, um solchen Glauben stetig zu üben und zu stärken. Und kein anderes Werk kann einen Christen machen.“

Im nahezu zeitgleich entstandenen „Sermon von den Guten Werken“ heißt es bei Luther:

„Sieh, so musst Du Christus in Dich hineinbilden und sehen, wie in ihm Gott dir seine Barmherzigkeit vorhält und anbietet, ohne alle deine zuvor kommenden Verdienste. Und aus solchem Bild seiner Gnade musst du den Glauben schöpfen und die Zuversicht der Vergebung all deiner Sünden.“

Im Christsein als einer durch Freiheit gekennzeichneten Existenzform kommen nach Martin Luther drei Faktoren zusammen: Die christliche Freiheit lebt aus Christus, bildet sich im Glauben und befähigt zur Liebe.

Bildung bestimmt und prägt die menschliche Existenz von Anfang an. Es ist durchaus damit zu rechnen, dass es auch schon vorgeburtliche Bildungsprozesse gibt. Wenn ein ungeborenes Kind im Bauch seiner Mutter daran teilnimmt, wie sie Musik hört, darf man vermuten, dass hier ein pränatales Bildungserlebnis im Spiel ist.

In jedem Fall steht deshalb fest, dass ein Mensch spätestens mit seiner Geburt in den Raum der Bildung eintritt. Von daher hat die Taufe von Neugeborenen ihre anthropologische Begründung. Weil die christliche Kirche die Praxis der Kindertaufe kontinuierlich seit zwei Jahrtausenden praktiziert, versteht sie Kinder als bildungsfähige, aber auch bildungsbedürftige Menschen. Sie plädiert von daher für eine Bildung von Anfang an, für Bildung im Elementarbereich, für Elementarbildung.

Vor dem Hintergrund antiker Philosophien und Weltanschauungen stellte das christliche Verständnis vom Wert jedes Kindes als Geschenk Gottes eine geistige und kulturelle Revolution dar. Jesus, so erzählt die Bibel, segnete die Kinder, legte ihnen die Hände auf und küsste sie. Er empfahl den Erwachsenen, zu werden wie die Kinder, denn nur so, mit dem Eingeständnis ihrer Bedürftigkeit und ohne den Aufweis eigener Verdienste, könnten sie das Reich Gottes erlangen. In diesem Zusammenhang ist auch der Taufauftrag wichtig, der am Ende des Matthäus-Evangeliums überliefert ist (Matthäus 28,19f). Dieser Auftrag verknüpft das sakramentale Zeichen der Taufe eng mit Erziehung und Bildung; das Lehren und das Taufen gehören zusammen.

Die Reformatoren, allen voran Martin Luther und Philipp Melanchthon, haben den engen, unauflöslichen Zusammenhang von Glaube und Bildung betont, der vom Anfang des Lebens bis zu seinem Ende besteht. Was damals noch nicht in einer gesonderten Weise in den Blick kam, war der Bereich der Elementarbildung; denn sie gehörte in den Bereich des Hauses und war an den Zusammenhang der Familie gebunden. Dass Familien auch in dieser Phase auf Unterstützung angewiesen sind, ist eine vergleichsweise neue Einsicht. Christliche Kindertagesstätten, in denen 3 bis 6 Jahre alte Kinder erzogen, betreut und gebildet werden, gibt es der Idee nach erst seit knapp zwei Jahrhunderten und in größerer, nennenswerter Anzahl erst seit dem 19. Jahrhundert.

