Archiv für Buchbesprechungen

Appetithäppchen – 500 Jahre Kirchenmusik

500 Jahre Kirchenmusik an Beispielen

Als Appetithäppchen für das Jahr der Kirchenmusik hat Georg Magirius dieses kleine Buch zusammengestellt. 500 Jahre Kirchenmusik auf nur 48 Seiten unterzubringen ist sicher kein leichtes Unterfangen, zumal in einem Band, der auch mit Bildern und Grafiken Lust auf mehr macht.

Martin Luther steht natürlich am Anfang. Für ihn ist das Evangelium eine „gute Botschaft, davon man singet und saget und fröhlich ist“. Deshalb dichtet und komponiert er selbst. Neben Luther greift der Autor die wichtigsten Künstler heraus, die jeweils stellvertretend für eine Facette der Kirchenmusik stehen: Heinrich Schütz vertritt die Chormusik, Paul Gerhardt die Dichtung. Bei der Darstellung von Johann Sebastian Bach liegt der Schwerpunkt auf seinen Orgelwerken. Johannes Kuhlo findet wegen seiner Posaunenarbeit Beachtung, und der Frankfurter Texter Friedrich Karl Barth schließlich steht für die Moderne.

Friedrich Karl Barth hat in den 1970er Jahren die Frankfurter Beratungsstelle für Gottesdienste im Haus am Weißen Stein in Eschersheim geleitet. Zahlreiche seiner Lieder haben Eingang in das Evangelische Kirchengesangbuch gefunden, darunter Hits wie „Komm bau ein Haus“, „Brich mit den Hungrigen dein Brot“, „Wir strecken uns nach Dir“ und das wohl am meisten gesungene Tauflied „Kind, du bist uns anvertraut“.

Gemeinsam mit Peter Janssens war Barth an der Entwicklung einer neuen kirchlichen Musiksprache wesentlich beteiligt. Es war auch Friedrich Karl Barth, der mit der Form der Liturgischen Nacht den damals darbenden Kirchentag wiederbelebte.

Georg Magirius lässt, so der Verlag, „seine Texte leicht dahinfliegen. Sie informieren ohne je belehrend zu sein.“ Dem kann man nur zustimmen. Mit dieser Reihe haben Verlag und Autor Maßstäbe für ebenso ansprechend wie informative kleine Bände gesetzt, die sich auch gut zum Verschenken eignen.

Georg Magirius: Meister der Kirchenmusik, 48 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen. Agentur des Rauhen Hauses 2012, gebundene Ausgabe 4,99, Taschenbuch 3 Euro.
Kurt-Helmuth Eimuth

Inspirierend und leicht – Neues Geschenkbüchlein für Geburtstage

Inspirierend und leicht

Neues Geschenkbüchlein für Geburtstage

Es gibt viele Geschenkbüchlein. Zu allen möglichen Anlässen. Sie sind als kleines Mitbringsel nützlich und meist schön anzusehen. Großformatige Bilder, allgemeingültige Sinnsprüche und dazwischen der ein oder andere Text eines mehr oder minder bekannten Autors oder Autorin.

Auch das vom Frankfurter Schriftsteller und Theologen Georg Magirius vorgelegte Büchlein „Gute Ausssichten – Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“ kommt ohne schöne Bilder und einige (wenige) Zitate nicht aus. Doch sind sie eine wunderbare Ergänzung für die Erzählungen des Autors selbst. Magirius versteht es, einfühlsam Stimmungen zu beschreiben und stimmige Sprachbilder zu verwenden. So wird etwa der Geburtstag als „Aussichtsplattform“ beschrieben, der „einer Rast, einer Unterbrechung auf der Wanderung des Lebens“ gleicht.

Magirius’ Texte bestechen aber auch durch Sprachwitz und Sprachgewalt. Etwa wenn er von so etwas Banalem wie dem morgendlichen Müsli berichtet: „Die Haferflocken bleiben nicht allein, sondern paaren sich mit Früchten. Banane ist mein Favorit, doch es darf sich auch ein Apfel mit Rosinen zu den Flocken gesellen.“

Das Buch ist weit mehr als ein Mitbringsel zum Geburtstag. Die Texte sind meditativ, inspirierend und haben doch erzählerische Leichtigkeit. Sie eignen sich erprobterweise auch für Andachten. So wird etwa die Stille beim Wandern mit dem Beten verglichen: „Das Beten ist ja nichts anderes als der Gang in die Abgeschiedenheit für Augenblicke. Solche Wege braucht die Seele. Sie wird ruhig und atmet auf.“

