Archiv für Andachten

Die Gewißheit genügt uns

Andacht, Lk 12, 35

25. 11. 1996

Pfarrerin Marion Eimuth

Psalm: 126 Nr. 750

Lied: EG 147, 1-3

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der Wochenspruch steht im Lukasevangelium, im 12. Kapitel. „Laßt eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen“.

Dieser Vers, es ist der 35., ist uns zunächst unverständlich. Unser heutiger Alltag ist so grundverschieden, daß wir die Symbolik erst übersetzen müssen. Das lange Gewand des Orientalen soll mit einem Gürtel hochgebunden sein, sodaß er jederzeit zur Wanderung oder auch zur Arbeit aufbrechen kann. Auch die Lampen sollen brennen, denn die Nacht steht kurz bevor.

Unser Vers beschreibt damit eine Alltagssituation. Doch für die damalige Christenheit am Ende des ersten Jahrhunderts beschrieb diese Szene noch eine andere Erwartung. Das Gewand soll mit einer Schürze hochgebunden sein um den heimkommenden Herrn sofort bedienen zu können. Selbstverständlich sollen bei der Wiederkunft Christi auch in der Nacht die Lampen brennen, damit er erkannt wird und Eingang findet.

Die Gemeinde, für die Lukas schreibt, lebt nicht mehr in der Erwartung, daß die Wiederkunft Christi noch zu ihren Lebzeiten stattfindet. Vielmehr hat sie die Erfahrung gemacht, daß ihre Väter- und Müttergeneration vergeblich auf die Wiederkunft gewartet hat. Deshalb fährt Lukas in den Versen 39 und 40 fort: „Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.“

Die Frage was unser Glaube bewirkt und wann er zum Erfolg führt ist damals wie heute aktuell.

Da hat etwas begonnen, z.B. die Arbeit für das Reich Gottes, aber das Reich Gottes ist unendlich fern. Wir leben und arbeiten für Ziele, aus unserem Glauben heraus, auf Gottes Wort hin, aber die Erfüllung, der „Erfolg“ bleibt aus. Unsere Fragen könnten vielleicht so lauten:

Wann endlich verändert sich denn etwas hin zu Friede und Gerechtigkeit? Wann fruchtet unsere Arbeit mit den Kindern- und Jugendlichen. Wann gelingt es uns, die Ohren für die Probleme der Obdachlosen zu öffnen – anstatt wie hier in Frankfurt eine „Gefahrenabwehrverordnung“ zu erlassen.

Wann kommt Gottes Reich? Wie kann es gelingen, daraufhin zu leben angesichts ausbleibender „Erfolge“, ausbleibender Veränderungen?

Das Reich Gottes ist kaum wahrnehmbar, leben wir Christinnen und Christen wirklich in einer begründeten Hoffnung?

Gerade zur Jahrtausendwende macht sich wieder eine Angst vor dem Weltuntergang breit. Da kommen eine Vielzahl von neuen religiösen Gruppen auf, die sich dieser Entzeitstimmung bemächtigen. Versprechen das Heil und Überleben nur in ihrer jeweiligen Gruppe und nutzten die Ängste der Menschen schamlos aus.

Doch bereits Tausend Jahre zuvor gab es das auch schon einmal. Damals hat man Zeichen des nahen Endes gesammelt und das eigene Leben im Licht dieser Endzeichen gedeutet. In der damaligen Frömmigkeit drückte sich die Endzeitfurcht auch dadurch aus, daß man möglichst viele gute Werke tun wollte: Höchste Aktivität und baldige Erwartung des Jüngsten Tages schließen sich nicht aus.

„Über Zeit und Stunde brauche ich euch nicht zu schreiben“, so Paulus.

Das ist manchmal ganz schön schwer, so völlig auf sein Gottvertrauen und auf die Hoffnung verwiesen zu sein, eine Hoffnung, die nicht sieht, die unabhängig ist von „Erfolg“, von sichtbarer Erfüllung.

„Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint“. Völlig überraschend, unberechenbar.

Manchmal ist der Tag Gottes heute. Heute, wenn Mauern fallen. Heute, wenn Versöhnung gelingt. Heute, wenn ein Mensch endlich aus seiner Trauer heraustritt. Heute, wenn ein Durchbruch gelingt, politisch, seelisch, gesundheitlich…

Heute ist Gottes Tag, wo wir hier zusammengekommen sind, sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes in dieser Welt. Und wie gering auch immer unser Christsein gegenüber der Finsternis dieser Welt sein mag: es ist doch Gottes Anwesenheit in dieser Welt. Durch uns hindurch. Gott kommt, wann und wie er will. In kleinen Ereignissen, in großen Umwälzungen. In kleinen Leuten, seltener in großen Leuten. Wann Gottes Reich ganz und gar verwirklicht sein wird – da müssen wir uns dieselbe Antwort gefallen lassen wie sie einst Lukas gab.

Wir Christinnen und Christen können eben ganz im Gottvertrauen mit dieser Ungewißheit leben. Wir brauchen kein konkretes Endzeitdatum wie die Zeugen Jehovas, wir müssen uns nicht vor dem Ende der Welt ängstigen, wie die Würzburger Sekte Universelles Leben, die eine neue Sintflut erwartet und wir brauchen auch nicht die Jahrtausendwende als magisches Datum anzusehen wie weltweit zahlreiche Gruppen und Grüppchen. Nein, wir wissen nicht, ob es ein, zehn oder zehntausend Jahre bis zur Wiederkunft Christi dauert. Doch als Christin und Christ können wir all denen die auf ein bestimmtes Datum fixiert sind nur lächelnd entgegnen: Wir brauchen kein Datum, die Gewißheit genügt uns und ansonsten gibt es genug hier und jetzt im Sinne Jesu zu tun. Amen.

Lied: EG 152, 1+4

Gebet:

Dankbar nehmen wir dein Wort auf, Gott. Dankbar sind wir für deine Stärkung. Hilf uns, daß wir es uns auch gegenseitig in der richtigen, bestärkenden Weise zusprechen können. Stärke unseren Glauben und unsere Hoffnung. Komm uns nahe, spürbar! Hilf uns, lieber Gott, daß aus unserer Stärkung neue Schritte folgen, wachsame, kluge Schritte, die anderen Menschen dienen. Hilf uns zu einer liebenden Aufmerksamkeit für alles, was uns umgibt und laß segen für uns und andere daraus fließen.

Gemeinsam beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel

geheiligt werde dein Name,

dein Reich komme,

dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Lied: 590

Segen:

Gott, der Ursprung und Vollender aller Dinge.

segne dich, gebe dir Gedeihen und Wachstum,

Erfüllung deinen Hoffnungen, Frucht deiner Mühe,

und am Ende das Ziel deiner Wege. Amen.

Das neue Leben

Andacht

Kurt-Helmuth Eimuth

25.11.96

L: Lasst uns von Gottes Macht singen und des Morgens rühmen seine Güte

G: Amen

Lied

L: Herr, tue meine Lippen auf,

G: Dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

L: Gott, gedenke mein nach deiner Gnade,

G: Herr, erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

Psalm

Lesung

Der Wochenspruch steht im Johannesevangelium Vers 12, Kapitel 24:

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Ansprache

Sie sehen mich heute morgen in großer Sorge. Gestern von dem schönen, anregenden Verabschiedungsfest heimkommend, meldeten die Nachrichten, dass Amerika künftig bei Konflikten Atomwaffen einsetzen wolle. Krieg ist leider alltäglich und scheint unausrottbar. Doch mit diesem Szenario der Bush-Administration rückt das Unvorstellbare, das Unglaubliche etwas näher.

Viele Schülerinnen und Schüler fragen mich, was das denn solle, wenn wir mit dem 12-Uhr Läuten für den Frieden schweigen. Gewiß, man könnte meinen es helfe sowieso nichts. Na gut, sage ich jenen Zweiflerinnen, es schadet zumindest auch nicht. Aber es geht doch um mehr. Es geht um eine christliche Grundhoffnung. Es geht um die Hoffnung, dass selbst in solch schlimmen Situationen die Hoffnung auf Veränderung vorhanden ist. Es gibt nichts, was nicht auch den Keim der Veränderung des Wandels in sich trägt.

