Tag Archiv für Bonhoeffer

17. Sonntag nach Trinitatis 29.9.96

Michaelistag, Hebr. 1,7.13-14

Pfarrerin Marion Eimuth

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 437, 1-3

Pfarrerin: Psalm 91:

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt

und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,

der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und

meine Burg,

mein Gott, auf den ich hoffe.

Denn er errettet dich vom Strick des Jägers

und von der verderblichen Pest.

Er wird dich mit seinen Fittichen decken,

und Zuflucht wirst du haben unter seinen

Flügeln.

Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,

daß du nicht erschrecken mußt vor dem Grauen

der Nacht,

vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,

vor der Pest, die im Finstern schleicht,

vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.

Denn der Herr ist deine Zuversicht,

der Höchste ist deine Zuflucht.

Es wird dir kein Übel begegnen,

und keine Plage wird sich deinem Hause nahen.

Denn er hat seinen Engeln befohlen,

daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen,

daß sie dich auf den Händen tragen

und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Über Löwen und Ottern wirst du gehen

und junge Löwen und Drachen niedertreten.

„Er liebt mich, darum will ich ihn erretten;

er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.

Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not,

Ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.

Ich will ihn sättigen mit langem Leben

und will ihm zeigen mein Heil“.

Kommt , laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Gott, himmlischer Vater, du kennst uns, dir vertrauen wir uns an: Oft sind wir nur auf uns selbst bedacht und sehen nicht die Menschen, die uns entgegenkommen. Oft sind wir nur von uns selbst überzeugt und achten nicht auf die Worte, mit denen du uns weiterhilfst. Oft sind wir nur von der Hektik des Alltags bestimmt und übersehen die Momente, in denen sich der Himmel öffnet. So bitten wir: Öffne du unsere Ohren und Herzen, hilf uns zu achten auf die Menschen, auf dein Wort, auf deine Liebe.

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Weil Gottes gute Mächte uns behüten und bewahren auf unseren Wegen, stimmen wir ein in das Lob:

„Ehre sei Gott in der Höhe:“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Gott des Himmels und der Erde,

in vielfältiger Weise kommst du uns nahe,

schenkst uns deine Liebe und Gnade.

Laß deine Engel bei uns sein,

daß sie uns begleiten auf unserem Weg,

daß sie uns Freude schenken

und neue Möglichkeiten zeigen.

Laß uns durch sie deine Nähe erfahren.

Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

Josua 5, 13-15

Und es begab sich, als Josua bei Jericho war, daß er seine Augen aufhob und gewahr wurde, daß ein Mann ihm gegenüberstand und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte. und Josua ging zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden? Er sprach: Nein, sondern ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde nieder, betete an und sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem Knecht? Und der Fürst über das Heer des Herrn sprach zu Josua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst, ist heilig. Und so tat Josua.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 346, 1+3+4

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Mt. 18, 1-5.10

Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied 331, 1-3+5+10

Pfarrerin: Predigt:

Hebr. 1, 7.13-14

Von den Engeln spricht er zwar: „Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen“,

Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache?“

Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?

Liebe Gemeinde,

Heute ist Michaelistag, der Tag des Erzengels Michael. Übersetzt heißt er: „wer (ist) wie Gott?“

Michael wurde zum Schutzpatron des deutschen Volkes, daher später „der deutsche Michel“. Luther hat das Fest des Erzengels Michael hochgeschätzt.

In einer Überlieferung heißt es: „er ist der Schlüsselbewahrer des Himmelreiches, nimmt die Gebete der Menschen entgegen und trägt die guten Werke der Frommen zu Gott empor“.

Der Tag an dem dem Engel Michael, eben Michaelis, gedacht wird, ist Grund genug, auch heute an diesem Sonntag über das Wirken der Engel nachzudenken.

Sicherlich kennen viele von Ihnen den Abendsegen aus Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“:

Abends, will ich schlafen gehn,

vierzehn Engel um mich stehn:

zwei zu meinen Häupten,

zwei zu meinen Füßen,

zwei zu meiner Rechten,

zwei zu meiner Linken,

zweie, die mich decken,

zweie, die mich wecken,

zweie, die mich weisen,

zu Himmels Paradeisen!

Für Kinder ist die Welt voller Geheimnisse und Wunder. Sie können mehr sehen und erfahren, weil für sie alles möglich ist und die Welt noch nicht festgelegt. Die meisten haben das verlernt, als sie erwachsen wurden. Vernünftig und aufgeklärt trauen wir den kleinen Wundern des Alltags nicht mehr – und so sind auch die Engel in Vergessenheit geraten.

