Das Leben ins Mikrofon erzählt

Brigitte Babbe geht seit 25 Jahren für die Kirche beim HR auf Sendung

Bild
Brigitte

Babbe

wer durch Alt-Griesheim fährt, dort, wo sich die Häuser dem Main entgegenducken, glaubt kaum, dass hier eine Frau wohnt, die gerade ihr 25-jähriges Mikrofon-jubiläum feierte. Die Kirchensendungen des Hessischen Rundfunks finden ihre Zuhörerinnen und Zuhörer. Viele Tausend sind es, die Brigitte Babbe auf HR 4 hören. Etwa dreimal im Jahr gestaltet sie je-weils eine Woche lang die Rubrik „Übrigens“, christliche Gedanken für den Tag.
Brigitte Babbe legt Wert darauf, dass alle Geschichten, die sie dort erzählt, wahr sind. Etwa die Begebenheit vom „Mittwochskuchen“: Freundin Inge fährt jeden Mittwoch zur Tante und bringt ihr einen Butterkuchen mit, den sie auf dem Bornheimer Wochenmarkt kauft. Bäcker und Kundin verstehen sich auch ohne Worte. Das wöchentliche Kaufritual bedarf keiner Worte mehr. Das Fazit von Brigitte Babbe: „Zwei Menschen verstehen sich mit ganz wenigen Worten – eigentlich ohne Worte. Beide sind sicherlich keine redseligen Menschen. Aber ihnen gelingt eine freundliche, zugewandte Verständigung.“ Und sie fügt als Fürbitte hinzu: „Ach Gott, hilf mir, dass mich Menschen verstehen, für die ich zu viele Worte mache.“
Mit Fug und Recht darf man der 70-Jährigen bescheinigen, dass sie sich den Menschen zuwendet, ihnen zuhört, aber auch selbst Stellung bezieht. Dabei half und hilft ihr sicherlich ihre berufliche Erfahrung als Zuständige für berufliche Rehabilitation und Schwerbehindertenvermittlung im Frankfurter Arbeitsamt.
Zur Rundfunkarbeit kam sie eher zufällig. Ironisch merkt sie über jene Zeit an, dass man damals wohl mindestens Propst hätte sein müssen, „und vor allem ein Mann“. Sie jedoch war Frau und zudem eine, die nicht Theologie studiert hatte. Immerhin: Sie durfte Artikel für den Gemeindebrief, damals der Paulsgemeinde, schreiben. Einer davon fiel dem damaligen Rundfunkbeauftragten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Joachim Schmidt, in die Hände – und er war begeistert. Er schlug Babbe als Rundfunkautorin vor. In der Kirche stieß er zunächst auf eisige Ablehnung. Frau, Nicht-Theo­ lo­ gin und dazu noch in der CDU – das war für die EKHN der siebziger Jahre zuviel. Man einigte sich schließlich auf einen Versuch. Es klappte wunderbar.
Brigitte Babbe ist eine Frau, die etwas in der Welt bewegen will. Sie war in Frankfurt Vorsitzende der Frauen-Union und ist jüngst zur Ehrenvorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU ernannt worden. Wenn man so im gut bürgerlichen Wohnzimmer sitzt, den Kaffee genießt, den Geschichten zuhört (und davon hat sie viel mehr, als sie im Radio erzählen kann), dann spürt man etwas von der gottesfürchtigen Kraft dieser Frau. Es klingelt, und der ehemalige Gemeindepfarrer schaut herein. Natürlich war Brigitte Babbe viele Jahre im Kirchenvorstand, war Vorsitzende desselben und hat dann so ziemlich alle Ämter bekleidet, die man ehrenamtlich ausfüllen kann. Sie ist Prädikantin, gehörte den Synoden der Landeskirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland an und ist bis heute im Vorstand des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt. Diese Arbeit schätzt sie besonders. Aber: „Mein schönstes Ehrenamt ist das der Prädikantin.“
Man glaubt es ihr ohne Nachfrage, denn auf der Kanzel hat sie mehr Zeit, ihre vielen spannenden Geschichten von Menschen und von Gottes Wirken zu erzählen. Und keine davon ist erfunden.
Kurt-Helmuth Eimuth, Evangelisches Frankfurt 2006

Evangelisches Frankfurt: Die Redaktion

Frankfurt: Redaktionssitzung Evangelisches Frankfurt mit Allensbachstudie. Foto vom 13.03.2006 Foto: Rolf Oeser

Ich bete an die Macht der Liebe

Andacht,

Kurt-Helmuth Eimuth

  1. 3. 2006
     
    Lied EG: 452, 1-3
     
    Votum:
    Im Namen Gottes, im Namen Jesu Christi
    im Namen des Heiligen Geistes
    unterbrechen wir unseren Alltag, um zu beten.
    Herzlich willkommen allen,
    die sich haben rufen lassen.
    Nehmen wir uns Zeit
    für uns, für Gott, miteinander.
    Vor Gott zur Ruhe kommen verändert

1 Minute Stille

Psalm: 18, Nr. 707
 
Lied: EG 610, 1-3

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir leben in der Passionszeit. In den letzten zwei Jahrzehnten haben wir die besonderen Rituale dieser Zeit wiederentdeckt. Der Verzicht als Bereicherung. Gerade die Aktion 7 Wochen ohne hat uns verdeutlicht, dass Verzichten bedeuten kann, sich auf etwas zu konzentrieren. Der Verzicht lässt uns aber auch fühlen, dass nicht alles was wir täglich nutzen und uns so selbstverständlich ist, wirklich selbstverständlich ist. Zur Welt gehört auch das Leid. Das Leid an sozialer Ungerechtigkeit, das Leid von Armut, das Leid einer Krankheit und schließlich auch das Leid der Endlichkeit des irdischen Lebens. All das ruft uns die Passionszeit wieder ins Bewußtsein.

Und dann lese ich vom ersten Liebesbriefkasten der evangelischen Kirche, hier in der Alten Nikolaikirche auf dem Römerberg. Eingeweiht wurde dieser Liebesbriefkasten während einer Mittagsandacht, mit der die Fastenaktion 2006 der evangelischen Kirche „7 Wochen Ohne“ am Aschermittwoch, eröffnet wurde.

In der Alten Nikolaikirche kann man jetzt seine Liebesbriefe in jenen Briefkasten einwerfen, wenn man Brieffreundschaften oder die Liebe fürs Leben sucht. Ebenso kann man sich dort auch einen Liebesbrief mitnehmen.

