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Eine Oase unverplanter Zeit

Sonntagsbrötchen und Sonntagszeitung – weil Behörden, Baumärkte und Möbelhäuser ohnehin geschlossen sind, kann man sonntags das Frühstück guten Gewissens in die Länge ziehen. Erledigen kann man ja ohnehin nichts, egal wie dringend es ist. Doch die kollektive Aus-Zeit „am siebten Tag“ wird immer weiter aufgeweicht. - (Foto unabh. entnommen von: Wikimedia/Deut. Bundesarchiv)

Evangelisches Frankfurt: Januar 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 1

Eine Oase unverplanter Zeit

Sonntags hält das öffentliche Leben inne. Die U- und Straßenbahnen fahren nach einem besonderen Fahrplan, es gibt keinen Berufsverkehr. Auch in den Wohnungen erwacht das Leben später. Endlich einmal ausschlafen, im Schlafanzug frühstücken, Sendung mit der Maus gucken. Der Sonntag gehört der Familie, den Kindern, den Freunden. Er ist eine Oase der unverplanten Zeit oder auch der geplanten Familienrituale. In manchen Familien kommen etwa die Kinder und Enkel immer sonntags zum Kaffee zu den Großeltern,oder es gibt Ausflüge in den Zoo, in den Wald, ins Museum.
Ein solcher Tag der Ruhe ist durch das Grundgesetz geschützt. In Artikel 140 heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt.“ Doch dieser Schutz wird zunehmend ausgehöhlt. Die Ausnahmegenehmigungen zur Öffnung der Läden häufen sich. Schon hat man sich daran gewöhnt, dass Tankstellen mit ihren Minisupermärkten rund um die Uhr geöffnet haben, und sonntags eben auch Fitness-Studios und Bäckereien.
Der Druck der Wirtschaft auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wächst. Flexibilisierung heißt das Zauberwort. Und auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern wird die Möglichkeit vom schönen, neuen Einkaufssonntag vorgegaukelt: Einkaufsbummel statt Kaffeetrinken mit der Oma. Doch nüchtern betrachtet bedeutet Sonntagsarbeit, dass es eigentlich keine Sonntage mehr gibt. Dann ist nämlich jeder Tag ein Werktag.
Die Wurzeln dieses einen Tages, der den Alltag unterbricht und dem Leben seinen Rhythmus gibt, liegen in der Religion. Feierten die frühen Christen wie die Juden den siebenten Tag der Woche, den Sabbat, so veränderte sich dieses im Laufe der Zeit. In christlichen Ländern wurde das Gebot der Sabbatheiligung auf den Sonntag, den Tag der Auferstehung, übertragen. Kaiser Konstantin machte im Jahre 321 den Sonntag zum allgemeinen Feiertag im ganzen Römischen Reich. Theologisch gibt es keine Wertigkeit der Sonntage. Alle Sonntage haben die gleiche theologische Wurzel, alle Sonntage sind gleich wichtig.
Der Sonntag ist heute noch der Tag des Sich-Zurücknehmens, des Zu-Hörens, des Spielens, des Miteinanders und für manche auch der Tag des Kirchgangs. Für all dieses nutzt es nichts, wenn die Verkäuferin an der Theke der Bäckerei dann am Mittwoch frei hat. Der Sonntag ist eben auch eine soziale Errungenschaft. Wichtig für das Familienleben, das soziale Miteinander – ob in Kirche oder Verein.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Januar 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 1