Georg Magirius: Gute Aussichten – Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Agentur Des Rauhen Hauses, broschiert 3 Euro, gebunden 4,99 Euro.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Oktober 2011

Ausgezeichnete Illustrationen

Von wegen Kaffeetante

Die markanten, karikierenden Buntstiftzeichnungen mit ihren ironischen Detaileinfällen überzeugten die Jury, ebenso wie die Erzählung selbst: Wiebke Oeser (Bilder) und Hermann Schulz (Text) bekamen diesmal den alle zwei Jahre vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik vergebenen Illustrationspreis für Kinder- und Jugendbücher. Ihr Kinderbuch „Sein erster Fisch“ erzählt von einem gerne verdrängtem Problem: Wer Fleisch essen will muß zuvor töten (lassen) –
Hammer-Verlag.

Oskar Schindlers letzte Jahre in Frankfurt

von Kurt-Helmuth Eimuth 1. Februar 2008

Oskar Schindler rettet im Nationalsozialismus über 1200 Menschen das Leben. Berühmt wurde er erst nach seinem Tod 1974. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Schindler in Frankfurt, als eher  unbekannter Mann, der in einfachen Verhältnissen lebt.

Oskar Schindler im Jahr 1947. Foto: seetheholyland.net/Flickr.com (cc by-sa)
Oskar Schindler im Jahr 1947. Foto: seetheholyland.net/Flickr.com (cc by-sa)

Mit einigem Herzklopfen, so erinnerte sich später der inzwischen verstorbene Frankfurter Propst Dieter Trautwein, stieg er damals die Treppen im Haus Am Hauptbahnhof 4 hinauf. Trautwein hatte den Namen Oskar Schindler 1966 in Israel entdeckt. In Yad Vashem, der Gedenkstätte für die sechs Millionen während des Nationalsozialismus ermordeten Jüdinnen und Juden, standen dieser Name und der Länderhinweis „Allemagne“ an einem Baum in der „Allee für die andersgläubigen gerechten Helfer“.

Wenig später bekam Trautwein für eine „Werkmappe zur Reformation“ die Geschichte jenes Mannes, der über 1200 Menschen vor dem Tode bewahrt hatte, als literarisches Beispiel geliefert. Als Trautwein, der damals Jugendpfarrer in Frankfurt war, schließlich noch den Hinweis bekam, dass Oskar Schindler keineswegs eine literarische Erfindung, sondern eine höchst reale Person sei, die zudem noch in Frankfurt wohne, machte er sich kurzentschlossen auf den Weg. „Oben im letzten Stock an der letzten Tür rechts war tatsächlich ein kleines handgeschriebenes Schild „Oskar Schindler“, so Trautwein.

„Ich klingelte. Ein Mann öffnete. Ich fragte: ‚Heißen Sie…sind Sie…?’ ‚Ja’, antwortete mein Gegenüber. Ich stellte mich vor, und er ließ mich eintreten. Sofort hielt ich ihm die Druckfahnen hin und fragte: ‚Sagen Sie mir bitte, ob das, was hier steht, mit Ihnen zu tun hat?’ Bald schon gab er mir das Papier zurück und sagte: Ja, das ist meine Geschichte, es stimmt nicht im Einzelnen so genau, aber das Wesentliche ist schon wiedergegeben.“

Wenige Wochen später saß Oskar Schindler beim Evangelischen Jugendtag 1967 im Dominikanerkloster auf dem Podium, um dort nicht nur die – möglicherweise erste – literarische Verarbeitung seiner Rettungstat zu sehen, sondern auch, um aus seinem Leben zu berichten. Auf dem Podium war damals auch Leopold Pfefferberg, einer jener geretteten „Schindler-Juden“. Es war dieser Leopold Page, wie er sich in seiner neuen Heimat Los Angeles nannte, der die Geschichte von Oskar Schindler dem australischen Schriftsteller Thomas Keneally erzählte. Keneally schrieb daraufhin den biografischen Roman „Schindlers Liste“, den Steven Spielberg später verfilmte und durch den der Name von Oskar Schindler und seine Rettungstat, die über 1200 Jüdinnen und Juden vor dem Tod im Konzentrationslager bewahrte, in aller Welt bekannt wurde.

Doch diese Berühmtheit kam erst zwanzig Jahre nach Schindlers Tod im Jahr 1974. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Schindler als eher unbekannter Mann, der in einfachen Verhältnissen lebte, in Frankfurt. Hier versuchte er auch einen wirtschaftlichen Neubeginn, musste aber mit seiner Zementfabrik Konkurs anmelden.

