Archiv für 29. Dezember 2020

So wirkt sich Corona auf das Leben im Frauengefängnis aus

von Kurt-Helmuth Eimuth 29. Dezember 2020

Corona ist nicht nur für Altenheime eine große Herausforderung. Auch Häftlinge in den Gefängnissen leiden besonders unter den Einschränkungen. Ein Gespräch mit Pfarrerin Susanne Kahlbaum, Gefängnisseelsorgerin im Preungesheimer Frauengefängnis.

Susanne Kahlbaum ist Gefängnisseelsorgerin in der Frauen-JVA Preungesheim. |Foto: Ilona Surrey
Susanne Kahlbaum ist Gefängnisseelsorgerin in der Frauen-JVA Preungesheim. |Foto: Ilona Surrey

Die Corona-Pandemie hat auch die Routinen in den Gefängnissen verändert. Im Frauengefängnis Frankfurt-Preungesheim zum Beispiel müssen alle Neuzugänge zunächst eine vierzehntägige Quarantäne überstehen. In dieser Zeit haben sie keinen Kontakt zu Mithäftlingen, es bleibt einzig der tägliche Hofgang, sagt Susanne Kahlbaum, Gefängnisseelsorgerin in der Frauenvollzugsanstalt Preungesheim. Die Sonntags-Gottesdienste, für viele Inhaftierte sonst eine willkommene Abwechslung, können nur noch in kleinen Gruppen in der Turnhalle stattfinden – alle 230 Frauen haben da keinen Platz, eine Teilnahme ist für die Einzelnen nur noch alle drei Wochen möglich.

Auch im Gefängnis spielen Medien eine entscheidende Rolle, um ein Leben unter Corona zu ermöglichen. Um die Verbindung zur Familie zu halten, wurden zwei Skype-Plätze eingerichtet, damit die Frauen ihre Familien mit Kindern im heimischen Wohnzimmer sehen können. „Die einen sagen, das ist viel besser als Besuch, da es lockerer ist“, berichtet Kahlbaum. „Andere sagen, es ist schwer auszuhalten, die eigenen Kinder nicht in den Arm nehmen zu können.“ Besuche sind wegen der Pandemie derzeit nur getrennt durch eine große Glasscheibe erlaubt, jede Berührung ist verboten. „Dieses Getrenntsein spüren die Kinder sehr“, erzählt die Pfarrerin.

Außerdem erinnerte man sich an die Möglichkeit, ein eigenes TV-Programm in die Zellen zu schicken. Vor vielen Jahren war dafür eine Anlage angeschafft worden, auf der eigens ausgewählte Filme gezeigt wurden. Das war dann aber aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich, und die Anlage geriet in Vergessenheit. Aber sie funktioniert noch. Jetzt werden zwar keine Filme gesendet, aber es wurde etwa der ökumenische Weihnachtsgottesdienst übertragen, den die Seelsorgerinnen und Seelsorger dafür eigens in der Basilika des Schlosses Johannisberg aufgenommen haben.

Vor allem nagt aber die Ungewissheit: Wie wird es weitergehen, was wird noch kommen? In dieser Hinsicht geht es den Frauen im Gefängnis nicht anders als dem Rest der Bevölkerung. Die Anstalt und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unternehmen große Anstrengungen, um flexibel auf die belastende Situation zu reagieren. So wurden 100 Fernseher angeschafft, die Gebühren für die Nutzung ausgesetzt und die Begrenzung der Telefonzeit auf 120 Minuten wurde aufgehoben. Die Hofgänge mussten in Gruppen organisiert werden, es gab bis zu 12 Gruppen am Tag. Ein enormer Personaleinsatz war hierfür notwendig.

Im Frühjahr konnte einige Wochen nicht mehr gearbeitet werden, es fehlte Beschäftigung, da Arbeitsbetriebe schlossen. Allerdings entwickelte sich bald ein neuer Arbeitszweig: das Nähen von Masken. Alle hessischen Anstalten wurden auf diese Weise versorgt.

Trotz aller Anstrengungen stellt Kahlbaum fest: „Die Frauen sind viel mehr im Einschluss.“ Das Leben im Strafvollzug, auch im offenen Vollzug, ist wesentlich eingeschränkter. Doch die meisten Frauen können sich beschäftigen. Vor allem Nähen und Stricken sind beliebt. Deshalb sucht die Gefängnisseelsorge Spenden an Wolle, Bastelmaterialien und Spiele. Besonders begehrt sind funktionstüchtige Nähmaschinen, die aber nicht schwerer als acht Kilogramm sein dürfen. Für manche Inhaftierte ist das erworbene Nähzertifikat und eine Nähmaschine nach der Entlassung der Start für eine berufliche Zukunft.