Spenden ist Bürgerpflicht

Evangelisches Frankfurt, Januar 2005

Spenden ist Bürgerpflicht

Globalisierung bekam in den letzten Wochen ein menschliches Gesicht. Nach der Tsunami-Katastrophe nahm die Menschheit Anteil am Schicksal der Völker in Südasien. Es wurde in seltener Eintracht gesammelt und gespendet. Selbst Deutschlands Elitefußballer trafen sich zum Kick zugunsten der Opfer. Möglicherweise wächst hier eine neue Form von Bürgerengagement. Tradition hätte das. Gerade Frankfurt verdankt dem Gemeinsinn seiner Bürgerinnen und Bürger viel, zum Beispiel das Clementinenhospital oder das Senckenberg-Museum. Auch die Kirche wird für ihre Arbeit künftig verstärkt auf Spenden angewiesen sein. Trotz Kirchensteuer, denn diese zahlt nur jedes dritte Mitglied. Hier zeigt sich der steigende Altersdurchschnitt der Gesellschaft. Der Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Stephan Krebs, verweist zu Recht darauf, dass viele ältere Mitglieder zwar gute und sehr gute Renten und Pensionen erhalten, aber keine oder nur wenig Kirchensteuern zahlen. Fundraising und Sponsoring – wie das Spendensammeln auf Neudeutsch heißt – müssen zum zweiten Standbein der Kirchenfinanzierung werden. Neue Ideen gibt es bereits, zum Beispiel ein Bonus-Modell, das Gemeinden ermutigen soll, sich auf diesen Weg zu begeben: Für drei eingeworbene Euros legt die Landeskirche noch einen zusätzlich in den (virtuellen) Klingelbeutel. Professionelle Spendensammler können durch Information Lust aufs Spenden machen. Wer die Not der anderen kennt, hilft gerne. Auch eine kleine menschliche Schwäche kann man sich zunutze machen: Wer möchte nicht, dass sein Name, seine Person unvergesslich werden? Einen Weg hierzu bieten Stiftungen, die dann meist nach den wohl betuchten Stiftern oder Stifterinnen benannt werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Stiftungen können für die laufende Arbeit nur ihre Zinserträge verwenden und sind deshalb auf Dauer angelegt. So mancher sozialen Einrichtung kann mit einem Stiftungskapital von 100000 Euro geholfen werden – immerhin bringt es etwa 5000 Euro an Zinsen pro Jahr. Die Gesellschaft ist ebenso wie die Kirche auf die Solidarität derer angewiesen, die etwas geben können. Wenn man nicht will, dass sich die Kirche aus immer mehr Arbeitsfeldern zurückzieht, reicht es nicht zu sagen: „Die Kirche soll mal machen.“ Denn die Kirche sind wir alle.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt, Januar 2005

Diesseits und jenseits des Autobahnkreuzes

Die Kirche steht in Hausen noch mitten im Dorf. Die drei Gemeindebezirke Alt-Hausen, Westhausen und Industriehof werden jedoch durch breite Straßen und die Autobahn voneinander getrennt. (Foto: T.h./Wikimedia, Aufnahme unabh. vom Artikel)

Evangelisches Frankfurt: Dezember 2004 · 28. Jahrgang · Nr. 7

Diesseits und jenseits des Autobahnkreuzes

Der Stadtteil Hausen ist ein altes Dorf. Und die Kirche steht hier, wie es sich gehört, mitten im Dorf, und gegenüber der Kirche das Pfarrhaus, gebaut 1775. Doch um die Gebäude herum hat sich in den letzten Jahrhunderten so ziemlich alles verändert. Von dörflichen Strukturen kann kaum mehr die Rede sein. Im Grunde besteht die Kirchengemeinde heute aus drei eigenständigen Teilen. Da ist der alte Dorfkern, dann Westhausen mit der May-Siedlung, und zum dritten der Industriehof, in dem heute einige Outlet-Läden und die neue Börse untergekommen sind. Daneben gibt es die alten Siedlungsbauten aus den 50er Jahren. Neben Gemeinde-, Pfarrhaus und Kirche in Alt-Hausen gibt es auch noch einen Gemeindestützpunkt in Westhausen, zwischen Liebig-Schule und Westhausener Friedhof gelegen. Auch dort finden regelmäßig Gottesdienste statt. „Eigentlich“, konstatiert Pfarrer Holger Wilhelm, „sind es in der Wahrnehmung zwei Gemeinden“. Nach der Reduzierung der Pfarrstellen erlebe die Gemeinde so etwas wie eine „gefühlte Fusion“. Während früher die beiden Stadtteile links und rechts der vierspurigen Ludwig-Landmann-Straße und der A 66 jeweils eigenständige Pfarrbezirke waren, versorgt Pfarrer Wilhelm das ganze Gebiet jetzt (fast) alleine. Im Pfarramt wird er unterstützt von Jürgen Moser, der als hauptamtlicher Dekan des Dekanates Nord aber nur einen kleinen Teil seiner Arbeitskraft der Gemeinde widmen kann. Pfarrer Wilhelm will „die Dinge zusammenführen“. Wahrlich keine einfache Aufgabe, trennen doch die Stadtteile Straßen von den Ausmaßen eines Autobahnkreuzes. Wilhelm, der erst zwei Jahre in der Gemeinde ist, weiß aus Berichten, dass man vor dem Bau der A66 über die Wiesen von Westhausen in die Kirche kam. Auch heute ist dieses möglich. „Aber es fühlt sich völlig anders an.“ Trotz dieser städtebaulichen Hürde ist die Gemeinde mit ihren 2300 Mitgliedern vielfältig engagiert, ist Gastgeberin für eine westafrikanische, japanische und koreanische Gemeinde, bietet ein „Wellnessprogramm“ für Geist und Seele, zählt ein Marionettentheater zu ihren Angeboten, hat einen jungen Organisten, der Bewährtes schätzt und Neues ausprobiert, lädt zu alternativen Gottesdiensten ein, veranstaltet jährlich einen großen Basar und vieles mehr. Besonders freut sich Wilhelm über die zwanzig Konfirmandinnen und Konfirmanden, eine für diese Gemeinde große Zahl. Bewegt und beherzt unterstützen die Hausener auch den Unterhalt ihrer Kirche. 70000 Euro haben sie bisher aus eigenen Mitteln aufgebracht. Wer die Gemeinde kennen lernen will, kann dies zum Beispiel bei einem Vortrag von Pfarrer Wilhelm am Mittwoch, dem 8. Dezember, um 15 Uhr im Gemeindezentrum, Alt Hausen. Der Theologe, der einen Studienaufenthalt in Südafrika verbrachte, berichtet unter dem Titel „Christbaum und Sonnenbrand“ von den Weihnachtsbräuchen auf der Südhalbkugel.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: Dezember 2004 · 28. Jahrgang · Nr. 7