In unnachahmlicher Weise wird dieses im Bilderbuch Pele und das neue Leben beschrieben. Peles Freund Tomo starb. Gemeinsam hatten sie ein Beet angelegt. Gemeinsam hatten sie dort Samenkörner vergraben.

Als Tomo noch gesund war, hatten sie zusammen auf das neue Leben gewartet. Und dann hatte Pele die Samen des Gärtners vergessen. Er hatte ihnen kein Wasser mehr gegeben. Weil ohne Tomo alles so anders geworden war, waren die Samen sicher vertrocknet.

Pele lief zum feingeharkten Beet, das in der Mitte zwischen dem gelben Haus mit den drei Türmchen und dem Fischerhaus lag. Bei dem Beet aber stand der Fischer. Er stellte gerade seine leere Gießkanne ab.

In der feuchten Erde waren viele grüne Pflanzen gewachsen: hellgrüne, fast gelbe und dunkelgrüne. Pflanzen mit glatten Blättern, Pflanzen mit gezackten Blättern.

„Das neue Leben“, sagte Pele leise. An manchen Pflänzchen klebten ganz vorne an den Blattspitzen noch die vertrockneten Hüllen der Samenkörner, die Tomo und Pele in die Erde gesteckt hatten.

„Das neue Leben“, sagte hetzt Pele etwas lauter. Er schaute ins traurige Gesicht von Tomos Vater. „Auf dieses Leben haben Tomo und ich gewartet. Die Samenkörner sind gestorben.“ Er zeigte auf die vertrockneten Hüllen.

Diese Hoffnung, dass im Tod neues wächst, ist es, die uns täglich auffordert, für den Frieden zu beten, zu schweigen und überall für ihn einzutreten. Deshalb ist es ein guter Brauch, dass uns täglich die Glocke daran erinnert. Aus gutem Grund können wir trotz der grausamen Realität auf Frieden hoffen. Aus gutem Grund können wir trotz der Kriege in Afrika, auf dem Balkan und im nahen Osten auf Frieden hoffen. Der gute Grund hat einen Namen: Jesus Christus.

Lied:

Lasst uns beten:

Gemeinsam beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel

geheiligt werde dein Name,

dein Reich komme,

dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

L: Lasst uns preisen den herrn.

G: Gott sei ewig Dank

L:Es segne und behüte uns Gott,

der Allmächtige und Barmherzige,

Vater, Sohn und Heiliger Geist.

G: Amen

City-Religion und Esoterik

Andacht Heiliggeistkirche 7.10.96

Orgelvorspiel

EG 44 1,2,4,5

Votum:

Wochenspruch: 1.Joh 4, 21

Dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebt, daß der auch seinen Bruder liebe.

Mit diesem Wochenspruch feiern wir die Andacht im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Psalm 104, Nr. 743

Gemeinde: Lied 331, 1-3+11

Predigt:

Liebe Koleginen und Kollegen,

wir sind in Bewegung geraten. Ich meine nicht nur die vielen konzeptionellen Überlegungen. Nein, unübersehbar wird geräumt und geschleppt. Zahlreiche Einrichtungen ziehen um. Auch mein Büro ist jetzt im Rechneigraben.

Sozusagen zum Abschied lade ich sie heute morgen ein, mich gedanklich auf meinem bisherigen Heimweg, den ich 12 Jahre gegangen bin, von der Saalgasse ins Nordend zu begleiten.

Die Evangelische Arbeitsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen befand sich bisher in unmittelbarer Nähe des Römerberges in der Saalgasse. Mithin also in der City. Die City spiegelt wie kaum ein anderer Ort das moderne, säkulare Bewußtsein. Die religiösen Angebote haben sich nahtlos eingefügt. Hans Joachim Höhn hat hierfür den Begriff „City-Religion“ geprägt. Er schreibt: „Die Entsprechnungen zwischen Urbanität und Religiosität werden deutlich, wenn man ein Profil des interlektuellen, mobilen Stadtbewohners erarbeitet und es in Beziehung setzt zu den für die neue Kultszene typischen Strukturen von Angebot und Nachfrage. Die dabei gewonnenen Eindrücke über die Motivlage der Produzenten und Konsumenten rechtfertigen es, für die neue urbane Religiosität den Begriff ‚City-Religion‘ zu verwenden.“1 Die urbane Religiosität ist Teil des Marktes. Gelegentlich sieht man sie auch erst auf den zweiten Blick hinter ihrer säkularen Fassade.

Eine solch säkulare Fassade steht direkt gegenüber unserem Bürogebäude in der Saalgasse. Die Schirn, eine Kunst- und Ausstellungshalle, ist eines jener Gebäude, das mit ihren Säulen ihren Besuchern jenes erhabene Gefühl vermittelt, das wir Kirchenleute beim Betreten einer Kirche empfinden. Sind nicht überhaupt unsere Museen eher Musentempel und somit dann doch etwas Heiliges im Profanen. Kein Wunder, daß vor kurzem hier eine Ausstellung sich dem Thema Okkultismus widmete.

Doch schreiten wir weiter über den Frankfurter Römerberg, die Alte Nikolaikirche, als Tourismuskirche tagsüber geöffnet, hinter uns lassend, den Blick auf die Frankfurter Skyline gerichtet, gehe ich auf die Hauptwache zu. Schon lange überragen die Türme der Banken die der Kirchen. Und trotzdem – so meine These – ist Frankfurt nicht nur die Stadt der Banken, sondern auch die Stadt der Religionen. Denn es gibt sicherlich mehr Religionsgemeinschaften und religiöse Gruppen als Banken in dieser Stadt. Und Banken soll es immerhin 411 geben. Zum Glück gehört nur die kleinere Zahl zum direkten Beobachtungsfeld eines Sektenbeauftragten. Denn die überwiegende Zahl der Religionsgemeinschaften sind sozialpsychologisch betrachtet unproblematisch.

Zu den womöglich problematischen Erscheinungen gehören die halbjährlich in Frankfurt stattfindenden Esoterik-Tage.

Mein Blick fällt auf ein Plakat für die sogenannten „Esoterik-Tage“. Zweimal jährlich findet im Bornheimer Bürgerhaus die Esoterik-Messe statt. Die Geheimwissenschaft des Weges nach innen wird – ganz im Sinne einer City-Religion – gnadenlos vermarktet. Ob es allerdings der Erleuchtung wirklich egal ist, wie man sie erlangt, wie es in einem vielzitierten Szenesatz heißt, vermag ich nicht zu beurteilen.

Konsum, Kommerz und Religion folgen den gleichen Mustern. So wie ich meine Schuhe sofort besohlt bekomme, die Bilder in nur 30 Minuten abholen kann, so soll es auch mit meiner Entspannung und Erleuchtung sein. „Mindmachines“ folgen genau diesem Muster. Kopfhörer auf, Ton an, Brille auf, Elektronenblitze an, und schon soll sich dank der Wirkung auf das Hirn eine fühlbare Entspannung einstellen. Und es muß wohl mehr sein als Entspannung, sonst würden wir solche Angebote nicht auf der Esoterik-Messe finden.

Aroma-Therapie, Bachblüten-Therapie, Handlesen, Mindmachines, heilende Kristalle, Auraphotographie, Kartenlegen und Meditation werden dort ebenso wie in der Esoterik-Buchhandlung am Steinweg feilgeboten. Immerhin, so wird geschätzt, sollen etwa 10 % der Buchneuerscheinungen diesem Bereich zuzuordnen sein. Bei der am 2. Oktober beginnenden Buchmesse werde ich wie jedes Jahr feststellen können, daß auch die christlichen Verlage sich aus dem Lebenshilfebereich verabschiedet haben oder gar selbst esoterische Literatur anbieten. Selbst vor katholischen Verlagen macht dies nicht halt. Die Buchhandlung Herder, an der wir auf unserem kurzen Weg vorbeikommen, macht hier keine Ausnahme. Im ersten Stock steht neben der kritischen Literatur über Sekten das ganze Spektrum esoterischer Literatur. Kaum 100 Meter weiter begegnen wir vor der Katharinenkirche, in der wegen Urlaubes des Pfarrers gerade keine Andachten stattfinden, den rührigen PR-Aktivitäten der Bahai-Religion. Jugendliche Brake-Dancer werben für die Idee der Vereinigung aller Religionen. Internationalität als Verkaufsschlager für eine kleine Religionsgemeinschaft, die doch auch einen Wahrheitsanspruch hat. Überhaupt scheint sich dieser Platz zwischen Kaufhof und Katharinenkirche zu einer Art locus religiosus auszukristallisieren. Hier werben schon christlich fundamentalistische Gruppen mit dem Slogan „Lust zum Leben“ oder auch eine afrikanische Gemeinde mit uns fremden Heilungsverständnis und einer ordentlichen Portion magischen Gebetsverständnisses. Kaum Beachtung findet hier zwischen all dem Werben und all den Werbern die Skulptur von David und Goliath. Lediglich einige Obdachlose nutzen Goliath als Stütze und Ablage für die Bierflasche.