Die Kirche als Eheanbahnungsinsitut? Ich denke die Aktion hat einen Vordergrund und einen Hintergrund. Liebesbriefe zu bekommen ist sicherlich schön. Ein Mensch gesteht dem anderen Menschen seine Liebe, seine intimen Gefühle, beschreibt phantasievolle Bilder, die bei ihm im Kopf entstehen. Man spürt förmlich die sprichwörtlichen Hummeln im Bauch.
Die Fastenaktion steht in diesem Jahr unter dem Motto „Liebesbriefe. Merken, worauf es ankommt“. Ja, worauf kommt es. Wenn man den Umfragen glauben darf, dann kommt es auf die Familie an. Es kommt auf Menschen an, auf die ich mich ohne wenn und aber Verlassen kann.

Doch zum Glück sind wir Menschen nicht nur auf uns selbst gestellt. Die hintergründige theologische Begründung für den Liebesbriefkasten in der Kirche ist die Liebe Gottes, die er uns Menschen schenkt. Und dafür steht ja dann auch Karfreitag und Ostern.
Der Hamburgher Theologe Fulbert Steffensky beschreibt diese Liebe so:
Wenn ich Gott nenne, meine ich nicht nur jenen starken Retter. Ich meine das unendliche Geheimnis der Liebe, und so sind Liebeslieder wohl die besten, die ihn besingen.“ Von Franz von Assisi wird erzählt, dass er zwei Stöcke vom Boden aufgehoben hat. Der eine war ihm Geige, der andere Bogen, und auf dieser Geige hat er französische Lieder gespielt, Minnelieder für Gott.

Eines der tiefsten Liebeslieder , die wir im Gesangbuch haben, ist das Lied vom Mystiker Tersteegen „Ich bete an die Macht der Liebe“:
In der zweiten Strophe, die leider nicht im Gesangbuch steht heißt es
Wie bist du mir so zart gewogen,
und wie verlangt dein Herz nach mir!
Durch Liebe sanft und tief gezogen
neigt sich mein Alles auch zu Dir
Du traute Liebe gutes Wesen,
du hast mich und dich erlesen.

Steffensky betont die Bedeutung dessen, dass wir uns quasi einer fremden Sprache, nämlich der Sprache der Tradition bedienen können, wenn wir über unser Verhältnis zu Gott sprechen.

Und zur Liebe sagt Steffensky in seiner poetischen Sprache:
“Vielleicht ist das eine vorsichtige Annährung an die Gottesliebe, wenn ich die Gottesliebhaber zitiiere und ihre Lieder und Geschichten schön finde. Ich nähere mich der Gottesliebe, wenn mich der Gedanke beunruhigt, dass man Gott unmittelbar lieben könnte. Aber vielleicht können wir uns von Gott lieben lassen. Sich selbst lieben zu lassen aber scheint beinahe eine noch schwierigere Kunst als zu lieben. Sich lieben zu lassen, das heißt , keine Rechtfertigung mehr für die eigene Existenz nötig zu haben; nichts mehr gegen den Blick der Güte einwenden, Es gibt die wundervolle Stelle im Hohen Lied, dem großen Liebeslied der Bibel (8,10): „Ich bin geworden in seinen Augen wie eine, die Frieden findet.“
Das ist der Frieden, so Steffensky, der nicht mit den eigenen Waffen und der eigenen Stärke hergestellt wird, sondern der entsteht im Blick, mit dem ich angesehen werde. Ich bin nicht angesehen, weil ich ansehnlich bin, sondern weil ich angesehen bin.. in seinen Augen wie einer der Frieden findet.Ich muss mich nicht selbst bezeugen, sondern der Geist Gottes bezeugt mich, heißt es im Römerbrief (8,16)
In der Passionszeit geht es auch um die Liebe Gottes, um das Geliebtsein ohne jede Vorbedingung. Theologisch spricht man hier auch von Gnade. Der Liebe Gottes können wir uns ebenso gewiß sein wie der Gnade Gottes, denn in der Gnade drückt sich die Liebe aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich ist es doch ein gar nicht so weiter Weg vom Liebesbriefkasten zur Gnade Gottes. Schenken wir doch ewinfach unsere Liebe und lassen zu, dass wir geliebt werden.

Lied: EG 617, 1+2

Mitteilungen

Gebet:
Gott, du Licht der Welt
lass dein Licht und deine Liebe auch in unserem Leben aufgehen,
damit wir erfahren, dass unsere Suche keine Irrfahrt ist, sondern ein Heimweg zu dir.
Zeige uns auch heute, wo wir dich finden können, wo du uns nahe kommst.
Lass dein Licht in unser Leben scheinen,
damit wir uns selbst annehmen können, so wie wir sind und dann auch unsere Mitmenschen.
So bitten wir dich auch für das, was uns am Herzen liegt:
für das, was uns in diesen Tagen beschäftigt hat,
für die Menschen , die uns nahe stehen
und auch für die, mit denen wir es nicht leicht haben.
Gott, hilf uns, dich in unseren Schwestern und Brüdern wiederzuerkennen.
Lass uns achtgeben auf Menschen, die unsere Hilfe brauchen.
Wir bitten dich für diejenigen,
die Dunkelheit in ihrem Leben erfahren,
für die Einsamen und Kranken,
für die Enttäuschten und Verbitterten,
für alle, die sich selbst im Wege stehen
und ihre Hoffnungen begraben haben:
schenke ihnen neue Zuversicht.
Gott, dein Licht will sich ausbreiten.
Lass es auch unter uns hell werden.

Gemeinsam beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat:
Vater unser im Himmel
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:
Gott, der Ursprung und Vollender aller Dinge.
segne dich, gebe dir Gedeihen und Wachstum,
Erfüllung deiner Hoffnungen, Frucht deiner Mühe,
und am Ende das Ziel deiner Wege. Amen.
 Lied: EG 421 (1)
 

Lehrbuch einführen

Kurt-Helmuth Eimuth: Kein Kinderkram! Die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in Lernfeldern

Kurt-Helmuth Eimuth: Kern-Bechtold u. a.: Kein Kinderkram! Die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in Lernfeldern. Bd. 2: Entwicklung Bildung, Professionalisierung. Winklers (Darmstadt) 2005. 488 Seiten. ISBN 3-8045-9612-6. 28,50 EUR.

Einführung in das Thema

Die „Rahmenvereinbarung zur Ausbildung und Prüfung von Erziehern/Erzieherinnen“ der Kultusministerkonferenz vom 28.1.2000 zielt auf einen lernfeld- und handlungsorientierten Unterricht, der nun per Ländererlass in die Fachschulen und -akademien eingezogen ist. Die schulischen Lerninhalte sollen sich dabei weniger an den Fachwissenschaften als an den beruflichen Handlungsfeldern der zukünftigen Erzieherinnen und Erzieher ausrichten. Dies stellt die ErzieherInnenausbildung vor neue Herausforderungen, denen das Buch „Kein Kinderkram“ Band 2 Bundesländer übergreifend begegnet.

