Archiv für Buchbesprechungen

Geschichten von Menschen auf der Straße

Franz Schubert/Wilhelm Müller/Stefan Weiler, Deutsche Winterreise. Liederzyklus mit Geschichten von Menschen im Abseits. CD mit Booklet, 82 Minuten, 16 Euro.

Mit seinem Musikprojekt „Deutsche Winterreise“ gibt Stefan Weiler authentischen Einblick in das Leben obdachloser Menschen.

weimal war Stefan Weiler mit seinem Programm „Deutsche Winterreise“ auch in Frankfurter Kirchen zu Gast. Er hat sich mit Menschen ohne festen Wohnsitz getroffen, ihre Geschichten gehört und gesammelt. Textfragmente aus diesen Gesprächen hat er dann mit dem Liederzyklus Schuberts Winterreise und mit Gedichten von Wilhelm Müller verwoben.

Herausgekommen ist eine Collage über das Leben in Obdachlosigkeit, ohne Pathos, ohne Klagen und durchaus mit Witz. Hier werden Lebensschicksale lebendig: „Ich sitze vor dem Fallmanager. Er managt wie ich falle“, erzählt einer. Weilers „Winterreise“ erzählt von verlorener Liebe, verletzten Gefühlen, von Geld, Tod, psychischer Krankheit, Arbeitslosigkeit und Armut. Und von einer vergleichsweise reichen Gesellschaft, die sich trotzdem Armut und Ausgrenzung leistet.

Die Textfragmente zeigen, wie schnell man in Obdachlosigkeit geraten kann. Mietrückstände, Arbeitsplatzverlust, Scheidung, Krankheit und in Folge auch Schnaps zerstören die bürgerliche Lebensplanung. Auch Vorurteile über das Leben ohne Dach über dem Kopf werden korrigiert. „Man denkt ja immer, Weihnachten sei das mit der Obdachlosigkeit und Armut besonders schlimm. Das stimmt gar nicht. Schlimm ist es im April, wenn sich kein Mensch und keine Zeitung mehr für dich interessiert. Oder im Juli, wenn jeder denkt, wir hätten es ja jetzt hübsch warum und romantisch – so arbeitslos und lässig im Park. Im Sommer, wenn sich wirklich keiner mehr für dich interessiert, dann ist eigentlich Eiszeit.“

Ein bitter-süßer Einblick in eine fremde Welt, garniert mit sanften Klaviertönen. Die Produktion von „speak low“ wurde von hr2-Kultur ausgezeichnet. Wer einen authentischen Einblick in diese fremde Welt gewinnen will, der darf sich auch mal wieder eine CD kaufen.

kurt-Helmuth Eimuth

Die Denkmuster der Verschwörungsmythen

von Kurt-Helmuth Eimuth 15. Mai 2020

Man hat in diesen Tagen den Eindruck, dass die wahre Pandemie nicht die Verbreitung des Coronavirus, sondern die von Verschwörungsmythen ist. Ein kleines Handbuch gibt jetzt Einblick in die dahinter stehenden Denkmuster. Es kann direkt aus dem Internet heruntergeladen werden.

Das Handbuch über Verschwörungsmythen ist online abrufbar
Das Handbuch über Verschwörungsmythen ist online abrufbar

Eine bizarre Versammlung aus Impfgegnern, Menschen die daran glauben, dass Bill Gates die Menschheit reduzieren will, und zunehmend auch Aktivisten mit völkischem Gedankengut trifft sich neuerdings zu Demonstrationen, nicht nur in Deutschland. Wie und warum funktionieren solche Verschwörungsmythen?

Dieser Frage geht eine kleine zwölfseitige Broschüre nach, die jetzt auch auf Deutsch im Internet aufgerufen werden kann. Kurz und knapp legt sie grafisch gut aufbereitet die Strukturen und Muster der gängigen Verschwörungsmythen dar und entzaubert sie.