Anscheinend kommt es auf das besondere Erlebnis, auf den Kick an. Und so wird aus dem einfachen Warenhaus ein Erlebnishaus. Der Kunde soll erzählen können, wie er im italienischen Ambiente seinen Cappuccino trank oder im neuen lichtdurchfluteten Einkaufstempel Les-Faccettes – eine Mischung aus einem sich am Hang entlangschlängelnden Bergweg und amerikanischem Gefängnis – sich den Weg in die höheren Etagen des Konsums, vorbei am Internet-Cafe, bahnte.

Aber natürlich stehen vor diesen Erlebnishäusern die Werber für Sinn und Glück. Vor dem Kaufhof die Zeugen Jehovas. Gerade jetzt beginnt wieder eine neue Werbeoffensive der Wachtturmgesellschaft, deren leitende Körperschaft sich doch als „Kanal Gottes“ versteht. Und durch diesen Kanal erhalten wir schier unglaubliche Anweisungen, Kinder systematisch sozial auszugrenzen, ihnen jede demokratische Meinungs- und Willensbildung zu untersagen und bei Bedarf auch eine körperliche Züchtigung vorzunehmen. – Die deutsche Zentrale der Wachtturmgesellschaft ist im übrigen nicht weit von hier entfernt. Sie ist in Selters im Taunus. Dort leben und arbeiten 1 200 Zeugen Jehovas.

Doch zurück auf die Zeil. Vor Les-Faccettes ist ein charmant-dynamisches Trio am Werk. Man vermutet auf den ersten Blick jene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Umfrageinstituten. Doch die Umfrage entpuppt sich als Einladung zu einem Mangagement-Seminar. Damit auch gleich richtig sortiert wird, wird auch gefragt, wieviel man selbst bereit wäre, für eine solche Schulung auszugeben. Warum sollte man nicht unverbindlich und kostenlos einen Tag in der Akademie für Management und Kommunikation verbringen. Und sicher ist der Betriebswirtschaftsstudent davon angesprochen, daß hier das wahre, alltagstaugliche Wissen für den betriebswirtlichen Alltag vermittelt würde. „Oder“, so sagt der Werber, „fühlst Du dich durch die Uni auf den Berufsalltag hinreichend vorbereitet?“ Natürlich nicht. Trotz großer Aufklärung finden diese Werber immer noch Menschen, die zu ihnen kommen, nicht ahnend, daß es sich bei der Akademie für Management und Kommunikation in Wahrheit um einen Zulieferbetrieb für Scientology handelt.

Auf dem Weg ins Nordend hole ich schnell noch in der Naturbar eine biologische Brottasche für meine Tochter. Mindestens einmal monatlich muß ich hier einkehren, um beispielsweise den Einblick, eine Art esoterische Stadtzeitung, die kostenlos in einer Auflagehöhe von 8 000 Exemplaren verteilt wird, mitzunehmen. Daneben liegen zahlreiche Prospekte für NLP, Yoga-Kurse oder auch Psychokurse in der Toskana. Zum Glück hat sich meine Kirchengemeinde diesem Markt gestellt. Wir selbst bieten wöchentlich eine Meditation mit Elementen des Zen dort an. Der Frankfurter Ring darf Konzerte hier durchführen und auch eine Vereinigung von frommen Christen lädt allmonatlich zum Lobpreisgottesdienst.

Die von Midlifekrisen bedrohte Mittelschicht hat also ein vielfältiges Angebot. Der gebildete und gutverdienende Stadtbewohner sucht eben neben Kommerz und Karriere auch Kultur; er braucht ein spirituelles Sinnsystem, das seinem sozialen Status und Kontext entspricht. Doch Religion, zumal christliche Religion, ist keine Handelsware, die im Ex und Hopp Rhytmus der City vermaktbar wäre.

Ein pures, religiöses Erlebnis ohne Glauben ist für Christen und Christinnen nicht machbar. Nichts anderes meint die Losung für den heutigen Tag aus dem 86.Psalm, der Vers 11: „Erhalte mein Herz bei dem einen, daß ich deinen Namen fürchte.“

Hier wird von Herz gesprochen. Glauben ist Herzenssache und kann deshalb nicht einfach in die Konsumgewohnheiten eingepaßt werden.

Und obwohl wir mit Sicherheit uns den Anforderungen des Marktes stellen müssen, kann unser Glauben nicht zur Ware verkommen.

Amen

Gemeinde: Lied 324, 1-4, 12-13

Mitteilungen:

Gebet

Guter Gott,

Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren,

wir bitten dich:

für alle, die einsam oder allein sind: daß sie Nähe erfahren;

für die, die um einen geliebten Menschen trauern: daß sie Trost finden;

für die Kranken in der Nähe und in der Ferne: daß sie Kraft bekommen;

für die Verzweifelten, die aufgeben wollen: daß sie wieder Mut schöpfen;

für alle, die leiden unter den Ungerechtigkeiten: daß sie Recht erfahren;

für alle, die sich nach einem besseren Leben sehnen: daß sie Leben in Fülle finden.

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Lied: 421 (1)

Orgelnachspiel

1 Hans-Joachim Höhn, City-Religion – Soziologische Glossen zur „neuen“ Religiosität, in Forum – Materialien und Beiträge zum religiösen Dialog, Nr. 6, April 1990, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Neue Religiöse Gruppen e.V.

17. Sonntag nach Trinitatis 29.9.96

Michaelistag, Hebr. 1,7.13-14

Pfarrerin Marion Eimuth

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 437, 1-3

Pfarrerin: Psalm 91:

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt

und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,

der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und

meine Burg,

mein Gott, auf den ich hoffe.

Denn er errettet dich vom Strick des Jägers

und von der verderblichen Pest.

Er wird dich mit seinen Fittichen decken,

und Zuflucht wirst du haben unter seinen

Flügeln.

Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,

daß du nicht erschrecken mußt vor dem Grauen

der Nacht,

vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,

vor der Pest, die im Finstern schleicht,

vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.

Denn der Herr ist deine Zuversicht,

der Höchste ist deine Zuflucht.

Es wird dir kein Übel begegnen,

und keine Plage wird sich deinem Hause nahen.

Denn er hat seinen Engeln befohlen,

daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen,

daß sie dich auf den Händen tragen

und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Über Löwen und Ottern wirst du gehen

und junge Löwen und Drachen niedertreten.

„Er liebt mich, darum will ich ihn erretten;

er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.

Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not,

Ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.

Ich will ihn sättigen mit langem Leben

und will ihm zeigen mein Heil“.

Kommt , laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Gott, himmlischer Vater, du kennst uns, dir vertrauen wir uns an: Oft sind wir nur auf uns selbst bedacht und sehen nicht die Menschen, die uns entgegenkommen. Oft sind wir nur von uns selbst überzeugt und achten nicht auf die Worte, mit denen du uns weiterhilfst. Oft sind wir nur von der Hektik des Alltags bestimmt und übersehen die Momente, in denen sich der Himmel öffnet. So bitten wir: Öffne du unsere Ohren und Herzen, hilf uns zu achten auf die Menschen, auf dein Wort, auf deine Liebe.

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Weil Gottes gute Mächte uns behüten und bewahren auf unseren Wegen, stimmen wir ein in das Lob:

„Ehre sei Gott in der Höhe:“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Gott des Himmels und der Erde,

in vielfältiger Weise kommst du uns nahe,

schenkst uns deine Liebe und Gnade.

Laß deine Engel bei uns sein,

daß sie uns begleiten auf unserem Weg,

daß sie uns Freude schenken

und neue Möglichkeiten zeigen.