Am 28. April 2008 wäre Oskar Schindler hundert Jahre alt geworden. Heute erinnert an ihn in Frankfurt nicht nur eine Ausstellung im Jüdischen Museum, sondern auch eine Bronzetafel an seinem letzten Wohnhaus im Bahnhofsviertel sowie seit 1976 die Oskar Schindler-Straße in Bonames: kein großes Denkmal, wie Dieter Trautwein seinerzeit, kritisierte, sondern „lediglich eine Kleinstraße am Ortsrand.“

Zum Weiterlesen: Dieter Trautwein: Oskar Schindler – immer neue Geschichten, Societäts-Verlag.

Lehrbuch einführen

Kurt-Helmuth Eimuth: Kein Kinderkram! Die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in Lernfeldern

Kurt-Helmuth Eimuth: Kern-Bechtold u. a.: Kein Kinderkram! Die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in Lernfeldern. Bd. 2: Entwicklung Bildung, Professionalisierung. Winklers (Darmstadt) 2005. 488 Seiten. ISBN 3-8045-9612-6. 28,50 EUR.

Einführung in das Thema

Die „Rahmenvereinbarung zur Ausbildung und Prüfung von Erziehern/Erzieherinnen“ der Kultusministerkonferenz vom 28.1.2000 zielt auf einen lernfeld- und handlungsorientierten Unterricht, der nun per Ländererlass in die Fachschulen und -akademien eingezogen ist. Die schulischen Lerninhalte sollen sich dabei weniger an den Fachwissenschaften als an den beruflichen Handlungsfeldern der zukünftigen Erzieherinnen und Erzieher ausrichten. Dies stellt die ErzieherInnenausbildung vor neue Herausforderungen, denen das Buch „Kein Kinderkram“ Band 2 Bundesländer übergreifend begegnet.

Aufbau und Inhalt des Buches

Der zweite Band der Reihe „Kein Kinderkram!“ beinhaltet im Anschluss an die drei Lernfelder des ersten Bandes zwei weitere Lernfelder: Entwicklung und Bildung fördern (Lernfeld 4) und Professionalisierung des Berufsbildes (Lernfeld 5). Im Lernfeld 4 (Entwicklung und Bildung fördern) geht es um:

  • Spielpädagogik
  • Bewegung, Tanz und Theater
  • Musikalische Bildung
  • Kreativitätsförderung
  • Gehirnentwicklung
  • Sprache
  • Kinder- und Jugendliteratur
  • Medienpädagogik
  • Naturwissenschaften
  • Bildung

Im Lernfeld 5 (Professionalisierung des Berufsbildes ) geht es um:

  • Professionalisierung des Berufsbildes
  • Arbeiten im Team
  • Elternarbeit
  • Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
  • Qualitätsmanagement
  • Professionelle Kindererziehung in anderen europäischen Ländern
  • Die eigene Rolle als ErzieherIn und die berufliche Identität

Jedes Kapitel besteht aus Informationstexten, einem zusammenfassenden Fazit und daran anknüpfenden Aufgaben und Anregungen einschließlich Hinweisen zu weiterführender Literatur. Eingebettet wird das Ganze in die Erlebnisse und Gespräche einiger fiktiver Studierender.

Diskussion

Die Beurteilung des Buches stellt mich – bezogen auf das Lernfeld 4 – vor Probleme: Einerseits wird die Palette der Themen, die für die bildende Arbeit mit Kindern wichtig sind, breit abdeckt und dabei die neueste Literatur und auch Möglichkeiten des Internets berücksichtigt. Es ist spürbar, dass hier SpezialistInnen für das jeweilige Gebiet am Werk waren, die immer auch den Bezug und die Einsatzmöglichkeiten im erzieherischen Alltag verdeutlichen.  Andererseits frage ich mich aber, wie das Buch in der Ausbildung (genau genommen: Weiterbildung) von ErzieherInnen einsetzbar ist. Viele der oben genannten Themen des Lernfeldes 4 werden beispielsweise im Lehrplan des Landes Nordrhein-Westfalen durch eigene Fächer repräsentiert. Als solche dringen sie in die jeweilige Materie tiefer ein, als das Buch es hergibt. Hierfür gibt es dementsprechend häufig geeignetere Lehrwerke. Gleichzeitig bestehen die Fächer während der gesamten schulischen Ausbildungszeit und nicht nur während des Lernfeldes 4. Hier entspricht der Aufbau des Buches nicht der Ausbildungsrealität, wiewohl ich meine, dass das Buch den Lehrplänen hier möglicherweise einen Schritt voraus ist, indem es die Fachgebiete den Lernfeldern unterordnet und nicht umgekehrt, was einer konsequenteren Umsetzung der Lernfelddidaktik gleichkommt.

