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Pflegeversicherung in der Pflicht

Die ambulante Pflege durch die evangelische Kirche ist auf Jahre gesichert. Das Frankfurter Kirchenparlament, die Evangelische Regionalversammlung, debattierte intensiv und mit Leidenschaft, als es um die Zukunft der Diakoniestationen ging. Etwa drei Millionen Mark wird die Kirche jährlich zur Versorgung der Kranken zuschießen. Gut angelegtes Geld allemal. Doch gemessen an den erwarteten gut fünfzig Millionen Kirchensteuer, die nach Frankfurt fließen, wahrlich kein großer Brocken.
Theoretisch sollten die ambulanten Dienste vollständig von der Pflegeversicherung bezahlt werden. Zur Abrechnung werden dabei die einzelnen Handgriffe der Krankenschweister wie in der Autowerkstatt im Minutentakt eingeteilt – das ist Pflege im Akkord. Zum Beispiel darf die Schwester fünfzehn Minuten für Anfahrt und Begrüßung brauchen. Wer in Bornheim oder Sachsenhausen schon einmal einen Parkplatz gesucht hat, weiß, wie unrealistisch das ist. Die Statistik der Diakoniestationen weist aus, dass die evangelischen Schwestern im Durchschnitt achtzehn Minuten für Anfahrt und Begrüßung benötigen. Drei Minuten zuviel also, aber dafür sprechen sie auch mal ein aufmunterndes Wort zu Patienten und Angehörigen. Gerade von einem evangelischen Pflegedienst wird zu Recht erwartet, dass auch Zeit ist, sich Sorgen und Nöte anzuhören. Doch so etwas sieht die Pflegeversicherung nicht vor. Und so addieren sich eben die drei Minuten bei zehn Patientinnen und Patienten am Tag ganz schnell auf eine halbe Stunde. Das macht in der Woche zweieinhalb Stunden und im Monat gut zehn Stunden Arbeitszeit aus – die die Kirche voll zu tragen hat. Von all den anderen Leistungen, die erbracht werden und nicht abgerechnet werden können, ganz zu schweigen. Die Schwester der Diakoniestationen bringt auch mal Arzeneien aus der Apotheke mit oder es wird Nachtwache bei einem Sterbenden gehalten. Alles nicht abrechenbar, aber trotzdem notwendig.
Allein in Frankfurt zahlen Caritas und Diakonie jährlich Millionen, um diese Qualität der Pflege zu sichern. Es ist ein Standard, der eigentlich nicht übertrieben anspruchsvoll ist. Es sollte doch selbstverständlich sein, dass Pflegedienste Kranke nicht abweisen, nur weil ihr Haus nicht auf der im Fünfzehn-Minutentakt zu erreichenden Fahrtroute liegt. Hier ist die Pflegeversicherung gefordert. Sie sollte ihr Finanzierungssystem überprüfen. Die von der Kirche angemahnten Leistungen sind ja nun wirklich kein Luxus, sondern ein Mindestmaß an menschlicher Zuwendung. Man sollte daran denken, dass wir alle einmal auf solche Pflege angewiesen sein könnten.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt, Ausgabe November 2000 · 24. Jahrgang · Nr. 6

Religiöse Kunst inmitten der Stadt

Evangelisches Frankfurt September 2000

Religiöse Kunst mitten in der Stadt
von Kurt-Helmuth Eimuth

Frankfurt hat eine Skyline. Die Hochhäuser der Banken sind das augenfällige Wahrzeichen der Stadt. Längst haben die Banktürme die Kirchtürme um Längen geschlagen. Doch wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, findet inmitten der Häuserschluchten und Fußgängerzonen unvermutet Kunst mit christlichem Hintergrund. Kurt-Helmuth Eimuth flanierte für das „Evangelische Frankfurt“ durch die Innenstadt.

Kunst am und im Bau gehört zum guten Image einer Bank. Die Gestaltung des Gebäudes von UBS Schröder Münchmeyer Hengst in der Friedensstraße, unmittelbar neben dem Frankfurter Hof, irritiert. Ian Hamilton Finaly hat sechs schwarze Granitplatten, Gesetzestafeln gleich, mannshoch an der Außenfassade aufgestellt.
Finlay versteht sich als Dichter und nicht als bildender Künstler. So hat er sechs Texte ausgesucht, die er auf die schwarzen Granitplatten meißeln lies. Da die Texte in englisch gehalten sind und es schon sehr guter Sprachkenntnisse bedarf, sie zu übersetzen, blieben sie von den Passanten weitgehend unbeachtet. Doch die im Stil einer lexikalischen Definition ausgesuchten Texte mahnen, den Wert des Geldes nicht zu überschätzen. So findet sich etwa zur Definition eines Pfennigs, der als „Münze von einigem Wert“ bezeichnet wird, das Zitat aus dem Matthäusevangelium: „Kauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? Und doch fällt von ihnen keiner zur Erde ohne meinen Vater“. Und als Mahnung für das Gemeinwesen einzustehen, wird der Überfdluss als „ein Mangel an Sack und Asche“ bezeichnet.

Inmitten des Einkaufstrubels auf der Zeil, zwischen Katharinenkirche und Kaufhof steht die Bronzeplastik „David und Goliath“ von Richard Heß. Mit dieser Arbeit wollte der 1937 in Berlin geborenen und heute in Darmstadt lebende Künstler „ein Denkmal für den erhofften Sieg des Geistes über die rohe Brutalität der Welt, der Kultur über den Kommerz“ zu schaffen.
Von den meisten Vorübergehenden wird die Plastik kaum wahrgenommen, vielleicht, weil sie als Versammlungsfläche für Menschen ohne Wohnung fungiert oder weil das Kunstwerk erst aus einer gewissen Entfernung in seiner Gesamtheit wirkt. David sitzt auf dem riesigen Kopf und den gebrochenen Gliedern des Goliath. In der Hand hält er die Steinschleuder.