Laß uns durch sie deine Nähe erfahren.

Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

Josua 5, 13-15

Und es begab sich, als Josua bei Jericho war, daß er seine Augen aufhob und gewahr wurde, daß ein Mann ihm gegenüberstand und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte. und Josua ging zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden? Er sprach: Nein, sondern ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde nieder, betete an und sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem Knecht? Und der Fürst über das Heer des Herrn sprach zu Josua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst, ist heilig. Und so tat Josua.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 346, 1+3+4

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Mt. 18, 1-5.10

Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied 331, 1-3+5+10

Pfarrerin: Predigt:

Hebr. 1, 7.13-14

Von den Engeln spricht er zwar: „Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen“,

Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache?“

Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?

Liebe Gemeinde,

Heute ist Michaelistag, der Tag des Erzengels Michael. Übersetzt heißt er: „wer (ist) wie Gott?“

Michael wurde zum Schutzpatron des deutschen Volkes, daher später „der deutsche Michel“. Luther hat das Fest des Erzengels Michael hochgeschätzt.

In einer Überlieferung heißt es: „er ist der Schlüsselbewahrer des Himmelreiches, nimmt die Gebete der Menschen entgegen und trägt die guten Werke der Frommen zu Gott empor“.

Der Tag an dem dem Engel Michael, eben Michaelis, gedacht wird, ist Grund genug, auch heute an diesem Sonntag über das Wirken der Engel nachzudenken.

Sicherlich kennen viele von Ihnen den Abendsegen aus Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“:

Abends, will ich schlafen gehn,

vierzehn Engel um mich stehn:

zwei zu meinen Häupten,

zwei zu meinen Füßen,

zwei zu meiner Rechten,

zwei zu meiner Linken,

zweie, die mich decken,

zweie, die mich wecken,

zweie, die mich weisen,

zu Himmels Paradeisen!

Für Kinder ist die Welt voller Geheimnisse und Wunder. Sie können mehr sehen und erfahren, weil für sie alles möglich ist und die Welt noch nicht festgelegt. Die meisten haben das verlernt, als sie erwachsen wurden. Vernünftig und aufgeklärt trauen wir den kleinen Wundern des Alltags nicht mehr – und so sind auch die Engel in Vergessenheit geraten.

Doch in der Bibel wird viel erzählt von Gottes Engeln, immer wieder begegnen Menschen ihnen – von den Anfängen bis zu den Visionen des Johannes. Engel lassen die Menschen erfahren, was Gott ihnen Gutes bringt: Sie helfen und schützen, sie bringen Menschen auf den Weg und trösten. Sie gehen mit auf dem Weg des Volkes Israel durch die Wüste, und ein Engel sagt Maria die Geburt Jesu an. Dabei spielt es keine Rolle, wie die Engel aussehen, ja, das kann sogar sehr verschieden sein: Sichtbar oder unsichtbar, manchmal in der Gestalt von Menschen erscheinen sie. Im Hebräerbrief wird knapp zusammengefaßt, was sich über die Engel sagen läßt: „Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?“

Dem Schreiber des Hebräerbriefes kommt es darauf an: Engel gelten nichts für sich, sie gehen ganz auf in ihrem Auftrag: Als dienstbare Geister bringen sie Gottes Güte unter die Menschen: Engel helfen und begleiten Menschen, Engel kündigen Neues an.

So sind die Engel nicht faßbar, nicht dingfest zu machen. Und doch läßt sich ihr Wirken erfahren: Wie sie uns schützen und ermutigen, wie sie uns Gottes Liebe nahebringen. Darum möchte ich von den Engeln nicht allgemein reden, sondern ihre Spuren im Alltag und in der Bibel suchen; von vier solcher Spuren will ich erzählen.

„Sie sind ein Engel“, sagte die alte Frau und sah ihre Nachbarin freudestrahlend an. Die war gerade hereingekommen mit einer schweren Einkaufstasche. Seit die Frau nach ihrer Operation nicht mehr so gut gehen konnte, war sie darauf angewiesen, daß ab und an jemand für sie einkaufen ging. Schön, daß ihre Nachbarin dazu Zeit hatte.

Du bist ein Engel – meist ist ein solcher Satz wohl einfach so, halbernst, dahingesagt. Und doch: Mindestens in unserer Sprache haben sie sich gehalten. Menschen, die uns helfen, die uns Gutes tun, werden als Engel bezeichnet. Mein Engel wird die Geliebte genannt, und die Helferinnen im Krankenhaus heißen rosa Engel. Hinter solchen Worten verbirgt sich vermutlich oft mehr: ein Wissen darum, daß die Engel nicht ausgestorben sind, daß ihre Spuren mitten in unserer modernen Welt zu finden sind. Es gibt eine Sehnsucht danach, auch heute Gottes Engel zu begegnen.

Wie das geschehen kann, dazu gibt der Hebräerbrief einen Hinweis: „Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn dadurch haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ Gastfreundschaft, das ist auch die Freundlichkeit gegenüber Fremden. Menschen aus anderen Ländern und Kulturen freundlich aufzunehmen, das ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, denn hier wird gesagt: „Dadurch haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ Wie eintönig verliefe unser Leben, wären da nicht die Begegnungen mit unbekannten Menschen. Sie weiten den Horizont und zeigen, wie bunt und vielfältig das Leben sein kann. In der Begegnung öffnet sich die Welt der Engel.

Müde war der Prophet Elia. Einfach müde und enttäuscht. Darum zog er sich zurück, ganz allein in die Wüste. Von den Menschen wollte er nichts mehr wissen. Und auch von Gott nicht. So legte er sich, es konnte ihn nichts mehr halten. Er wollte nur noch Ruhe, schlafen, sterben. Es ist genug, sprach er, so nimm nun, Herr, meine Seele.

Wer weiß, wie lange er so gelegen hat und geschlafen. Auf einmal erwachte er. Der Duft von frisch gebackenem Brot hatte ihn aufgeweckt: Oder war es ein Engel, der gesagt hatte: Steh auf und iß? Er richtete sich auf und schaute um sich. Fladenbrot lag da, und daneben stand ein Krug voll frischen Wassers. Elia merkte, wie seine Lebensgeister sich wieder regten. Noch hielt ihn aber seine Müdigkeit, und er legte sich wieder schlafen. Und wieder spürte er, wie ein Engel ihn anrührte und sagte: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und da aß Elia vom Brot, trank Wasser und ging los – auf den Weg ins Leben.

Der Engel hat ihn auf den Weg gebracht. Ein Bote Gottes, der ins Leben zurückruft. Er ist da – im richtigen Moment. Als Elia ganz am Ende ist, gefangen in seiner Depression. Ohne Mut und Hoffnung. Da ist der Engel bei ihm und rührt ihn an. Er läßt Elia nicht fallen in die Schatten des Todes, sondern holt ihn heraus. Mit Hilfe des Engels kommt Elia wieder auf die Beine, seine Verzweiflung wandelt sich in neuen Mut, und der Engel zeigt ihm: Du bist noch nicht am Ende, du hast noch viel vor dir.

Wie gut, daß es Engel gibt. Sie zeigen uns die Möglichkeiten des Lebens, gerade wenn alle Wege verschlossen scheinen. Der Schmerz kann allen Lebensmut verzehren. Die Engel zeigen uns, daß das Leben noch viele Möglichkeiten für uns bereithält, von denen wir noch gar nicht wissen.

„Der hat aber einen Schutzengel gehabt“ – heißt es. Nach einem gefährlichen Unfall ist er noch einmal glimpflich davongekommen, es hätte ganz anders ausgehen können. Aber das ist wohl meistens nur schnell dahingesagt, das mit dem Schutzengel. Wer glaubt denn wirklich, daß es ein Schutzengel war? Immerhin, in solchen Worten kommt wohl eine Sehnsucht zum Ausdruck – nach dem, was wir als Kinder einfach so glauben konnten: daß wir nicht alleingelassen sind in den Gefahren des Lebens. Die Sehnsucht, daß unser Leben in guten Händen ist.