Aufbau und Inhalt des Buches

Der zweite Band der Reihe „Kein Kinderkram!“ beinhaltet im Anschluss an die drei Lernfelder des ersten Bandes zwei weitere Lernfelder: Entwicklung und Bildung fördern (Lernfeld 4) und Professionalisierung des Berufsbildes (Lernfeld 5). Im Lernfeld 4 (Entwicklung und Bildung fördern) geht es um:

  • Spielpädagogik
  • Bewegung, Tanz und Theater
  • Musikalische Bildung
  • Kreativitätsförderung
  • Gehirnentwicklung
  • Sprache
  • Kinder- und Jugendliteratur
  • Medienpädagogik
  • Naturwissenschaften
  • Bildung

Im Lernfeld 5 (Professionalisierung des Berufsbildes ) geht es um:

  • Professionalisierung des Berufsbildes
  • Arbeiten im Team
  • Elternarbeit
  • Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
  • Qualitätsmanagement
  • Professionelle Kindererziehung in anderen europäischen Ländern
  • Die eigene Rolle als ErzieherIn und die berufliche Identität

Jedes Kapitel besteht aus Informationstexten, einem zusammenfassenden Fazit und daran anknüpfenden Aufgaben und Anregungen einschließlich Hinweisen zu weiterführender Literatur. Eingebettet wird das Ganze in die Erlebnisse und Gespräche einiger fiktiver Studierender.

Diskussion

Die Beurteilung des Buches stellt mich – bezogen auf das Lernfeld 4 – vor Probleme: Einerseits wird die Palette der Themen, die für die bildende Arbeit mit Kindern wichtig sind, breit abdeckt und dabei die neueste Literatur und auch Möglichkeiten des Internets berücksichtigt. Es ist spürbar, dass hier SpezialistInnen für das jeweilige Gebiet am Werk waren, die immer auch den Bezug und die Einsatzmöglichkeiten im erzieherischen Alltag verdeutlichen.  Andererseits frage ich mich aber, wie das Buch in der Ausbildung (genau genommen: Weiterbildung) von ErzieherInnen einsetzbar ist. Viele der oben genannten Themen des Lernfeldes 4 werden beispielsweise im Lehrplan des Landes Nordrhein-Westfalen durch eigene Fächer repräsentiert. Als solche dringen sie in die jeweilige Materie tiefer ein, als das Buch es hergibt. Hierfür gibt es dementsprechend häufig geeignetere Lehrwerke. Gleichzeitig bestehen die Fächer während der gesamten schulischen Ausbildungszeit und nicht nur während des Lernfeldes 4. Hier entspricht der Aufbau des Buches nicht der Ausbildungsrealität, wiewohl ich meine, dass das Buch den Lehrplänen hier möglicherweise einen Schritt voraus ist, indem es die Fachgebiete den Lernfeldern unterordnet und nicht umgekehrt, was einer konsequenteren Umsetzung der Lernfelddidaktik gleichkommt.

Dennoch kann es einen gewichtigen Grund geben, das Buch als Lehrbuch in der ErzieherInnenausbildung einzuführen. Den Studierenden bietet es die Möglichkeit EIN Buch zu haben, in dem sie quer zu den Fächern blättern können und so innerhalb der Lernsituationen auf Ideen und weiterführende Literatur zu stoßen ohne sich gleich in der einer Bibliothek innewohnenden Komplexität oder auf den Irrwegen des Internets zu verlieren. Als Nachschlagwerk kann es ihnen auch nach der Ausbildung noch wertvolle Dienste leisten.

Einfacher ist es die Tauglichkeit des Lernfeldes 5 für potentielle LeserInnen zu beurteilen. Hier werden für das Anerkennungsjahr relevanten Themen in praxisnaher und anschaulicher Weise bearbeitet. Fachwissenschaftlich bleibt manches dünn, ein Manko, das der Lernfelddidaktik geschuldet ist.

Fazit

Alles in allem ein informatives und gut zu lesendes Buch!


Rezensentin
Dr. Anke Meyer
Lehrerin an einer Fachschule für Sozialpädagogik



Zitiervorschlag
Anke Meyer. Rezension vom 14.02.2006 zu: Kurt-Helmuth Eimuth: Kein Kinderkram! Die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in Lernfeldern. Winklers (Darmstadt) 2005. 488 Seiten. ISBN 3-8045-9612-6. In: socialnet Rezensionen unter http://www.socialnet.de/rezensionen/3425.php, Datum des Zugriffs 16.02.2006.

© 2006 socialnet GmbH, Bonn

Chance, nicht Zaubermittel

(Bild: Sauke/Wikimedia, European Commission)

Kurt-Helmuth Eimuth/Evangelisches Frankfur 01/2006

Chance, nicht Zaubermittel

Hartz IV. Für die einen ist das gleichbedeutend mit Verelendung und Zwangsarbeit, für die anderen steht es für eine viel zu teure und auf dem Arbeitsmarkt kaum wirksame Sozialreform. Besonders umstritten sind die so genannten „1-Euro-Jobs“ – die es inzwischen auch bei der Kirche gibt.

