Archiv für 30. Juni 1997

Gerechtigkeit ist Leben

Andacht, Kirchentag

30. 6. 1997

Lied: EG 445, 1, 2, 5

Votum:

Aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.

Mit diesem Wochenspruch aus dem Epheserbrief, Kapitel 2, Vers 8 begrüße ich Sie herzlich zur heutigen Andacht, die wir feiern im Namen Gottes des Vater, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Psalm 73, Nr. 733

Lied: EG 632, 1-3

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der 27. Deutsche Evangelische Kirchentag ging vor gut einer Woche zu Ende. Leipzig war geprägt, trotz Regens, von den vielen fröhlichen Besuchern und Besucherinnen. Das Bild kennen wir ja. Und doch war dieses Mal das Kirchentagsthema etwas sperriger. Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben, so das Motto des viertägigen Treffens ist angesichts der deutlichen Widersprüche die der Besucher und die Besucherin selbst bei der Straßenbahnfahrt wahrnimmt augenfällig.

Da stehen postmoderne Bürogebäude neben Häusern, die an das Nachkriegsdeutschland erinnern. Soziale Gegensätze prallen hier aufeinander in einer Schärfe, wie wir sie uns kaum vorstellen. Und dann dieses programmatische und prophetische Wort: Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben. Ungerechtigkeit ist Tod. Ungerechtigkeit vernichtet. Ungerechtigkeit macht perspektivlos.

Doch so sehr wir alle uns Gerechtigkeit wünschen, so schwierig ist es immer klar zu sagen was gerecht ist. Im heutigen Lehrtext heißt es im 1. Johannesbrief, Kapitel 1, Vers 8: Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.

Wir Menschen müssen um diese Wahrheit ringen, immer wissend, daß wir auch irren können. Doch wir sind aufgefordert eben sie zu suchen, uns für sie einzusetzen und Position zu beziehen. Darum muß sich auch unsere Kirche für die Wahrheit engagieren. Wahr ist: Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben. Wenn wir diese Wahrheit teilen, müssen wir uns für eine gerechte Welt einsetzen. Keine leichte Aufgabe, weder für den Einzelnen noch für unsere Kirche. Dorothee Sölle hat es in der ihr eigenen Weise in einer Bibelarbeit in Leipzig auf den Punkt gebracht.

„Einer der vielen Gründe, warum es die Kirche heute nicht gerade leicht hat, ist ein sehr ehrenvoller: die unaufgebbare Perspektive der Verlierer, der Loser. Der biblische Gott hat eine merkwürdige Vorliebe für die, die zu kurz kommen, für die kein Platz da ist, die Unterlegenen. Wo gesiegt wird, da wird auch unterworfen; wo heute Waffen exportiert werden, da werden morgen Frauchen vergewaltigt; wo gewonnen wird, da gibt es Verlierer; wo Globalisierung Platz greift, da wird die Subsistenzwirtschaft zerstört; wo Arbeit abgeschafft wird, um schneller und problemloser zu den Winnern zu gehören, da sollten wir diese andere Perspektive mitsehen. ‚Wer verliert dabei?‘ sollten wir bei jeder wirtschaftspolitischen Neuerung, wie zum Beispiel der Abschaffung der Vermögenssteuer, laut und deutlich fragen. Wer sind die Verlierer bei der globalen Weltaneignung?

Und wer gewinnt, wenn Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet werden? Die Aktien steigen, wenn mehr Menschen ins Unglück gestürzt werden.

Ich frage mich manchmal, was ich der Kirche, meiner Kirche, wünsche, wie sie ohne Selbstbeschädigung und Selbsterübrigung durch diese Zeiten käme. Ich möchte, daß sie nicht nur zählt und sich selber im Zählen erstickt. Es gibt Loser, die haben nichts anderes im Kopf als die Winner. So sollte es bei uns nicht sein. Ich wünsche mir, daß diese Erzählgemeinschaft namens Kirche mit störrischer Geduld Jesaja und Christus weitererzählt, Geschichten, die nicht von Winnern handeln. Ich wünsche mir, daß sich die Kirche nicht der Sprache der Gerechtigkeit schämt. Daß sie dieses überflüssige Globalisierungshemmnis namens Gerechtigkeit noch erinnert. Daß sie es analysiert und einklagt, betet und singt.

Lied: EG: 632, 4 + 5

Mitteilungen:

Gebet:

Du Schöpfer dieser Welt.

Wir leben von deiner Güte und Weisheit.

Uns Menschen ist viel Macht gegeben.

Was deine Weisheit geschaffen hat,

ist uns unweisen Menschen anvertraut.

Was du gegeben hast, damit wir leben können,

ist Gefahr geworden für unser aller Leben.

Wir möchten dir danken für deine Welt.

Wir möchten einander schützen

vor Gewalt und Haß.

Wir möchten deine Gaben behüten:

die Menschen und ihr Glück

und das Leben der ganzen Erde.

Wir bitten dich, bewahre uns den Frieden

und bewahre uns davor,

den Frieden anderer zu gefährden:

den Frieden unserer Kinder, Freunde und Nachbarn

und aller, denen wir begegnen.

Wir bitten dich, Schöpfer dieser Welt,

hilf uns und gib Gelingen.

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Lied: EG 421 (1)