Dennoch kann es einen gewichtigen Grund geben, das Buch als Lehrbuch in der ErzieherInnenausbildung einzuführen. Den Studierenden bietet es die Möglichkeit EIN Buch zu haben, in dem sie quer zu den Fächern blättern können und so innerhalb der Lernsituationen auf Ideen und weiterführende Literatur zu stoßen ohne sich gleich in der einer Bibliothek innewohnenden Komplexität oder auf den Irrwegen des Internets zu verlieren. Als Nachschlagwerk kann es ihnen auch nach der Ausbildung noch wertvolle Dienste leisten.

Einfacher ist es die Tauglichkeit des Lernfeldes 5 für potentielle LeserInnen zu beurteilen. Hier werden für das Anerkennungsjahr relevanten Themen in praxisnaher und anschaulicher Weise bearbeitet. Fachwissenschaftlich bleibt manches dünn, ein Manko, das der Lernfelddidaktik geschuldet ist.

Fazit

Alles in allem ein informatives und gut zu lesendes Buch!


Rezensentin
Dr. Anke Meyer
Lehrerin an einer Fachschule für Sozialpädagogik



Zitiervorschlag
Anke Meyer. Rezension vom 14.02.2006 zu: Kurt-Helmuth Eimuth: Kein Kinderkram! Die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in Lernfeldern. Winklers (Darmstadt) 2005. 488 Seiten. ISBN 3-8045-9612-6. In: socialnet Rezensionen unter http://www.socialnet.de/rezensionen/3425.php, Datum des Zugriffs 16.02.2006.

© 2006 socialnet GmbH, Bonn

Romane zum Thema Sekten

Von Geldhaien von Seelenfischern: Über Sekten im Roman
Helle Aufregung in der Familie: ein Mitglied ist in eine Sekte abgetaucht. Aber kein Jugendlicher hat sich dem zweifelhaften Guru an den Hals geworfen, sondern die ebenso gesicherte wie gelangweilte Mittelstandsgattin mittleren Alters. Das könnte Thema einer betulichen Reportage mit erhobenem Zeigefinger sein, aber der amerikanische Autor John Updike macht daraus einen deftig-witzigen Briefroman. „S.“ – so signiert die Guru-Jüngerin ihre Briefe an die besorgten erwachsenen Kinder. Ähnlichkeiten zur „Bhagwan“-Farm in Oregon sind natürlich rein zufällig. .. Und ebenso hat die „Kirche für angewandte Philosophie“ im Krimi „Gottesgemüse“ des deutschen Autors Jürgen Kehrer natürlich rein gar nichts mit der real existierenden Scientology-Organisation zu tun… Das Thema „Sekten“ hat Konjunktur – auch im Genre des ernsthaften Unterhaltungsromans. Das hat gute Gründe. Immer geht es um menschliche Extremsituationen: Euphorie und tiefe Depression, quälende Abhängigkeit und fanatischer Missionseifer, Autorität und Aufbegehren. Fiktiv und im Modell besonders krass beschreibt Margaret Atwood in ihrem „Report der Magd“ die quälende Zukunftsvision einer Sekte an der Macht: eine würdige Fortsetzung von Orwells Roman „1984“. Sehr viel alltäglicher, aber nicht weniger bedrohlich, zeichnet Patricia Highsmith das Psychogramm einer christlich-fundamentalistischen Sekte. In selbstgefälliger Rechthaberei und gnadenlosem Missionsdrang treiben sie Menschen in den Tod, diese „Leute, die an die Tür klopfen“. Ein milderes, zwischen obskurem Eifer und menschlicher Wärme schwankendes Bild, entwirft Anne Tyler in ihrem Roman „Fast ein Heiliger“ von der „Kirche der zweiten Chance“, die dem Titelhelden tatsächlich eine zweite Chance gibt, mit einer Lebensschuld auf konstruktive Weise umzugehen. Hart an der Realität bleibt schließlich der Sektenexperte Hans Jörg Hemminger von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in seinem kriminalistischen Sammelband „Das Duell der Gurus“. In dessen Kurzgeschichten wird man rasch verschiedene bekannte Gewächse aus dem Dschungel der neuen Religiosität wieder entdecken. Manchmal werden in der Fiktion die Dinge „bis zur Kenntlichkeit entstellt“ und damit erst sichtbar. Ein treffliches Verfahren, sich besonders mit den religiösen Gruppierungen auseinanderzusetzen, deren Propaganda und Realität so extrem auseinanderklaffen wie bei Sekten aller Art. Ihre Struktur, ihre Zwänge, ihre Verheißungen und ihre Bedrohlichkeit können im Medium der Literatur aufs beste dargestellt werden. Sektenkunde einmal anders. Sehr empfehlenswert!
Lutz Lemhöfer