Tatsächlich konnte sich kaum jemand vorstellen, wie umwälzend die Zusammenlegung der alten Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zu einem Arbeitslosengeld II (das nach dem Vorsitzenden einer Kommission der Bundesregierung kurz Hartz IV genannt wird) sein wird. Dem Finanzminister fehlen 7 Milliarden. Soviel ist diese Reform teurer gekommen als geplant. Die Kritiker hingegen wollen noch mehr. 345 Euro im Monat plus Miete sei einfach nicht genug zum Leben.
Demgegenüber verweisen die Befürworter der Reform auf die Gestaltungsmöglichkeiten. So ist es nun für einen Arbeitslosen möglich, so genannte Arbeitsgelegenheiten anzunehmen und sich ein Zubrot zu verdienen. Diese „1-Euro-Jobs“ werden in Frankfurt mit 1,50 Euro die Stunde bewertet. Deshalb heißen sie am Main auch Frankfurt-Jobs. Sie machen es möglich, dass ein Arbeitslosengeld II-Empfänger monatlich etwa 900 Euro (inklusive Miete) zur Verfügung haben kann.
Und genau hier liegt ein Problem. „Diese Arbeitsgelegenheiten verstärken den Druck auf den Niedriglohnsektor“, meint Werner Schneider-Quindeau, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung. Die Arbeitsgelegenheiten könnten zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen: „Wer vor drei Jahren einen Hausmeister entlassen hat, kann heute einen 1-Euro-Jobber einstellen.“
Unstrittig ist für Schneider-Quindeau die positive Wirkung der Arbeitsgelegenheiten für die Betroffenen. Davon kann auch Jürgen Simon berichten, der beim Diakonischen Werk für Frankfurt für die Einrichtung der Arbeitsgelegenheiten und für Förderung der Hartz IV-Empfängerinnen und Empfänger zuständig ist. Die Diakonie hat sich verpflichtet, eine Vernichtung von regulären Arbeitsstellen zu verhindern. Simons Problem ist eher, dass viele kirchliche Stellen und Gemeinden über die Möglichkeiten noch nicht richtig informiert sind und zu langsam entscheiden. 150 Einsatzstellen wurden laut Simon in der Frankfurter Kirche eingerichtet. Demnächst will man für die über 50-Jährigen ein besonderes Programm starten. „Es muss einfach schneller laufen“, sagt Simon und betont die Chancen der Arbeitsgelegenheiten für die Menschen und für die Kirche: „Wir können den Menschen auf diese Weise eine Teilhabe am Arbeitsleben bieten und zugleich Kirche vor Ort sein.“
„Hartz IV ist kein Zauberinstrument“, resümiert auch Schneider-Quindeau Kollege, Pfarrer Gunter Volz, denn dauerhafte Arbeitsplätze werden dadurch nicht geschaffen. Aber es hilft bei der Integration der Menschen.“
Kurt-Helmuth Eimuth/Evangelisches Frankfur 01/2006

„Wischiwaschi“ ist nicht ihre Sache

Evangelisches Frankfurt: November 2005

„Wischiwaschi“ ist nicht ihre Sache

Als Pfarrerin Helga Trösken 1987 zur Pröpstin für Frankfurt gewählt wurde, war sie die erste Frau mit bischöflichen Aufgaben in der evangelischen Kirche in Deutschland. 18 Jahre lang prägte sie die theologische Ausrichtung der Frankfurter Kirche entscheidend mit. Im November wählt das hessen-nassauische Kirchenparlament ihre Nachfolgerin, April geht Trösken dann in den Ruhestand. Fragen an eine Kirchenfrau, die selten ein Blatt vor den Mund genommen hat.

Frau Trösken, Kirchliches Führungspersonal war dieses Jahr in den Medien sehr präsent, vor allem Päpste. Sie sind Pröpstin, das klingt ja fast genauso. Sind Sie die evangelische Päpstin von Frankfurt? Oh nein, das wäre ja furchtbar! Ich bin zwar leitende Frau der evangelischen Kirche, aber das ist das genaue Gegenteil von einem Papst. Die evangelische Kirche lebt vom Konsens und nicht vom Diktat einer Person. Das hat man doch beim katholischen Weltjugendtag gesehen: Der Papst ist da der Mittelpunkt eines Events. Ein evangelischer Kirchentag lebt dagegen von vielen, vielen Menschen, die etwas einbringen.

Konnten Sie denn dem Weltjugendtag auch etwas Positives abgewinnen? Sehr wenig. Ich finde es natürlich beeindruckend, dass junge Menschen sich zum Glauben bekennen. Aber dass dort der Ablass wieder propagiert wird – das ist für mich voll daneben. Oder dass per Megafon ständig laut darauf hingewiesen wurde, dass die Teilnahme am Abendmahl nur Katholiken erlaubt ist.

Würden Sie sagen, dass die konfessionellen Unterschiede wieder größer werden? Ja. Allerdings nicht an der so genannten Basis.

Aber wird denn heutzutage die christliche Stimme nicht nur dann gehört, wenn sie gemeinsam auftritt? Nein, das denke ich nicht. Aber bei vielen Punkten sprechen der katholische Stadtdekan und ich ja auch mit einer Stimme, zum Beispiel beim Thema Sonntagsruhe. Es wäre natürlich schöner, wenn es auch theologisch mehr Konsens gäbe, als derzeit möglich ist.

Sie haben sich bei vielen Themen in den städtischen und politischen Diskurs eingemischt – gegen die Öffnung von Geschäften am Sonntag, gegen den Irakkrieg, gegen die Ausstellung „Körperwelten“. Hat die christliche Stimme heute noch Einfluss? Es ist ja kein Zufall, dass die Sonntagsöffnung immer weiter diskutiert wird. Dazu muss die Stellungnahme aber auch klar sein, klarer jedenfalls als so ein angepasstes Wischiwaschi, das wir ja auch manchmal haben. Sicher wird man für klare Standpunkte auch beschimpft. Das muss man in Kauf nehmen. Aber ich habe in diesen 18 Jahren nicht das Gefühl gehabt, dass die Stimme der Kirchen weniger gehört wird, sofern sie christlich begründet ist.

Was sich verändert hat, ist die zahlenmäßige Zunahme des Islam. Wie beurteilen Sie da die Möglichkeiten einer Ökumene, einer interreligiösen Zusammenarbeit? Mit dem Islam sehe ich das als außerordentlich großes Problem an. Ich kann mir keinen ernsthaften Dialog mit dem Islam als Ganzem vorstellen. Es gibt einzelne Konfessionen oder Unterabteilungen im Islam, mit denen es leichter sein kann, sich inhaltlich zu verständigen, aber mit dem Islam als Ganzem halte ich es für ausgeschlossen.

Warum? Weil der Islam in sich noch den Wahrheitsanspruch hat, den die Christen im Mittelalter hatten, das heißt, einen Absolutheitsanspruch, und dieser Absolutheitsanspruch ist nicht zu hinterfragen. Das Problem ist außerdem, dass wir keine richtigen Ansprechpartner haben. Wir haben verschiedene Imame und Gruppierungen, aber niemanden, der für den Islam als Ganzen in Frankfurt sprechen kann.

Nun leben hier aber so viele Musliminnen und Muslime, dass ein Dialog doch unumgänglich ist? Natürlich. Ich rede ja nicht gegen Diskussionsveranstaltungen als solche. Ich rede auch nicht dagegen, das Kennenlernen und die Integration zu versuchen. Im Bereich von Mitmenschlichkeit, Nachbarschaft, friedlichem Zusammenleben und auch bei bestimmten Sachpunkten ist sehr viel mehr möglich, als derzeit gemacht wird. Nur was die religiöse Verständigung betrifft, ist es realistisch zu sagen, das sind unterschiedliche Welten. Man kann sich kennen lernen, aber eine inhaltliche Verständigung halte ich für ausgeschlossen.