Christliche Kindertagesstätten als Orte der Bildung von Anfang an

Erste Anfänge der Kindergartenidee findet man bei den so genannten „Mährischen Brüdern“, bei Johann Friedrich Oberlin (1740-1826) im Elsass, bei Theodor Fliedner (1800-1864) in Kaiserswerth sowie bei Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) und Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1852). Fröbel formulierte als erster eine ausführliche pädagogische Grundlegung für die Arbeit in Kindergärten, die diese nicht als bloße Bewahr- oder Betreuungsanstalten definierte, sondern sie als Orte der individuellen altersgemäßen Bildung für Kinder verstand. In Verbindung mit dem missionarischen Diakoniekonzept von Johann Hinrich Wichern (1808-1881) breiteten die Kindergärten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in allen evangelischen Landeskirchen aus. Schon der damals häufig verwandte Begriff „Kleinkinderschule“ deutet an, dass der Bildungsgedanke mindestens von ebenso großer Wichtigkeit war wie der soziale Aspekt der Betreuung.

Gerade aus der Sicht des christlichen Glaubens geht es darum, durch die Arbeit der christlichen Kindertagesstätten einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit zu leisten. Ausgehend von dem Gedanken, dass jedem Menschenleben der gleiche Wert und die gleiche Würde vor Gott zukommen, engagiert sich die Kirche in ihrem Bildungshandeln dafür, dass Menschen im Alltag ihres Lebens auch tatsächlich gleiche Chancen erhalten.

Chancengerechtigkeit muss sich weiterhin konkretisieren an der Qualität der Begegnung zwischen unterschiedlichen Nationen, Religionen und Kulturen, die sich in der alltäglichen Praxis vieler Kindertagesstätten auf vielfältige Weise vollzieht. Ein evangelisches Bildungsverständnis schließt den Respekt vor anderen Religionen ein. Für evangelische Kindertagesstätten können Kinder, die in ihrem Leben prägende Erfahrungen mit Migration gemacht haben, eine Herausforderung, aber auch eine Bereicherung sein. Oft ist die Sicht leider durch Defizitzuschreibungen bestimmt. Dem sollte der Blick auf die von diesen Kindern erworbenen Fähigkeiten im Umgang mit kulturellen Herausforderungen gegenüber gestellt werden.

Die alltägliche Praxis des Umgangs mit solchen Herausforderungen im Frankfurter Gallus beeindruckte. Sie ist christliche Bildung im besten Sinne.

Amen.

Lied: EG: 577, 1-3

Mitteilungen:

Gebet:

Gott, du bist die Quelle unseres Lebens.

Du hast uns unsere Würde gegeben,

du liebst und wie ein Vater,

du kümmerst dich um uns wie eine Mutter.

Manchmal spüren wir, dass wir dein Ebenbild sind.

Du willst, dass wir Leben in Fülle haben.

Wir bitten dich um deineKraft,

die uns ermutigt zum Leben,

die uns verbindet in Gemeinschaft untereinander

und uns freimacht für eigene Wege.

Du Gott ohne Grenzen,

vor dir wollen wir unsere Gedanken und Träume ernst nehmen.

Mit dir sehnen wir uns nach Gerechtigkeit und Frieden für unsere Welt und für unser Zusammenleben.

Damit aus Anklagen neues Leben wachsen kann.

Wenn du, Gott, uns hilfst,

dann werden wir uns nicht zerstreiten,

dann können wir als deine Töchter und Söhne auf dieser Erde den Himmel säen.

Dann wird aus unserer Wüste ein Garten des Lebens.

Gott, lass in unserem Tun und Reden,

in unseren Träumen und in unserem alltäglichen Leben

deine Kraft wirksam sein,

darum bitten wir dich.

Und gemeinsam beten wir

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Lied: EG 590

Es kommt nicht nur aufs Geld an

Evangelisches Frankfurt Juni 2008

Es kommt nicht nur aufs Geld an
Zwischen Armut und Benachteiligung unterscheiden

Mit dem Thema Kinderarmut hat sich kürzlich auch der Jugendwohlfahrtsausschuss der Stadt Frankfurt beschäftigt. In ihrer Analyse bilanzierte Gerda Holz vom Institut für Sozialarbeit, dass Armut in erster Linie ein strukturelles Problem und erst in zweiter Linie eine Folge individuellen Verhaltens sei. Als zentrale Ursachen benannte die Sozialwissenschaftlerin Erwerbslosigkeit und Nie-drigeinkommen. Besondere Risiken bestehen für Alleinerziehende und kinderreiche Familien.

