Tag Archiv für ambulante Pflege

Bischöfin Hofmann geht neue Wege in der Pflege

Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) initiiert Modellprojekt in der Pflege, da dass jetzige System an seine Grenzen stößt. Dies hat die Bischöfin in der eigenen Familie erfahren wie sie im Podcast Conny&Kurt erzählt. Trotz großer Anstrengungen gelang es nicht eine ambulante Pflege für ihre Mutter zu organisieren. „Wir müssen ein Sorge-Netz knüpfen“, sagt Hofmann. „Wir brauchen ein neues Miteinader von dem was jemand selber kann, was die Familie kann, was die Nachbarschaft kann, was ich durch ehrenamtliches Engagement organisieren kann, was ich professionell organisieren kann und was ich technologisch organisieren kann. Dieses Miteinander müssen wir neu organisieren. Dafür brauchen wir Modellprojekte.“ Für Hofmann ist das neue Zusammenspiel verschiedener Player eine Art „Gemeindeschwester 2.0, denn die Gemeindeschwester wusste, was jemand braucht.“ Gerade die Kirchen hätten hier gute Voraussetzungen, da sie mit den Gemeinden eine gute Basis in den Sozialräumen hätten. Die Entwicklung im stationären Bereich sieht Hofmann, die vor ihrem Bischofsamt einen Lehrstuhl für Diakoniewissenschaften inne hatte, alarmierend. „Es macht mich atemlos, dass die Situation in der Politik nicht wirklich wahrgenommen wird“, sagt Hofmann. Der Grundfehler bei der Einführung der Pflegeversicherung sei die Einführung der Ökonomisierung gewesen. Die Konzernbildung werde verstärkt und „die Kleinen kommen unter die Räder“. Ihr Fazit: „Das bisherige Konzept kommt an sein Ende.“

Pflegeversicherung in der Pflicht

Die ambulante Pflege durch die evangelische Kirche ist auf Jahre gesichert. Das Frankfurter Kirchenparlament, die Evangelische Regionalversammlung, debattierte intensiv und mit Leidenschaft, als es um die Zukunft der Diakoniestationen ging. Etwa drei Millionen Mark wird die Kirche jährlich zur Versorgung der Kranken zuschießen. Gut angelegtes Geld allemal. Doch gemessen an den erwarteten gut fünfzig Millionen Kirchensteuer, die nach Frankfurt fließen, wahrlich kein großer Brocken.
Theoretisch sollten die ambulanten Dienste vollständig von der Pflegeversicherung bezahlt werden. Zur Abrechnung werden dabei die einzelnen Handgriffe der Krankenschweister wie in der Autowerkstatt im Minutentakt eingeteilt – das ist Pflege im Akkord. Zum Beispiel darf die Schwester fünfzehn Minuten für Anfahrt und Begrüßung brauchen. Wer in Bornheim oder Sachsenhausen schon einmal einen Parkplatz gesucht hat, weiß, wie unrealistisch das ist. Die Statistik der Diakoniestationen weist aus, dass die evangelischen Schwestern im Durchschnitt achtzehn Minuten für Anfahrt und Begrüßung benötigen. Drei Minuten zuviel also, aber dafür sprechen sie auch mal ein aufmunterndes Wort zu Patienten und Angehörigen. Gerade von einem evangelischen Pflegedienst wird zu Recht erwartet, dass auch Zeit ist, sich Sorgen und Nöte anzuhören. Doch so etwas sieht die Pflegeversicherung nicht vor. Und so addieren sich eben die drei Minuten bei zehn Patientinnen und Patienten am Tag ganz schnell auf eine halbe Stunde. Das macht in der Woche zweieinhalb Stunden und im Monat gut zehn Stunden Arbeitszeit aus – die die Kirche voll zu tragen hat. Von all den anderen Leistungen, die erbracht werden und nicht abgerechnet werden können, ganz zu schweigen. Die Schwester der Diakoniestationen bringt auch mal Arzeneien aus der Apotheke mit oder es wird Nachtwache bei einem Sterbenden gehalten. Alles nicht abrechenbar, aber trotzdem notwendig.
Allein in Frankfurt zahlen Caritas und Diakonie jährlich Millionen, um diese Qualität der Pflege zu sichern. Es ist ein Standard, der eigentlich nicht übertrieben anspruchsvoll ist. Es sollte doch selbstverständlich sein, dass Pflegedienste Kranke nicht abweisen, nur weil ihr Haus nicht auf der im Fünfzehn-Minutentakt zu erreichenden Fahrtroute liegt. Hier ist die Pflegeversicherung gefordert. Sie sollte ihr Finanzierungssystem überprüfen. Die von der Kirche angemahnten Leistungen sind ja nun wirklich kein Luxus, sondern ein Mindestmaß an menschlicher Zuwendung. Man sollte daran denken, dass wir alle einmal auf solche Pflege angewiesen sein könnten.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt, Ausgabe November 2000 · 24. Jahrgang · Nr. 6