Engel auf dem Klaus-Mann-Platz, Foto: Reinhard Dietrich

Eher am Rande der Innenstadt, vor dem Eldorado Kino, findet sich eine kleine Engelfigur. Zwischen Kneipen, Boutiquen und Cafés hat Rosemarie Trockel auf dem Klaus-Mann-Platz ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus geschaffen. Die Inschrift erinnert an sie, der Engel zeigt die Verletzungen. Die zart anmutende, eher geschlechtslose Figur wurde einem Gipsmodell von 1860 für das Westportal des Kölner Doms entnommen.
Doch die von Trockel geschaffene Bronzefigur weist Verletzungen auf. Die Flügel sind gestutzt und der Kopf wurde von der Künstlerin abgeschlagen und sichtbar verrenkt wieder aufgesetzt. Die Schönheit des Engels, dessen Ästhetik auch im Zusammenspiel mit dem Engel der ehemaligen Engel-Apotheke im Eckhaus gegenüber besonders hervortritt, wird durch diese Verletzungen gebrochen. In der Widmung des Mahnmals heißt es: „Homosexuelle Männer und Frauen wurden im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet. Die Verbrechen wurden verleugnet und verurteilt.“
Die Provokation dieses Kunstwerkes, aufgestellt inmitten der Schwulenszene, in unmittelbarer Nähe der von Tom Fecht geschaffenen Klagemauer für die Frankfurter Aids-Toten am Petersfriedhof, zeigt die Auseinandersetzung um den Standort. Er mußte der Kommune regelrecht abgetrotzt werden. Die Finanzierung des Kunstwerkes übernahm ebenfalls die Bürgerschaft.

U-Bahn-Station
Gänzlich unvermutet begegnet man biblischer Überlieferung im U-Bahnnetz. Beim Ausbau der neuen Linie 7 wurden zahlreiche Haltepunkte individuell gestaltet. So greift die Haltestelle „Kirchplatz“ im Stadtteil Bockenheim Motive aus der nahen Jakobskirche auf. Die Station Habsburger Allee hat Manfred Stumpf mit einem Esels-Zyklus versehen. Das Wandmosaik ist in schwarz und weiß gehalten und erinnert an den Einzug in Jerusalem.
Eine männliche Figur auf einem Esel reitend hält einen Palmzweig in den Händen. Die ingesamt 66 Esel sind – wie die U-Bahnen auch – Transportmittel. Ein Esel ist jeweils beladen, der darauffolgende nicht. Ein Esel trägt eine Frau mit Kind, Maria mit dem Jesuskind auf der Flucht nach Ägypten t. Ein Esel tritt als Engel in Erscheinung, ein anderer trägt das Kreuz als Passionswerkzeug.
Neben diesen religiösen Bildern werden auch Alltagsgegenstände und Konsumgüter transportiert, etwa Waschmaschine, Einkaufswagen, Scheckkarte, aber auch Symbole wie: eine Weltkugel, ein Atommodell, eine Wolke. Das Wandmosaik ist eine Computerzeichnung. Das einzelne Pixel des Computerbildes entspricht den quadratischen Mosaiksteinchen. Während des Wartens auf die nächste U-Bahn lädt der Esels-Zyklus zum Meditieren und Nachdenken ein. Auf die Reise des Menschen ist der Einzug in Jerusalem gleichnishaft zu übertragen.
In der U-Bahn-Station Zoo kommt die ganze bunte Tierwelt an der einen Seite der Station aus der Arche Noah heraus und auf der anderen Seite gehen die Tiere paarweise in die Arche Noah hinein. Anfangs wurde darüber debattiert, ob die kunterbunte Bilderwelt, die das Team Hans-Jürgen Dietz und Nicolas Vassilev nach Entwürfen der Malerin Hildegard Lackschewitz gestaltet hat, überhaupt Kunst sei. In frischen bunten Farben ist diese Station gestaltet. Die Tiere und Pflanzen stellen sich als Teil der Schöpfung dar. Der Regenbogen als Zeichen der Verbundenheit zwischen Gott und den Menschen überspannt die Station.

Frankfurt – ein Freilichtmuseum
Fragen an den Leiter des Dommuseums August Heuser

August Heuser

Sie verwalten im Dommuseum eher Geschichte. Welche Beziehung haben Sie zur zeitgenössischen Kunst.
Ich bin ein großer Freund der zeitgenössischen Kunst. Sie ist vielfach sehr lebendig und bringt Bewegung und Auseinandersetzung ins tägliche Leben. Sie provoziert, das heißt sie ruft aus dem täglichen Trott der Gedanken und Wahrnehmungen heraus.

Frankfurt wird häufig als die Stadt des Geldes gesehen. Ist sie aber nicht auch eine Stadt der Kunst?
Natürlich ist Frankfurt eine Stadt der Kunst. Nicht nur die Museumslandschaft ist vielfältig und reich. Schauen Sie sich auf den Straßen und Plätzen der Stadt um. Da ist in den vergangenen Jahren ein richtiges Freilichtmuseum für zeitgenössische Skulptur, für Installationen und Bilder entstanden. Wenn man alles, was da nationalen und internationalen Rang hat zusammentrüge, dann müßte man in Frankfurt ein weiteres neues Museum bauen.

Kinder und Fernsehen: Die Elterngeneration hat gelernt, dass Fernsehen dumm macht. Doch in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts führt (fast) kein Weg am Fernsehen vorbei. In einem Workshop, veranstaltet vom evangelischen Medienhaus und dem Netzwerk Kommunikation und Medien (Komed) wurde das Kinderfernsehen untersucht und auch die Frage nach der Religion im allgegenwärtigen Medium gestellt.

Die Flimmerkiste gehört heute zur Kindheit

Evangelisches Frankfurt, Februar 2000

Die Flimmerkiste gehört heute zur Kindheit

Hier kommt die Maus! (unabhängige Bildquelle: Bodoklecksel/Wikimedia)

Kinder und Fernsehen: Die Elterngeneration hat gelernt, dass Fernsehen dumm macht. Doch in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts führt (fast) kein Weg am Fernsehen vorbei. In einem Workshop, veranstaltet vom evangelischen Medienhaus und dem Netzwerk Kommunikation und Medien (Komed) wurde das Kinderfernsehen untersucht und auch die Frage nach der Religion im allgegenwärtigen Medium gestellt.

Kurt-Helmuth Eimuth zum Stand der Diskussion.