Gleichwohl zeigte Holz auf, dass auch arme Eltern das Wohl ihrer Kinder im Auge haben. Bei der Verteilung des knappen Familienbudgets sparten sie zunächst an ihren eigenen Ausgaben und eben nicht bei den Kindern. Holz wörtlich: „Das Bild, arme Eltern kümmern sich nicht um ihre Kinder, ist zu streichen.“

Herbert Jacobs vom Jugendamt plädierte dafür, zwischen Armut und Benachteiligung zu unterscheiden. „Es kann benachteiligte Kinder geben, die nicht arm sind, und arme Kinder, die nicht notwendigerweise auch benachteiligt sind.“ Rein zahlenmäßig gebe es vermutlich sogar mehr Kinder, die zwar nicht arm, aber benachteiligt sind, als Kinder, die gleichzeitig beides sind.

Die Probleme der Stadtgesellschaft lassen sich auch im Anteil der Kinder und Jugendlichen (bis 14 Jahre), die Sozialhilfe bekommen, deutlich ablesen. Denn dieser ist in den einzelnen Stadtteilen höchst unterschiedlich: Während ihr Anteil im Gallus, in Höchst, in Sossenheim, im Riederwald, in Fechenheim und dem Gutleutviertel um die 40 Prozent pendelt, liegt er in Harheim, Nieder-Erlenbach und dem südlichen Westend unter fünf Prozent.

Bis zum Herbst will der Jugendhilfeausschuss Vorschläge erarbeiten, wie der Kinderarmut in Frankfurt besser begegnet werden kann. „Wir müssen uns noch gezielter um die betroffenen Familien kümmern, damit sich die Bildungs- und Entwicklungschancen der Kinder und Jugendlichen verbessern“, sagte Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU). Der Jugendhilfeausschuss ist gemäß Sozialgesetzbuch Teil des Jugend- und Sozialamtes. Das Gremium setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Politik, der freien Träger und der Verwaltung zusammen, Vorsitzende ist die Sozialstadträtin. Der Ausschuss bestimmt insbesondere darüber, wie die von der Stadtverordnetenversammlung bewilligten Mittel für die Jugendhilfe verteilt werden.

Kurt-Helmuth Eimuth

Fernsehen ist nicht an allem Schuld

Evangelisches Frankfurt Dezember 2007

Die elektronischen Medien haben zur Zeit eine „Sündenbockfunktion“ für die Gesellschaft, meint der Medienpädagoge Detlef Ruffert vom Frankfurter Institut für Medien und Kommunikation. Es gebe keinen Beweis für einen Zusammenhang zwischen Mediengewalt und realer Gewalt, sagte Ruffert bei einem Fachtag „Tabu Gewalt“ des Diakonischen Werks vor einhundert Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen. Erst in Zusammenhang mit einem entsprechenden sozialen Klima seien auch die Medien ein Problem. Ein Kind, das täglich Gewalt zwischen den Eltern erlebe, werde Gewalt aus Computerspielen oder dem Fernsehen eher übernehmen, als ein Kind, das auf tragfähige Beziehungen bauen kann.

Schon im Kindergarten müssten Kinder „einen selbst bestimmten Umgang mit den Medien“ lernen, so Ruffert. Die evangelischen Kindertagesstätten in Frankfurt werden dazu für ihre Erzieherinnen gemeinsam mit dem Institut für Medien und Kommunikation und der Landesanstalt für privaten Rundfunk ein intensives Fortbildungsprogramm anbieten.

Außerdem wollen die evangelischen Kitas künftig verstärkt auf Kinder achten, die in Gefahr sind, zuhause vernachlässigt zu werden. Nach Aussage von Julius Niebergall vom Kinderschutzbund haben etwa acht Prozent der jährlich in Frankfurt geborenen 6500 Kinder einen „erhöhten Hilfebedarf“.