Ist das auch der Hintergrund, warum die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau noch einmal bekräftigt hat, keine muslimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen? Ja. Es hat Dialogversuche gegeben, wir haben auf verschiedenen Wegen versucht, einander näher zu kommen. Aber sie sind aus unterschiedlichen Gründen gescheitert. Von daher stellt sich dann auch die Frage der Klarheit und Wahrheit. Deshalb sagen wir jetzt, etwa bei der Frage der Erzieherinnen, etwas deutlicher: Christlicher Kindergarten heißt christlicher Kindergarten.

Es gibt also eine Entwicklung dahin, dass verschiedene Weltanschauungen nebeneinander streiten und auch konkurrieren. Natürlich. Aber sechzig Prozent Christinnen und Christen in Frankfurt sind immer noch sechzig Prozent. Das sollte man auch nicht klein reden. Unter den übrigen vierzig Prozent haben sich inzwischen ein paar andere Religionen etabliert, das hat sich in der Tat verändert. Das ist der Islam, das sind aber auch Buddhistinnen und Buddhisten oder eine ganze Reihe von Esoterikgruppen. Doch sie haben insgesamt nicht so einen missionarischen Erfolg, wie es vielleicht in den Medien den Anschein hat.

Was ist denn die wichtigste Botschaft des Christentums in diesem Wettbewerb? Fromm gesagt: Dass jeder Mensch ein geliebtes Geschöpf Gottes ist und sich nicht selber rechtfertigen muss. Das hat Konsequenzen für den Alltag, es heißt nämlich: Jeder Mensch ist ein freies Geschöpf, ist für seine eigenen Taten verantwortlich, kann aber sicher sein, dass er in jedem Fall von Gott geliebt ist und sich nicht beweisen muss. Mit dieser Botschaft sind wir durchaus konkurrenzfähig.

Nun sind die Zahlen der Kirchenmitglieder aber rückläufig. Anders gesagt: Sie sind zwar überzeugt von ihrem Produkt, aber das Produkt wird nicht mehr so angenommen. Jeder Marketing-Chef würde jetzt etwas tun. Was tut die evangelische Kirche? Diese Analyse teile ich nicht. Ich wehre mich dagegen, dass wir uns immer selber klein reden, so schlecht sind die Zahlen nämlich gar nicht. Es gibt aber trotzdem ein Marketingkonzept, wenn man das so nennen will. Seit Jahren haben wir Kircheneintrittsstellen, Stadtkirchenarbeit, kirchliche Präsenz in Rundfunk und Fernsehen, wir sind beim Museums uferfest dabei, bei der Nacht der Kirchen. Wir haben Seelsorge im Krankenhaus, in Notfällen, viele diakonische Einrichtungen. Und es ist ja auch kein Zufall, dass die Leute an Weihnachten wissen, wo sie hingehen können und das auch annehmen. Man darf auch nicht vergessen, dass wir sonntags wesentlich mehr Menschen in den Gottesdiensten haben, als in die Stadien der Bundesliga kommen. Und zwar in den evangelischen.

Trotzdem sieht das Bild in der Öffentlichkeit anders aus. Ja, das wird so von den Medien geprägt, aber deshalb widerstehe ich dem ja auch und sage, wo immer ich kann: Lasst mich in Ruhe mit diesem Kleinreden.

Es sind aber nicht nur die Medien. Die Gemeinden in Frankfurt werden kleiner, sie müssen Räume abgeben und Personal einsparen. Die Kirche hat die Aufgabe, das Evangelium in zeitgemäßer Form weiter zu geben, und das geschieht natürlich auch in Strukturen und mit Gebäuden. Aber Frankfurt ist da immer achtspännig gefahren. Als ich hier anfing – ich kam ja vom Land – war ich sehr überrascht, wie gut hier die Personalausstattung war. Jetzt ist da ein Anpassungsprozess in Gang, aber davon stirbt keine Gemeinde. Das ist meine feste Überzeugung.

Als Sie Pröpstin wurden, war es ein großes Thema, dass Sie die erste Frau in einem bischöflichen Amt waren. Inzwischen gibt es viele Führungsfrauen in der Kirche. Was hat sich dadurch geändert? In meiner ersten Rede habe ich gesagt, dass ich mir wünsche, dass Kandidaturen von Frauen künftig der Normalfall sind. Das haben wir inzwischen erreicht. Was sich auch verändert hat, ist die Atmosphäre in den Gremien. Seit dort viele Frauen sind, ist der Ton ein ganz anderer geworden. Aber ich kann nicht sagen, dass sich inhaltlich oder von der Art der Arbeit her die Reformation ausgebreitet hat, nur weil wir eine Pröpstin oder andere leitende Frauen haben. Die Strukturen sind schon sehr beharrlich.

Was planen Sie für Ihre persönliche Zukunft? Ich habe viele Interessen und fürchte nicht, dass es mir langweilig wird. Langfristig werde ich mit anderen Menschen zusammen in einer Alten-WG wohnen, in einem Wohnprojekt „Selbstbestimmtes Leben im Alter“. Ich habe immer in Wohngemeinschaften gelebt, auch hier in der Propstei, und ich finde es wichtig, dass man auch im Alter nicht alleine lebt.
Interview: Antje Schrupp / Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: November 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 6

