Tag Archiv für evangelisch

Kirche für verschiedene Welten und Milieus

Wie wird sich die evangelische Kirche in den nächsten zehn, zwanzig Jahren verändern? Was bedeuten die gegenwärtigen Reformdebatten konkret für die Stadt Frankfurt? Ein Gespräch mit Pfarrerin Esther Gebhardt und Professor Wolfgang Nethöfel.

Welche Bedeutung haben die gegenwärtigen Reformdebatten (siehe unten) für die evangelische Kirche in Frankfurt?

Gebhardt: In allen Papieren wird zum ersten Mal die besondere Situation der Großstadt gewertet und gewichtet. In Frankfurt hatten wir es immer schwer, zu vermitteln, dass wir eigene Arbeitsschwerpunkte bilden müssen und dass wir die Notwendigkeit zur Veränderung oft schon viel früher erleben und erkennen. Das klassische Gemeindemodell greift hier schon längst nicht mehr so, wie es vielleicht in ländlicheren Gebieten noch vorhanden ist.

Nethöfel: Frankfurt hat als Stadt ja auch eine europaweite Bedeutung. Entwicklungen zeigen sich hier nicht nur besonders schnell, sie verdichten sich auch stärker. Ich bin Kirchenvorsteher im Bahnhofsviertel, und das ist mit all seinen Problemen ein besonderer Stadtbezirk, wie er eigentlich nur mit Berlin und mit New York vergleichbar ist. Wir haben also eine Modellfunktion, und wir können mit guten Gründen sagen, dass wir hier in Frankfurt andere und teilweise auch mehr Ressourcen brauchen.

Foto: Rolf Oeser

Foto: Rolf Oeser

Hat sich die klassische Ortsgemeinde in Frankfurt überlebt?

Nethöfel: Das kann man so nicht sagen. Man kann aber in Frankfurt besonders gut zeigen, dass die traditionelle Ortsgemeinde nicht die einzige Gemeindeform sein kann. Wir brauchen unterschiedliche Gemeindeformen, und dafür muss man kirchenorganisatorisch einen Rahmen finden.

Gebhardt: In der Vergangenheit ist die Diskussion meist als ein Entweder-Oder geführt worden – auf der einen Seite die Ortsgemeinde, die sich verunsichert fühlt, auf der anderen Seite die Spezialpfarrämter, etwa in der City-Seelsorge oder in der Notfallseelsorge, die immer das Gefühl hatten, sie müssten sich legitimieren. Aber das ist eine falsche Blickrichtung. Die Differenziertheit großstädtischen Lebens zeigt ja gerade, dass es unterschiedliche Welten und Milieus gibt. Wir haben vor allem am Stadtrand Gemeinden, die dörflich strukturiert sind und ihren traditionellen Gemeindepfarrer brauchen, und wir haben Innenstadtgemeinden, in denen dörfliche Sehnsüchte und städtische Mobilität nebeneinander existieren.

Frau Gebhardt, Sie haben eine Idee aufgegriffen, die schon seit gut zwanzig Jahren in Frankfurt diskutiert wird, nämlich dass am
Wochenende verschiedene Gottesdienste zu unterschiedlichen Uhrzeiten und für unterschiedliche Zielgruppen angeboten werden müssten. Warum kriegt die Kirche das immer noch nicht hin?

Gebhardt: Weil noch immer jede Gemeinde glaubt, alle Angebote vorhalten zu müssen. Aber das wird eine einzelne Gemeinde in Zukunft nicht mehr leisten können. Sie wird sich mit ihren Nachbargemeinden zusammensetzen müssen und fragen: Wer kann was anbieten, damit möglichst viele Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen angesprochen werden? Junge Familien wollen heute häufig nicht sonntags früh zum Gottesdienst gehen, sondern sie wollen lieber in Ruhe gemeinsam frühstücken. Aber möglicherweise würde ihnen ein gemeinsamer Gottesdienstbesuch nachmittags gut passen.

Esther Gebhardt ist Pfarrerin und seit 1990 Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt, in dem sich Gemeinden und Dekanate der Stadt zusammengeschlossen haben. Zu ihren Aufgaben gehört es, die notwendigen Strukturveränderungen vor Ort in konkrete Projekte zu fassen. | Foto: Rolf Oeser

Esther Gebhardt ist Pfarrerin und seit 1990 Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt, in dem sich Gemeinden und Dekanate der Stadt zusammengeschlossen haben. Zu ihren Aufgaben gehört es, die notwendigen Strukturveränderungen vor Ort in konkrete Projekte zu fassen.
Foto: Rolf Oeser

Brauchen wir auch besonders hervorgehobene Kirchen, zum Beispiel die Katharinenkirche an der Hauptwache?

Nethöfel: Wenn wir der evangelischen Kirche in Frankfurt ein erkennbares Profil geben wollen, müssen wir aus der Katharinenkirche so etwas machen wie den Berliner Dom oder den Hamburger Michel. Es ist eine Riesenchance, dass wir diese prominente Kirche haben, und die müssen wir nutzen.

Das Thema im Hintergrund ist auch die Ausdifferenzierung in verschiedene Milieus, gerade in der Stadt. Welche Antworten kann eine Volkskirche da finden?