Kurt-Helmuth Eimuth

Gute Betreuung braucht Vertrauen

Die Bundesregierung hat einen Rechtsanspruch auf die Betreuung von unter Dreijährigen eingeführt. In gut fünf Jahren müssen alle Kommunen ausreichend Plätze für Kleinkinder bereithalten. Das bedeutet allein für Frankfurt, dass bis zum Jahr 2013 etwa 6000 neue Krabbelstubenplätze geschaffen werden müssen.

Schon in den vergangenen Jahren hat die Stadt Frankfurt in diesem Bereich enorme Anstrengungen unternommen und jedes Jahr 300 neue Plätze im Krippenbereich geschaffen. Doch nun wird ein ganz anderes Tempo vorgelegt werden müssen. Frankfurt kann nämlich nicht, wie andere Regionen Deutschlands, darauf hoffen, dass die Kinderzahl rückläufig ist. Im Gegenteil: Seit Jahren steigt die Zahl der Geburten. Frankfurt ist nicht nur eine kinderfreundliche Stadt, sondern verfügt auch über eine vergleichsweise hohe Zahl von Arbeitsplätzen, weshalb gerade junge Menschen hierher ziehen. Vor allem in den innenstadtnahen Quartieren sind Kinderbetreuungsplätze ebenso rar wie begehrt.

Die notwendige planerische Herausforderung beim Neubau von Einrichtungen darf dabei aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Ausbau von Krippenplätzen vor allem eine pädagogische Herausforderung ist. Aus gutem Grund nämlich beginnt der Kindergarten normalerweise erst mit drei Jahren. In diesem Alter können Kinder die Trennung von zuhause und den Wechsel der Bezugsperson meist leicht verkraften, ohne dass große pädagogische Anstrengungen notwendig sind. Jüngere Kinder hingegen bedürfen einer viel stärkeren emotionalen Bindung. Das heißt, die Betreuerinnen in Krabbelstuben müssen viel intensiver auf die Kinder eingehen als in Kindertagesstätten.

Sprache, soziales Verhalten, Bewegungsabläufe – das alles wird in dieser Lebensphase durch Nach­ ­ ahmung gelernt. Dieser Prozess bedarf des Vertrauens zwischen zwei Menschen, zwischen Kind und Betreuungsperson. Nur wer sich intensiv auf das Kind einlässt, fördert es.

Dies hat schon in den 1930er Jahren die ungarische Ärztin Emmi Pikler erkannt. Sie entwickelte, ursprünglich für die Kinder von TBC-kranken Müttern, ein Programm der „achtsamen Pflege“ und der „freien Bewegungsentwicklung“, das auf solche emotionalen Aspekte Rücksicht nimmt und noch heute wertvolle Anregungen für die Betreuung der Kleinsten gibt. Die Krabbelstuben des Diakonischen Werkes für Frankfurt arbeiten zum Beispiel nach dem Ansatz von Emmi Pikler.

So sollte etwa das Wickeln weder für das Kind noch für die Erwachsenen eine lästige Prozedur sein, sondern eine Zeit des intensiven und vergnügten Beisammenseins. Das klingt einfach, ist aber schon im familiären Alltag nicht immer zu verwirklichen. Umso schwieriger in der Krippe. Vor allem Zeit ist gefragt: Behutsam das Händchen waschen oder die Jacke achtsam anziehen, das erfordert mehr als die schnelle Versorgung des Kindes.

Um die Betreuung und Bildung der Kleinsten zu ermöglichen, sind deshalb sowohl eine spezielle pädagogische Kompetenz nötig als auch entsprechende Ressourcen. Vor allem müssen die Erzieherinnen über die notwendige Zeit – und das heißt auch, Arbeitszeit – verfügen, um eine echte Bindung zu den Kindern her­ stellen zu können. Wer Ja zum Rechtsanspruch sagt, muss Qualität garantieren. Denn nur gute Betreuungseinrichtungen sind ein Gewinn für Kinder, Eltern und Gesellschaft.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Sept 2007