Doch in der Bibel wird viel erzählt von Gottes Engeln, immer wieder begegnen Menschen ihnen – von den Anfängen bis zu den Visionen des Johannes. Engel lassen die Menschen erfahren, was Gott ihnen Gutes bringt: Sie helfen und schützen, sie bringen Menschen auf den Weg und trösten. Sie gehen mit auf dem Weg des Volkes Israel durch die Wüste, und ein Engel sagt Maria die Geburt Jesu an. Dabei spielt es keine Rolle, wie die Engel aussehen, ja, das kann sogar sehr verschieden sein: Sichtbar oder unsichtbar, manchmal in der Gestalt von Menschen erscheinen sie. Im Hebräerbrief wird knapp zusammengefaßt, was sich über die Engel sagen läßt: „Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?“

Dem Schreiber des Hebräerbriefes kommt es darauf an: Engel gelten nichts für sich, sie gehen ganz auf in ihrem Auftrag: Als dienstbare Geister bringen sie Gottes Güte unter die Menschen: Engel helfen und begleiten Menschen, Engel kündigen Neues an.

So sind die Engel nicht faßbar, nicht dingfest zu machen. Und doch läßt sich ihr Wirken erfahren: Wie sie uns schützen und ermutigen, wie sie uns Gottes Liebe nahebringen. Darum möchte ich von den Engeln nicht allgemein reden, sondern ihre Spuren im Alltag und in der Bibel suchen; von vier solcher Spuren will ich erzählen.

„Sie sind ein Engel“, sagte die alte Frau und sah ihre Nachbarin freudestrahlend an. Die war gerade hereingekommen mit einer schweren Einkaufstasche. Seit die Frau nach ihrer Operation nicht mehr so gut gehen konnte, war sie darauf angewiesen, daß ab und an jemand für sie einkaufen ging. Schön, daß ihre Nachbarin dazu Zeit hatte.

Du bist ein Engel – meist ist ein solcher Satz wohl einfach so, halbernst, dahingesagt. Und doch: Mindestens in unserer Sprache haben sie sich gehalten. Menschen, die uns helfen, die uns Gutes tun, werden als Engel bezeichnet. Mein Engel wird die Geliebte genannt, und die Helferinnen im Krankenhaus heißen rosa Engel. Hinter solchen Worten verbirgt sich vermutlich oft mehr: ein Wissen darum, daß die Engel nicht ausgestorben sind, daß ihre Spuren mitten in unserer modernen Welt zu finden sind. Es gibt eine Sehnsucht danach, auch heute Gottes Engel zu begegnen.

Wie das geschehen kann, dazu gibt der Hebräerbrief einen Hinweis: „Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn dadurch haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ Gastfreundschaft, das ist auch die Freundlichkeit gegenüber Fremden. Menschen aus anderen Ländern und Kulturen freundlich aufzunehmen, das ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, denn hier wird gesagt: „Dadurch haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ Wie eintönig verliefe unser Leben, wären da nicht die Begegnungen mit unbekannten Menschen. Sie weiten den Horizont und zeigen, wie bunt und vielfältig das Leben sein kann. In der Begegnung öffnet sich die Welt der Engel.

Müde war der Prophet Elia. Einfach müde und enttäuscht. Darum zog er sich zurück, ganz allein in die Wüste. Von den Menschen wollte er nichts mehr wissen. Und auch von Gott nicht. So legte er sich, es konnte ihn nichts mehr halten. Er wollte nur noch Ruhe, schlafen, sterben. Es ist genug, sprach er, so nimm nun, Herr, meine Seele.

Wer weiß, wie lange er so gelegen hat und geschlafen. Auf einmal erwachte er. Der Duft von frisch gebackenem Brot hatte ihn aufgeweckt: Oder war es ein Engel, der gesagt hatte: Steh auf und iß? Er richtete sich auf und schaute um sich. Fladenbrot lag da, und daneben stand ein Krug voll frischen Wassers. Elia merkte, wie seine Lebensgeister sich wieder regten. Noch hielt ihn aber seine Müdigkeit, und er legte sich wieder schlafen. Und wieder spürte er, wie ein Engel ihn anrührte und sagte: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und da aß Elia vom Brot, trank Wasser und ging los – auf den Weg ins Leben.

Der Engel hat ihn auf den Weg gebracht. Ein Bote Gottes, der ins Leben zurückruft. Er ist da – im richtigen Moment. Als Elia ganz am Ende ist, gefangen in seiner Depression. Ohne Mut und Hoffnung. Da ist der Engel bei ihm und rührt ihn an. Er läßt Elia nicht fallen in die Schatten des Todes, sondern holt ihn heraus. Mit Hilfe des Engels kommt Elia wieder auf die Beine, seine Verzweiflung wandelt sich in neuen Mut, und der Engel zeigt ihm: Du bist noch nicht am Ende, du hast noch viel vor dir.