Warum sind Verschwörungsmythen so populär? Wie kann man die Merkmale konspirativen Denkens erkennen? Was sind effektive Strategien, um solche Mythen zu entlarven?

Die Autoren gehen davon aus, dass rationale Beweise keinen Verschwörungsgläubigen überzeugen werden. „Der abschottende Charakter von Verschwörungsmythen bedeutet, dass jeder Beweis, der einen Mythos widerlegt, als weiterer Beweis für die Verschwörung interpretiert werden kann. Dies bedeutet, dass in der Kommunikation die verschiedenen Zielgruppen klar unterschieden werden müssen. Wenn Verschwörungstheoretiker Beweise so uminterpretieren, dass sie das Gegenteil bedeuten, dann braucht man für sie eine andere Strategie, als für jene, die Beweise zu schätzen wissen.“

Zunächst setzt das Handbuch auf „präventives Widerlegen“. Also darauf, im öffentlichen Diskurs faktenbasiert zu argumentieren. Im Umgang mit den Menschen, die Verschwörungsmythen verbreiten, gilt es, kommunikative Aufgeschlossenheit und Empathie zu zeigen. Spott und ein aggressives Zerlegen des Verschwörungsmythos sind eher kontraproduktiv. „Analysieren Sie die Beweggründe hinter dem Verschwörungsmythos, bevor Sie einen Widerlegungsversuch unternehmen.“

Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die die Funktion und die Funktionsweise von Verschwörungsmythen nachvollziehen wollen und zudem eine anregende Hilfe zum Umgang mit einem nicht ausrottbaren Phänomen suchen.

PDF: Stephan Lewandowsky, John Cook: Das Handbuch der Verschwörungsmythen

Livemitschnitt von den Frankfurter Orgeltagen auf CD erhältlich

von Kurt-Helmuth Eimuth 27. April 2020

Mitschnitte von den Frankfurter Orgeltagen 2018 und 2019 gibt es jetzt auf CD zum Nachhören. Die Auswahl reicht von Bach über Oreste Ravanello bis zu Concert-Rag.

Die CD mit Orgelmusik aus der Frankfurter Heiliggeistkirche ist in der Alpha Buchhandlung erhältlich.
Die CD mit Orgelmusik aus der Frankfurter Heiliggeistkirche ist in der Alpha Buchhandlung erhältlich.

Eine ungewöhnliche Auswahl von Orgelstücken präsentiert Frank Hoffmann mit seiner CD „Orgelkonzert im Dominikanerkloster“. Es sind Live-Aufnahmen von den Frankfurter Orgeltagen 2018 und 2019. Sie dokumentieren gleichzeitig den Klang der 2013 sanierten Walcker-Orgel der Heiliggeistkirche. Heute verfügt die Hauptorgel über 40 Register, Schleifenwindladen bei mechanischer Spiel- und elektrischer Registertraktur sowie elektrische Koppeln.

Virtuos nutzt Hoffmann diese Möglichkeiten. Vor allem bei Thema und Variationen h-Moll des weithin unbekannten Musikwissenschaftler Oreste Ravanello kommen die romantischen Klangfarben der Orgel der Heiliggeistkirche zur Geltung. Ungewöhnlich ist auch die Darbietung des Concert-Rag Sweet Sixteenths von William Albright, bei dem sich zeigt, dass eine klassische Kirchenorgel durchaus in der Lage ist, den für dieses Instrument eher fremden Typus des Ragtime darzustellen. Selbstverständlich sind aber auch Werke von Johann Sebastian Bach zu hören.

Die CD kostet 12 Euro und ist in der Alpha Buchhandlung, Oeder Weg 43, Telefon 069 28 58 80, erhältlich.


Livemitschnitt von den Frankfurter Orgeltagen auf CD erhältlich

von Kurt-Helmuth Eimuth 27. April 2020

Mitschnitte von den Frankfurter Orgeltagen 2018 und 2019 gibt es jetzt auf CD zum Nachhören. Die Auswahl reicht von Bach über Oreste Ravanello bis zu Concert-Rag.