Für Martin Luther war das selbstverständlich. In seinem Morgengebet heißt es: „Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde.“ So sollte jeder Tag beginnen: mit der Bitte, daß Gottes Engel bei uns ist. Der kann uns begleiten und trösten, der bietet uns Schutz und öffnet uns die Augen, für den Himmel über uns und in uns. Der Engel, den Luther meint, ist die gute Macht Gottes, die jedem persönlich gilt. Gott ist für uns unverfügbar, und doch ist seine Liebe erfahrbar im Engel, der uns begleitet. So wie ein Kind begleitet und geführt wird von der Hand der Mutter oder des Vaters, so geht im Engel Gott mit ins.

Das ist freilich keine Garantie für ein sorgenfreies Leben; so, als könnte uns nichts passieren, weil die Schutzengel schon auf uns aufpassen. Aber im Vertrauen auf Gottes Engel kann ich wissen: Ich bin nicht allein auf den Wegen des Lebens. Ich bleibe behütet im Auf und Ab des Alltags. Trotz aller Probleme, Gefahren und Auforderungen: Ich bleibe geborgen im Schutz des Engels Gottes. In dem eben gehörten Psalm heißt es: „Gott hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen“.

Meistens singen oder musizieren Engel. So jedenfalls hat es den Anschein, wenn man sich ältere Darstellungen von Engeln ansieht. Warum werden Engel so oft singend und musizierend dargestellt? habe ich mich gefragt; und ich glaube: Die Musik der Engel ist wie eine Melodie mitten in der Nacht. Mitten in einer Welt voll Streit und Haß ertönt leise diese Melodie von Frieden und Hoffnung, von Gottes Reich. Die Musik der Engel verrät uns: Es gibt noch mehr als das, was wir sehen; wir bleiben gehalten von Gottes Kraft. Dietrich Bonhoeffer hat das in seiner Haft in einem Brief an seine Braut so zum Ausdruck gebracht:

„Deine Gebete, gute Gedanken, Worte aus der Bibel, längst vergangene Gespräche, Musikstücke und Bücher – das alles gewinnt Leben und Realität wie nie zuvor. Es ist eine große unsichtbare Welt, in der man lebt. An ihrer Realität gibt es keinen Zweifel. Wenn es in dem alten Kirchenlied von den Engeln heißt: zwei, um mich zu decken; zwei, um mich zu wecken – so ist diese Bewahrung durch gute unsichtbare Mächte am Morgen und in der Nacht etwas, das Erwachsene heute genau so brauchen wie die Kinder. Darum sollst du nicht denken, ich wäre unglücklich.“

Wohlgemerkt, das schreibt Bonhoeffer wenige Monate vor seiner Hinrichtung. Die Schrecken von Bombennächten und Naziterror bestimmen seine Tage; und doch weiß er mitten im Leid um die andere Dimension des Lebens. Mitten im Unfrieden der Welt bleibt leise die Musik der Engel.

Amen.

Gemeinde: Lied 142, 1+2+5+6

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 170 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Guter Gott,

Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren,

der du uns nahe kommst in deinen Boten, den Engeln,

wir bitten dich:

für alle, die einsam oder allein sind: daß sie Nähe erfahren;

für die, die um einen geliebten Menschen trauern: daß sie Trost finden;

für die Kranken in der Nähe und in der Ferne: daß sie Kraft bekommen;

für die Verzweifelten, die aufgeben wollen: daß sie wieder Mut schöpfen;

für alle, die leiden unter den Ungerechtigkeiten: daß sie Recht erfahren;

für alle, die sich nach einem besseren Leben sehnen: daß sie Leben in Fülle finden.

Laß deine Engel unter uns gegenwärtig sein:

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel

Gottvertrauen

Pfarrerin Marion Eimuth

10.11.1996

Predigt, 1. Thess.5,1-6

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Immer wieder tauchen die alten quälenden Fragen auf: Wer bin ich? Woran soll ich glauben? Was ist richtig und falsch? Was soll ich tun? Woher komme ich und wohin gehe ich? Es sind die Fragen nach dem Sinn des Lebens. Die Antworten darauf werden von den Kirchen erwartet.

Antworten der gleichen Art wurden auch von Paulus erwartet, der in Thessalonich eine Gemeinde gegründet hatte und zwar schon recht früh. Nachdem Paulus in Philippi große Mißhandlungen erlitten hatte, hat er den Mut in Thessalonich die frohe Botschaft weiter zu predigen. Zur Gemeinde zählten gottesfürchtige Griechen, vor allem auch vornehme Damen der Stadt.

Paulus hatte den Thessalonichern das bevorstehende Kommen Christi verkündigt. Nun, da Paulus weitergereist ist erwarten sie die Wiederkunft Jesu noch zu ihren Lebzeiten. Aber schon einige Jahre waren vergangen und etliche Gemeindeglieder bereits gestorben.

Die Sorge der Thessalonicher mußte brieflich verhandelt werden. Sie fragen Paulus:

Wann kommt Jesus denn nun? Unsere lieben Verstorbenen haben seine Wiederkunft nicht erlebt – sind sie dann von dem Heil, das Jesus uns bringen wird, ausgeschlossen? Und werden wir ihn empfangen können, oder sind auch wir von der Seligkeit ausgeschlossen, wenn wir vorher sterben?

Auf diese Fragen anwortet Paulus:

1. Thess. 5, 1-6

Über Zeit und Stunde, Brüder und Schwestern, brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selbst wißt genau, daß der Tag des Heern kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit! kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau, und es gibt kein Entrinnen. Ihr aber, Brüder und Schwestern, lebt nich im Finstern, so daß euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann. Ihr alle seid Söhne und Töchter des Lichts und Söhne und Töchter des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.

Das Entscheidende sind nicht Zeit und Stunde.

Entscheidend ist der Glaube, zu dem ihr gekommen seid, und die Hoffnung auf Gott. Mit Liebe beantwortet er die Fragen seiner Gemeinde: Ihr seid zu dem Glauben an Christus gekommen, das ist eine Hoffnung, die über Zeiten und Stunden hinausgeht.

Ihr habt den Glauben, daß Christus gestorben und auferstanden ist. In diesem Glauben sind eure Angehörigen gestorben.

Dieser Glaube macht euch und eure verstorbenen Angehörigen unverbrüchlich zu Kindern des Lichts. Die Auferstehung Christi ist grenzenlos, sie umfaßt auch eure Toten. In diesem Glauben bleibt, lebt darin, festigt euch darin. Dann kann Jesus wiederkommen, wann er will und wie er will – ihr seid immer schon mit ihm verbunden. Bleibt auf eurem Weg.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß die Fragen der Thessalonicher uns nicht mehr betreffen. Wem macht es das Herz schwer, daß er Jesus zu seinen Lebzeiten vielleicht nicht mehr begegenen wird? Doch diese Fragen und die Antwort des Paulus beinhalten ein menschliches Grundthema, ein christliches Grundthema, das auch uns betrifft.

Da hat etwas begonnen, z.B. die Arbeit für das Reich Gottes, aber das Reich Gottes ist unendlich fern. Wir leben und arbeiten für Ziele, aus unserem Glauben heraus, auf Gottes Wort hin, aber die Erfüllung, der „Erfolg“ bleibt aus. Unsere Fragen könnten vielleicht so lauten:

Wann endlich verändert sich denn etwas hin zu Friede und Gerechtigkeit? Wann fruchtet unsere Arbeit mit den Kindern- und Jugendlichen. Wann gelingt es uns, die Ohren für die Probleme der Obdachlosen zu öffnen – anstatt wie hier in Frankfurt eine „Gefahrenabwehrverordnung“ zu erlassen.

Wann kommt Gottes Reich? Wie kann es gelingen, daraufhin zu leben angesichts ausbleibender „Erfolge“, ausbleibender Veränderungen?

Das Reich Gottes ist kaum wahrnehmbar, leben wir Christinnen und Christen wirklich in einer begründeten Hoffnung?

Gerade zur Jahrtausendwende macht sich wieder eine Angst vor dem Weltuntergang breit. Da kommen eine Vielzahl von neuen religiösen Gruppen auf, die sich dieser Endzeitstimmung bemächtigen. Versprechen das Heil und Überleben nur in ihrer jeweiligen Gruppe und nutzten die Ängste der Menschen schamlos aus.