Der Stress in der Vorweihnachtszeit erreichte bei vielen Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln seinen Höhepunkt mit einem scheinbar harmlosen Kinderwunsch. In diesem Jahr sollten unter`m Weihnachtsbaum Tinky Winky, Dipsy, Laa-Laa oder Po liegen. Die vier Windelpakete aus England haben innerhalb weniger Wochen die Herzen der Kleinstkinder erobert. Geschickt und teuer lief die Vermarktung des Frotteequartetts. Ob als Hausschuhe, Schmusepuppe oder Spiel, die Teletubbies sind immer dabei. Eine regelrechte Tubbie-Mania scheint den Nachwuchs und mithin die fürsorglichen Eltern erfasst zu haben. „Längst hat“, wie es der Geschäftsführer des Medienhauses, Helwig Wegner, formuliert, „die Fernsehwirklichkeit den Apparat verlassen“.
Seit Anfang der 70er Jahre die „Sesamstraße“ das Vorschulfernsehen einläutete, hat sich die Fernsehlandschaft, gerade für die Drei- bis Sechsjährigen, gewaltig geändert. Fernsehen bietet Unterhaltung, für die Kinder im Fragealter, gibt aber auch Antworten, die zudem die Flimmerkiste geduldig wiederholt. Doch mit den Teletubbies – und dies ist die eigentliche Herausforderung – hat ein Programm für Zweijährige Einzug in die Familien gehalten. Im Rundfunkrat soll es nach Angaben des zuständigen ARD-Programmkoordinators Gerhard Fuchs „entsetzte Mienen“ bei der Beschlussfassung gegeben haben. Gesichtszüge, die heute zahlreichen Eltern unweigerlich im Antlitz stehen, wenn es morgens um 9 Uhr im Kinderkanal vor „Ohs“ und „Ahs“ nur so gurgelt. Doch die kleinen Zuschauer machen mit, freuen sich, sprechen einzelne Worte (Winke, Winke) nach. Ältere Kinder hingegen wenden sich schnell ab. Das ist einfach zu langweilig.

Käptn Blaubär & Co

Sebastian Debertin vom Kinderkanal kann – wie auch erste wissenschaftliche Untersuchungen – keine Gefahr im munteren Treiben der Vier sehen. Sicher habe man, so sein Bericht in Frankfurt, auch innerhalb der Redaktion diskutiert, ob Zweijährige vor den Bildschirm gehören. „Doch wenn Kinder in die Röhre schauen, dann sollten sie auch das Richtige ansehen“, so Debertin. Und letzten Endes entscheiden die Eltern was, wann und wieviel an TV konsumiert wird.
Allein an einem gewöhnlichen Samstagvormittag werden die Kindersendungen von rund 3,2 Millionen Kindern gesehen. Doch ganz so erschreckend scheint diese Zahl nun auch wieder nicht, denn die Kinder sitzen etwa eineinhalb Stunden vor dem Apparat, Erwachsene gut doppelt so lang. Betrachtet man diese Statistik genauer, gehört zu den Vielsehern ein Viertel der Kinder. Sie nutzen das Fernsehen täglich mehr als zwei Stunden. Auf der anderen Seite schauen fast die Hälfte der Kindergartenkinder weniger als eine halbe Stunde. Mehr als Teletubbies und Sandmännchen ist da nicht drin.

Teletubbies, Foto: Wikimedia, Tropenmuseum

Kinder folgen ihren Eltern in den Konsumgewohnheiten. So wundert es nicht, dass im Osten Deutschlands auch bei Kindern und Jugendlichen die Privatsender deutlich beliebter sind als die öffentlich-rechtliche Konkurrenz. Und noch eines fällt auf: Wer nicht mehr klein sein will, sieht Programme für Kinder und Jugendliche. Während bei den Kleinen „Die Sendung mit der Maus“ unschlagbar ist, schauen die großen Kinder (10 bis 13 Jahre) durchaus nicht die typischen Kinderprogramme. So steht neben Sportübertragungen für diese Altersgruppe etwa „Wetten dass“ ganz oben auf der Hitliste. Unter den Top Ten dieser Altersgruppe finden sich auch die Asterix-Verfilmungen oder die Daily-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten.“ Die von den Fernsehbeiträgen angepeilten Zielgruppen werden immer jünger.
Dagegen hält sich hartnäckig die geschlechtsspezifische Aufteilung. Während die Jungen eher zu Abenteuer- und Sportsendungen (Autorennen) neigen, bevorzugen Mädchen Figuren in phantastischen Welten oder Serien, bei denen es um Liebe und Freundschaft geht. Nicht unwichtig ist ein anderer Unterschied: Mädchen sehen weniger fern als Jungen. So finden sich unter den so genannten Vielsehern (120 Minuten) weniger Mädchen.

Das Medium Fernsehen gehört zur Lebenswirklichkeit der Kinder. Es ist nicht zu verteufeln, aber der Umgang mit ihm will gelernt sein. Medienkompetenz wird nicht von Enthaltsamkeit bewirkt. Vielmehr muss sehr früh der aktive, kreative Umgang mit dem Medium gelernt werden. Warum sollte eine Dreijährige nicht die Videokamera nutzen können? Schließlich ist die Bedienung kinderleicht.
Zur Lebenswirklichkeit von Kindern gehört aber auch Religion. Die Frage, warum Tinky Winky nicht betet, konnte der Workshop zwar nicht beantworten. Allerdings wies Dieter Saldecki vom WDR und einer der „Maus“-Macher darauf hin, dass die Fernsehleute Fragen nach religiösen Deutungen nicht auswichen. Ziel sei es, mit den Sendungen den Wert des Lebens zu vermitteln. Dennoch ist Religion als Alltagswirklichkeit im Fernsehen eher eine Randerscheinung, beispielsweise wenn die Familie Simpson sich mit Gottesbildern auseinander setzt.
Ganz anders die verwendeten Bilder und Symbole: Haben die Teletubbies nicht dort wo das Gefühl sitzt, im Bauch, einen großen Fernsehapparat? Und bedeutet nicht diese pralle Sonne als Symbol Leben pur? Fragen, die womöglich der nächste Medienworkshop aufgreifen wird.

Die Flimmerkiste gehört heute zur Kindheit

Kinder und Fernsehen: Die Elterngeneration hat gelernt, dass Fernsehen dumm macht. Doch in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts führt (fast) kein Weg am Fernsehen vorbei. In einem Workshop, veranstaltet vom evangelischen Medienhaus und dem Netzwerk Kommunikation und Medien (Komed) wurde das Kinderfernsehen untersucht und auch die Frage nach der Religion im allgegenwärtigen Medium gestellt.

Kurt-Helmuth Eimuth zum Stand der Diskussion.

Maus
Maus

Der Stress in der Vorweihnachtszeit erreichte bei vielen Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln seinen Höhepunkt mit einem scheinbar harmlosen Kinderwunsch. In diesem Jahr sollten unter`m Weihnachtsbaum Tinky Winky, Dipsy, Laa-Laa oder Po liegen. Die vier Windelpakete aus England haben innerhalb weniger Wochen die Herzen der Kleinstkinder erobert. Geschickt und teuer lief die Vermarktung des Frotteequartetts. Ob als Hausschuhe, Schmusepuppe oder Spiel, die Teletubbies sind immer dabei. Eine regelrechte Tubbie-Mania scheint den Nachwuchs und mithin die fürsorglichen Eltern erfasst zu haben. „Längst hat“, wie es der Geschäftsführer des Medienhauses, Helwig Wegner, formuliert, „die Fernsehwirklichkeit den Apparat verlassen“.
Seit Anfang der 70er Jahre die „Sesamstraße“ das Vorschulfernsehen einläutete, hat sich die Fernsehlandschaft, gerade für die Drei- bis Sechsjährigen, gewaltig geändert. Fernsehen bietet Unterhaltung, für die Kinder im Fragealter, gibt aber auch Antworten, die zudem die Flimmerkiste geduldig wiederholt. Doch mit den Teletubbies – und dies ist die eigentliche Herausforderung – hat ein Programm für Zweijährige Einzug in die Familien gehalten. Im Rundfunkrat soll es nach Angaben des zuständigen ARD-Programmkoordinators Gerhard Fuchs „entsetzte Mienen“ bei der Beschlussfassung gegeben haben. Gesichtszüge, die heute zahlreichen Eltern unweigerlich im Antlitz stehen, wenn es morgens um 9 Uhr im Kinderkanal vor „Ohs“ und „Ahs“ nur so gurgelt. Doch die kleinen Zuschauer machen mit, freuen sich, sprechen einzelne Worte (Winke, Winke) nach. Ältere Kinder hingegen wenden sich schnell ab. Das ist einfach zu langweilig.

Bär
Bär

Sebastian Debertin vom Kinderkanal kann – wie auch erste wissenschaftliche Untersuchungen – keine Gefahr im munteren Treiben der Vier sehen. Sicher habe man, so sein Bericht in Frankfurt, auch innerhalb der Redaktion diskutiert, ob Zweijährige vor den Bildschirm gehören. „Doch wenn Kinder in die Röhre schauen, dann sollten sie auch das Richtige ansehen“, so Debertin. Und letzten Endes entscheiden die Eltern was, wann und wieviel an TV konsumiert wird.
Allein an einem gewöhnlichen Samstagvormittag werden die Kindersendungen von rund 3,2 Millionen Kindern gesehen. Doch ganz so erschreckend scheint diese Zahl nun auch wieder nicht, denn die Kinder sitzen etwa eineinhalb Stunden vor dem Apparat, Erwachsene gut doppelt so lang. Betrachtet man diese Statistik genauer, gehört zu den Vielsehern ein Viertel der Kinder. Sie nutzen das Fernsehen täglich mehr als zwei Stunden. Auf der anderen Seite schauen fast die Hälfte der Kindergartenkinder weniger als eine halbe Stunde. Mehr als Teletubbies und Sandmännchen ist da nicht drin.
Kinder folgen ihren Eltern in den Konsumgewohnheiten. So wundert es nicht, dass im Osten Deutschlands auch bei Kindern und Jugendlichen die Privatsender deutlich beliebter sind als die öffentlich-rechtliche Konkurrenz. Und noch eines fällt auf: Wer nicht mehr klein sein will, sieht Programme für Kinder und Jugendliche. Während bei den Kleinen „Die Sendung mit der Maus“ unschlagbar ist, schauen die großen Kinder (10 bis 13 Jahre) durchaus nicht die typischen Kinderprogramme. So steht neben Sportübertragungen für diese Altersgruppe etwa „Wetten dass“ ganz oben auf der Hitliste. Unter den Top Ten dieser Altersgruppe finden sich auch die Asterix-Verfilmungen oder die Daily-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten.“ Die von den Fernsehbeiträgen angepeilten Zielgruppen werden immer jünger.
Dagegen hält sich hartnäckig die geschlechtsspezifische Aufteilung. Während die Jungen eher zu Abenteuer- und Sportsendungen (Autorennen) neigen, bevorzugen Mädchen Figuren in phantastischen Welten oder Serien, bei denen es um Liebe und Freundschaft geht. Nicht unwichtig ist ein anderer Unterschied: Mädchen sehen weniger fern als Jungen. So finden sich unter den so genannten Vielsehern (120 Minuten) weniger Mädchen.

Teletubbies
Teletubbies

Das Medium Fernsehen gehört zur Lebenswirklichkeit der Kinder. Es ist nicht zu verteufeln, aber der Umgang mit ihm will gelernt sein. Medienkompetenz wird nicht von Enthaltsamkeit bewirkt. Vielmehr muss sehr früh der aktive, kreative Umgang mit dem Medium gelernt werden. Warum sollte eine Dreijährige nicht die Videokamera nutzen können? Schließlich ist die Bedienung kinderleicht.
Zur Lebenswirklichkeit von Kindern gehört aber auch Religion. Die Frage, warum Tinky Winky nicht betet, konnte der Workshop zwar nicht beantworten. Allerdings wies Dieter Saldecki vom WDR und einer der „Maus“-Macher darauf hin, dass die Fernsehleute Fragen nach religiösen Deutungen nicht auswichen. Ziel sei es, mit den Sendungen den Wert des Lebens zu vermitteln. Dennoch ist Religion als Alltagswirklichkeit im Fernsehen eher eine Randerscheinung, beispielsweise wenn die Familie Simpson sich mit Gottesbildern auseinander setzt.
Ganz anders die verwendeten Bilder und Symbole: Haben die Teletubbies nicht dort wo das Gefühl sitzt, im Bauch, einen großen Fernsehapparat? Und bedeutet nicht diese pralle Sonne als Symbol Leben pur? Fragen, die womöglich der nächste Medienworkshop aufgreifen wird.

Evangelisches Frankfurt, Februar 2000

Stichwort: Neuapostolische Kirche

Mit ca. 450.000 Mitgliedern ist die Neuapostolische Kirche (NAK) die größte Sekte in Deutschland. Insgesamt hat sie mehr Mitglieder als die Freikirchen zusammen, obgleich eine öffentliche Mission kaum stattfindet. Vielmehr werden Freunde und Bekannte zu den dreimal wöchentlich stattfindenden Gottesdiensten eingeladen.

„Ich glaube, dass der Herr Jesu seine Kirche durch lebende Apostel regiert bis zu seinem Wiederkommen, dass er seine Apostel gesandt hat und noch sendet mit dem Auftrag zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und mit dem Heiligen Geist zu taufen.“ Dieser Glaubenssatz – entnommen dem Bekenntnis der NAK -dokumentiert den Anspruch dieser Religionsgemeinschaft. Sie wird geleitet von einem Stammapostel, dem etwa 260 Apostel zur Seite stehen. Allein diese können den eigentlichen Gehalt der Bibel erfassen und weitergeben. Dabei lassen sie sich allein von Gottes Geist leiten. Ein Bibel- oder Theologiestudium sind nicht vonnöten. Sie sind die wahren Bibelinterpreten. Dieser Anspruch bewirkt eine Ablehnung christlicher Kirchen. Auch verfügen die Apostel über die Fähigkeit, den Heiligen Geist zu spenden. Das Apostelamt wird so gefährlich nahe an Jesus Christus herangerückt.

Um 1860 entstand die NAK durch Abspaltung von einer christlichen Reformbewegung. Der Berliner Prophet Heinrich Geyer gründete die „Allgemeine Christliche Mission“. Daraus wurde später die „Neuapostolische Kirche International“. Die NAK lebt – genau wie die Zeugen Jehovas – in der Naherwartung der Wiederkehr Christi in enger Anlehnung an die Johannesapokalypse. Die Neuapostolischen sollen sich möglichst von allem Weltlichen fernhalten. Nur ihrer Arbeit dürfen sie nachgehen.

Dies bewirkt ein enges Gemeinschaftsgefühl, aber auch die Kontrolle des einzelnen. So berichten ehemalige Mitglieder immer wieder von einer Enge und Starrheit des Systems, die sie als beklemmend empfanden. Fast alle Bereiche des Lebens unterliegen den strengen Vorschriften der NAK. Selbst Kino und Tanzen sind verpönt. Über den Besuch der NAK Veranstaltungen wird Buch geführt. Wer nicht regelmäßig kommt, wird zuhause von den Verantwortlichen zur Rede gestellt. Völlig undenkbar ist Kritik an Aposteln oder Stammaposteln. Solch ein Verhalten wird mit der Kritik an Gott gleichgesetzt. Obgleich als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und damit den großen Kirchen gleichgestellt, werfen ehemalige Mitglieder ihr autoritäres Verhalten und Kontrolle vor.

© Kurt-Helmuth Eimuth

Zur Rolle der Apostel
Auszüge aus dem Glaubensbekenntnis der Neuapostolischen Kirche

4. Glaubensartikel: Ich glaube, dass der Herr Jesus seine Kirche durch lebende Apostel regiert bis zu seinem Wiederkommen, dass er seine Apostel gesandt hat und noch sendet mit dem Auftrag, zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und dem Heiligen Geist zu taufen.

5. Glaubensartikel: Ich glaube, dass sämtliche Ämter in der Kirche Christi von Aposteln erwählt und in ihr Amt eingesetzt werden und dass aus dem Apostelamt Christi sämtliche Gaben und Kräfte hervorgehen müssen, auf dass, mit ihnen ausgerüstet, die Gemeinde Christi ein lesbarer Brief Christi werde.

8. Glaubensartikel: Ich glaube, dass die mit Wasser Getauften durch einen Apostel zur Erlangung der Erstlingschaft den heiligen Geist empfangen müssen, wodurch sie als Glieder dem Leibe Christi eingefügt werden. …Anmerkung: Insgesamt hat das Glaubensbekenntnis der Neuapostolischen Kirche zehn Artikel. Neben sieben eigenen Artikeln ist darin das Apostolische Glaubensbekenntnis der christlichen Kirchen enthalten, allerdings in einer abgeänderten Form.

Hintergrundinformation:
Name: Neuapostolische Kirche International
Gründung: etwa 1863
Sitz; Zürich, Schweiz
Druckerei und Verlag: Frankfurt/Main
Mitglieder in Deutschland: etwa 450.000
Mitglieder weltweit: über 7,5 Millionen in über 150 Ländern
Stammapostel: Richard Fehr
Ämter:Apostel, Bischöfe, Älteste, Hirten, Evangelisten und Priester

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

Stichwort: Zeugen Jehovas

Ein zehn Tage alter Säugling stirbt, obwohl die Ärzte es hätten verhindern können. Ein Blutaustausch nach der Geburt wäre lebensrettend gewesen. Doch die Eltern, aktive Zeugen Jehovas, lehnen die rettende Transfusion ab. Sie berufen sich auf die Lehre ihrer Sekte, wonach es Gottes Wille sei, von keinem Geschöpf das Blut zu genießen (3. Mose 17,14). Dabei ist dieses alttestamentliche Gebot aus Ehrfurcht vor dem Leben entstanden. „Wenn dieses Gebot eingesetzt wird, um lebenserhaltende Maßnahmen zu verhindern, wird das Gebot Gottes in unerhörter Weise pervertiert“, stellt der österreichische Theologe Johannes Dantine fest.

Zeugen Jehovas bleiben in der Regel unter sich. Ihr ganzes Tun ist auf die Verkündigung ihrer Lehre ausgerichtet. Im so genannten Predigtdienst stehen sie an Plätzen und in Fußgängerzonen, um ihre Zeitschrift, den Wachtturm, abzugeben, oder sie gehen von Tür zu Tür, um zu missionieren. Fünfmal die Woche treffen sie sich zur Unterweisung. Das Verhalten, ob in Kindergarten, Schule, Beruf oder Freizeit, wird von klein auf von der Organisation bestimmt. Selbst Kindergartenkinder dürfen ihren Geburtstag nicht feiern, da Gott nicht gewollt habe, dass man sich selbst in den Mittelpunkt stelle. Eine Mitgliedschaft in Parteien, Gewerkschaften, Verbänden oder Vereinen ist verpönt.

Die leitende Körperschaft gilt als „Kanal oder als Sprachrohr Gottes“, durch das Jehova zu seinem Volk spricht. Zwar lesen die Zeugen Jehovas auch die Bibel, doch sie lernen in ihrem Studium die Textteile anzuführen, die ihre Ansicht belegen. Mit so völlig aus dem Zusammenhang herausgelösten Texten, zudem in eigener Übersetzung, argumentieren sie an den Haustüren.

Die Zeugen Jehovas sind davon überzeugt, dass die Endzeit bereits angebrochen ist. Christus habe 1914 den himmlischen Thron bestiegen und seine Herrschaft über die Erde angetreten. Dieses müsse jetzt allen Menschen verkündet werden, denn die Menschheitsgeschichte gehe zu Ende.

Schon bald müssten sich die Menschen verantworten: Wer nicht auf der Seite Jehovas steht, wird im Endgericht vernichtet werden. Nur die treuen Zeugen Jehovas überdauern und werden bald in einem „tausendjährigen Paradies“ leben. Schon mehrmals berechneten die Zeugen Jehovas den Zeitpunkt dieses letzten Gerichtes. Schon 1874 wurde das Endgericht erwartet, doch nach eigenen Aussagen führten neuere Berechnungen zu anderen Ergebnissen. Ab 1968 wurde verkündet, dass 1975 das Ende von 6000 Jahren Menschheitsgeschichte erreicht sei. Später war zu lesen, dass 1975 ein „helleres Licht von Jehova Gott“ gekommen sei. Derzeit wird kein konkretes Datum prophezeit.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

© Kurt-Helmuth Eimuth

Hintergrundinformation:
Gründer: Charles Taze Russel (1852-1916), Gründung der Wachtturmgesellschaft 1881, 1931 neuer Name „Zeugen Jehovas“
Präsident: seit 1992 Milton Henschel, geboren 1920
Zentrale: New York, Stadtteil Brooklyn
Deutsches Zentrum, Selters/ Taunus, dort leben und arbeiten über 1 000 Menschen
Mitglieder in Deutschland ca. 167.000, weltweit ca. 4,9 Millionen

Stichwort: Mormonen

Der Raum gleicht eher einer modernen Behörde: Dutzende Computerarbeitsplätze, in der Mitte ein Informationsschalter. Wir sind in Salt Lake City, USA, im größten genealogischen Archiv der Welt. Jeder und jede kann hier, wie übrigens auch in zahlreichen deutschen Niederlassungen, Ahnenforschung betreiben. Im „Joseph Smith Building“, benannt nach dem Gründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, bei uns eher unter dem Namen Mormonen bekannt, wird zahlreich von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

Bereits 1823 hatte Joseph Smith (1805 bis 1844) eine Vision. Ihm erschien, nach eigenen Angaben, ein Engel namens „Moroni“, Sohn eines gewissen „Mormon“, der angeblich im 5. Jahrhundert als Prophet in Amerika gewirkt haben soll. Der Engel zeigte Smith vergrabene Goldplatten, die altertümliche Schriftzeichen enthalten haben sollen. Mit Hilfe einer „Prophetenbrille“ entschlüsselte Smith die Schriftzeichen. Das Buch Mormon war, so die Legende, entstanden. Noch im gleichen Jahr gründete Smith die „Kirche Jesu Christi“ in Fayette/New York und wurde zum „Seher, Propheten und Offenbarer“ bestimmt. Aufgrund von Reibereien mit der alteingesessenen Bevölkerung wurden die Mormonen immer wieder vertrieben. Smith selbst wehrte sich durchaus handgreiflich und zerstörte die Redaktionsräume eines Kritikers. Er wurde daraufhin in das Bezirksgefängnis gebracht. Doch die aufgebrachte Menschenmenge stürmte das Gefängnis und erschoss den Religionsgründer.

Brigham Young, Vorsitzender des Apostelkollegiums, übernahm daraufhin die Führung als neuer „Prophet“. Er organisierte einen Treck westwärts. Rund 15 000 Menschen erreichten 1847 das Salzseetal der Rocky Mountains.“This is the place“, das ist der Ort, soll Young ausgerufen haben, als er das Tal erblickte. In einer beachtlichen Aufbauleistung haben die Mormonen Salt Lake City, ja den gesamten Bundesstaat Utah, aufgebaut. Dieser wurde aber erst als Teil der USA anerkannt, als die Religionsgemeinschaft von der Praxis der Vielehe (1890) Abstand nahm.

Die Tatkraft der Mormonen ist auch heute noch unübersehbar. Der Bildungsstand ist hoch, in Provo/Utah wird eine eigene Universität unterhalten. Vermutlich auch wegen des völligen Verzichtes auf Kaffee, Tee, Alkohol und Tabak ist die Gesundheit der Mormonen überdurchschnittlich. Auch bekämpft die Gemeinschaft soziale Not und unterhält eigene Supermärkte für Bedürftige mit eigens dafür produzierten Waren.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

© Kurt-Helmuth Eimuth

Mormonismus und Christentum
Der Mormonismus gehört aufgrund seiner auf „neuen Offenbarungen“ beruhenden unbiblischen Lehren und der geheimen Tempelrituale nicht zum weiten Spektrum des ökumenischen Christentums. Er ist vielmehr als eine amerikanische, synkretistische Neureligion zu bewerten. Fast alle aus dem biblisch-christlichen Kontext übernommenen Begriffe (z.B. Sünde, Gott, Christus, Schöpfung, Apostel, Auferstehung, Taufe, Heil usw.) sind in ihren Inhalten völlig verändert und „mormonisiert“ worden. Daneben propagiert der Mormonismus Amerika als „Kontinent des Heils“, als Mittelpunkt der göttlichen Heilsgeschichte: Das Paradies Adams und Evas liegt im Bundesstaat Missouri, Christus erschien nach seiner Auferstehung auf dem amerikanischen Kontinent und wird dort auch nach seiner Wiederkunft im Endzeit-Tempel von Independence/Mo. residieren, usw. Deshalb bedeutet ein Übertritt zum Mormonentum nicht nur einen Glaubenswechsel, sondern eine völlige Abkehr von der christlich-ökumenischen Kirchengemeinschaft. Der Mormonismus repräsentiert eine ganz andere, fremdartige Welt. Die Folge ist eine starke Belastung der bisherigen gesellschaftlichen, vor allem aber familiären Bezüge. Die extremen Glaubensvorstellungen der Mormonen und die starke zeitliche Beanspruchung des einzelnen Mitglieds in der Mormonengemeinschaft stellen in konfessionsgemischten Familien in der Regel eine Zerreißprobe dar. Author: Rüdiger Hauth (aus: Bernd Dürholt (Hg.), Streifzug durch den religiösen Supermarkt, Evangelischer Presseverband für Bayern, München 1994)


Stichwort: Scientology


Der 65jährige Rentner Gustav R. plagt sich seit Jahren mit Kopfschmerzen herum. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Die „moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit“ scheint eine Alternative. Das „Beratungsgespräch“ an einer Art Lügendetektor scheint zunächst zu helfen. Gerne zahlt Gustav R. 450 Mark für die Stunde.

Der 16jährige Schüler Frank ist von der Anzeige fasziniert: „Gemäß Albert Einstein nützen wir Alltagsmenschen nur zehn Prozent unseres wahren geistigen Potentials“ heißt es da. Lässt sich etwa das Gehirn so optimieren wie die Festplatte eines Computers? Die Anzeige jedenfalls lässt diesen Schluss zu.

Die 25jährige Studentin der Betriebswirtschaft Claudia T. wird auf der Straße für ein Seminar der Akademie für Management und Kommunikation angesprochen. Das Angebot hört sich Erfolg versprechend an.

Ob Schüler, Studentin oder Rentner, sie alle kommen mit einer „Technik“ in Berührung, die auf den ehemaligen Science-fiction Autor L. Ron Hubbard zurückgeht. Danach kann jeder Mensch klar/frei werden, wenn er die „Brücke zur völligen Freiheit“ überschreitet. Diese Brücke ist ein abgestuftes Kurssystem. Am Ende soll eine Art „Übermensch“ stehen. Und so ist schon der Name für den allumfassenden Anspruch kennzeichnend: Scientology soll soviel bedeuten wie das Wissen vom Wissen. Nach Meinung vieler Kritiker ist Scientology keine Religionsgemeinschaft, eher ein multinationaler Psychokonzern. Allerdings wird dem Unternehmen nicht nur das Streben nach Gewinn unterstellt, sondern es heißt, Scientology wolle Herrschaft ausüben. Der Ex-Scientologe Norbert Potthoff ist davon überzeugt, dass Scientology Deutschland vollständig unter ihre Kontrolle bringen wolle. Die unzähligen Firmen und scheinbar sozialen Einrichtungen dienten diesem Zweck.

Für den Politikwissenschaftler Hans Gerd Jaschke handelt es sich bei Scientology um „eine neuartige Form des politischen Extremismus“. Bei einem griechischen Ableger des Psychokonzerns entdeckte man im Herbst 1996 Aktenbände mit einer Liste von 2.500 Personen. Über sie wurden – gesetzwidrig – Dossiers angelegt. Da Scientology als internationaler Konzern keine nationalen Eigenwege kennt, werden solche „schwarzen Listen“ auch in Deutschland vermutet.

Thema: Scientology in der Wirtschaft

Mitten in der Hektik einer Fußgängerzone wirbt ein charmant-dynamisches Trio. Man vermutet auf den ersten Blick Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Umfrageinstituten. Doch die Umfrage entpuppt sich als Einladung zu einem Managementseminar. Warum sollte man nicht unverbindlich und kostenlos einen Tag in der „Akademie für Management und Kommunikation“ verbringen?

Trotz großer Aufklärung finden diese Werber immer wieder Menschen, die nichts ahnend zu dieser so genannten Akademie kommen. In Wahrheit ist dieses Schulungsunternehmen ein Zulieferbetrieb für Scientology. „Der Kurs ‚Erfolg durch Kommunikation‘ bringt Ihnen 18 wesentliche Fertigkeiten bei, die die Kommunikation in Ihrem Geschäft und in Ihrer Gesellschaft unter Ihre Kontrolle bringt“. Mit solchen Versprechen wird gelockt und geködert. Am Ende steht dann der bekannte, zweihundert Fragen umfassende Persönlichkeitstest. Scientology hat eigens eine Organisation gegründet, um Einfluss auf die Wirtschaft auszuüben. Das „World Institut of Scientology Enterprises“ (WISE) dient der Verbreitung der Technologie des Sektengründers L. Ron Hubbard. Scientologische „Ethik und Vernunft“ soll in die Wirtschaft hineingetragen werden. Zur Zeit zählt WISE dem Vernehmen nach etwa 3.000 Mitglieder weltweit. Firmen oder Einzelunternehmen können Mitglied werden. In den meisten Fällen ist der Scientology-Hintergrund nicht zu erkennen. Häufig wechseln die Namen der Firmen.

WISE-Unternehmer verpflichten sich, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen scientologischen Prinzipien zuzuführen. Hinzu kommt, dass zwischen fünf und achtzehn Prozent des Bruttoumsatzes an WISE gezahlt werden sollen. Die Scientology-Kenner Angelika Christ und Steven Goldner warnen: „Das Ziel ist, die Verwaltungstechnologie von L.Ron Hubbard im entsprechenden Betrieb einzuführen und Empfehlungen für weitere Scientology-Angebote auszusprechen. Über diese Schiene können zum Beispiel WISE-Managementschulungen, WISE-Fortbildungen, WISE-Firmen als externe Berater zu Umstrukturierungen, Expansion und Steuerberatung etc. eingeschleust werden.“ Tatsächlich will man, wie es in einer anderen Anordnung heißt, die „Schlüsselpositionen“ erobern. Von besonderem Interesse sind dabei alle Positionen im Personalbereich. Viele WISE-Mitglieder betätigen sich in der Personal- und Managementschulung, denn hier können sie das Menschenbild von Scientology weitergeben. Ebenfalls finden sich überdurchschnittlich viele Scientologen in den Geschäftsbereichen, in denen es, wie beispielsweise im Immobiliengeschäft, um hohe Umsätze und große Verdienstspannen geht.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

„Erobern Sie, egal wie, die Schlüsselposition, die Position als Vorsitzende des Frauenverbandes, als Personalchef einer Firma, als Leiter eines guten Orchesters, als Sekretärin des Direktors, als Berater der Gewerkschaft – irgendeine Schlüsselposition. Verdienen Sie sich einen ordentlichen Lebensunterhalt damit, fahren Sie einen guten Wagen, aber bringen Sie Ihre Aufgabe über die Bühne, handhaben und verbessern Sie die Leute, denen Sie begegnen, und schaffen Sie eine bessere Welt.“ (Scientology-Anweisung)

Hintergrundinformation:
Gründer: L. Ron Hubbard (1911-1986) Gliederungen: Church (Kirche), ABLE (Schule, Ausbildung, soziale Bereiche), WISE (Wirtschaft, Managementtraining, Geldverkehr)
Mitglieder: weltweit angeblich mehrere Millionen, in Deutschland ca. 7.000
Große Zentren: Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt, München

© Kurt-Helmuth Eimuth

Psycho-und Esoterikmarkt

Checkliste für kritische Leute

Unsere Seele ist kostbar. Wir sollten sorgsam mit ihr umgehen. Zur besseren Orientierung Tipps
von Kurt-Helmuth Eimuth.

1) Vorsicht bei allumfassenden Versprechungen nach dem Motto „Wenn du unser Angebot annimmst, werden alle deine Probleme innerhalb kurzer Zeit gelöst“. Schnelle Patentlösungen gibt es nicht.

2) Prüfen Sie die Organisationsform der Gruppierung und die Qualifikation der Leiter. Sie sollten sich nicht Menschen mit nur einer „internen Ausbildung“ anvertrauen. Ein Abschluss an einer deutschen Universität ist Mindeststandard. Und: Schauen Sie sehr genau hin. Eine „Diplomparapsychologin“ ist zum Beispiel etwas völlig anderes als eine Diplom-Psychologin.

3) Unterschreiben Sie niemals vor Ort. Lassen Sie sich alle Unterlagen mit nach Hause geben, besprechen Sie diese mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin. Sollten Sie keine Unterlagen ausgehändigt bekommen, oder wird Druck mit Hinweis auf das einmalige Angebot ausgeübt, ist äußerste Vorsicht geboten.

4) Behalten Sie immer Ihre persönlichen Papiere bei sich. Personalausweis und Reisepass gehören nicht in die Hände von Dritten.

5) Einladungen zu kostenlosen Wochenenden oder Persönlichkeitstests sind erfahrungsgemäß lediglich Formen intensiver Werbung. Lassen Sie sich dadurch nicht blenden. Überweisen Sie nicht voreilig Geld.

6) Bei Zweifeln hilft es oftmals, wenn Sie sich die Inhalte aller Telefonate, Besuche und Kontakte zu einer Gruppe aufschreiben. Das hilft bei der Klärung.

7) Im Zweifelsfall informieren Sie sich bei Beratungsstellen und Betroffeneninitiativen. Auch die Pfarrämter helfen Ihnen gerne weiter.

Stichwort: Sekten-Kinder

Immer haben totalitäre Systeme sich der Kinder bemächtigt. Die Gleichschaltung der Seelen und Köpfe ist die Voraussetzung, um Herrschaft unumstritten ausüben zu können. Der Totalitarismus muss sich der Herzen und Sinne bemächtigen. Es wundert also nicht, dass dieses auch für solche totalitäre Systeme gilt, die unter religiösen Vorzeichen antreten. Sie wollen die Welt erretten oder die Weltherrschaft erlangen was für sie das gleiche ist. Etwa 200.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland wachsen im Umfeld von rund 600 so genannter Sekten oder neureligiöser Gruppen auf. Die Gleichschaltung der Herzen und Sinne beginnt schon bei den Kindern. Zahlreiche Sekten haben eigene Lehrpläne entwickelt, Kinderkrippen und Kindergärten gegründet und betreiben Internate und Schulen – was insbesondere dem „Universellen Leben“ gelungen ist. Andere – wie „Scientology“ – umgehen auch die deutsche Gesetzgebung und senden ihre Kinder in sekteneigene Internate ins Ausland, etwa nach Amerika oder England. Diese Kinder leben jahrelang in einem geschlossenen sozialen System, in dem alles geregelt ist. Die Orientierung in einer offenen Gesellschaft ist fast unmöglich. Sie unterliegen einem geheimen Erziehungsplan. Eine normale Entwicklung und Kindheit wird ihnen vorenthalten:

  • Sie werden systematisch ausgegrenzt
  • Sie sollen keine Geburtstage und kein Weihnachten feiern („Zeugen Jehovas“)
  • Sie müssen täglich acht Stunden meditieren („Thakar Singh“)
  • Sie schwitzen stundenlang in der Sauna („Scientology“)
  • Sie bekommen „die Rute Gottes“ zu spüren (christlich-fundamentalistische Gruppen)
  • Sie sind die neue Elite, die sündenlos geborene Generation – oder schlicht die „Retter der Menschheit“.
  • Sie dürfen nur in der Sektenwelt leben
  • Sie sind auserwählt und ausgegrenzt

Der Mensch besteht – nach scientologischer Lehre – aus einer Art Seele-Geist-Wesen, dem Thetan. Dieser Thetan ist unsterblich, kann den Körper verlassen und bei Tod sich einen neuen Körper suchen: eine Art technische Reinkarnationsvorstellung, die jedoch für die Kinder weitreichende Folgen hat. Kinder sind für die Scientology-Sekte nur Thetane in einem kleinen Körper. Eine Kindheit gibt es nicht. Folglich können alle Angebote für Erwachsene auch für Kinder angeboten werden. Die Fachwelt hält die Verfahren von Scientology für unverantwortlich, da die psychischen Folgen vielfach nicht übersehen werden können. Um wie viel mehr gilt dies für Kinderseelen! (Kurt-Helmuth Eimuth)

Die Lehre des „Universellen Lebens“ ist damit nach ihren eigenen Aussagen angelegt auf eine Entprivatisierung des Lebens. Die Ehe wird ersetzt durch eine rechtlich unverbindliche Partnerschaft und die Kinder werden gemeinschaftseigenen Erziehungseinrichtungen anvertraut. Die Familie ist nicht existent und wird in der Gemeindeordnung nicht angesprochen. Diese Lehre steht im Widerspruch zur Wertordnung des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung. (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof)

Scientology-Kritiker berichten, dass die Sekte Kontaktsperren anordnet und Kinder von nächsten Angehörigen – selbst von ihren Müttern – getrennt werden. (Aus einem Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe für Fragen so genannter Jugendsekten und Psychogruppen)

Sekten-Kinder dürfen sich nicht zu autonomen Persönlichkeiten entwickeln. Sie werden behindert, manipuliert und kontrolliert. Dieses System ist als „psychische Kindesmisshandlung“ zu bezeichnen.(Kurt-Helmuth Einmuth)

© Kurt-Helmuth Eimuth