Geldspenden können an die Evangelische Seelsorge, IBAN DE 29 5005 0201 0000 4044 97 bei der Frankfurter Sparkasse überwiesen werden. Für andere Zuwendungen nehmen Sie bitte Kontakt auf mit Susanne.Kahlbaum@jva-frankfurt3.justiz.hessen.de.

„Bleib gesund!“ sagen mir alle. Aber was, wenn ich nicht gesund bin?

von Kurt-Helmuth Eimuth 28. Dezember 2020

Zahlreiche Anschreiben und Neujahrswünsche enden derzeit mit dem wohlmeinenden Hinweis „Bleiben Sie gesund!“ Ob Versanddienst, Anschreiben zu Rechnungen oder eher private Mails: Alle wollen, dass ich gesund bleibe. Aber was, wenn ich gar nicht gesund bin?

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Ich weiß, sie sind alle gut gemeint, die Wünsche, dass man gesund bleiben soll. Angesichts der Bedrohung durch Corona sind sie auch nicht nur angebracht, sondern bitter nötig. Nur: Ich bin nicht gesund. Wie vierzig Prozent der Bevölkerung gehöre ich zu den chronisch Kranken. Ich brauche meine morgendliche Ration an Tabletten und auch die ein oder andere Spritze. Gesund ist anders.

Irgendwie höre ich da auch den Spruch mitschwingen, der häufig nach der Geburt eines Kindes gesagt wird: „Hauptsache gesund!“ Aber ist das wirklich die Hauptsache? Ist es nicht viel wichtiger, dass ein Kind von seinen Eltern geliebt wird mit all seinen Stärken und auch seinen Schwächen? Zeigt sich nicht in jedem Kind die Einzigartigkeit eines Geschöpfes Gottes, egal ob es „normal“ ist, oder besonderer Aufmerksamkeit bedarf?

„Hauptsache gesund“ klingt gut, aber es ist ebenso befremdlich wie die Aufforderung „Bleiben Sie gesund“. Wichtiger wäre es, zu sagen: „Hauptsache geliebt“. Das wäre ein nachvollziehbarer Wunsch: Geliebt zu werden als Geschöpf Gottes. Ganz ohne jede Vorbedingung. Wunderbar.

Aber was will man stattdessen in diesen Tagen Erwachsenen wünschen? „Möge sich Ihr Gesundheitszustand nicht verschlechtern?“ Nein, das geht gar nicht. Oder: „Mögen Sie verschont bleiben vom Virus“? Schon eher, aber es klingt irgendwie zu nüchtern und eigentlich nicht nett.

Früher zeichneten die Menschen sich gegenseitig beim Abschied ein Kreuz auf die Stirn und sagten sich „Gott sei mit Dir!“ Das ist sicher ein Alternative. Man könnte auch einfach sagen: „Gott segne Dich“, oder es ergänzen und hinzufügen mit „in guten und in schweren Tagen“.

Ja, genau, das wünsche ich Ihnen und mir für das neue Jahr 2021: Dass Gott uns segne, in guten und in schweren Tagen.

Nicht nur Sänger und Songwriter

Er ist eine Ikone der Flower-Power-Zeit und wurde nochmals als Achtzigjähriger in diesem Jahrzehnt populär. Leonard Cohen (1934 -2016) war weit mehr als ein Sänger und Songwriter. Er schrieb Gedichte und Romane, aber vor allem war er ein religiös Suchender. Die Tiefe im Schaffen des Künstlers beleuchtet Uwe Birnstein in seinem neuen Sachbuch“‘Hallelujah‘ Leonard Cohen!“ Dem Autor gelingt es mit viel Empathie den Leser und die Leserin mitzunehmen auf die Reise durch ein Leben, das so viele Facetten hatte, wie man es kaum für möglich hält. Stets nah an den Quellen. Man hat das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein.

Nein, der Autor will keine Biografie vorlegen. Und tut es auch nicht. Er will ermutigen, sich auf den Weg zu machen, den eigenen Horizont zu weiten, auf andere Zuzugehen, ganz ohne Ängste, Vorschriften und Scheuklappen, ganz so wie es Cohen getan hat.