Multikulti braucht Reli

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Multikulti braucht Reli

Noch besucht die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler an Frankfurter Grundschulen den evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Doch diese Zahlen können nicht beruhigen, denn die Entwicklung ist rückläufig: Von den Kindern, die in diesem Jahr in Frankfurt eingeschult werden, gehört nur noch ein gutes Drittel einer Kirche an, Tendenz sinkend. Ist der Religionsunterricht da eigentlich noch zeitgemäß? Warum kommen die Kirchen nicht wenigstens der Forderung der hessischen FDP nach und legen den katholischen und evangelischen Religionsunterricht zusammen? Fragen, die zu Recht gestellt werden.„In ihrer Konstruktion der Welt und ihrem unermesslichen Wissensdrang sind Kinder kleine Philosophen und Theologen. Die Frage nach Gott kann in diesem Sinne eine zentrale Lebensfrage sein.“ Dieses Zitat ist nicht einer kirchlichen Schrift entnommen, sondern dem Entwurf des Hessischen Bildungsplans für Kinder von 0 bis 10 Jahren. Die Notwendigkeit, sich mit den Fragen des Lebens und den Antworten der Religionen auseinander zu setzen, ist unstrittig. Der Religionsunterricht leistet nicht Wissensvermittlung im Sinne einer Religionskunde, sondern bietet eine Person, die an das glaubt, was sie lehrt. Dieses kann kein Ethikunterricht und auch kein Werte-Unterricht nach Berliner Vorbild leisten. Der Religionsunterricht bietet hier einzigartige (Bildungs-)Möglichkeiten.
Es ist nicht die Frage zu stellen, ob wir den Religionsunterricht brauchen, vielmehr ist die Frage zu stellen, wie das System Schule sich auf die Herausforderungen einer multireligiösen Schülerschaft einstellen kann. Die beiden wichtigsten Forderungen liegen dabei auf der Hand: Der Ethikunterricht muss flächendeckend stattfinden, und für die muslimischen Kinder muss ein entsprechendes Angebot gemacht werden. Dies hätte den charmanten Nebeneffekt, dass der muslimische Religionsunterricht aus der Enge mancher Koranschule herausgeholt würde.
Auch die Kirchen müssen abrücken von ihrem Festhalten an überkommenen Strukturen. Der Religionsunterricht sollte sich öffnen. Die Frankfurter Studienleiterin denkt hier in die richtige Richtung (siehe auch Seite 3). Vor Ort ist zu entscheiden, wie das organisiert wird. Dabei wird man je nach Schule zu ganz unterschiedlichen Modellen gelangen. Mal wird klassisch getrennt unterrichtet, mal gemeinsam, mal alternierend. Jede Schule sollte die jeweils auf ihre Situation passende Lösung suchen.
Kurt-Helmuth Eimuth

Religionsunterricht verändert sich

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Religionsunterricht verändert sich

Die Älteren werden sich noch erinnern: Wenn „Reli“ angesagt war, wurde die Klasse geteilt, und es kamen immer die (Blöden) von der Parallelklasse. Nun, heute kommen immer noch die von den anderen Klassen, aber die vertretenen Religionen sind weit vielfältiger: Da gibt es die großen Gruppen der Muslime und Atheisten und natürlich in Frankfurt allerlei andere Glaubensgemeinschaften, etwa die Weltreligionen Hinduismus und Buddhismus. Wie soll die Schule mit dieser organisatorischen Herausforderung umgehen?

Der Berliner Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, drückte die Schulbank, um für den Religionsunterricht zu werben (siehe Box). (Foto: bph/Wikimedia)

Schon Kinder im Grundschulalter stellen Fragen nach den letzten Dingen: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Sie wollen diese Fragen nicht nur abstrakt beantwortet haben, sie wollen vielmehr einen Menschen vor sich haben, der die Antworten glaubhaft vertritt. Jeder Lehrer kennt die plötzlich gestellte Frage: „Glauben Sie denn daran?“ Hier erwarten Kinder und Jugendliche eine persönliche Antwort, keine abstrakten Erläuterungen. Auch lässt es sich besser einen Dialog mit anderen Religionen führen, wenn die eigene Position gefunden ist.
Religion ist als einziges Fach im Grundgesetz verankert: „Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach,“ heißt es da unmissverständlich. Ferner ist geregelt, dass er in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft“ erteilt wird. Dies bedeutet, dass der Religionsunterricht nicht nur einfach eine neutrale Religionskunde ist, sondern die Dinge aus einer Perspektive betrachtet und wertet. Das Bundesverfassungsgericht hat darum festgestellt: „Der Religionsunterricht ist keine überkonfessionelle Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Grundsätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe. Dafür, wie dies zu geschehen hat, sind grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich.“
Das größte Problem des konfessionellen Religionsunterrichts ist nicht er selbst, sondern die (fehlende) Alternative. Welches Unterrichtsangebot gibt es für Kinder, die keiner oder einer anderen als der christlichen Religion angehören? Weder gibt es bisher einen flächendeckenden Ethikunterricht, noch gibt es einen islamischen Religionsunterricht für die muslimischen Schülerinnen und Schüler. Dabei wäre das vor allem in multikulturellen Städten wie Frankfurt besonders notwendig. Denn die religiöse Unterweisung im öffentlichen Raum ist der beste Schutz gegen Fundamentalismus, gleich welcher Religion. Der Religionsunterricht in der Schule kann verhindern, dass sich Religionsgemeinschaften in soziale Gettos zurückziehen und unbehelligt von allen kritischen Anfragen quasi eine sektenhafte Religiosität pflegen.
Die Studienleiterin des Religionspädagogischen Amtes in Frankfurt, Pfarrerin Karin Frindte-Baumann, setzt auf kontinuierliche Veränderung. „Der evangelische Religionsunterricht will sich in die Entwicklung der Schulen im Rahmen ihrer Eigenverantwortung einfügen.“ Derzeit unterrichten in Frankfurt 410 Lehrkräfte evangelische Religion – in allen Schulformen. Frindte-Baumann könnte sich vorstellen, dass neben dem reinen Unterricht die Schulseelsorge ausgebaut wird, dass es Schulgottesdienste oder interreligiöse Projekte gibt. Hessens Kultusministerin Karin Wolff stellt klar: „Eine Werteerziehung auf der Grundlage humanistischer und christlicher Tradition ist zentraler Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule.“ Auch die Hessische Verfassung schreibt den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach fest. Dennoch bleibt angesichts einer Bevölkerungsentwicklung, in der die Schülerinnen und Schüler mit christlichem Hintergrund eine Minderheit sind, die Diskussion um die Zukunft des Religionsunterrichts eine Herausforderung (siehe auch den Kommentar auf Seite 2).
Kurt-Helmuth Eimuth

Jauch und Co. sind für „Reli“
Altbundespräsident Johannes Rau, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die TV-Moderatoren Günter Jauch und Sabine Christiansen sowie andere Prominente unterschrieben einen Aufruf der Berliner Kirchen und der Jüdischen Gemeinde für Wahlfreiheit zwischen dem Religionsunterricht und dem geplanten neuen Ethikfach. Insgesamt kamen seit April bereits 55000 Unterschriften zusammen. In der Diskussion um den „Werteunterricht“ verweist Bischof Wolfgang Huber auf die Aussage eines Schülers: „Der Staat verfügt nicht über Antworten auf die Frage, was gut ist. Es fällt ihm schon schwer genug, die Frage zu beantworten, was gerecht ist.“ Schärfer formuliert es Huber selbst: Kein Fach dürfe zum „Herrschaftsinstrument über Seelen und Köpfe von Schülern“ werden. Nach Plänen des Berliner Senats soll vom Schuljahr 2006/2007 an ein Pflichtfach „Ethikunterricht“ ohne Abwahlmöglichkeit eingeführt werden. Die Kirchen könnten dann zwar weiterhin Religionsunterricht als freiwilliges Angebot erteilen, fürchten aber ein deutlich nachlassendes Interesse. Derzeit nehmen rund 150000 Kinder und Jugendliche in Berlin am Religionsunterricht teil.
Kurt-Helmuth Eimuth

„Welche Werte will man unterrichten?“

In vielen Klassen sind evangelische Kinder die Minderheit, welche Berechtigung hat da noch ein evangelischer Religionsunterricht?