LESEPROBE

Hansjörg Hemminger, LOREL SUN GIBT AUF
( … ) Schließlich betrat Lorel Sun den Raum – oder soll ich sagen: Er hatte seinen Auftritt? Der Meister trug Mokassins und ein wallendes, buntes Gewand, das wohl an eine indianische Webdecke erinnern sollte. Aber der Kopf war ganz unindianisch: blond, nordisch-lang, mit ausgeprägtem Kinn, schweren Augenlidern und buschigen, hellen Brauen. Zu meiner Überraschung sprach er ein annehmbares Deutsch, der amerikanische Akzent fügte seinen Worten gerade genug Exotik hinzu, um sie noch eindrucksvoller werden zu lassen. Mit weit ausholenden, feierlichen Handbewegungen begrüßte uns Sun, um sich schließlich voller Würde in dem Armsessel am Kamin niederzulassen. In einfachen Worten schilderte er die starken, positiven Energien, die er im Raum spüren könne, sprach von negativen Kräften, die er durch seine vorbereitende Lichtmeditation abgewehrt habe, und leitete dann zu einer gemeinsamen Mantra-Meditation über. Ein blasser, dicklicher junger Mann schlug auf ein Zeichen hin in kurzen Abständen eine bronzene Klangschale an, und die Anwesenden fielen mit einem getragenen, gesummten „Oooooom“ ein. Dann folgten Paarübungen, die mir eher peinlich waren. Gerne hätte ich sie mit Marius gemacht, aber der griff sich demonstrativ eine junge Frau zu seiner Rechten, eine angehende Lehrerin, wie ich später erfuhr. Ich musste mit einer sehr viel älteren Frau links von mir Vorlieb nehmen. Glücklicherweise erinnerte sie mich an meine Hausärztin, so dass sich die Peinlichkeit in Grenzen hielt, selbst als sie mich dazu brachten, mich auf dem Berberteppich auszustrecken und mir von ihr das Bauch-Chakra bestrahlen zu lassen. Die Bestrahlung bestand darin, dass die Pseudo-Ärztin ihre Handfläche wenige Zentimeter über meinem Nabel schweben ließ, um die Energien zu konzentrieren, die von Lorel Suns Händen ausgingen, die er in der Mitte der Runde hoch in die Luft hielt. Nicht ganz wahrheitsgemäß erklärte ich meiner Partnerin, dass ich die Wärme fühlen könnte, die von ihrer Hand auf mich überströmte, weigerte mich aber mit einem Hinweis auf meine Unfähigkeit, ihre guten Dienste im Chakren-Bestrahlen zu erwidern. Marius zeigte keine solchen Hemmungen. Er hatte zuerst mit Hingabe Energien auf den Bauchnabel der Junglehrerin gelenkt und ließ sich nun selbst „behandeln“ ( … ) (aus: Hansjörg Hemmingen, Das Duell der Gurus, Kriminalfâlle aus dem Sektenmilieu, S. 33 f, Brunnen-Verlag, Gießen 1994)

Pfarrer, Rabbis, Detektive: Über Religion im Kriminalroman
Mancher hat nicht nur eine Leiche im Keller, sondern ein Skelett auf der Orgelempore. So jedenfalls in dem Kirchenkrimi des norddeutschen Pfarrers Christian Uecker „Wenn der Tod tanzt“. Ueckers Bücher beweisen wieder einmal mehr, dass Krimi und Religion gar nicht wenig miteinander zu tun haben. Seit Chestertons legendärem Pater Brown ist die Garde geistlicher Detektive größer und bunter geworden: Die Reihe reicht von William Kienzles progressiv-katholischem Gemeindepfarrer in Chicago über Harry Kemelmans Rabbi, der Kriminalfälle mit Hilfe des Talmud löst, bis zu Tony Hillermans Navajo-Polizisten, der sich in der Freizeit zum Schamanen ausbilden lässt. Die geistlichen Detektive lösen ihre Fälle zumeist nicht durch hektische Aktionen und waffenstarrende Verfolgungsjagden, sondern durch genaue Beobachtung und tiefe Menschenkenntnis. Die Abgründe der menschlichen Seele sind ihnen sozusagen von Berufs wegen vertraut. Dem kommt eine Eigenart der Gattung Kriminalroman entgegen: Es geht nie um Banalitäten. Alles dreht sich um Schuld und Sühne, Leidenschaft und Verzweiflung, Recht und Unrecht. Themen also, die auch die Theologie betreffen. Und im besseren Krimi ist wie in der besseren Theologie zu lernen, dass Schuld und Unschuld im Menschenleben nicht immer so klar verteilt sind wie im Lehrbuch. Die menschliche Gerechtigkeit bleibt brüchig und harrt nach wie vor der Erlösung. Niemand beschreibt dies so subtil wie die große alte Dame des britischen Kriminalromans, Dorothy Sayers. Die anglikanische Pfarrerstochter und Verfasserin religiöser Dramen lässt ihren Meisterdetektiv Lord Peter Wimsey immer wieder über die Frage stolpern, ob seine kriminalistischen Spürjagden letztlich mehr Recht oder mehr Opfer hervorbringen. Die Antwort eines Geistlichen spiegelt auch die christliche Grundposition der Autorin: „Übergeben Sie den Missetäter der Gerechtigkeit, aber vergessen Sie dabei nicht, dass auch Sie und ich nicht davonkommen würden, wenn uns allen Recht geschähe.“ (Lutz Lemhöfer)

Lesetip:
G.K. Chestertons Geschichten um Pater Brown sind in verschiedenen Sammelbänden zugänglich. Von Harry Kemelman sind alle Bücher zu empfehlen, die den „Rabbi“ im Titel führen. Die Romane von Tony Hillerman und Christian Uecker haben durchgängig auch Religion zum Thema; bei Dorothy Sayers empfehlen sich besonders die Romane „Der Glocken Schlag“, „Ein Toter zuwenig“ und „Keines natürlichen Todes“, dem auch das Zitat entnommen ist.

Dorothy L. Sayers
KEINES NATÜRLICHEN TODES
LESEPROBE AUS:
Dorothy L.Sayers, Keines natürlichen Todes (Unnatural Death“). Kriminalroman, cop. deutsche Rechte bei Scherz Verlag Bern und München
Miss Climpson war eine von denen, die immer sagen: „ich gehöre nicht zu denen, die anderer Leute Post lesen.“ Das ist für alle eine deutliche Warnung, dass sie zu eben dieser Sorte gehören. Dabei sagen sie nicht einmal die Unwahrheit; es ist der reine Selbstbetrug. Die Vorsehung hat sie lediglich wie die Klapperschlangen mit einer Warnrassel ausgestattet. Wer nach dieser Warnung immer noch dumm genug ist, seine Korrespondenz in Reichweite liegenzulassen, ist eben selbst schuld. Miss Climpson warf einen raschen Blick auf das Blatt. In den Anleitungen zur Gewissenserforschung, wie sie an Rechtgläubige manchmal ausgegeben werden, ist oft ein sehr unkluges Absätzchen enthalten, das für die unschuldige Weltfremdheit seiner Verfasser Bände spricht. Da bekommt man zum Beispiel den Rat, zur Vorbereitung auf die Beichte seine Missetaten in einer Liste zusammenzufassen, damit einem nicht die eine oder andere Schlechtigkeit durch die Lappen geht. Natürlich heißt es, man solle nicht die Namen anderer Leute draufschreiben, den Zettel weder seinen Freunden zeigen noch irgendwie herumliegen lassen. Aber solche Missgeschicke passieren nun einmal – und dann könnte dieses Verzeichnis der Sünden das Gegenteil dessen bewirken, was die Kirche im Sinn hat, wenn sie den Gläubigen bittet, dem Priester seine Sünden ins Ohr zu flüstern, und vom Priester verlangt, sie im selben Augenblick zu vergessen, da er den Beichtenden losspricht – als wären sie nie ausgesprochen worden. Jedenfalls war kürzlich jemand von den auf diesem Blatt Papier verzeichneten Sünden reingewaschen worden wahrscheinlich letzten Samstag -, und dann war der Zettel unbemerkt zwischen Kniekissen und Beichtstuhl geflattert und dort den Augen der Reinemachefrau entgangen. Da lag er nun, dieser Bericht, der für Gottes Ohr allein bestimmt gewesen war – hier lag er offen auf Mrs. Budges rundem Mahagonitisch vor den Augen eines sterblichen Mitmenschen. Eine geschlagene halbe Stunde saß Miss Climpson für sich allein und kämpfte mit ihrem Gewissen. Ihre angeborene Neugier sagte: „Lies“. Ihre religiöse Erziehung sagte: „Du darfst nicht lesen.“ Ihr Pflichtgefühl gegenüber ihrem Auftraggeber Wimsey befahl: „Überzeuge dich.“ Ihr Gefühl für Anstand sagte: „Lass das bleiben.“ Und eine schrecklich ungehaltene Stimme grollte finster: „Es geht um Mord. Willst du zur Komplizin eines Mörders werden?“ Sie kam sich vor wie Lancelot Gobbo zwischen Gewissen und Versucher – aber welche Stimme gehörte dem Versucher und welche dem Gewissen? ….
Zusammenstellung: Lutz Lemhöfer 1999