Cohen ist und bleibt dabei verwurzelt in seinem jüdischen Glauben. Geprägt von Kindheit an, „nicht fanatisch, aber traditionell religiös“. Und eng verbunden mit seinem Großvater, einem Rabbi. Und Bücher gibt es im Hause Cohen. Literatur wird zu einem seiner Hobbys. Aus der gut bürgerlichen Welt Kanadas bricht er auf und landet auf der griechischen Insel Hydra. Dort begegnet er Marianne. Ja, die gibt es wirklich. Nach einer gemeinsamen Zeit sagte er ihr „so long Marianne“, und flog nach New York. Dort spielt er Judy Collins „Suzanne“ vor. Collins ist begeistert, nimmt den Song auf und er wird zum Welthit. Cohen selbst will nicht auftreten. Er könne nicht singen und auch nicht Gitarre spielen. Auf einem Festival treten sie dann gemeinsam auf. Jetzt erst fasst Cohen Zutrauen „in die geradezu magische Wirkung seiner Stimme“ (Birnstein).

Es folgen Jahre im „Drogen- und Frauenrausch“. Später bedauert er seine oberflächlichen Frauengeschichten. Mit Marianne bleibt er in Verbindung. Und noch eine Erkenntnis bricht sich Bahn: Die Drogen katalpultieren ihn zwar in tranzendente Welten, aber sie führen ihn nicht ans Ziel seiner spirituellen Suche.

Cohen sagt von sich selbst, er sei „geboren im Herzen der Bibel“. Er kennt die Geschichten, die die Bibel erzählt, von den Sorgen und Ängsten, von Liebe und Hass, von Rachegelüsten und Mitgefühl, von Sehnsüchten und Enttäuschungen. „Die biblischen Geschichten und Gedanken bringen Inspiration für das eigene Nachdenken“, so Birnstein. In zahlreichen Texten greift er zurück auf biblische Motive. Etwa im Song „Born in Chains“: Dort heißt es: „Ich wurde in Ketten geboren, doch aus Ägypten verstoßen“. Anklänge biblischer Überlieferung finden sich in zahlreichen Liedern. Etwa wenn er in „Democracy“ von der Sehnsucht nach echter Demokratie singt „Zurzeit würden die Frauen vor den ‚Brunnen der Enttäuschung‘ auf Knien beten ‘um die Gnade Gottes in dieser Wüste‘“ Das gelobte Land steht hier für die wahrhafte Demokratie. Gelegentlich überzieht Cohen mit „seiner bisweilen kruden Fantasie und depressiven Weltsicht.“ Etwa wenn er eigene sexuelle Erlebnisse mit biblischen Assoziationen vermengt.

Birnstein bezeichnet David als biblischen Seelenbruder Cohens. David lebte als Freischärler und Frauenheld und wurde schließlich zum König Israels gekrönt. Die Geschichte des Ehebruchs mit Batseba hat Cohen in seinem Welthit „Hallelujah“ verarbeitet. In der ersten Strophe will der Musiker König David Gott mit einem geheimen Akkord gnädig stimmen. Und es folgt fast litaneiartig das Gotteslob „Hallelujah“. In der zweiten Strophe spricht Cohen eine Person an. „Dein Glaube war stark, aber du brauchtest Beweise“, heißt es „du sahst das Mondlicht auf dem Dach, ihre Schönheit und das Mondlicht haben dich überwältigt.“ Hier spielt Cohen darauf an, dass König David Batseba beim Baden zusah. Doch plötzlich wechselt die Szene und die Schöne bindet den verliebten König an den Küchenstuhl und schneidet seine Haare ab. Ein Motiv, dass an Simson erinnert, der Liebestrunken seiner Geliebten Delila das Geheimnis seiner Macht verrät, das in seinen Haaren wurzelt. Sie schneidet ihm die Locken ab.

Die Gebrochenheit des Lebens drückt sich auch in seinem Hallelujah aus. Cohen kommentiert es so: „Der Song erklärt, dass es mehrere Formen des Hallelujah gibt und dass alle perfekten und gebrochenen Hallelujahs dieselbe Wertigkeit haben.“

Cohen treibt aber das Thema noch weiter. Er verbindet Religion und Sexualität. „Denk dran, als ich mich in dir bewegte, da bewegte sich mit uns der Heilige Geist. Und jeder unserer Atemzüge war ein Hallelujah.“ Birnstein folgert: „Körperliche Vereinigung sei – oder sollte es sein- auch eine spirituelle Angelegenheit.“

Der Song wird zu einem der meistgecoverten Songs der Popgeschichte, leider oft verkitscht oder gar missbraucht, etwa im Einsatz für Donald Trump. Dabei ist das Lied ein Plädoyer für Demut und wendet sich gegen jede Form von Triumphalismus.

