Zeugen Jehovas Tür nicht schließen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

04.08.2012 ·  Die Zeugen Jehovas haben das Image der Harmlosigkeit. Kurt-Helmuth Eimuth teilt diese Einschätzung nicht. Eimuth ist Diplompädagoge und Gründungsmitglied von Sinus. Das ist eine Selbsthilfeinitiative und Beratungsstelle, die sich in Frankfurt um Sektenaussteiger und ihre Angehörigen kümmert.

Wer wendet sich an Sinus?

In der Regel sind es Angehörige. Sie möchten Informationen und unsere Erfahrungen. Deshalb vermitteln wir Gespräche zu anderen Angehörigen und ehemaligen Sektenmitgliedern. Hilfreich sind auch konkrete Ratschläge, wie man mit Familienmitgliedern, die sich einer Sekte angeschlossen haben, umgehen soll.

Was ist Ihr wichtigster Rat?

Es kommt darauf an, die Türe nicht hinter sich zu schließen. Vorwürfe und Vorhaltungen helfen nicht weiter. Auch wenn es schwerfällt: Verständnis und Zuhören helfen, den Dialogfaden nicht abreißen zu lassen.

Welche Sekten sind heute in Deutschland besonders aktiv?

Sicher sind die Zeugen Jehovas hierzulande die größte Sekte, auch wenn ihre Mitgliederzahl stagniert. Scientology ist weiter aktiv. Und die religiöse Landschaft hat sich weiter differenziert. Heute sind zahlreiche kleine Gruppen tätig, die durchaus sektenhafte Züge tragen. Dies gilt auch für den Psychomarkt und die Esoterik.

Die Zeugen Jehovas haben in Hessen den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Wie schätzen Sie diese Gemeinschaft ein? Ist sie überhaupt gefährlich?

Die Lehre der Zeugen Jehovas wirkt vor allem auf Kinder und Jugendliche sozial ausgrenzend, schon im Kindergarten werden sie zu Außenseitern.

Wodurch?

Es wird zum Beispiel nicht gerne gesehen, wenn sie Geburtstage oder christliche Feste mitfeiern. Schon das Bemalen eines Ostereis kann zu einem Problem für ein dreijähriges Kind werden. Die Einübung in die demokratische Willens- und Meinungsbildung wird vorenthalten. So sollten bis vor einigen Jahren Kinder nicht einmal an Klassensprecherwahlen teilnehmen, weil dies ein Dienst im verhassten System wäre. Wer Kindern und Jugendlichen verbietet, an jeder politischen Willensbildung teilzunehmen, dem muss eine demokratische Grundhaltung abgesprochen werden. Das autoritäre und angsteinflößende Erziehungskonzept der Zeugen Jehovas gefährdet meines Erachtens das Kindswohl, weil es eine Form der psychischen Misshandlung darstellt. Die Anerkennung der Sekte als Körperschaft des öffentlichen Rechts ändert daran nichts. Die Zeugen Jehovas sind eine gefährliche Sekte.

Was macht den Ausstieg schwierig?

In der Sekte ist alles geregelt. Der Wochen- und Tagesablauf, die Art des Umgangs, die Einteilung der Welt in Gut und Böse. Beim Austritt stehen die Betroffenen von dem Nichts. Die alten Freunde wenden sich von ihnen ab. Es gibt für die Mitglieder innerhalb der Sekte niemanden, der ihnen hilft und in einer Krise beisteht.

Die Fragen stellte Nina Himmer.

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