Doch bereits Tausend Jahre zuvor gab es das auch schon einmal. Damals hat man Zeichen des nahen Endes gesammelt und das eigene Leben im Licht dieser Endzeichen gedeutet. In der damaligen Frömmigkeit drückte sich die Endzeitfurcht auch dadurch aus, daß man möglichst viele gute Werke tun wollte: Höchste Aktivität und baldige Erwartung des Jüngsten Tages schließen sich nicht aus.

„Über Zeit und Stunde brauche ich euch nicht zu schreiben“, so Paulus.

Das ist manchmal ganz schön schwer, so völlig auf sein Gottvertrauen und auf die Hoffnung verwiesen zu sein, eine Hoffnung, die nicht sieht, die unabhängig ist von „Erfolg“, von sichtbarer Erfüllung.

„Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“. Völlig überraschend, unberechenbar.

Manchmal ist der Tag Gottes heute. Heute, wenn Mauern fallen. Heute, wenn Versöhnung gelingt. Heute, wenn ein Mensch endlich aus seiner Trauer heraustritt. Heute, wenn ein Durchbruch gelingt, plitisch, seelisch, gesundheitlich…

Heute ist Gottes Tag, wo wir hier Gottesdienst feiern, sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes in dieser Welt. Und wie gering auch immer unser Christsein gegenüber der Finsternis dieser Welt sein mag: es ist doch Gottes Anwesenheit in dieser Welt. Durch uns hindurch. Gott kommt, wann und wie er will. In kleinen Ereignissen, in großen Umwälzungen. In kleinen Leuten, seltener in großen Leuten. Wann Gottes Reich ganz und gar verwirklicht sein wird – da müssen wir uns dieselbe Antwort gefallen lassen wie die Thessalonicher. Ihr seid Kinder des Lichts. Bleibt auf eurem Weg. Festigt euren Glauben. Zeit und Stunde sind unwichtig. Ihr seid doch sowieso mit Gott verbunden.

Einer, der sich mit Gott auch in der Gefangenschaft im Konzentrationslager verbunden fühlte, war Dietrich Bonhoeffer.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich träte aus meiner Zelle,

gelassen und heiter und fest

wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar,

als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,

ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig, lächelnd und stolz,

wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich,

was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das,

was ich selbst von mir weiß?

unruhig, sehnsüchtig, krank,

wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem,

als würgte mir einer die Kehle,

hungernd nach Farben, nach Blumen,

nach Vogelstimmen,

dürstend nach guten Worten,

nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür

und kleinlichste Kränkung,

umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde

in endloser Ferne,

müde und leer zum Beten, zum Denken,

zum Schaffen,

matt und bereit,

von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser

und morgen ein anderer?

Bin ich beides zugleich?

Vor Menschen ein Heuchler

und vor mir selbst

ein verächtlich, wehleidiger Schwächling?

Oder gleicht, was in mir noch ist,

dem geschlagenen Heer,

das in Unordnung weicht

vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.

Wer ich auch bin, du kennst mich,

Dein bin ich, O Gott!

Bonhoeffer hat diesen Text im Gefängnis und kurz vor seinem Tod geschrieben. Er ist fern von seinen Freunden und seiner Arbeit, zurückgeworfen auf die Frage Wer bin ich? Und Bonhoeffer antwortet: „Wer ich auch bin, du weißt es.“ Das ist Glaube und das ist die große Erwachsenheit diese Frage sich selber unbeantwortet zu lassen.

Und so stürzt Bonhoeffer sich im Gebet aus dieser Frage in den freien Fall: Dein bin ich, o Gott. Und er hofft, daß er nicht in eisige Abgründe fällt. Er hofft, daß sein Name aufgeschrieben ist im Buch des Lebens, auch wenn er ihn selber noch nicht kennt.

Das ist genau der Glaube, den Paulus sich wünschte. Paulus lehrt uns auch in ausweglosen Situationen Gottvertrauen zu haben. Bonhoeffer hatte es.

Amen.

Esoterik

Andacht, 19. 7. 1996, Pfarrerin Marion Eimuth

Lied: EG 503 Geh aus mein Herz 1-3

Psalm 36, Nr. 719

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Das Haus ist leerer geworden. Viele Kolleginnen und Kollegen sind schon in den Sommerurlaub aufgebrochen oder werden dies noch am Wochenende tun. Es locken südliche Sonne, Sandstrände und laue Sommernächte. Manche Familie hat lange in Reisekatalogen geblättert, um die schönsten Wochen des Jahres vorzuplanen. Viele träumten lange von diesem Sommerurlaub.

Mit solchen Träumen der besonderen Art wurde ich beim Blättern durch esoterische Reisekataloge konfrontiert.

Sicher – es war schon immer etwas teurer einen besonderen Geschmack zu haben und so sind denn auch solche Angebote von Feuerlauftrainern, Pyramidenexperten, Reiki-Lehrern oder Astrologen bis zu Spezialisten für tandrische Körperarbeit etwas teurer als der Pauschalurlaub von der Stange.

Doch dies ist kein Argument gegen solche Angebote. Mich haben zwei Dinge nachdenklich gestimmt.

Zum einen zeigt sich in den weiterhin boomenden Psychomarkt eine Sehnsucht nach Sinndeutung. Da wird in einer internen Analyse der Reiseveranstalter die durchschnittliche Esoreisende als eine Frau – denn es sind über 70 % Frauen – als eine Art Frau beschrieben, die sich gerne mit schönen Dingen umgibt, wie beispielsweise Seidentüchern, Edelsteinen, und Auro-Soma-Fläschchen oder Aromalampen. Die durchschnittliche Esoreisende hat den Wunsch, ganzheitlich gesund zu werden, um im Einklang mit sich selbst zu kommen.

Da ist der Wunsch sich selbst zu vergewissern, der Wunsch auf die letzten Fragen des Lebens eine Antwort zu finden. Und diese Fragen sind eben die drei existentiellen, religiösen Fragen des Menschen: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich?

Diese Fragen, so will uns die Esoszene glauben machen, kann ich beantworten, wenn ich den richtigen Kurs, den richtigen Urlaub buche. Dann fahre ich zu den Kraftplätzen Spaniens um die ungeheure Energie zu spüren. Und wenn ich diese Energie nicht mehr spüre, fahre ich zum „Erdchakra“, der intensivsten Energiequelle unseres Planeten, so ein esoterischer Reiseveranstalter.

Und so muß der esoterisch Suchende von einem Selbstverwirklichungsangebot zum anderen hecheln und findet vermutlich nie eine Antwort. Wir Christinnen und Christen haben es in gewisser Weise einfacher. Im Markusevangelium, Kapitel 4, Verse 39 und 40 heißt es: „Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und so entstand eine große Stille. Und er sprach zu den Jüngern: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? „

Wir als Christinnen und Christen müssen nicht ständig auf Achse sein, um uns zu finden. Wir brauchen nicht ständig um den eigenen Bauchnabel zu kreisen, als sei dies unser goldenes Kalb. Nein, wir dürfen ganz unbeschwert die Wunder Gottes annehmen. Und das größte Wunder ist sicherlich, daß uns dieser Gott als Mensch mit allen Fehlern angenommen hat. So ist es durch die Taufe bezeugt worden.

Dies ist mein zweiter Einwand gegen die Esoterikszene. Wir als Menschen müssen gar nicht fehlerfrei werden. Wir müssen nicht von einem Kurs zum nächsten hecheln, um immer mehr von uns zu wissen, um immer besser zu werden. Nein, im Gegenteil. Wir müssen lernen, mit unseren Fehlern, mit unseren Schwächen aber auch mit unseren Stärken zu leben. Denn wir sind Geschöpfe Gottes, von diesem ohne Vorbedingungen angenommen, verpflichtet unsere Fähigkeiten in Demut in unseren Alltag einzubringen und sind eben nicht Gott selbst.

Deshalb können wir in Gelassenheit und in Gottvertrauen unseren Urlaub antreten. Ob spirituell im Kloster oder von der Stange auf Mallorca.

Gebet:

Hilfreicher Gott,

Furchtlosigkeit brauchen wir,

um dir nachzufolgen,

um nachzuspüren den Gründen

der Hoffnungslosigkeit und der Angst,

um zu überwinden, was uns feige und

antriebslos macht.

Du rechnest mit uns.

Dein Geist inspiriert uns.

Dein Wort bewegt uns.