Die CD mit Orgelmusik aus der Frankfurter Heiliggeistkirche ist in der Alpha Buchhandlung erhältlich.
Die CD mit Orgelmusik aus der Frankfurter Heiliggeistkirche ist in der Alpha Buchhandlung erhältlich.

Eine ungewöhnliche Auswahl von Orgelstücken präsentiert Frank Hoffmann mit seiner CD „Orgelkonzert im Dominikanerkloster“. Es sind Live-Aufnahmen von den Frankfurter Orgeltagen 2018 und 2019. Sie dokumentieren gleichzeitig den Klang der 2013 sanierten Walcker-Orgel der Heiliggeistkirche. Heute verfügt die Hauptorgel über 40 Register, Schleifenwindladen bei mechanischer Spiel- und elektrischer Registertraktur sowie elektrische Koppeln.

Virtuos nutzt Hoffmann diese Möglichkeiten. Vor allem bei Thema und Variationen h-Moll des weithin unbekannten Musikwissenschaftler Oreste Ravanello kommen die romantischen Klangfarben der Orgel der Heiliggeistkirche zur Geltung. Ungewöhnlich ist auch die Darbietung des Concert-Rag Sweet Sixteenths von William Albright, bei dem sich zeigt, dass eine klassische Kirchenorgel durchaus in der Lage ist, den für dieses Instrument eher fremden Typus des Ragtime darzustellen. Selbstverständlich sind aber auch Werke von Johann Sebastian Bach zu hören.

Die CD kostet 12 Euro und ist in der Alpha Buchhandlung, Oeder Weg 43, Telefon 069 28 58 80, erhältlich.

Wie rechte Christen Kirche und Gesellschaft unterwandern

Deutsches Pfarrblatt, Januar 2020

Von Empathie durchdrungenes, kritisches Islambuch

von Kurt-Helmuth Eimuth 10. September 2019

Monika und Udo Tworuschka ist mit ihrem Buch „Der Islam – Feind oder Freund?“ ein Werk zur Versachlichung und Relativierung der Debatte gelungen. Ein gut lesbares Buch, das die Argumente an vielen Stellen versachlicht.

Monika und Udo Tworuschka: Der Islam – Feind oder Freund? - 38 Thesen gegen eine Hysterie, Kreuz-Verlag, 142 Seiten, 15 Euro.
Monika und Udo Tworuschka: Der Islam – Feind oder Freund? – 38 Thesen gegen eine Hysterie, Kreuz-Verlag, 142 Seiten, 15 Euro.

„Noch ein Buch über den Islam“ war mein erster Impuls. Doch Autorin und Autor, seit Jahrzehnten bekannt für ihre religionswissenschaftlichen Arbeiten, machen neugierig. Keine Frage, die beiden haben einen Standpunkt. Gleich im ersten Satz verdeutlichen sie, dass sie kein islamkritisches Buch vorlegen, sondern ein kritisches Islambuch. Was keineswegs dasselbe ist. Sie wollen nicht „die Fratze“ des Islam betrachten, sondern mit Empathie einer Religion begegnen.

Zunächst gehen sie auf die gegenwärtige Wahrnehmung des Islam ein. An vielen Beispielen zeigen die Tworuschkas auf, dass die Diskussion Züge einer Verschwörungstheorie hat. So gehören in Deutschland nur knapp sechs Prozent der Bevölkerung dem Islam an. Von einer Übernahme der Gesellschaft ist man also schon zahlenmäßig bei immer noch 48 Millionen Christinnen und Christen weit entfernt. Auch die Geburtenzahl bei Muslimen befindet sich im Sinkflug. Hatten aus der Türkei nach Deutschland migrierte Familien 1970 noch 4,4 Kinder im Durchschnitt, sind es bei Angehörigen der zweiten und dritten Generation noch 1,56 Kinder. „Migranten passen sich erfahrungsgemäß in vielen Lebensbereichen an ihr Umfeld an.“