Nethöfel: Die Daten, die uns da von Soziologen geliefert werden, legen den Kurzschluss nahe, wir müssten für alle Milieus in gleicher Weise und in gleicher Stärke da sein. Aber das ist nicht richtig. Sondern wir sind für diejenigen da, die uns am meisten brauchen. Trotzdem müssen wir aufmerksam schauen, wen wir mit unserem derzeitigen Angebot wirklich erreichen, und überlegen, ob wir das so wollen. Wir sprechen als Kirche eine sehr bürgerliche Schicht an, und das wird sowohl vom Angebot als auch von der Nachfrage her immer enger.

Gebhardt: Wer Unterhaltung oder Event haben will, muss dafür nicht zwingend zur Kirche gehen. Sinnvoll finde ich den Ansatz, Orte auch vorübergehender Begegnungen zu schaffen, wie etwa Citykirchen, wo man sich nicht gleich verpflichtet, aktiv mit in das kerngemeindliche Leben einzutreten. Noch viel spannender finde ich es, zu sehen, wo die Schnittpunkte sind, an denen viele Menschen der Kirche begegnen, also im Kindergarten, bei Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen. Ich treffe immer wieder Menschen, die die Kirche bei solchen Gelegenheiten negativ oder positiv erlebt haben und zwanzig Jahre später noch darüber reden und sagen, diese Beerdigung oder diese Erfahrung war für sie so prägend, dass sie sich entweder von der Kirche ab- oder ihr neu zugewendet haben. Diese Kontakte müssen mit Sorgfalt gestaltet werden.

Könnte es also in Zukunft spezialisierte Pfarrerinnen und Pfarrer geben, weil der eine besonders gut beerdigen, die andere besonders gut predigen kann?

Nethöfel: Ein Großraum wie Frankfurt hat tatsächlich besondere Chancen, durch eine gute Personalpolitik die Menschen dorthin zu bringen, wo sie ihre Talente und Gaben auch besonders gut entfalten können. Aber dahinter steht ja noch ein anderes Problem: Religiöse Bedürfnisse äußern sich nicht nur in Formen, für die wir bereits kirchliche Angebote haben. Die Menschen gehen zum Teil ins Kino oder zu bestimmten Events, um sich dort religiös zu orientieren. Wie beantworten die Menschen denn faktisch die Frage: Woher komme ich, wo geht das Ganze hin, welchen Sinn hat es, und wie soll ich mich daher hier verhalten? Solche religiösen Kernfragen werden teilweise von den Kirchen nicht mehr zufriedenstellend beantwortet. Wir müssen uns mit unserem Angebot auch immer wieder kritisch selber in Frage stellen: Sind wir denn wirklich da, wo wir als Kirche tatsächlich gebraucht werden?

Gebhardt: Da komme ich auch noch mal zu einem Kernproblem dieser ganzen kirchlichen Reformpapiere: Wir arbeiten im Wesentlichen immer noch an der Findung neuer Strukturen vor dem Hintergrund zurückgehender Kirchensteuereinnahmen. Das ist aber nicht das Thema, mit dem wir die Herzen der Menschen gewinnen, sondern eigentlich eine Hausaufgabe, die wir stillschweigend zu erledigen hätten. Die große Herausforderung ist, wie wir auf die religiösen Fragen der Menschen antworten und wie wir ihnen überhaupt wieder helfen, ihre religiösen Fragen und ihre Suche neu zu entdecken. Was bedeutet denn die Auferstehung? Was sind die Dinge, die uns im Leben und im Sterben tragen? Was bedeutet die Trinität, der dreieinige Gott, für uns heute? Diesen Fragen sind wir in den letzten Jahrzehnten zu oft aus dem Weg gegangen. Aber hier setzt glücklicherweise auch eine Neubesinnung der Kirche ein.

Nethöfel: Ich halte es auch für eine Falle, wenn wir unseren Erfolg als Kirche von dem klassischen Kernangebot her definieren. Dieses Angebot ist ja oft fast wie ein Club organisiert, wo sich immer dieselben Leute zu immer demselben Ereignis treffen. Erfolg heißt dann: Wir finden mehr Leute, die da mitmachen. Aber eine solche Sichtweise führt, glaube ich, in eine Spirale hinein, wo der Misserfolg vorprogrammiert ist.

Wolfgang Nethöfel ist Kirchenvorsteher in der Hoffnungsgemeinde und Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg sowie Organisationsberater im kirchlich-sozialen Bereich. Im Januar hat er am Zukunftskongress der Evangelischen Kirche in Wittenberg teilgenommen. | Foto: Rolf Oeser

Wolfgang Nethöfel ist Kirchenvorsteher in der Hoffnungsgemeinde und Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg sowie Organisationsberater im kirchlich-sozialen Bereich. Im Januar hat er am Zukunftskongress der Evangelischen Kirche in Wittenberg teilgenommen.
Foto: Rolf Oeser

Zumal ja in dieser Frage, welche Antworten es auf grundlegende Sinnfragen gibt, die Kirche mittlerweile in Konkurrenz steht zu anderen Religionen, der katholischen Kirche, dem Islam, der Esoterik.

Gebhardt: Wir müssen uns angesichts dieser Konkurrenz gar nicht so sehr beängstigen lassen. Früher war mal die Esoterik das ganz große Thema, jetzt sind es vielleicht andere. Ich glaube, wir sollten einfach bei unserer Linie bleiben. Die viel größere Herausforderung sehe ich darin, was wir denen entgegensetzen, die sagen, dass sie gar keine Transzendenz brauchen, dass sie auch ohne eine religiöse Antwort oder eine religiöse Lebensdeutung leben können. Das finde ich viel spannender.

Was ist Ihre Prognose: Wie sieht die evangelische Kirche in Frankfurt in zehn, zwanzig Jahren aus?

Gebhardt: So wesentlich anders als heute wird sie nicht aussehen. Prozesse in der Kirche gehen nicht revolutionär oder eruptiv vonstatten, sondern sehr langsam. Wir werden größere Zusammenschlüsse von Gemeinden haben, die Kleinteiligkeit der derzeit sechzig evangelischen Gemeinden in Frankfurt wird sich nicht aufrecht erhalten lassen. Wir werden weniger Gebäude haben, wir werden weniger Hauptamtliche haben, dafür wird das Ehrenamt an Bedeutung und auch an Einfluss gewinnen. Die Kirche wird ärmer und wohl auch älter, wenn wir auf die demografische Entwicklung schauen. Bestimmte Schwerpunktbildungen haben wir in Frankfurt ja auch schon vorgenommen, etwa bei der Jugendkulturkirche oder der Diakoniekirche. Aber es wird auch in zwanzig Jahren noch Gemeindepfarrämter geben, und ich glaube, wir tun auch gut daran, Themen, Orte, Menschen und auch Feiertage und Feste zu profilieren und herauszustellen und weiter unsere eigenen Themen zur Sprache zu bringen. Wir werden kleiner – aber wir müssen deswegen ja nicht auch Geist-loser werden.

Nethöfel: In der Tat schwimmt da ein Tanker, und die Prozesse werden langsam und zögerlich ablaufen, etwa wie Frau Gebhardt sie beschreibt. Ich denke aber, dass in den kommenden zehn Jahren, also in einer Zeit, wo zunächst noch scheinbar alles weiter seinen Gang geht, Entscheidungen fallen, die sich dann in zwanzig Jahren erheblich auswirken werden. Ich zweifle nämlich daran, dass die rechtliche Rahmensituation, in der unsere Kirche sich heute noch befindet, als eine durch Kirchensteuer finanzierte Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Personal im Beamtenstatus, langfristig Bestand haben wird. Wie es danach weiter geht, das hängt von den Entscheidungen ab, die in nächster Zeit fallen. Das ist die spannende Herausforderung, vor der wir stehen.

Interview: Kurt-Helmuth Eimuth und Antje Schrupp

Evangelisches Frankfurt Juli 2007

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche. - (Foto: Eimuth)

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

Traditionsbewusst ist man im Westen Frankfurts. Die evangelische Martinusgemeinde im ehemals katholischen Dorf Schwanheim, direkt am Main gelegen, hat ihre Geschichte und ihre Geschichtchen. Es geht die Sage, dass der (katholische) Fährmann den evangelischen Pfarrer vom gegenüberliegenden Griesheim des öfteren etwas langsamer über den Main schipperte, damit dieser sich beim sonntäglichen Gottesdienst in Schwanheim verspäte. Doch längst sind die Zeiten des konfessionellen Behakelns vorbei. Pfarrer Burkhard Sulimma bleibt völlig gelassen, als ihm ein Bauarbeiter in der Kirche erklärt, dass es mit der Konfirmation Mitte Mai ja wohl nichts würde. Der Termin sei nicht zu halten. „Dann gehen wir halt in die katholische Kirche.“ Ökumene ist heute selbstverständlich.
Genauso selbstverständlich ist der kreative Umgang mit Veränderungsprozessen. Vor bald einhundert Jahren baute man die Martinuskirche. In die alte Kapelle zog der Kindergarten ein. Schon 1907 eröffnete er seine Pforten. Inzwischen verfügt die Gemeinde außerdem noch über einen integrativen Kindergarten und über einen Hort. Eine Krabbelstube, in Regie des Diakonischen Werks für Frankfurt, wird demnächst das Angebot komplettieren. „Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern“, stellt denn auch Sulimma fest. Krabbelgruppen, Miniclubs, Kindergruppen am Nachmittag und Kochgruppen – auch für Jungen! – und die Kindergottesdienstarbeit belegen dies.
Als die Kirchenmusikerstelle kürzlich dem Rotstift zum Opfer fiel, ließ man sich etwas einfallen. Es gelang, die Dekanatskantorin für Gemeinde-, Senioren-, Kinder- und „Spatzenchor“ zu gewinnen. Auch als immer deutlicher der Zahn der Zeit nicht nur am Putz der Kirche im romanischen Stil nagte, ging man das Problem offensiv an. Flugs gründete die Gemeinde einen Förderverein, der inzwischen die stolze Summe von 30 000 Euro für die Restaurierungsarbeiten gesammelt hat. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 220 000 Euro. Silke Wedekind-Hirschberger, Vorsitzende des Kirchenvorstandes, berichtet, dass sich die Gemeinde nicht leicht tat mit der Entscheidung, soviel Geld in den Bau zu stecken: „Aber letztlich gab das Votum der Denkmalpflege den Ausschlag.“ Und so entsteht wieder der ursprüngliche blaue Sternenhimmel in der Apsis. Für nur 50 Euro kann man „Pate“ eines Sternes werden. Bei den Portallöwen wird’s allerdings richtig happig: 3000 Euro kostet die Restauration und die Patenschaft.
Das ehemals katholische Dorf Schwanheim hat längst, so der Gemeindeprospekt, ein „kleinstädtisches und mittelständiges Gesicht“ und wird zunehmend multikulturell. Im altenPfarr-haus ist ein therapeutisches Wohn heim für Flüchtlinge untergebracht. Obgleich es vom Evangelischen Regionalverband getragen wird, ist es doch Teil der Gemeinde. „Wir sind eben“, so Pfarrer Sulimma, „eine typische Gemeinde im Umbruch.“
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Eine Oase unverplanter Zeit

Sonntagsbrötchen und Sonntagszeitung – weil Behörden, Baumärkte und Möbelhäuser ohnehin geschlossen sind, kann man sonntags das Frühstück guten Gewissens in die Länge ziehen. Erledigen kann man ja ohnehin nichts, egal wie dringend es ist. Doch die kollektive Aus-Zeit „am siebten Tag“ wird immer weiter aufgeweicht. - (Foto unabh. entnommen von: Wikimedia/Deut. Bundesarchiv)

Evangelisches Frankfurt: Januar 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 1

Eine Oase unverplanter Zeit

Sonntags hält das öffentliche Leben inne. Die U- und Straßenbahnen fahren nach einem besonderen Fahrplan, es gibt keinen Berufsverkehr. Auch in den Wohnungen erwacht das Leben später. Endlich einmal ausschlafen, im Schlafanzug frühstücken, Sendung mit der Maus gucken. Der Sonntag gehört der Familie, den Kindern, den Freunden. Er ist eine Oase der unverplanten Zeit oder auch der geplanten Familienrituale. In manchen Familien kommen etwa die Kinder und Enkel immer sonntags zum Kaffee zu den Großeltern,oder es gibt Ausflüge in den Zoo, in den Wald, ins Museum.
Ein solcher Tag der Ruhe ist durch das Grundgesetz geschützt. In Artikel 140 heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt.“ Doch dieser Schutz wird zunehmend ausgehöhlt. Die Ausnahmegenehmigungen zur Öffnung der Läden häufen sich. Schon hat man sich daran gewöhnt, dass Tankstellen mit ihren Minisupermärkten rund um die Uhr geöffnet haben, und sonntags eben auch Fitness-Studios und Bäckereien.
Der Druck der Wirtschaft auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wächst. Flexibilisierung heißt das Zauberwort. Und auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern wird die Möglichkeit vom schönen, neuen Einkaufssonntag vorgegaukelt: Einkaufsbummel statt Kaffeetrinken mit der Oma. Doch nüchtern betrachtet bedeutet Sonntagsarbeit, dass es eigentlich keine Sonntage mehr gibt. Dann ist nämlich jeder Tag ein Werktag.
Die Wurzeln dieses einen Tages, der den Alltag unterbricht und dem Leben seinen Rhythmus gibt, liegen in der Religion. Feierten die frühen Christen wie die Juden den siebenten Tag der Woche, den Sabbat, so veränderte sich dieses im Laufe der Zeit. In christlichen Ländern wurde das Gebot der Sabbatheiligung auf den Sonntag, den Tag der Auferstehung, übertragen. Kaiser Konstantin machte im Jahre 321 den Sonntag zum allgemeinen Feiertag im ganzen Römischen Reich. Theologisch gibt es keine Wertigkeit der Sonntage. Alle Sonntage haben die gleiche theologische Wurzel, alle Sonntage sind gleich wichtig.
Der Sonntag ist heute noch der Tag des Sich-Zurücknehmens, des Zu-Hörens, des Spielens, des Miteinanders und für manche auch der Tag des Kirchgangs. Für all dieses nutzt es nichts, wenn die Verkäuferin an der Theke der Bäckerei dann am Mittwoch frei hat. Der Sonntag ist eben auch eine soziale Errungenschaft. Wichtig für das Familienleben, das soziale Miteinander – ob in Kirche oder Verein.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Januar 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 1

Spenden ist Bürgerpflicht

Evangelisches Frankfurt, Januar 2005

Spenden ist Bürgerpflicht

Globalisierung bekam in den letzten Wochen ein menschliches Gesicht. Nach der Tsunami-Katastrophe nahm die Menschheit Anteil am Schicksal der Völker in Südasien. Es wurde in seltener Eintracht gesammelt und gespendet. Selbst Deutschlands Elitefußballer trafen sich zum Kick zugunsten der Opfer. Möglicherweise wächst hier eine neue Form von Bürgerengagement. Tradition hätte das. Gerade Frankfurt verdankt dem Gemeinsinn seiner Bürgerinnen und Bürger viel, zum Beispiel das Clementinenhospital oder das Senckenberg-Museum. Auch die Kirche wird für ihre Arbeit künftig verstärkt auf Spenden angewiesen sein. Trotz Kirchensteuer, denn diese zahlt nur jedes dritte Mitglied. Hier zeigt sich der steigende Altersdurchschnitt der Gesellschaft. Der Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Stephan Krebs, verweist zu Recht darauf, dass viele ältere Mitglieder zwar gute und sehr gute Renten und Pensionen erhalten, aber keine oder nur wenig Kirchensteuern zahlen. Fundraising und Sponsoring – wie das Spendensammeln auf Neudeutsch heißt – müssen zum zweiten Standbein der Kirchenfinanzierung werden. Neue Ideen gibt es bereits, zum Beispiel ein Bonus-Modell, das Gemeinden ermutigen soll, sich auf diesen Weg zu begeben: Für drei eingeworbene Euros legt die Landeskirche noch einen zusätzlich in den (virtuellen) Klingelbeutel. Professionelle Spendensammler können durch Information Lust aufs Spenden machen. Wer die Not der anderen kennt, hilft gerne. Auch eine kleine menschliche Schwäche kann man sich zunutze machen: Wer möchte nicht, dass sein Name, seine Person unvergesslich werden? Einen Weg hierzu bieten Stiftungen, die dann meist nach den wohl betuchten Stiftern oder Stifterinnen benannt werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Stiftungen können für die laufende Arbeit nur ihre Zinserträge verwenden und sind deshalb auf Dauer angelegt. So mancher sozialen Einrichtung kann mit einem Stiftungskapital von 100000 Euro geholfen werden – immerhin bringt es etwa 5000 Euro an Zinsen pro Jahr. Die Gesellschaft ist ebenso wie die Kirche auf die Solidarität derer angewiesen, die etwas geben können. Wenn man nicht will, dass sich die Kirche aus immer mehr Arbeitsfeldern zurückzieht, reicht es nicht zu sagen: „Die Kirche soll mal machen.“ Denn die Kirche sind wir alle.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt, Januar 2005

Diesseits und jenseits des Autobahnkreuzes

Die Kirche steht in Hausen noch mitten im Dorf. Die drei Gemeindebezirke Alt-Hausen, Westhausen und Industriehof werden jedoch durch breite Straßen und die Autobahn voneinander getrennt. (Foto: T.h./Wikimedia, Aufnahme unabh. vom Artikel)

Evangelisches Frankfurt: Dezember 2004 · 28. Jahrgang · Nr. 7

Diesseits und jenseits des Autobahnkreuzes

Der Stadtteil Hausen ist ein altes Dorf. Und die Kirche steht hier, wie es sich gehört, mitten im Dorf, und gegenüber der Kirche das Pfarrhaus, gebaut 1775. Doch um die Gebäude herum hat sich in den letzten Jahrhunderten so ziemlich alles verändert. Von dörflichen Strukturen kann kaum mehr die Rede sein. Im Grunde besteht die Kirchengemeinde heute aus drei eigenständigen Teilen. Da ist der alte Dorfkern, dann Westhausen mit der May-Siedlung, und zum dritten der Industriehof, in dem heute einige Outlet-Läden und die neue Börse untergekommen sind. Daneben gibt es die alten Siedlungsbauten aus den 50er Jahren. Neben Gemeinde-, Pfarrhaus und Kirche in Alt-Hausen gibt es auch noch einen Gemeindestützpunkt in Westhausen, zwischen Liebig-Schule und Westhausener Friedhof gelegen. Auch dort finden regelmäßig Gottesdienste statt. „Eigentlich“, konstatiert Pfarrer Holger Wilhelm, „sind es in der Wahrnehmung zwei Gemeinden“. Nach der Reduzierung der Pfarrstellen erlebe die Gemeinde so etwas wie eine „gefühlte Fusion“. Während früher die beiden Stadtteile links und rechts der vierspurigen Ludwig-Landmann-Straße und der A 66 jeweils eigenständige Pfarrbezirke waren, versorgt Pfarrer Wilhelm das ganze Gebiet jetzt (fast) alleine. Im Pfarramt wird er unterstützt von Jürgen Moser, der als hauptamtlicher Dekan des Dekanates Nord aber nur einen kleinen Teil seiner Arbeitskraft der Gemeinde widmen kann. Pfarrer Wilhelm will „die Dinge zusammenführen“. Wahrlich keine einfache Aufgabe, trennen doch die Stadtteile Straßen von den Ausmaßen eines Autobahnkreuzes. Wilhelm, der erst zwei Jahre in der Gemeinde ist, weiß aus Berichten, dass man vor dem Bau der A66 über die Wiesen von Westhausen in die Kirche kam. Auch heute ist dieses möglich. „Aber es fühlt sich völlig anders an.“ Trotz dieser städtebaulichen Hürde ist die Gemeinde mit ihren 2300 Mitgliedern vielfältig engagiert, ist Gastgeberin für eine westafrikanische, japanische und koreanische Gemeinde, bietet ein „Wellnessprogramm“ für Geist und Seele, zählt ein Marionettentheater zu ihren Angeboten, hat einen jungen Organisten, der Bewährtes schätzt und Neues ausprobiert, lädt zu alternativen Gottesdiensten ein, veranstaltet jährlich einen großen Basar und vieles mehr. Besonders freut sich Wilhelm über die zwanzig Konfirmandinnen und Konfirmanden, eine für diese Gemeinde große Zahl. Bewegt und beherzt unterstützen die Hausener auch den Unterhalt ihrer Kirche. 70000 Euro haben sie bisher aus eigenen Mitteln aufgebracht. Wer die Gemeinde kennen lernen will, kann dies zum Beispiel bei einem Vortrag von Pfarrer Wilhelm am Mittwoch, dem 8. Dezember, um 15 Uhr im Gemeindezentrum, Alt Hausen. Der Theologe, der einen Studienaufenthalt in Südafrika verbrachte, berichtet unter dem Titel „Christbaum und Sonnenbrand“ von den Weihnachtsbräuchen auf der Südhalbkugel.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: Dezember 2004 · 28. Jahrgang · Nr. 7

Vom Keltenritual zum Massenspektakel: Halloween

Ein Blick in die Schaufenster reicht: Halloween ist endgültig in Deutschland angekommen. Das Fest der Fabel- und Gruselwesen in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November ist in Amerika schon lange ein nicht mehr wegzudenkendes Verkleidungsfest. Genau wie hier an Fasching schlüpfen die Kinder gerne in andere Kostüme. Und natürlich gehört der Jahreszeit entsprechend der ausgehöhlte und mit einer schrecklichen Fratze versehene Kürbis dazu.

Gruselig, witzig oder kitschig – der Fantasie sind rund um Halloween keine Grenzen gesetzt.

Bestimmte christliche Kreise kritisieren solches Gebaren, da die Wurzeln des Festes auf die Kelten zurückgehen. In dieser Nacht soll das Leben, der Sommer, die Herrschaft für ein halbes Jahr an den Tod, den Winter, abgeben. Man glaubte, dass die Toten sich für ein halbes Jahr lang den Körper eines Lebenden suchen. In jener Nacht soll, so die Vorstellung, die Trennwand der Welt der Toten und der Lebenden besonders dünn sein, weshalb man mit den Toten in Kontakt kommen könne. Im Jahre 837 verfügte Papst Gregor IV., dass an diesem Tag Christen ihre Toten ehren sollten, und setzte Allerheiligen auf den 1. November und am darauf folgenden Tag Allerseelen fest. Das Christentum hatte wieder einmal seine große Integrationskraft bewiesen.
Die Iren brachten den keltischen Brauch mit nach Amerika und nun kehrt er wieder zurück auf den alten Kontinent. Klar, dass sich Marktstrategen diese Chance nicht entgehen ließen. Hersteller von Partybedarf und Dekorationsartikeln haben zwischen Fasching und Weihnachten ein Zwischen hoch entdeckt. Mit Kürbissen, ob aus Keramik oder Plastik, ob mit oder ohne Beleuchtung, mit allerlei gruseligen Accessoires wie Fledermäusen, Spinnen, Skeletten oder Hexen, geben sie einen Trend vor. Und zumindest der Kürbis hat inzwischen längst via Herbst dekoration Einzug in die Häuser gehalten.
Viel sperriger dagegen das Fest der Reformation. Schließlich liegt der Anlass quer zu Verhaltens mus tern der Spaßgesellschaft. Martin Luther soll am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche genagelt haben. Doch dieses für den Protestantismus so markante Ereignis ist historisch umstritten. Ob Luther tatsächlich zu Hammer und Nagel griff, weiß man nicht. Der katholische Lutherforscher Erwin Iserloh weist darauf hin, dass die erste schriftliche Darstellung des Thesenanschlages von Philipp Melanchthon stammt. Dieser konnte jedoch keineswegs Augenzeuge gewesen sein, da er erst 1518 als Professor an die Wittenberger Universität berufen wurde. Auch sei diese Darstellung erst nach dem Tode Luthers erschienen. Belegt hingegen ist, dass Luther am 31. Oktober 1517 Briefe an seine Vorgesetzten schrieb, in denen er den Ablasshandel anprangerte und um die Behebung des Missstandes bat. Den Briefen legte er jene 95 Thesen bei, die als Grundlage für eine Diskussion über das Thema dienen sollten.
Reformationstag und Halloween: Zwei Feste zum selben Datum, aber inhaltlich ganz verschieden. Doch es scheint, als habe sich Halloween in der angeblich so rationalen, modernen Gesellschaft inzwischen durchgesetzt. Und schließlich ist das Gruselfest ein netter Spaß, an dem man sicher auch als Protestant teilnehmen kann. Die Nacht ist ja lang und die Reformationsgottesdienste beginnen schon am frühen Abend.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: November 2001 · 25. Jahrgang · Nr. 6

Evangelischsein ist eine Lebenshaltung

Kurt-Helmuth Eimuth

Reformationsandacht

Fachschule für Sozialpädagogik

30.10.2001

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 362, 1-4 Ein feste Brug

Votum:

ich begrüße Sie herzlich zu dieser Reformationsandacht.

Wir feiern diese Andacht im Namen Gottes,

Gott nimmt uns an, wie wir sind.

Im Namen Jesu Christi

er gibt unserem Leben Richtung und Sinn.

Und im Namen des Heiligen Geistes

Er ruft uns auf den richtigen Weg. Amen

Lassen Sie uns im Wechsel den Psalm 143 beten. Er steht im Liederbuch unter der Nummer 755

Gebet

Guter Gott,

wir gedenken deiner Worte und Taten,

mit denen du Menschen Herzen und Gedanken bewegt hast.

Sprich heute zu uns und stärke uns an diesem Tag,

damit neues Leben in uns und durch uns entsteht:

Leben in deiner alt gewordenen Kirche,

Leben in den klein gewordenen Gemeinden,

Leben in der Mitte und an den Rändern

Leben draußen und drinnen.

Dazu sende deinen Heiligen Geist

Amen.

Gemeinde: Lied 341, 1-4 Nun freut euch lieben Christen

Predigt:

Predigttext:

Ich lese aus dem 5. Kapitel des Galaterbriefes die Verse 1-6

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden laßt, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden läßt, daß er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Liebe Gemeinde,

Im Mittelpunkt des heutigen Bibeltextes steht der Abschnitt: „Befreit zur Freiheit“.

„Wir wollen frei sein, um uns selbst zu finden“, heißt es in einem neuen geistlichen Lied. Auch das Lied von Reinhard Mey ist, denke ich, vielen bekannt: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Und wenn man Leute fragt, was denn wohl der gute Grund ist, evangelisch zu sein, dann sagen sie: die Freiheit – Evangelische Freiheit.

Eigentlich begann alles mit einem Plakat, einigen Hammerschlägen an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg. Am 31. 10. 1517 schlägt der Augustinermönch und Professor für Bibelwissenschaften ein Blatt mit 95 Thesen an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg. Daß diese Hammerschläge nicht nur die Tür, sondern ganz Europa erschüttern werden, das ahnte damals niemand. War dieser Anschlag, doch kein Anschlag auf die römische Kirche, nein, einfach ein Aushang von 95 Thesen zur Frage von Ablaß und Gnade; für die Kollegen an der Universität Wittenberg zum Nachdenken gedacht. Und Wittenberg, das war weiß Gott nicht der Nabel der Welt, ein Provinznest in einer Ecke am Rande des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Der Anlaß: Ein Dominikanermönch namens Thetzel predigte in den magdeburgischen Nachbarorten Wittenbergs und forderte die Menschen dazu auf, Ablaßbriefe zu kaufen, was ihnen Erlösung aus dem Fegefeuer nicht nur für sich selbst, sondern auch für die verstorbenen Eltern versprach. „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt“.

Dagegen richtet sich der Widerstand in Wittenberg. In These 79 stellt Luther klipp und klar fest: Zu sagen: Das Ablaßkreuz mit dem Wappen des Papstes, prächtig aufgerichtet, habe die gleiche Geltung wie das Kreuz Christi, ist Gotteslästerung.“

Offenbar trifft Luther den Geist der Zeit. Der Protest weitet sich aus:

Im Oktober 1519 verbrennt Luther vor dem Elstertor in Wittenberg das kanonische Recht, welches nach seinem Anspruch göttliches Recht ist. Luther und seine Mitstreiter sagen: Es ist samt und sonders menschliche Erfindung, mehr noch, die Freiheit des Christenmenschen wird durch die Kirche geknebelt.

Ostern 1525: Ein Wagen mit Heringsfässern fährt durch das Stadttor von Wittenberg. In den Fässern sind neun geflohene Nonnen aus dem Kloster Nimbschen. Sie hatten die Lehmwand des Klosters durchbrochen. Draußen warteten zum verabredeten Zeitpunkt die Fluchthelfer. Acht von diesen neun Frauen bringt Luther unter die Haube. Der neunten war der angebotene heiratswillige Kandidat zu geizig.

„Den Luther aber“, sagt sie, „den würde sie wohl nehmen.“ Und Luther – so die Überlieferung – willigt ein, obwohl er schon um die 40 ist und damit rechnet, auf dem Scheiterhaufen zu enden. Schließlich war er ja in Bann und Acht. Übrigens bis heute.

Aus der Ehe zwischen einer Nonne und einem Mönch geht das protestantische Pfarrhaus hervor. Die Absage an den Zölibat wird nicht nur theoretisch gefordert, auch praktisch vollzogen. Und fasse ich den Sinn dieser drei kurzen Schlaglichter zusammen. So geht es um Freiheit.

Freiheit von religiöser Ausbeutung. Freiheit des Wortes Gottes gegenüber menschlicher Erfindung und Freiheit des persönlichen Lebens.

Die Mittel der römischen Kirche hatten ausgedient, ihr unbeweglicher Machtapparat war ganz mit sich selbst beschäftigt. Die Privilegien seiner Funktionäre so kostspielig, daß andere dafür hungern mußten. Pfaffenhaß und groß‘ Geschrei, landauf, landab. Es bedurfte nur noch einer Stimme, die es aussprach. Jemand, der innerlich befreit war. Dem die allgegenwärtige Drohung mit dem zornigen und strengen Gott nichts mehr anhaben konnte. Der überzeugt war, daß Kirche etwas anderes sein muß als des Papstes Finanzamt von Gottes Gnaden. Mit Luther war diese Stimme auf dem Plan. Dem äußeren Kampf war eine harte innere Auseinandersetzung vorangegangen, bevor die Fesseln fielen, die auch sein Gewissen gebunden hatten.

Haben wir sie noch die Freiheit Luthers, unseren Glauben ganz von vorn durchzubuchstabieren? Oder sind wir unfähig geworden zur Selbstkritik wie die römische Kirche zur Zeit Luthers? Ein neues Lied wir heben an … doch die neuen Lieder sind alt geworden. Nach Luther kamen die Lutheraner, nach der Reformation die Konfession.

Wir werden Luther nicht gerecht im Nachbeten seiner Worte. Der Vorgang „Reformation“ zwingt zur Selbstklärung: Eine Kirche ohne Entwicklung gerät in die Abwicklung. Auch zur Selbstklärung gegenüber der Reformation selbst.

Eine Wechselwirkung, die im heutigen Soazialmanagement gerade wiederentdeckt wird. Im Prozeß der Qualitätsentwicklung heißt dieser reformatorische Prozeß: Stillstand ist Rückschritt. Organisationen – auch Schulen – müssen ständig auf die sich verändernden Anforderungen regieren und sich in der Folge ständig verändern.

Aber zurück zu Martin Luther: Er hat uns auf die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens hingewiesen. Der christliche Gott ist ein befreiender und keiner der den Menschen klein macht und mit lauter Angst füllt.

Gestern rief mich eine Kindertagesstättenleiterin an und fragte um Rat, da sich Eltern einer christlichen Gemeinde darüber beschwert haben, dass sie mit den Kindern Haloween feiere. Schließlich erscheine in diesen Masken der Satan. Keine Frage, für diese Eltern ist dies eine reale Bedrohung ihrer Seele. Doch die Botschaft des Evangeliums verstehe ich so, dass wir uns eben frei machen können von solchen Ängsten.

Die Freiheit von religiöser Bevormundung ist unaufgebbar. Nicht Angst und Furcht vor Gott sollen uns den Atem rauben, der von Paulus verkündigte Gott der Gnade soll uns zum Leben befreien. Luther hat es erlebt und in Worte gefaßt. Die Menschen sind ihm nicht gefolgt, weil sie ihm geglaubt haben. Sie haben ihm geglaubt, weil sie gleiches erlebt haben. Aber ist die Frage nach dem gnädigen Gott noch die zentrale Frage der Menschen, mit denen wir heute zusammenleben?

Viele Menschen erfahren Gott nicht mehr und verabschieden sich. Gott selbst muß zu uns reden, dann geschieht Reformation. Von fremden Erfahrungen kann niemand leben. Luther kann uns nicht aus unserer Sprachlosigkeit erlösen, Gott selbst muß es tun.

Die Frage: katholisch oder evangelisch, oder was ganz anderes? Gehört in die Privatsphäre. Niemand von uns muß mehr fliehen, weil er dieser oder jener Konfession angehört. Wir wohnen, wir arbeiten, wir leben zusammen. An der Basis ist die Ökumene längst vollzogen.

Längst haben sich die Kindergärten auf die multireligiöse Wirklichkeit eingestellt. Es ist doch wirklich kein Problem, dass sich in unseren Kindergärten Menschen verschiedener Nationen und verschiedener Religionen begegnen. Wenn es in unserer Gesellschaft soviel Dialog und Begegnung der Nationen und Religionen gäbe wie in den Kindergärten, dann sähe diese Welt anders aus.

Aber es bleiben evangelische Kindergärten. Sie stehen – um es theologisch auszudrücken – in der Nachfolge Jesu. Jesu war ja nun wirklich ein Mensch, der mit allen Gruppen ins Gespräch kam. Gerade er grenzte niemanden aus. Er ging zu den Zöllnern ebenso wie zu den Aussätzigen. Er sprach und diskutierte mit den Pharisäern. Heute würden wir sagen: er pflegte den religiösen Dialog.

Der profilierte interreligiöse Dialog bedarf der religiösen Kontur. Das jeweils eigene Profil ist die Voraussetzung für eine ernsthafte Begegnung. Evangelisches Profil verhindert also nicht die gesellschaftlich notwendige Begegnung, sondern im Gegenteil: Evangelisches Profil befördert den interkulturellen und interreligiösen Dialog. Dies ist in den Kindergärten wie kaum sonst zu sehen. Nirgends sonst leben die Kulturen und Religionen nicht nur nebeneinander, sondern miteinander.

Evangelisch sein ist für mich im Kern eine Lebenshaltung und eben nicht ein dogmatisches Lehrgebäude.

Evangelisch sein, heißt, etwas zu spüren von der Freiheit sich nur nach der Schrift und nach seinem Gewissen zu richten.

Evangelische Freiheit ist Freiheit, die uns von Christus geschenkt wird. Zum Profil des Evangelischen gehört die Einsicht: Kein Mensch, vor allem keine menschliche Macht, darf Übermacht gewinnen über andere Menschen. Der höchste Platz muß frei bleiben für Gott, damit Menschen Menschen bleiben können.

Darauf hat Luther mit seinen 95 Thesen und seiner Lebensgeschichte uns wieder aufmerksam gemacht. Dass wir auf das Evangelium hören, ist die zentrale Botschaft der Reformation. Und dieses galt 1517 ebenso wie im Jahre 2001. Amen

Gemeinde: Lied 572,

Abkündigungen

Pfarrerin: Fürbittengebet

Guter Gott,

wir bitten dich an diesem Tag für uns und für alle,

denen der Mut fehlt, dich zu bekennen.

Schenke die rechten Worte, wenn wir gefragt werden.

Hilf uns zu eindeutigen Taten.

Gib Kraft zu Auseinandersetzungen.

Wehre allen faulen Kompromissen.

Wir bitten dich für uns und alle,

die ihre Freiheit missbrauchen.

Der Maßstab der Freiheit sei deine Liebe.

Sie leitet uns an, den Nächsten zu achten.

So lass uns Grenzen erkennen,

aber auch Grenzen überschreiten.

Schütze alle, die der Willkür ausgeliefert sind.

Stärke alle, die die Knechtschaft bekämpfen.

Fördere in aller Welt Freiheit, die sich deiner Ehre freut.

Wir bitten dich für uns und alle,

die an ihrer Schwäche leiden,

Gib Geduld und Mut.

Zeige dich nahe und verströme deine Liebe.

Richte die Mutlosen auf, und den Verzweifelten gib Aussicht.

Den Sterbenden schenke Vertrauen

Und uns allen deine Gegenwart.

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Den Segen Gottes begleite uns diesen Tag. Er wird heute nicht zugesprochen sondern zugesungen

170 Komm Herr segne uns