Sekten – Unauffällig aber allgegenwärtig

Rainer Fromm / Kurt-Helmuth Eimuth

Materialien für Unterricht und Erwachsenenbildung

Frankfurt 1998 GEP-Verlag ISBN 3-932194-13-6
erschienen in der Reihe Forum – Streifzüge durch die Welt der Religionen, hrsg. von Kurt-Helmuth Eimuth und Lutz Lemhöfer
Bei der Behandlung des Themas Sekten in der Schule oder in der Erwachsenenbildung stellt sich immer wieder die Frage nach geeignetem Material. Der ZDF-Journalist Rainer Fromm und der Publizist Kurt-Helmuth Eimuth, beider beschäftigen sich schon seit Jahren mit politischen und religiösen Extremgruppen, schließen mit dem hier vorgelegten Band eine Lücke. Dabei kommen ihnen ihre Erfahrungen in den unterschiedlichen Bereichen der Bildungsarbeit zugute.
Beispielhaft wird heir Material aus dem Umfeld der Zeugen Jehovas, Scientology, Universelle Leben, Thakar Singh als auch derEsoterik veröffentlicht. Die Autoren wählten beispielhafte Erlebnisberichte sowie Originalmaterialien aus.
Angeregt wurden die Autoren durch ihre gleichnamige Filmreihe, die sie für Matthias-Film Stuttgart produzierten.

Aufklärung statt Panikmache

Kurt-Helmuth Eimuth
Sekten-Ratgeber. Informationen und Ratschläge für Betroffene, Freiburg (Herder-Spektrum) 1997, 189 Seiten

Kirchliche Stellen, die über Sekten und Psychokulte informieren, stoßen in der Öffentlichkeit auf ein zwiespältiges Echo. Einerseits wird ihnen eine geradezu ausufernde Kompetenz angetragen, von der Seriosität psychologischer Außenseitermethoden bis zu zweifelhaften Finanzjongleuren nahezu alles zu beurteilen, was böse oder bedrohlich erscheint. Umgekehrt wittern wirkliche oder vermeintliche Liberale rasch in kirchlicher Sektenkritik bloße Schleichwerbung für den je eigenen großkirchlichen Auftraggeber. Um so nützlicher ist ein Ratgeber, der sowohl die von Sekten ausgehenden Gefahren nüchtern einschätzt und darstellt als auch solide Tips für den Konfliktfall bereitstellt. Jetzt hat der Weltanschauungs-Beauftragte des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt(Main), Kurt-Helmuth Eimuth, einen solchen Ratgeber vorgelegt, dessen Informationsfülle und Praxisnähe der Qualität kirchlicher Beratung ein gutes Zeugnis ausstellt.

Eimuth arbeitet zunächst die Merkmale und Kriterien von Sekten heraus. Dabei stützt er sich auf einen sozialsychologischen Sektenbegriff, der nicht auf Ketzereien in der Lehre, sondern auf totalitäre Gruppenstrukturen abhebt. Die Kennzeichen der von solchen Gruppen ausgehenden Bewußtseinskontrolle (in Anlehnung an den amerikanischen Psychologen R. Lifton) werden durch markante Beispiele aus der aktuellen Sektenszene illustriert und dadurch auch für Außenstehende nachvollziehbar. Das ist nicht neu, aber eine solide Zusammenfassung des aktuellen Diskussionsstandes in journalistisch griffiger Sprache.