Auch lässt sich nicht belegen, dass der Islam per se gewaltbereit sei. Selbst der Teil des Islam, der unter dem Begriff Islamismus zusammengefasst wird, muss unterteilt werden in die Strömungen der Salafisten, Islamisten und Djihadisten. Doch gleich welche Begründungen sich gewaltbereite Muslime zusammenbasteln, welche Verse sie aus dem Koran herauspicken, es kann nicht gesagt werden, „dass der Koran zur Gewalt aufrufe und die Lizenz zum Töten“ liefere. Das Autorenehepaar erinnert im Gegenteil an zahlreiche Gewaltvorstellungen in der Bibel.

Auch in Bezug auf die Stellung der Frauen im Islam war dessen Religionsstifter fortschrittlicher als viele meinen. So habe Mohammed verglichen mit dem vorislamischen Arabertum richtungsweisende Besserstellungen für Frauen eingeführt. Zum Beispiel wurde das übliche Aussetzen weiblicher Neugeborener untersagt. Der Koran fordert an keiner Stelle, dass sich Frauen verschleiern müssten. Allerdings hätten sich die vom Koran bekämpften Gesellschaftsstrukturen im Laufe der Jahrhunderte wieder verfestigt. So gehe es bei der Genitalverstümmelung eher um kulturelle Faktoren und um eine patriarchale Familienstruktur als um eine religiöse Lehre. „Der Koran erwähnt keine weibliche Genitalverstümmelung, geschweige denn, dass er sie gutheißt.“ Auch sexuelle Gewalt gegenüber Frauen rechtfertigen die islamischen Quellen nicht.

Bei aller Empathie verschließt das Buch aber nicht die Augen vor problematischen Tendenzen: „Blauäugig wäre es dagegen, Scharia-Auslegungen nicht zu beachten, die einen gewaltsamen Djihad gegen ‚Ungläubige‘ legitimieren, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung in Frage stellen, antijüdische Einstellungen und Handlungen rechtfertigen.“ Ferner sei die Sozialisation muslimischer Kinder offenbar stärker an Macht und Gehorsam ausgerichtet und tue sich schwer mit Freiheit, Pluralismus und Ambiguitätstoleranz. Dies ergebe sich aus erfahrener Ablehnung. Der Einzelnen fliehe dann nach Erich Fromm ins Autoritäre, Destruktive und Konformistische.

Die Tworuschkas plädieren also für ein offenes, von Empathie geprägtes Miteinander. Wie dies aussehen kann, fassen sie am Beispiel in drei Sätzen zusammen: „Wir wünschen uns, dass muslimische Frauen die islamische Kleiderordnung nur aus freien Stücken befolgen. Die Realität sieht sicher oft anders aus. Aber Freiheit bedeutet, eine islamische Frau darin zu bestärken, ihrer Tradition folgen zu dürfen – sie aber auch darin zu unterstützen, wenn sie sich dagegen wehren will.“

Ein gut lesbares Buch über den Islam und über die deutsche Diskussion. Es versachlicht an vielen Stellen die Argumente, reiht sie religionswissenschaftlich und politisch ein und ist somit im besten Sinne tatsächlich ein von Empathie durchdrungenes kritisches Islambuch.

Christliche Angstprediger spalten die Kirche

von Kurt-Helmuth Eimuth 30. Juli 2019

Auch in Deutschland hat sich inzwischen ein vernetztes, rechts-christliches Milieu herausgebildet, das den Kirchen zu denken geben muss. Liane Bednarz hat die inhaltlichen und organisatorischen Verflechtungen der rechten Christen und Christinnen detailliert herausgearbeitet.

Liane Bednarz: Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern, 256 Seiten. Droemer. Erhältlich jetzt auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung , 4,50 Euro.
Liane Bednarz: Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern, 256 Seiten. Droemer. Erhältlich jetzt auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung , 4,50 Euro.

Es ist ein Vorgang, der alle Christinnen und Christen, aber besonders die Kirche als Institution in Alarm versetzen müsste: „Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“ beschreibt Liane Bednarz in ihrem Buch über „Die Angstprediger“. Die inhaltlichen und organisatorischen Verflechtungen dieser Netzwerke können der Kirche nicht gleichgültig sein. Es ist zu wünschen, dass innerhalb und außerhalb der Kirche die Sensibilität für das Erstarken der rechten Christen wächst. Auch der Bundeszentrale für politische Bildung war die Thematik so wichtig, dass sie das Buch jetzt in ihr Programm aufgenommen hat und für nur 4,50 Euro vertreibt.

Im Vorwort schreibt die Autorin, dass es in beiden christlichen Konfessionen zu einer regelrechten Spaltung gekommen sei. Auf der einen Seite die Konservativen, die katholischerseits den Zölibat befürworten und die Frauenordination ebenso wie Kritik an der Kirchenhierarchie ablehnen, sowie die so genannten „bibeltreuen“ Protestanten, die sich regional im im „Bibelgürtel“ rund um Dresden, in schwäbischen Gebieten Bayerns, in Wuppertal sowie im Siegerland und Nordhessen konzentrieren. Auch das hessische Hinterland rund um Biedenkopf ist weltanschaulich vom Siegerland geprägt, auch dort sind die geschilderten gesellschaftlichen Veränderungen in den Dörfern offensichtlich.

Wie unter einem Brennglas lasse sich hier etwas verfolgen, das auch gesamtgesellschaftlich zu beobachten ist: Aus ehemals harmlosen Konservativen werden Menschen, die schrittweise rechte Positionen übernehmen und sich nicht selten nach und nach immer weiter radikalisieren. Als Feindbilder halten die Themenkomplexe „Genderwahn“ und Homosexualität, „Islamisierung des Abendlandes“ und „GEZ-Medien“ herhalten. Überstrahlt wird alles von dem „typisch neurechten“ Zerrbild der „Überfremdung“.

Detailliert zeichnet die Autorin die Argumentationslinien der rechten Christen und Christinnen sowie ihre Verbindung zur AfD auf. So wird etwa in der evangelikalen Publikation „idea Spektrum“ in der Kontroverse um die Ehe für alle der EKD vorgeworfen, dort herrsche „die Diktatur des Zeitgeistes und nicht die Leitung durch den Heiligen Geist“.

Die Integration konservativer Christen und Christinnen sieht die Autorin als vielleicht größte Herausforderung für die evangelische Kirche. „Je mehr man konservative Stimmen in den evangelischen Gliedkirchen marginalisiert, umso mehr treibt man sie de facto in die Radikalisierung hinein und macht sie anfällig für rechtschristliche Kreise“, schreibt sie. Die Unterscheidung der Geister, die klare Trennung zwischen konservativ und rechts, wird, so Bednarz „eine ebenso große Aufgabe für die Kirchen sein wie die Integration Konservativer“. Die Kirchen seien gefordert, streng fromme konservative Positionen auszuhalten und gleichzeitig dort eine Grenze zu ziehen, wo ein Menschenbild vermittelt wird, das mit dem Evangelium nicht mehr kompatibel sei.

Zur Vorbereitung zum Diskurs mit Menschen, die konservative Positionen vertreten ist dieses Buch eine große Hilfe. Und für alle, die Verantwortung in der Kirche tragen, hilft die Analyse, zu sehen, dass sich im Nebel eines konservativen Christentums längst auch in Deutschland ein gefährliches, vernetztes, rechts-christliches Milieu gebildet hat.

Margot Käßmann über Geschwister in der Bibel

von Kurt-Helmuth Eimuth 12. Juli 2019

Mit ihrem neuen Buch ist Margot Käßmann ein ungewöhnlicher Blick auf die Heilige Schrift gelungen: Von Geschwisterbeziehungen auszugehen eröffnet eine Perspektive, die wir tagtäglich erleben und gerade deshalb kaum wahrnehmen.

Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.
Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.

Beziehungen sind für Menschen überlebensnotwendig. Freundinnen und Freunde kommen und gehen, Partner und Partnerinnen auch, und in der Regel überleben Kinder ihre Eltern. Die Beziehung, die im Verlauf des Lebens am Längsten besteht, ist die zu den Geschwistern.

„Da gibt es große Liebe zueinander und große Konkurrenz, Solidarität und Abgrenzung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Auseinandersetzung“, schreibt Margot Käßmann in ihrem Vorwort. Offenbar war dies auch schon zu biblischen Zeiten so.

Allerdings waren damals die gesellschaftlichen Umstände anders. Der Wert einer Frau wurde an der Zahl ihrer Geburten (von Jungen) gemessen, Intimsphäre kam im engen Zelt kaum auf. Käßmann erzählt die alten Geschichten spannend aus heutiger Perspektive. Zum Beispiel den Streit zwischen Jakob und Esau um das Erstgeburtsrecht. Die beiden waren Zwillinge. Was bedeutete es damals für ihre Mutter Rebekka, zwei Kinder gleichzeitig zu bekommen? Anders als heute konnte sie das ja vor der Geburt nicht wissen.

Und dann bevorzugt die Mutter einen der Brüder. Für Margot Käßmann ist das nicht nachvollziehbar: „Ein Kind zum Liebling zu erklären, wird immer den Familienfrieden stören.“ Und dann eines Tages begegnen sich die Brüder wieder. Käßmann, die selbst Mutter von Zwillingen ist, vermutet, dass die Bindung der Brüder trotz allem stark war. Sie hätten gewiss oft aneinander gedacht oder voneinander geträumt. Obgleich Jakob Esau betrogen hat, liegen sie sich in den Armen. „Was für eine wunderbare Geschichte von Versöhnung ohne viel Worte, von Versöhnung, die es in Familien nach aller Auseinandersetzung und allem Streit eben auch geben kann.“

In vielen der auf wenigen Seiten beschriebenen Geschwisterbeziehungen werden Verhältnisse deutlich, die uns zunächst fremd zu sein scheinen. Doch auf dem zweiten Blick kennen wir die Probleme auch: Leihmutterschaft, die Sehnsucht nach „eigenen“ Kindern, sexuelle Gewalt. In der Bibel werden diese Probleme häufig sehr direkt, geradezu brutal erzählt. Etwa wenn Lot seine sexuell noch unerfahrenen Töchter an einen Männermob herausgeben will. Später machen dieselben Töchter ihren Vater betrunken und bringen ihn dazu, sie zu schwängern.

Margot Kässmann ist überzeugt, dass hier in Wahrheit ein klassischer Fall von häuslicher Vergewaltigung erzählt wird. „Inzest galt auch in jenen Zeiten als Tabu. Also wird erklärt: Sie haben den armen betrunkenen Vater verführt.“ Für Käßmann ist das einzig Tröstliche an dieser furchtbaren Geschichte, dass die Schwestern nicht alleine sind. Sie haben einander, und sie hatten die Kraft, ihre Söhne groß zu ziehen.

Das Buch lässt die biblischen Familienbanden, die Verzwickungen und Verflechtungen, die Abhängigkeiten und die Zuneigungen, die Sanftheit und Brutalität biblischer Geschichten vor den Augen des Lesers und der Leserin entstehen. Es liest sich Spannend wie ein Krimi, und man bekommt Lust, mehr zu erfahren. Eine empfehlenswerte Lektüre, die einen neuen Blick auf die biblische Überlieferung eröffnet.