Die spirituelle Suche Cohens geht weiter. Er ist zwar berühmt und begehrt, fällt aber immer wieder in tiefe Depressionen. Selbst den Psychokult Scientology probiert er kurz aus. Doch er erkennt die Banalität dieses Systems schnell. 1969 begegnet er dem buddhistischen Zen-Meister Roshi. Cohen verbringt viel Zeit im buddhistischen Kloster. Roshi begleitet ihn sogar auf Tourneen. Doch der jüdische Glaube bleibt trotz aller Suchbewegungen weiterhin die religiöse Wurzel Cohens. 1993 zieht es ihn ganz ins Kloster. Er braucht Struktur. 1996 wird er zum Mönch ordiniert. Er blieb bis 1999 im Kloster.

In zahlreichen Werken setzt er sich auch mit Jesus auseinander. Auch ganz privat ist Cohen offen. Er schreibt an einem Weihnachtstag in sein Notizbuch: „Ich habe zu dem gebetet, um den es geht“. Erst seine tiefe Verwurzelung im Judentum macht dies möglich.

Cohen geht in den 2000er Jahren wieder auf Welt-Tournee. Seine Depressionen sind überstanden und die Notwendigkeit liegt auf der Hand. Während seines Klosteraufenthalts hat seine Vertraute und Managerin mehrere Millionen veruntreut. Seine letzte CD „You want it darker“ ist ein inniges, haderndes Gebet zu Gott. „Als würde die Sonne ihre Strahlen verlieren / und wir in endloser Nacht vegetieren / und es gäbe nichts mehr zu fühlen: / Genauso würde mir die Welt erscheinen, / gäbe es deine Liebe nicht.“ Cohen setzt sich mit dem Tod auseinander. Gerde hat er die Nachricht vom unheilbaren Blutkrebs von Marianne erhalten. Er schreibt ihr: „Liebste Marianne, ich bin ein kleines Stückchen hinter dir, nah genug, um deine Hand zu nehmen. Mein alter Körper hat aufgegeben, ganz so, wie es deiner getan hat, und es kann nur noch Tage dauern, bis der Räumungsbescheid abgeschickt wird. Ich habe deine Liebe und deine Schönheit nie vergessen.“

Uwe Birnstein hat uns für die Hintergründigkeit, für die Vielschichtigkeit und Gebrochenheit Leonhard Cohens die Augen geöffnet. Informativ, fesselnd, bewegend.

Kurt-Helmuth Eimuth

Uwe Birnstein, „Hallelujah“, Leomhard Cohen!132 S. Verlag Neue Stadt, 16.-

Unternehmen auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichten

Kinderarbeit auf Zuckerrohrfeldern auf den Philippinen: Fast jedes zehnte Kind im Alter zwischen fünf und 17 Jahren arbeitet für seinen Lebensunterhalt. Foto: Brot für die Welt

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau ist der Initiative für ein Lieferkettengesetz beigetreten, das dabei helfen soll, Kinderarbeit zu verhindern. Deutsche Unternehmen müssten dann dafür sorgen, dass auch ihre Zulieferer aus anderen Ländern die Menschenrechte einhalten.

Kinderarbeit ist hierzulande kaum vorstellbar. Und doch arbeiten weltweit 152 Millionen Kinder für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien. Etwa die Hälfte von ihnen ist gerade mal fünf bis elf Jahre alt. Kinderarbeit ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte.

Zahlreiche Organisationen fordern deshalb ein Lieferkettengesetz, das diesem Missstand etwas entgegensetzt. Demnach müssten deutsche Unternehmen ab 500 Mitarbeiter:innen dafür sorgen, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Zulieferer in anderen Ländern die Menschenrechte achten und Umweltzerstörung meiden. Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, sollten dafür auch haften. Das würde bedeuten, dass Betroffene auch in Deutschland Entschädigungen einklagen könnten.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat auf ihrer Synode im November beschlossen, sich der europaweiten „Initiative Lieferkettengesetz“ anzuschließen. Zudem will die Kirche stärker als bisher auf eine öko-faire Beschaffung von Materialien achten.

Die deutsche Politik ist sich in Bezug auf ein Lieferkettengesetz uneinig. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich dafür ausgesprochen, und auch Entwicklungshilfeminister Gerd Müller lässt sich auf den Internetseiten des Ministeriums so zitieren: „Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit darf nicht Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres Wohlstandes sein.“

Das Wirtschaftsministerium allerdings ist gegen einen „nationalen Alleingang“. Dabei fordern inzwischen sogar schon mehr als 60 große Unternehmen ein solches Lieferkettengesetz, darunter Tchibo, Rewe, Nestle und Alfred Ritter (Ritter Sport). Sie haben ein Interesse an einer gesetzlichen Regelung, denn ansonsten befürchten Firmen, die sich an solche Standards halten, Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu Unternehmen, die es nicht tun.

Das kirchliche Hilfswerk „Brot für die Welt“, das schon seit einigen Jahren für ein solches Gesetz kämpft, weist darauf hin, dass auch deutsche Unternehmen in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. In Textilfabriken in Serbien und Nicaragua arbeiteten Näherinnen zu niedrigsten Löhnen und miserablen Bedingungen für europäische Modemarken. Im Jahr 2012 wurden 34 streikende Arbeiter der Marikana-Mine in Südafrika erschossen, zu deren größten Kunden bis heute der deutsche Chemiekonzern BASF zählt. Im selben Jahr starben wegen mangelnden Brandschutzes 258 Menschen in einer Zulieferfabrik des deutschen Textildiscounters KiK in Pakistan.

Doch neben solchen Gesetzen müsse auch die Ursache für Kinderarbeit bekämpft werden, nämlich die Armut: „Nur wenn die Eltern einen Weg aus der Armut finden, haben die Kinder eine Chance“, heißt es in einer Broschüre des Hilfswerks.

Kurt-Helmuth Eimuth

Frankfurter aus Afrika: Ein Buch erinnert an Jean Claude Diallo

„Jean-Claude Diallo – Ein Frankfurter aus Afrika“, 264 Seiten, erschienen im Nomen Verlag

Der Buchtitel hätte nicht besser gewählt werden können. „Ein Frankfurter aus Afrika“ zeichnet ein buntes Mosaik eines ungewöhnlichen Menschen mit einer unglaublichen Biographie; fest verwurzelt in seinem Geburtsland Guinea, wo Jean Claude Diallo in einer kurzen Phase des demokratischen Aufbruchs Minister wurde, sowie in Frankfurt, wo er als erster Schwarzafrikaner die Position eines Stadtrats und Dezernenten für Integration übernahm. Im Evangelischen Regionalverband leitete er den Fachbereich für Ökumene und Ausländerarbeit. In einem von Diallos Ehefrau Barbara Gressert-Diallo herausgegebenen Buch kommen jetzt zahlreiche Weggefährt:innen des 2008 im Alter von 60 Jahren verstorbenen Psychologen zu Wort.

Die vielen unterschiedlichen Perspektiven lassen nicht nur ein lebendiges Bild des Menschen Diallo entstehen, sie zeigen auch sein großes Netzwerk. Als Student bricht Diallo auf, um in Europa zu studieren. Doch bald wird er eingeholt von den Vorgängen in seinem Heimatland Guinea. Diktator Sékou Touré brach damals die Beziehungen zu zahlreichen westeuropäischen Ländern ab, und die Studenten mussten 1971 die BRD verlassen und sich in Rom versammeln, wie Diallos Studienfreund Ansoumane Camara berichtet. Es ist spannend nachzulesen, wie er die Zeit dort verbrachte, schließlich in der Schweiz studierte und schon damals sich eine Gruppe Guineer um ihn versammelte. Man kann sich gut vorstellen, wie die Studentenbude zum Treffpunkt wurde.

Durch Zufall hörte Jean Claude Diallo 1980 im Radio davon, dass die Evangelische Kirche in Frankfurt einen Psychologen für die Arbeit mit politisch Geflüchteten in ihrem Psychosozialen Zentrum (PSZ) suchte. So kam er nach Frankfurt und begann seine Laufbahn beim Evangelischen Regionalverband. 1984 ging er allerdings nach dem Tod von Touré, nach 15 Jahren im Exil, erst einmal zurück nach Conakry, in die Hauptstadt Guineas. Dort lernte er den neuen Staatschef Lansana Conté kennen und wurde noch im selben Jahr zum Staatssekretär, später zum Minister für Information und Kultur ernannt. Malte Rauch berichtet über ein aufregendes Filmprojekt damals mit Diallo. Nicht nur in die politische Situation wird Einblick gewährt, sondern auch in die soziale Lage eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Haus und Dienstwagen war die finanzielle Absicherung für die Familie damals nicht gesichert, wie Barbara Gressert-Diallo sich erinnert: „Unsere Bemühungen, ein ruhiges und normales Leben zu führen, wurden immer wieder durch nicht vorhersehbare Ereignisse unterbrochen.“ Mit 300 DM Ministergehalt kam man selbst in Guinea nicht weit.

Victor Pfaff beschreibt in dem Buch den Rücktritt vom Ministeramt und die fluchtartige Rückkehr nach Deutschland. Der Anwalt für Flüchtlingsfragen hatte Diallo damals in Afrika besucht. Er schreibt: „Jean Claude hatte zwei Eigenschaften in das Amt mitgebracht, die unter den gegebenen Bedingungen völlig fehl am Platze waren: Er war Gestalter und er war unbestechlich. Vor allem das Letztere erwies sich als lebensgefährlich.“ Nach beruflicher Tätigkeit in Düsseldorf übernahm Diallo bald die Leitung des PSZ in Frankfurt, später dann Leitung des Fachbereichs Ökumene und Ausländerarbeit des Evangelischen Regionalverbandes, zu dem zahlreiche Bildungs- und Therapieeinrichtungen gehörten. Seine damalige Stellvertreterin Angelika Berghofer-Sierra erinnert sich: „Er entschied nicht über die Köpfe der Mitarbeitenden hinweg. Häufig lagen vor Entscheidungen lange Diskussionsprozesse.“

Auch am Main mischte sich der Frankfurter aus Afrika politisch ein. Ab 1997 gehörte er als Stadtrat und Dezernent für Integration dem Magistrat der Stadt an. Jutta Ebeling, Bürgermeisterin und Bildungsdezernentin nennt Diallo „einen Glücksfall für die Stadt“. Und weiter: „Er war das intellektuelle wie sinnlich anschauliche Symbol für eine Politik der Multikulturalität.“

Einen tiefen Einblick in das Familienleben gewähren in dem Buch die vier Kinder. Ob Riten oder die ausgedehnten Urlaubsfahrten: Jean Claude Diallos Leben hatte viele Facetten, eben auch die des Familienvaters. Er legte Wert auf Rituale. So bat er kurz vor seinem Tod zu einem gemeinsamen Essen in intimer Runde. „Wenn man seinen christlichen Glauben kannte und seinen traditionellen Glauben kannte, wusste man: Da schwingt jetzt ein wenig Motivationstrainer kombiniert mit einer Prise Übersinnlichem mit.“

Die Offenheit für Neues zeigte sich auch in Diallos Mitgliedschaft bei den Freimaurern. Seinem Sohn David gegenüber begründete er sie so: „Weißt du, diese Treffen tun mir so gut. Einmal nur unter Männern zu sein ist etwas anderes, es ist für mich erholsam und entspannend.“

Neben diesen und weiteren Berichten von Menschen, die Diallo kannten, enthält das Buch auch Texte von Diallo selbst, die belegen, für welche Ideale er gekämpft hat. Besonders beeindruckend ist ein Beitrag mit dem Titel „Der Mann aus der Zelle 18“ über die Entwürdigung und Folterung eines politisch Verfolgten.

In dem Erinnerungsband wird die ganze Bandbreite von Diallos Leben ausgebreitet, ohne ihn zu glorifizieren. Diallo nahm die Herausforderungen des Lebens an und behielt seine Ideale fest im Blick. Dabei verbreitete er eine von Lebensfreude durchdrungene Atmosphäre. Wenn er freundlich lächelnd in seinen afrikanischen Gewändern über die Flure des Dominikanerklosters, dem Sitz des Evangelischen Regionalverbandes, schritt, spürte man etwas von seiner gewinnenden Persönlichkeit.

Für alle, die ihn kannten, wird beim Lesen dieses Buches vieles wieder in Erinnerung gerufen. Aber es ist auch lesenswert für die, die ihn nicht kannten. Denn nicht nur ein Leben wird hier lebendig, sondern auch gesellschaftliche Spannungen und Konflikte, die sich gar nicht so sehr von den heutigen unterscheiden.

Kurt-Helmuth Eimuth