Neu ist hingegen der bisher so nicht leicht zugängliche Überblick über die unterschiedliche Zielsetzung und Praxis von „Ausstiegsberatung“‚. Mit der Bodenhaftung des Praktikers greift Eimuth all die Fragen auf, die in der Beratung gestellt werden: Wie können verunsicherte Angehörige mit einem frisch geworbenen „Sektenjünger“ umgehen? Welche rechtlichen Probleme können auftauchen vom Erbstreit bis zum Sorgerecht? Welche Organisationen geben Hilfe und Rat? Mit welchem Ansatz arbeiten sie? Dabei verzichtet Eimuth auf falsche Dramatisierung und berichtet in gebotener Nüchternheit über die relativ hohe Ausstiegsquote der Sekten. In aller Deutlichkeit verwirft er Formen der Ausstiegsberatung, die mit Gewalt (Deprogramming) oder auch subtileren Formen von Druck und Manipulation arbeiten. Seine eigenen Vorschläge zu Gesprächsstrategien und Umgangsformen nehmen das „Sektenopfer“ als Ratsuchenden ernst, dessen Recht auf 000 Selbstbestimmung auch die Entscheidung für die Sekte einschließt. Aber die Beratung kann die Selbstheilungskräfte, nämlich das nie völlig verschüttete Potential zu selbständigem Fühlen und Denken jenseits der Sekten-Autoritäten, aktivieren und fördern. Dafür gibt Eimuth gerade den mittelbar Betroffenen im familiären Umfeld lebensnahe Hinweise, wonach z.B. ein gemeinsamer Urlaub nützlicher sein kann als eifernde Kritik und Vorwürfe. Bisher unveröffentlichte Berichte von Ehemaligen (zu Scientology, den früheren „Kindern Gottes“ und Thakar Singh) ergänzen und illustrieren die vorherige Analyse. Ein Adressenverzeichnis von Beratungsstellen auf dem neuesten Stand (leider nicht selbstverständlich!) rundet das Bändchen ab.

Eimuth hält in diesem Buch die schwierige Balance zwischen Panikmache einerseits und Verharmlosung andererseits. Sein Ratgeber ist informationsreich, praxisnah und ausgesprochen lesbar geschrieben. Er ist empfehlenswert nicht nur für Fachstellen und Bibliotheken, sondern auch und gerade für’s breite Publikum.

Lutz Lemhöfer

in: Imprimatur

Erziehung zur Unfreiheit


Kurt-Helmuth Eimuths Buch über die Sektenkinder

Jugendsekten sind seit langem ein Thema in den Medien. Weniger Aufmerksamkeit schenkt man bisher den Sektenkindern. Gemeint sind damit jene Kinder, die in eine Sekte hineingeboren werden bzw. durch den Eintritt der Eltern in eine Sekte gelangen und so von klein auf im Sinne der Sekte erzogen werden. Über diese Kinder hat der Leiter der Evangelischen Arbeitsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen in Frankfurt/M. Kurt-Helmuth Eimuth jetzt ein Buch vorgelegt.

Beispielhaft wird an acht Sekten aufgezeigt, welche Formen eine solche Erziehung, die auf totale Vereinahmung ausgerichtet ist, annehmen kann. Und welche Folgen sie für die Kinder hat! Auch wenn die von Eimuth ausgewählten Gruppen ein buntes Spektrum an Weltanschauungen repräsentieren – von Fernöstlichem wie Krishna und Thankar Singh über Altbekanntes wie Zeugen Jehovas und Scientology bis hin zu Modernem wie der Neocharismatischen Bewegung – eines haben sie alle gemeinsam: Die Grundwerte der Erziehung, wie sie unser Kinder- und Jugendhilfegesetz formuliert, nämlich Förderung der Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, werden durch vollständige Anpassung und blinden Gehorsam gegenüber der Sekte ersetzt. Das Buch belegt dies durch zahlreiche Beispiele, die zum Teil eine erschütternde Lektüre darstellen.

Eimuth stellt zurecht die Frage, ob derartige Praktiken durch die vom Grundgesetz verbriefte Religionsfreiheit gedeckt werden oder ob hier nicht Reaktionen von staatlicher Seite erforderlich sind. Die SPD-Fraktion im Bundestag hat jedenfalls vor einigen Wochen das Buch von Eimuth zum Anlaß genommen, die Einrichtung einer Kommission aus Parlamentariern und Sachverständigen zu fordern, die sich mit diesem Problemkreis befaßt.
(da)

Kurt-Helmuth Eimuth:
Die Sektenkinder. Mißbraucht und betrogen –
Erfahrungen und Ratschläge.
Reihe Herder Spektrum.
Herder Verlag, Freiburg/Br., 1996