Margot Käßmann in der Paulskirche am 3. September 2019 Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

In hundert Geschichten heiter durchs Jenseits

Fabian Vogt stellt hundert Beispiele vor, wie verschiedene Kulturen und Religionen sich das Leben nach dem Tod vorstellen.
Was kommt nach dem Tod? Der Schriftsteller und Theologe Fabian Vogt lädt ein zu einem Ritt durch die Jenseitsvorstellungen zahlreicher Kulturen und Religionen. „100 Dinge, die du nach dem Tod auf keinen Fall verpassen solltest“ heißt sein Buch; vielfältig, verblüffend, hoffnungsvoll und gelegentlich auch irritierend sind die darin beschriebenen Bilder.

Dazu gehören neben den bekannteren Vorstellungen der großen Religionen oder auch der Literatur (von Dante bis Tolkien) auch weithin unbekannte Mythen. So müssen in der buddhistischen Tradition Japans die Toten einen Fluss überqueren – die Guten dürfen über eine Brücke gehen, die nicht ganz so Guten benutzen eine Furt, und die „verkommenen Gestalten“ müssen schwimmen. Die nassen Kleider werden an einen Baum gehängt. Das Gewicht der nassen Kleider zeigt die Sündhaftigkeit der Seele an. „Je tiefer der Ast, desto verdorbener der Charakter.“

Die Azteken schicken die Seelen in drei Paradiese: Eines für diejenigen, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, aber sich auch nicht angestrengt haben, das zweite für alle, die sich für das Gute engagiert haben, und das dritte für die, die ihr Leben lang nach Erleuchtung und Weisheit gesucht haben.

Auf je zwei Buchseiten beschreibt Fabian Vogt insgesamt 100 Jenseitsvorstellungen. Er sieht in ihnen vor allem eine Auseinandersetzung mit den Fragen des Diesseits. Ein religionswissenschaftlich anspruchsvolles Buch, das sich trotzdem leicht liest, weil es gelassen und heiter mit diesem schwierigen Thema umgeht.

Zeitreise mit Margot Käßmann

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. September 2018

Zum 60. Geburtstag erschien eine Biografie der prominenten Theologin. 

Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.
Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.

Sie ist die wohl bekannteste und beliebteste Theologin Deutschlands: Zum 60. Geburtstag von Margot Käßmann erschien nun ihre Biografie. Verfasst hat sie der Theologe und Journalist Uwe Birnstein, der seit sieben Jahren ihr Berater ist.

Für ihn und für die Leserinnen und Leser hat Margot Käßmann tiefe Einblicke gewährt. Zahlreiche Fotografien und Zitate aus dem Tagebuch lassen Geschichte, Kirchengeschichte und Familiengeschichte lebendig werden. Käßmanns Auseinandersetzung mit Martin Luther King als Jugendliche und ihre Begegnung mit Nelson Mandela lassen die Wurzeln ihres Pazifismus erahnen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Erfahrung durch ihr Leben, als Frau benachteiligt worden zu sein. Immer wieder versuchten Männer, sie auszutricksen. Zum Beispiel der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Eduard Lohse, der 1983 ihre Wahl in den Zentralausschuss des Ökumenischen Rates verhindern wollte. 

Auch dass die Kirche wie selbstverständlich von ihr verlangte, ehrenamtlich als Pfarrerin zu arbeiten, während sie ihrem Mann eine volle Stelle gab, gehört zu diesen Erfahrungen. Immer wieder stieß sie auf Vorbehalte: „Wie wollen Sie das mit vier Kindern schaffen?“ 

Ausführlich beschreibt Birnstein auch die Krebsdiagnose, den Rücktritt vom Amt der EKD-Ratsvorsitzenden und ihre letzte Tätigkeit als Luther-Botschafterin.

Uwe Birnstein ist nicht nur eine Biografie über eine populäre Frau gelungen. Vielmehr ist das Buch eine Zeitreise, spannend erzählt und voller Hintergrundinformationen über die jeweiligen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Das klingt ernst, ist auch ernstm ist aber doch mit lockerer Feder geschrieben, sodass der Leser und die Leserin oft lachen können.