Wie gut, daß es Engel gibt. Sie zeigen uns die Möglichkeiten des Lebens, gerade wenn alle Wege verschlossen scheinen. Der Schmerz kann allen Lebensmut verzehren. Die Engel zeigen uns, daß das Leben noch viele Möglichkeiten für uns bereithält, von denen wir noch gar nicht wissen.

„Der hat aber einen Schutzengel gehabt“ – heißt es. Nach einem gefährlichen Unfall ist er noch einmal glimpflich davongekommen, es hätte ganz anders ausgehen können. Aber das ist wohl meistens nur schnell dahingesagt, das mit dem Schutzengel. Wer glaubt denn wirklich, daß es ein Schutzengel war? Immerhin, in solchen Worten kommt wohl eine Sehnsucht zum Ausdruck – nach dem, was wir als Kinder einfach so glauben konnten: daß wir nicht alleingelassen sind in den Gefahren des Lebens. Die Sehnsucht, daß unser Leben in guten Händen ist.

Für Martin Luther war das selbstverständlich. In seinem Morgengebet heißt es: „Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde.“ So sollte jeder Tag beginnen: mit der Bitte, daß Gottes Engel bei uns ist. Der kann uns begleiten und trösten, der bietet uns Schutz und öffnet uns die Augen, für den Himmel über uns und in uns. Der Engel, den Luther meint, ist die gute Macht Gottes, die jedem persönlich gilt. Gott ist für uns unverfügbar, und doch ist seine Liebe erfahrbar im Engel, der uns begleitet. So wie ein Kind begleitet und geführt wird von der Hand der Mutter oder des Vaters, so geht im Engel Gott mit ins.

Das ist freilich keine Garantie für ein sorgenfreies Leben; so, als könnte uns nichts passieren, weil die Schutzengel schon auf uns aufpassen. Aber im Vertrauen auf Gottes Engel kann ich wissen: Ich bin nicht allein auf den Wegen des Lebens. Ich bleibe behütet im Auf und Ab des Alltags. Trotz aller Probleme, Gefahren und Auforderungen: Ich bleibe geborgen im Schutz des Engels Gottes. In dem eben gehörten Psalm heißt es: „Gott hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen“.

Meistens singen oder musizieren Engel. So jedenfalls hat es den Anschein, wenn man sich ältere Darstellungen von Engeln ansieht. Warum werden Engel so oft singend und musizierend dargestellt? habe ich mich gefragt; und ich glaube: Die Musik der Engel ist wie eine Melodie mitten in der Nacht. Mitten in einer Welt voll Streit und Haß ertönt leise diese Melodie von Frieden und Hoffnung, von Gottes Reich. Die Musik der Engel verrät uns: Es gibt noch mehr als das, was wir sehen; wir bleiben gehalten von Gottes Kraft. Dietrich Bonhoeffer hat das in seiner Haft in einem Brief an seine Braut so zum Ausdruck gebracht:

„Deine Gebete, gute Gedanken, Worte aus der Bibel, längst vergangene Gespräche, Musikstücke und Bücher – das alles gewinnt Leben und Realität wie nie zuvor. Es ist eine große unsichtbare Welt, in der man lebt. An ihrer Realität gibt es keinen Zweifel. Wenn es in dem alten Kirchenlied von den Engeln heißt: zwei, um mich zu decken; zwei, um mich zu wecken – so ist diese Bewahrung durch gute unsichtbare Mächte am Morgen und in der Nacht etwas, das Erwachsene heute genau so brauchen wie die Kinder. Darum sollst du nicht denken, ich wäre unglücklich.“

Wohlgemerkt, das schreibt Bonhoeffer wenige Monate vor seiner Hinrichtung. Die Schrecken von Bombennächten und Naziterror bestimmen seine Tage; und doch weiß er mitten im Leid um die andere Dimension des Lebens. Mitten im Unfrieden der Welt bleibt leise die Musik der Engel.

Amen.