Geschwister denen zu werden,

die eingezwängt sind im Elend,

die von Gott und der Welt nichts erwarten,

die resignieren.

Du stehst am Anfang unseres Lebens.

Du erwartest uns am Ende

mit deinem Licht,

das alles klärt und heilt.

Laß uns nicht fallen

auf den komplizierten Wegen durchs Leben.

Von Abwegen und Irrwegen

hole uns zurück in deine Nachfolge.

Hilf uns, den christlichen Glauben

nicht in die innerlichsten Zellen des Lebens

zu verbannen,

oder auf eine Insel der Seligen abzuschieben.

Befreie Menschen aus der Gefangenschaft

der Angst und der Ausweglosigkeit

und ziehe uns in diesen Befreiungsprozeß hinein. Amen.

Lied: EG 503, 13 – 15

Segen:

Gott, der Ursprung und Vollender aller Dinge,

segne dich, gebe dir Gedeihen und Wachstum,

Erfüllung deinen Hoffnungen,

Frucht deiner Mühe,

und am Ende das Ziel deiner Wege. Amen.

Friede und Liebe werden möglich

Pfarrerin Marion Eimuth

4. Sonntag nach Trinitatis 30.6.96

Röm. 12, 17 – 21

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 452, 1, 2, 4+5

Pfarrerin: Psalm 42:

Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,

so schreit meine Seele, Gott, zu dir.

Meine Seele dürstet nach Gott,

nach dem lebendigen Gott.

Wann werde ich dahin kommen,

daß ich Gottes Angesicht schaue?

Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,

weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?

Daran will ich denken und ausschütten mein Herz bei mir selbst:

wie ich einherzog in großer Schar, mit ihnnen zu wallen zum Hause

Gottes mit Frohlocken und Danken in der Schar derer, die da feiern.

Was betrübst du dich, meine Seele,

und bist so unruhig in mir?

Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,

daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir,

darum gedenke ich an dich aus dem Lande am Jordan und Hermon,

vom Berge Misar.

Deine Fluten rauschen daher, und eine Tiefe ruft die andere;

alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich.

Am Tag sendet der Herr seine Güte,

und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens.

Ich sage zu Gott, meinem Fels:

Warum hast du mich vergessen?

Warum muß ich so traurig gehen,

wenn mein Feind mich dränget?

Es ist wie Mord in meinen Gebeinen,

wenn mich meine Feinde schmähen und täglich zu mir sagen:

Wo ist dein Gott?

Was betrübst du dich, meine Seele,

und bist so unruhig in mir?

Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,

daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Kommt, laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Gott, du willst, daß alle Menschen mit sich, mit anderen und mit dir in Einklang und zufrieden leben, damit Friede und Liebe das letzte Wort haben gegenüber dem, was trennt und was Leiden schafft.

Du traust uns zu, daß wir aus deiner Liebe Kraft und Mut schöpfen, dem Bösen zu widerstehen und ihm Gutes entgegenzusetzen.

Dennoch gibt es Tage, da fühlen wir uns dem Bösen näher als dem Guten: Wir tun Unrecht, verweigern uns dem Anliegen unseres Nächsten, sehen über Not hinweg. Wir fühlen uns innerlich zerrissen zwischen dem Guten, das wir wollen, und dem Bösen, das wir trotzdem tun.

Wir bitten dich, zeige uns immer wieder Möglichkeiten, wie wir aus unseren Feinden unsere Freunde machen können.

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Gott pflanzt uns seine Liebe ein,

so daß auch wir zur Liebe fähig werden:

andere zu segnen statt zu verfolgen,

anderen Gutes zu tun statt Böses,

Frieden zu schaffen statt zu hassen,

uns zu versöhnen statt zu rächen:

„Ehre sei Gott in der Höhe!“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Herr, unser Gott, du siehst uns und kennst uns.

Da sind wir mit allem, was uns in der vergangenen

Woche gefreut hat, mit allem, was uns geglückt ist.

Wir danken dir dafür. Da sind wir mit allem, was uns belastet hat, mit allem,

womit wir den anderen Mühe gemacht haben. Nimm du es uns ab.

Laß uns jetzt über unserem Leben und über unserer Welt den hellen Schein deiner Barmherzigkeit wahrnehmen. Wir warten auf dein Wort, daß es uns zurechtbringe, daß es uns tröste und heile und fröhlich mache. Im Namen Jesu sind wir beisammen und warten auf dich. Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

1. Mose 50, 15 – 21

Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.

Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, daß sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten.

Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe wir sind deine Knechte.

Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 243, 1,2,4+6

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Lukas 6, 36 – 42

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht. so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.

Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr meßt, wird man euch wieder messen.

Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?

Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?

Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied 495, 1-3

Pfarrerin: Preidigt:

Röm. 12, 17 – 21

Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“

Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“.

Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Liebe Gemeinde,

Gut und Böse, das ist ein Thema, das seit Menschengedenken die Menschen beschäftigt und weiter beschäftigen wird, solange es Menschen gibt. Schriftsteller und Märchenerzähler, Philosophen und Theologen haben intensiv darüber nachgedacht. Auch der Apostel Paulus hat dies in seinem Brief an die Römer getan.

Er setzt sich mit der Erscheinung des Bösen auseinander. Genauer gesagt, geht es um das Böse, wie es uns in dem Verhalten böswilliger und feindseliger Menschen begegnet.

Zunächst überrascht die Nüchternheit, mit der die Bibel von der Möglichkeit des Bösen redet, ja sie sozusagen als den Normalfall ansieht, über den sich besonders zu wundern oder zu beklagen kein Anlaß besteht. Diese Wirklichkeit des Argen, unter der wir zu leiden haben, läßt sich weder durch psychologische Theorien auflösen, noch durch soziale oder pädagogische Reformen allmählich zum Verschwinden bringen.

Wie soll man sich nun verhalten, wenn jemand einem Schlechtes zufügt?

Allgemein kann man beobachten, daß Böses mit Bösem vergolten wird. Ja, dies kommt in der Welt so häufig vor, es ist scheinbar so normal, daß man schon fast von einem Gesetz der Vergeltung und Rache sprechen kann. Blickt man auf das allgemeine Weltgeschehen, dann fällt auf, wie oft in den Nachrichten von Gewalt und Gegengewalt berichtet wird, wie oft da z.B. von „Sanktionen“ die Rede ist, die verhängt werden.

Das Rad der Vergeltung ist in ständiger Bewegung. Im großen Weltgeschehen wie im kleinen, privaten Bereich herrscht allgemein die Regel, daß Böses mit Bösem vergolten wird, auch wenn die Betreffenden dies weit von sich weisen würden. Das gilt für die Gerüchteküche, für üble Nachrede, für Feindseligkeiten zwischen Nachbarn oder innerhalb des Stadtteils oder des Dorfes.

Und es ist ja auch nur allzu verständlich! Wenn einem Schlechtes widerfährt, ist man voller Ärger und Zorn. Dieser Ärger verleitet dazu, dem betreffenden Menschen wiederum ein Übel zuzufügen, ihn bewußt und unbewußt zu bestrafen, oder zumindest ihm etwas Gutes vorzuenthalten! Man ist guten Willens, aber es gelingt nicht; man will ruhig bleiben und wird doch aufbrausend, man will umsichtig sein und doch entwickeln sich die Worte verletzend. Es ist eine große Versuchung so zu reagieren, ja man könnte meinen es ist wie eine heimliche Kraft, wie ein Sog, gegen den man nicht ankommt. Wer könnte sich vollends davon freimachen?

Genau das aber ist die eigentliche Gefahr für uns Christinnen und Christen – die Neigung, dem Übel mit Üblem zu begegnen.

Diese Neigung des Menschen, so sagt Paulus, bedeutet den Sieg der Lieblosigkeit und stärkt das Böse! Wir lassen uns auf die Spielregeln des Bösen ein, unser Denken und Handeln richtet sich dann nach dem Prinzip von Schlag und Gegenschlag. Wir lassen uns in die teuflische Logik des Bösen hineinziehen. Jede „Rache“ ist ein Unterfangen, „den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben“ und stärkt die Macht des Gottfeindlichen. Das Rad der Vergeltung ist in ständiger Bewegung, und dabei kommt es gerade darauf an, daß dieses Rad des Verderbens an uns Christinnen und Christen zerbricht. Wir sollen uns in der Begegnung mit dem Bösen eben nicht besiegen lassen, sondern uns selbst als Sieger bewähren. Das geschieht aber nur dadurch, daß wir uns entschlossen dem Sog nach Vergeltung entgegenstellen, indem wir „auf Gutes bedacht sind gegenüber jedermann“. Nur die Kräfte des Guten, des Guten Willens, der guten „Nachrede“, des guten Handelns bedeuten einen Schutz gegen die Ansteckung durch das Böse.