Religionsunterricht ist nicht nur dann legitim, wenn ein Kind getauft ist, sondern bei jüngeren Kindern auch, wenn die Eltern möchten, dass ihr Kind am evangelischen Unterricht teilnimmt, damit es die Tradition des christlichen Glaubens kennen lernt. Der Religionsunterricht ist in den Bildungsauftrag der Schule integriert. Die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und dem Glauben anderer Religionen gehört ebenso wie die Erziehung zur Achtung anderer Religionen zur Aufgabe der Schule.

Regiert die Kirche hier nicht in unzeitgemäßer Form in die Schule hinein?

Nein, und das will sie auch gar nicht. Eher machen die Kirchen den Schulen ein Angebot, die religiöse Frage in den Bildungsauftrag hineinzuholen. Das ist auch gar nicht unzeitgemäß, weil sich ja in den letzten Jahren deutlich zeigt, dass Kinder und Jugendliche ein Interesse an religiösen Fragen haben. Dass in Hessen das Unterrichtsfach, in dem es um diese Fragen geht, in Übereinstimmung mit den Kirchen erteilt wird, ist historisch gewachsen und deshalb Teil unserer Gesellschaft und Kultur.

Was leistet der Religionsunterricht, das andere Fächer nicht leisten können?

Wie der Name schon sagt: Er unterrichtet über religiöse Bezüge. Das kann in anderen Fächern, wenn überhaupt, nur am Rande vorkommen. Religionslehrerinnen und -lehrer stehen den Kindern als Gesprächpartner zur Verfügung, die auch über ihren eigenen Glauben Auskunft geben können und wollen. Neben diesem auf ein Bekenntnis gestützten Unterricht braucht die Schule aber ein Alternativfach, zum Beispiel Ethik, das diejenigen Kinder besuchen, die vom Religionsunterricht abgemeldet sind, denn auch diese Kinder brauchen Orientierung und Hilfestellung für ihr Leben.

Könnte der Religionsunterricht nicht durch ein allgemeines Fach Werteerziehung, so wie in Berlin geplant, ersetzt werden?

Zwar ist Frankfurt eine multikulturelle Metropole wie Berlin oder Hamburg, aber es gibt Unterschiede. In Berlin gibt es keinen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Die dortige Debatte über den „Werteunterricht“ zeigt einerseits den Willen, alle Schülerinnen und Schüler, nicht nur die konfessionell gebundenen, in einem Fach zu unterrichten, das Orientierung über „Werte“ zum Inhalt hat. Andererseits fragt man sich aber, warum hier die Partnerschaft mit den Kirchen nicht gewollt ist. Die Inhalte eines solchen „Werteunterrichtes“ kann ich mir nur schwer vorstellen. Welche Werte sind gemeint? Was will man da unterrichten? Wie werden die Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet? Über die inhaltlichen Fragen hört man ja so gut wie nichts. In den Bundesländern, in denen der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach seit 1945 existiert, wäre ein Werteunterricht überhaupt keine Alternative. Interview: Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Parolen lassen erschaudern

www.mittelhessen.de
Hinterländer Anzeiger
Parolen lassen erschaudern

25.06.2005

Von Irmela Dörries-Müller
Tel.: (0 64 61) 92 81 44
E-Mail: I.Doerries@mail.mittelhessen.de

Es war ein Thema, bei dem es einem eiskalt den Rücken herunter laufen konnte: Die „Apologetischen Studientage“, zu denen der Evangelische Bund Hessen und Nassau regelmäßig einlädt, beschäftigten sich in der Holzhäuser Freizeit-und Bildungsstätte des Dekanates Gladenbach mit der „Religion von rechts“. Die Zuhörer begegneten der „neuheidnischen Szene“ in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen. Und sie hörten dabei Sätze von solch menschenverachtender Härte, dass man kaum glauben mochte, dass sie im Deutschland des 21. Jahrhundert noch so propagiert werden. Referent des aufklärerischen Abends war Kurt-Helmuth Eimuth. Der Diplom Pädagoge war zehn Jahre lang Weltanschauungsbeauftragter der evangelischen Kirche in Frankfurt,

Über Neuheidentum und Rechtsradikalismus informierte das Seminar der evangelischen Kirche. Anlass waren auch die Nazi-Demonstrationen in Gladenbach.(Archivfoto: Tietz)

Dautphetal-Holzhausen. Eimuth stellte die lange Tradition der antichristlichen Bewegung vor, die einen Höhepunkt während des Dritten Reiches erlebte. Die Gruppen, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts existierten, legten mit ihrem völkischen Denken den Grundstein für die nationalsozialistische Rassenideologie. Die NSDAP habe so manchen Kader aus den nordisch-heidnischen Zirkeln rekrutieren können, so Eimuth. Diese neogermanischen Gruppierungen lehnten sowohl das Christentum als auch das Judentum und den Islam als „artfremde orientalische Religionen“ ab. Sie seien nicht nordisch, entsprächen der germanischen Rasse also nicht. Die neogermanische Ideologie, so erklärte Eimuth, fuße auf drei Prinzipien: der nationalen Gesinnung, dem Rassengedanken und dem Blutmythos. Hiermit werde ein „Führungsanspruch“ der „germanischen Rasse“ begründet.

Eimuth machte aber auch deutlich, dass nicht jede neuheidnische Gruppierung automatisch eine rechtsradikale sei. Es gebe unter den Gruppierungen auch solche, die sich ausdrücklich von Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit abgrenzten. Eimuth nannte als Beispiel die Gruppe „Rabenclan“.

Es gebe aber eben auch andere, denen man offenen Rechtsradikalismus nachweisen könne. Wenn dieser heidnisch begründet werde, sei es gefährlich. Eimuth zitierte den Extremismus-Forscher Heitmeyer, der als entscheidende Merkmale benennt: die Theorie der Ungleichheit sowie die Akzeptanz von Gewalt.