Gemeinde: Lied 142, 1+2+5+6

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 170 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Guter Gott,

Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren,

der du uns nahe kommst in deinen Boten, den Engeln,

wir bitten dich:

für alle, die einsam oder allein sind: daß sie Nähe erfahren;

für die, die um einen geliebten Menschen trauern: daß sie Trost finden;

für die Kranken in der Nähe und in der Ferne: daß sie Kraft bekommen;

für die Verzweifelten, die aufgeben wollen: daß sie wieder Mut schöpfen;

für alle, die leiden unter den Ungerechtigkeiten: daß sie Recht erfahren;

für alle, die sich nach einem besseren Leben sehnen: daß sie Leben in Fülle finden.

Laß deine Engel unter uns gegenwärtig sein:

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel

Gottvertrauen

Pfarrerin Marion Eimuth

10.11.1996

Predigt, 1. Thess.5,1-6

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Immer wieder tauchen die alten quälenden Fragen auf: Wer bin ich? Woran soll ich glauben? Was ist richtig und falsch? Was soll ich tun? Woher komme ich und wohin gehe ich? Es sind die Fragen nach dem Sinn des Lebens. Die Antworten darauf werden von den Kirchen erwartet.

Antworten der gleichen Art wurden auch von Paulus erwartet, der in Thessalonich eine Gemeinde gegründet hatte und zwar schon recht früh. Nachdem Paulus in Philippi große Mißhandlungen erlitten hatte, hat er den Mut in Thessalonich die frohe Botschaft weiter zu predigen. Zur Gemeinde zählten gottesfürchtige Griechen, vor allem auch vornehme Damen der Stadt.

Paulus hatte den Thessalonichern das bevorstehende Kommen Christi verkündigt. Nun, da Paulus weitergereist ist erwarten sie die Wiederkunft Jesu noch zu ihren Lebzeiten. Aber schon einige Jahre waren vergangen und etliche Gemeindeglieder bereits gestorben.

Die Sorge der Thessalonicher mußte brieflich verhandelt werden. Sie fragen Paulus:

Wann kommt Jesus denn nun? Unsere lieben Verstorbenen haben seine Wiederkunft nicht erlebt – sind sie dann von dem Heil, das Jesus uns bringen wird, ausgeschlossen? Und werden wir ihn empfangen können, oder sind auch wir von der Seligkeit ausgeschlossen, wenn wir vorher sterben?

Auf diese Fragen anwortet Paulus:

1. Thess. 5, 1-6

Über Zeit und Stunde, Brüder und Schwestern, brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selbst wißt genau, daß der Tag des Heern kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit! kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau, und es gibt kein Entrinnen. Ihr aber, Brüder und Schwestern, lebt nich im Finstern, so daß euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann. Ihr alle seid Söhne und Töchter des Lichts und Söhne und Töchter des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.

Das Entscheidende sind nicht Zeit und Stunde.

Entscheidend ist der Glaube, zu dem ihr gekommen seid, und die Hoffnung auf Gott. Mit Liebe beantwortet er die Fragen seiner Gemeinde: Ihr seid zu dem Glauben an Christus gekommen, das ist eine Hoffnung, die über Zeiten und Stunden hinausgeht.

Ihr habt den Glauben, daß Christus gestorben und auferstanden ist. In diesem Glauben sind eure Angehörigen gestorben.

Dieser Glaube macht euch und eure verstorbenen Angehörigen unverbrüchlich zu Kindern des Lichts. Die Auferstehung Christi ist grenzenlos, sie umfaßt auch eure Toten. In diesem Glauben bleibt, lebt darin, festigt euch darin. Dann kann Jesus wiederkommen, wann er will und wie er will – ihr seid immer schon mit ihm verbunden. Bleibt auf eurem Weg.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß die Fragen der Thessalonicher uns nicht mehr betreffen. Wem macht es das Herz schwer, daß er Jesus zu seinen Lebzeiten vielleicht nicht mehr begegenen wird? Doch diese Fragen und die Antwort des Paulus beinhalten ein menschliches Grundthema, ein christliches Grundthema, das auch uns betrifft.

Da hat etwas begonnen, z.B. die Arbeit für das Reich Gottes, aber das Reich Gottes ist unendlich fern. Wir leben und arbeiten für Ziele, aus unserem Glauben heraus, auf Gottes Wort hin, aber die Erfüllung, der „Erfolg“ bleibt aus. Unsere Fragen könnten vielleicht so lauten:

Wann endlich verändert sich denn etwas hin zu Friede und Gerechtigkeit? Wann fruchtet unsere Arbeit mit den Kindern- und Jugendlichen. Wann gelingt es uns, die Ohren für die Probleme der Obdachlosen zu öffnen – anstatt wie hier in Frankfurt eine „Gefahrenabwehrverordnung“ zu erlassen.

Wann kommt Gottes Reich? Wie kann es gelingen, daraufhin zu leben angesichts ausbleibender „Erfolge“, ausbleibender Veränderungen?

Das Reich Gottes ist kaum wahrnehmbar, leben wir Christinnen und Christen wirklich in einer begründeten Hoffnung?

Gerade zur Jahrtausendwende macht sich wieder eine Angst vor dem Weltuntergang breit. Da kommen eine Vielzahl von neuen religiösen Gruppen auf, die sich dieser Endzeitstimmung bemächtigen. Versprechen das Heil und Überleben nur in ihrer jeweiligen Gruppe und nutzten die Ängste der Menschen schamlos aus.

Doch bereits Tausend Jahre zuvor gab es das auch schon einmal. Damals hat man Zeichen des nahen Endes gesammelt und das eigene Leben im Licht dieser Endzeichen gedeutet. In der damaligen Frömmigkeit drückte sich die Endzeitfurcht auch dadurch aus, daß man möglichst viele gute Werke tun wollte: Höchste Aktivität und baldige Erwartung des Jüngsten Tages schließen sich nicht aus.

„Über Zeit und Stunde brauche ich euch nicht zu schreiben“, so Paulus.

Das ist manchmal ganz schön schwer, so völlig auf sein Gottvertrauen und auf die Hoffnung verwiesen zu sein, eine Hoffnung, die nicht sieht, die unabhängig ist von „Erfolg“, von sichtbarer Erfüllung.

„Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“. Völlig überraschend, unberechenbar.

Manchmal ist der Tag Gottes heute. Heute, wenn Mauern fallen. Heute, wenn Versöhnung gelingt. Heute, wenn ein Mensch endlich aus seiner Trauer heraustritt. Heute, wenn ein Durchbruch gelingt, plitisch, seelisch, gesundheitlich…

Heute ist Gottes Tag, wo wir hier Gottesdienst feiern, sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes in dieser Welt. Und wie gering auch immer unser Christsein gegenüber der Finsternis dieser Welt sein mag: es ist doch Gottes Anwesenheit in dieser Welt. Durch uns hindurch. Gott kommt, wann und wie er will. In kleinen Ereignissen, in großen Umwälzungen. In kleinen Leuten, seltener in großen Leuten. Wann Gottes Reich ganz und gar verwirklicht sein wird – da müssen wir uns dieselbe Antwort gefallen lassen wie die Thessalonicher. Ihr seid Kinder des Lichts. Bleibt auf eurem Weg. Festigt euren Glauben. Zeit und Stunde sind unwichtig. Ihr seid doch sowieso mit Gott verbunden.

Einer, der sich mit Gott auch in der Gefangenschaft im Konzentrationslager verbunden fühlte, war Dietrich Bonhoeffer.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich träte aus meiner Zelle,

gelassen und heiter und fest

wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar,

als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,

ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig, lächelnd und stolz,

wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich,

was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das,

was ich selbst von mir weiß?

unruhig, sehnsüchtig, krank,

wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem,

als würgte mir einer die Kehle,

hungernd nach Farben, nach Blumen,

nach Vogelstimmen,

dürstend nach guten Worten,

nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür

und kleinlichste Kränkung,

umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde

in endloser Ferne,

müde und leer zum Beten, zum Denken,

zum Schaffen,

matt und bereit,

von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser

und morgen ein anderer?

Bin ich beides zugleich?

Vor Menschen ein Heuchler

und vor mir selbst

ein verächtlich, wehleidiger Schwächling?

Oder gleicht, was in mir noch ist,

dem geschlagenen Heer,

das in Unordnung weicht

vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.

Wer ich auch bin, du kennst mich,

Dein bin ich, O Gott!

Bonhoeffer hat diesen Text im Gefängnis und kurz vor seinem Tod geschrieben. Er ist fern von seinen Freunden und seiner Arbeit, zurückgeworfen auf die Frage Wer bin ich? Und Bonhoeffer antwortet: „Wer ich auch bin, du weißt es.“ Das ist Glaube und das ist die große Erwachsenheit diese Frage sich selber unbeantwortet zu lassen.

Und so stürzt Bonhoeffer sich im Gebet aus dieser Frage in den freien Fall: Dein bin ich, o Gott. Und er hofft, daß er nicht in eisige Abgründe fällt. Er hofft, daß sein Name aufgeschrieben ist im Buch des Lebens, auch wenn er ihn selber noch nicht kennt.

Das ist genau der Glaube, den Paulus sich wünschte. Paulus lehrt uns auch in ausweglosen Situationen Gottvertrauen zu haben. Bonhoeffer hatte es.

Amen.