„Soweit es an euch liegt, haltet mit den Menschen Frieden“, sagt Paulus. Das heißt doch: Wir sind nicht allein für den Frieden verantwortlich, wir müssen nicht alles hinnehmen.

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. sagt Schiller. Aber es gilt das eigene dazuzutun, es gilt seinen Beitrag zu leisten und in diesem Bemühen beharrlich zu bleiben.

Paulus weist uns auch an, wie wir uns gegenüber dem übelwollenden Menschen verhalten sollen: „Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln (Spr 25,2f). Wer seinem Feind Gutes tut, wird feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln, d.h. der wird ihn so beschämen, daß es in ihm wie ein Feuer brennt. Und diese Freundlichkeit kann unter Umständen sein verhärtetes Herz erweichen und so das üble Wollen in ihm überwinden.

Aber wenn das so leicht wäre mit dem, was Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom empfiehlt: nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern Gutes tun; sich nicht vom Bösen überwinden lassen, sondern das Böse mit Gutem überwinden. Es klingt so, als wäre es das Einfachste auf der Welt.

Sicherlich, seine Welt damals war anders als unsere heute. Vieles war undenkbar, was für uns heute selbstverständlich ist. Aber es gab mindestens genausoviel Böses, das bedrohlich für die Menschen war. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es der Gemeinde in Rom leichter fiel als uns heute, Böses mit Gutem zu überwinden.

Doch Paulus weiß, wovon er schreibt. Er kennt die Welt und die Menschen – und er kennt sich. Er weiß – nicht zuletzt aus seiner eigenen Lebensgeschichte – um diesen Gegensatz von Gut und Böse: Aus dem Christenverfolger Saulus wurde der Christenanwalt Paulus. So verschließt er vor dem Bösen nicht seine Augen, sondern bestätigt, daß es Böses gibt: Strukturen und Situationen, an denen Menschen leiden. Und – er verteufelt nicht das Böse an sich und damit die Menschen, die Böses tun, sondern nimmt es als gegeben an und setzt sich mit ihm auseinander.

Zunächst betont Paulus, wie wichtig es ist, gegenüber dem Übel eine bestimmte Grundhaltung einzunehmen: Es ist überhaupt nicht unsere Aufgabe, Vergeltung zu üben. Dafür sind wir sozusagen gar nicht zuständig: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: ‚Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr“, zitiert Paulus das Alte Testament.

Dem Zorn Gottes Raum geben bedeutet, daß Zürnen Gottes Sache ist. Es ist weder unsere Aufgabe noch unser Recht Vergeltung zu üben; dies steht Gott zu und zwar ihm allein! Auf Böses mit Bösem zu antworten, greift in das Recht Gottes ein, der sich – und zwar sich allein – den „Zorn“ des Gerichts und der gerechten Strafe vorbehalten hat. Und wir können dies auch ruhig Gott überlassen. Aus dem Bibelwort spricht, daß Gott das Unrecht nicht übersieht und Recht schaffen wird, und er allein weiß wirklich, was in unserem gegenüber vorgeht. Wir können und sollen ihm diese Dinge überlassen, bei ihm sind sie in guten Händen.

Wie aber sollen wir mit unserem Ärger, ja Zorn, und dem daraus erwachsenden Vergeltungsbedrüfnis umgehen?

Den Schlüssel zu dieser Frage finden wir in den Psalmen. Wenn man sich dort den Klagepsalmen zuwendet, so verblüfft doch die Art und Weise, wie die Betenden hier sprechen: Ebenso heftig wie die Klage wird hier an Gott der Wunsch herangetragen, die Feinde mögen umkommen, ja Gott solle sie geradezu zerschmettern und vom Erdboden austilgen, von Zorn und Vergeltungsdrang durchzogene Gebete.

Die Klagepsalmen haben ihren Festen Platz in der Bibel. Zu keiner Zeit sind sie ausgeschlossen gewesen. Dies läßt den Schluß zu: Gott erlaubt uns, so heftig, von Wut und Zorn bestimmt und dabei auch ungerecht werdend zu beten. Und im Bibeltext steht ja auch keineswegs geschrieben: Denke niemals böse über deine Feind, lobe sie im Gebet.

Solch unausgewogenes und ungerecht werdendes Gebet erlaubt Gott uns auch um unseretwillen, damit uns Ärger, Wut und Haßgefühle nicht zerfressen, damit sie auf diese Weise abgebaut werden.

Der empfohlenen Grundhaltung gegenüber der Vergeltung und den Klagepsalmen ist etwas wichtiges gemeinsam: Ihr Gegenüber ist Gott; sie rechnen mit Gott, er ist und bleibt der maßgeblich Handelnde, ihm bleibt die angemessene Antwort auf das Unrecht vorbehalten.

Die Psalmgebete sind ja nicht Ankündigungen, daß man demnächst seine Feinde zerschmettern wird, sondern sind Wünsche an Gott, Aufforderungen an ihn, er möge solches tun. In den Psalmen wie auch bei Paulus wird Gott als der gesehen, in dessen Händen das Geschehen liegt.

Auf eines muß noch hingewiesen werden: Christus hat in seiner Begegnung mit dem Bösen den Sieg davongetragen. Den Weg, wie man Böses mit Gutem überwinden kann hat Jesus in seiner Bergpredigt beschrieben: Liebe verändert die Menschen und damit die Welt. Jesus hat diese verändernde Liebe verkörpert. Wer sich in Gottes Liebe hineinnehmen läßt, wird befähigt, aus der Liebe zu leben. Die Liebe ist der Maßstab für Gut und Böse. Kein Mensch soll von der Liebe ausgenommen sein, so ist es Gottes Willen, und das soll auch bei den Glaubenden so sein. Gottes Maßstab ist die Liebe, die allen Menschen gilt. Er wird es gut machen. Keiner und keine kommt bei ihm zu kurz, keine und keinen vergißt er.

Ich brauche mich nicht selbst zu rächen, brauche nicht selbst für meine Gerechtigkeit zu sorgen, wodurch ich sicherlich die Spirale des Bösen weiter fortführen würde. Das kann ich Gott überlassen. Ich kann meine Energie und Phantasie verwenden, um dem Bösen Gutes entgegenzusetzen, in mir und für die anderen; ich kann meine Energie und Phantasie verwenden, um aus meinen Feinden meine Freunde zu machen.

Es ist ein langer, schwerer Weg, zu dem Paulus die Gemeinde in Rom und uns heute ermutigt, aber es ist der einzige Weg, den Teufelskreis des Bösen zu unterbrechen. Friede und Liebe werden möglich. Friede und Liebe werden die Menschen und die Welt verändern. Amen.

Gemeinde: Lied 420, 1-5

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 171 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Freundlicher Gott, schenke uns behütetes Leben,

gib gute Zeit und Tage mit klaren Zielen. Wir bitten dich

darum für uns und alle, die du uns zu unseren Nächsten

gemacht hast.

Wir bitten dich um Augen, die hellsichtig sind für

die Zeichen der Not, für Winke zum Helfen;

um offene Ohren, die uns auch die halblauten Bitten

anderer hören lassen.

Wir bitten dich um Fingerspitzengefühl im Umgang

mit schwierigen Menschen; um ein gutes Gedächtnis

für die Sorgen, die jemand uns anvertraut hat, und für die

Dinge, die wir zu tun versprochen haben.

Wir bitten dich um gute Nerven, damit wir uns nicht an

Kleinigkeiten gegenseitig zerreiben, denn

du willst keine verärgerten Leute.

Wir bitten dich um ein fröhliches Gesicht und um

ein Lächeln, das aus dem Herzen kommt,

denn andere sollen sich an uns freuen können.

Du bist uns zugetan wie ein Freund; laß uns in

allem so gesinnt sein, wie Jesus Christus gesinnt war.

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel