Aufklärung statt Panikmache

Kurt-Helmuth Eimuth
Sekten-Ratgeber. Informationen und Ratschläge für Betroffene, Freiburg (Herder-Spektrum) 1997, 189 Seiten

Kirchliche Stellen, die über Sekten und Psychokulte informieren, stoßen in der Öffentlichkeit auf ein zwiespältiges Echo. Einerseits wird ihnen eine geradezu ausufernde Kompetenz angetragen, von der Seriosität psychologischer Außenseitermethoden bis zu zweifelhaften Finanzjongleuren nahezu alles zu beurteilen, was böse oder bedrohlich erscheint. Umgekehrt wittern wirkliche oder vermeintliche Liberale rasch in kirchlicher Sektenkritik bloße Schleichwerbung für den je eigenen großkirchlichen Auftraggeber. Um so nützlicher ist ein Ratgeber, der sowohl die von Sekten ausgehenden Gefahren nüchtern einschätzt und darstellt als auch solide Tips für den Konfliktfall bereitstellt. Jetzt hat der Weltanschauungs-Beauftragte des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt(Main), Kurt-Helmuth Eimuth, einen solchen Ratgeber vorgelegt, dessen Informationsfülle und Praxisnähe der Qualität kirchlicher Beratung ein gutes Zeugnis ausstellt.

Eimuth arbeitet zunächst die Merkmale und Kriterien von Sekten heraus. Dabei stützt er sich auf einen sozialsychologischen Sektenbegriff, der nicht auf Ketzereien in der Lehre, sondern auf totalitäre Gruppenstrukturen abhebt. Die Kennzeichen der von solchen Gruppen ausgehenden Bewußtseinskontrolle (in Anlehnung an den amerikanischen Psychologen R. Lifton) werden durch markante Beispiele aus der aktuellen Sektenszene illustriert und dadurch auch für Außenstehende nachvollziehbar. Das ist nicht neu, aber eine solide Zusammenfassung des aktuellen Diskussionsstandes in journalistisch griffiger Sprache.

Neu ist hingegen der bisher so nicht leicht zugängliche Überblick über die unterschiedliche Zielsetzung und Praxis von „Ausstiegsberatung“‚. Mit der Bodenhaftung des Praktikers greift Eimuth all die Fragen auf, die in der Beratung gestellt werden: Wie können verunsicherte Angehörige mit einem frisch geworbenen „Sektenjünger“ umgehen? Welche rechtlichen Probleme können auftauchen vom Erbstreit bis zum Sorgerecht? Welche Organisationen geben Hilfe und Rat? Mit welchem Ansatz arbeiten sie? Dabei verzichtet Eimuth auf falsche Dramatisierung und berichtet in gebotener Nüchternheit über die relativ hohe Ausstiegsquote der Sekten. In aller Deutlichkeit verwirft er Formen der Ausstiegsberatung, die mit Gewalt (Deprogramming) oder auch subtileren Formen von Druck und Manipulation arbeiten. Seine eigenen Vorschläge zu Gesprächsstrategien und Umgangsformen nehmen das „Sektenopfer“ als Ratsuchenden ernst, dessen Recht auf 000 Selbstbestimmung auch die Entscheidung für die Sekte einschließt. Aber die Beratung kann die Selbstheilungskräfte, nämlich das nie völlig verschüttete Potential zu selbständigem Fühlen und Denken jenseits der Sekten-Autoritäten, aktivieren und fördern. Dafür gibt Eimuth gerade den mittelbar Betroffenen im familiären Umfeld lebensnahe Hinweise, wonach z.B. ein gemeinsamer Urlaub nützlicher sein kann als eifernde Kritik und Vorwürfe. Bisher unveröffentlichte Berichte von Ehemaligen (zu Scientology, den früheren „Kindern Gottes“ und Thakar Singh) ergänzen und illustrieren die vorherige Analyse. Ein Adressenverzeichnis von Beratungsstellen auf dem neuesten Stand (leider nicht selbstverständlich!) rundet das Bändchen ab.

Eimuth hält in diesem Buch die schwierige Balance zwischen Panikmache einerseits und Verharmlosung andererseits. Sein Ratgeber ist informationsreich, praxisnah und ausgesprochen lesbar geschrieben. Er ist empfehlenswert nicht nur für Fachstellen und Bibliotheken, sondern auch und gerade für’s breite Publikum.

Lutz Lemhöfer

in: Imprimatur

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