Warnend wies der Referent auf die Deckmäntel des neuen Rechtsextremismus hin. Er nannte sie „neogermanische Romantik“ oder auch „Germanenkult“. Auch Wikinger, Kelten oder Walhalla müssten oft genug herhalten, um die extremen Anliegen der Neuheiden zu transportieren. Eimuth sah den Versuch „unter dem Deckmantel der Brauchtumspflege sowie des Heimat- und Naturschutzes Jugendliche an rechtsextremistisches Gedankengut heran zu führen.“

Die „Einflugschneise“ für radikale Theorien in der Esoterik sei breit, meinte der Referent. Er nannte als Umschlagplätze für das Gedankengut esoterische Kleingruppen, satanistisch-sozialdarwinistische Gruppen, jugendsubkulturelle „Dark Wave“ Musik- und Kulturprojekte und verschwörungstheoretische Literatur.

Allerdings stelle der Rechtsextremismus anders als die meisten linksextremen Strömungen keine theoretisch durchgearbeitete Ideologie dar, sondern weise „unterschiedliche Begründungen und Ziele auf“, wie der Extremismusforscher Rainer Fromm festgestellt hat.

Eimuth skizzierte in seinem Vortrag verschiedene Gruppierungen, die in der rechten neuheidnischen Szene besonders aktiv sind. Er nannte die 1981 gegründete „Universale Kirche“ und zitierte deren radikale Aussagen zum Judentum. Weiter stellte er den „Armanenorden“ vor, der eine neue „Urreligion“ verkünden will. Die heutige Kirche enthalte den Germanen ihre ureigene Religion in einer permanenten Inquisition vor, kritisiert die Gruppe. Sie setzt dem christianisierten Europa ein neuheidnisches Glaubensmodell entgegen und beansprucht für sich die „wahre Erkenntnis der göttlichen Weltordnung“ aufgrund germanischen und keltischen „Weistums“.

Bund der Goden

Der „Bund der Goden“ mit Sitz in Herborn gelte als aktivste Organisation im völkisch-religiösen Spektrum, berichtete Eimuth. Die Gruppe sehe das Praktizieren von Christentum als „schizophrenen Akt“.

Größte heidnisch-germanische Gruppe in Deutschland sei die „Artgemeinschaft e.V. Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“. Die Gruppe habe 120 Mitglieder, sei aber im Stande, zu ihren Veranstaltungen sehr viel mehr Menschen zu mobilisieren.

In der abschließenden Diskussion, an der sich auch Schüler eines Religionskurses der Gladenbacher Freiherr-vom-Steinschule lebhaft beteiligten, unterstrich Eimuth, die neuheidnische Bewegung sei zwar keine Massenbewegung, dennoch dürfe man sie nicht verharmlosen. Ihr Gedankengut falle bei manchem auf fruchtbaren Boden. Das rechtsextreme Potenzial in Deutschland sei nicht zu unterschätzen.

Position beziehen

„Christen müssen heute deutlich Position beziehen.“ Dazu ermutigte Dekan Matthias Ullrich in seinen abschließenden Worten. Ullrich erinnerte an die erfolgreiche Mobilisierung aller demokratischen Kräfte gegen die Nazi-Demonstrationen in Gladenbach. Die Erfahrungen dort seien auch Anlass dafür gewesen, das Thema Rechtsradikalismus während eines apologetischen Seminares aufzugreifen.

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

Traditionsbewusst ist man im Westen Frankfurts. Die evangelische Martinusgemeinde im ehemals katholischen Dorf Schwanheim, direkt am Main gelegen, hat ihre Geschichte und ihre Geschichtchen. Es geht die Sage, dass der (katholische) Fährmann den evangelischen Pfarrer vom gegenüberliegenden Griesheim des öfteren etwas langsamer über den Main schipperte, damit dieser sich beim sonntäglichen Gottesdienst in Schwanheim verspäte. Doch längst sind die Zeiten des konfessionellen Behakelns vorbei. Pfarrer Burkhard Sulimma bleibt völlig gelassen, als ihm ein Bauarbeiter in der Kirche erklärt, dass es mit der Konfirmation Mitte Mai ja wohl nichts würde. Der Termin sei nicht zu halten. „Dann gehen wir halt in die katholische Kirche.“ Ökumene ist heute selbstverständlich.

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche. | Foto: Eimuth

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche.
Foto: Eimuth

Genauso selbstverständlich ist der kreative Umgang mit Veränderungsprozessen. Vor bald einhundert Jahren baute man die Martinuskirche. In die alte Kapelle zog der Kindergarten ein. Schon 1907 eröffnete er seine Pforten. Inzwischen verfügt die Gemeinde außerdem noch über einen integrativen Kindergarten und über einen Hort. Eine Krabbelstube, in Regie des Diakonischen Werks für Frankfurt, wird demnächst das Angebot komplettieren. „Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern“, stellt denn auch Sulimma fest. Krabbelgruppen, Miniclubs, Kindergruppen am Nachmittag und Kochgruppen – auch für Jungen! – und die Kindergottesdienstarbeit belegen dies.

Als die Kirchenmusikerstelle kürzlich dem Rotstift zum Opfer fiel, ließ man sich etwas einfallen. Es gelang, die Dekanatskantorin für Gemeinde-, Senioren-, Kinder- und „Spatzenchor“ zu gewinnen. Auch als immer deutlicher der Zahn der Zeit nicht nur am Putz der Kirche im romanischen Stil nagte, ging man das Problem offensiv an. Flugs gründete die Gemeinde einen Förderverein, der inzwischen die stolze Summe von 30 000 Euro für die Restaurierungsarbeiten gesammelt hat. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 220 000 Euro. Silke Wedekind-Hirschberger, Vorsitzende des Kirchenvorstandes, berichtet, dass sich die Gemeinde nicht leicht tat mit der Entscheidung, soviel Geld in den Bau zu stecken: „Aber letztlich gab das Votum der Denkmalpflege den Ausschlag.“ Und so entsteht wieder der ursprüngliche blaue Sternenhimmel in der Apsis. Für nur 50 Euro kann man „Pate“ eines Sternes werden. Bei den Portallöwen wird’s allerdings richtig happig: 3000 Euro kostet die Restauration und die Patenschaft.

Das ehemals katholische Dorf Schwanheim hat längst, so der Gemeindeprospekt, ein „kleinstädtisches und mittelständiges Gesicht“ und wird zunehmend multikulturell. Im alten Pfarrhaus ist ein therapeutisches Wohn­ heim für Flüchtlinge untergebracht. Obgleich es vom Evangelischen Regionalverband getragen wird, ist es doch Teil der Gemeinde. „Wir sind eben“, so Pfarrer Sulimma, „eine typische Gemeinde im Umbruch.“

Kurt-Helmuth Eimuth