Erste Hilfe für die Seele

Der ZDF-Gottesdienst am Sonntag, 10. Oktober, wurde aus dem Frankfurter Feuerwehrzentrum am Marbachweg gesendet. Die Ausbildungshalle der Feuerwehr diente als Gottesdienstraum. Das Kreuz an der Wand war aus zwei Leitern gebildet worden. Feuerwehr, Brandschutz und Rettungsdienste feierten gemeinsam mit der Notfallseelsorge den Gottesdienst.
Die Rettungsdienste und Notärzte leisten erste Hilfe für den Körper des Menschen. Die Feuerwehr leistet technische erste Hilfe. Die Aufgabe der Notfallseelsorge ist die erste Hilfe für die Seele. Die Arbeit geschieht meist im Verborgenen. Wenn eine Mutter ihr Kind leblos im Bett findet oder wenn einer Ehefrau die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbracht werden muss, dann, so Notfallseelsorger Dieter Roos, „schreit die Seele“. Die Notfallseelsorge kommt jedoch nicht nur bei den direkt Betroffenen und Angehörigen zum Einsatz. Der persönliche Beistand von Feuerwehrleuten, Rettungsdiensten, anderen Einsatzkräften ist genauso wichtig und notwendig, weil viele der Hilfeleistenden mit der Verarbeitung einer schwierigen Situation oftmals nicht alleine zurechtkommen.
In seiner Predigt betonte Dieter Roos, dass es immer wieder darum gehe, die Nöte der Menschen zu verstehen und sie auch in diesen Extremsituationen miteinander auszuhalten. „Wir können uns gemeinsam an Gott wenden. Wo menschliche Worte an ihre Grenzen stoßen, ist für viele Menschen das Gebet das Einzige, was sie trägt.“

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt November 2004

Kein Beruf wie jeder andere

Pfarrer oder Pfarrerinnen haben keinen Beruf wie jeden anderen. Sie sind rund um die Uhr „im Dienst“, und sogar von ihren Familien wird oft erwartet, dass sie aktiv mithelfen. Doch diese traditionelle „Einheit von Berufs- und Lebensform“ löst sich auf, wie eine aktuelle Studie zeigt.

In der Fernsehserie „Oh Gott, Herr Pfarrer“ vor fast zwanzig Jahren rankte sich die Handlung um das Leben im Pfarrhaus: Der stets zum Dienst am Nächsten verpflichtete Pfarrer hatte eine selbstbewusste Ehefrau, die nicht nur „Frau Pfarrer“ sein wollte, sondern ihrem eigenen Beruf nachging, was oft zu Konflikten führte. Heute sind die Erwartungen anders – auch weil der Pfarrer inzwischen sehr oft eine Pfarrerin ist. Von männlichen „Pfarrfrauen“ wird aber nicht stillschweigend vorausgesetzt, dass sie Gemeindesekretärinnen, Kindergottesdienstleiterinnen und Gemeindepädagoginnen zugleich sind.
Aber vielleicht ist damit auch etwas verloren gegangen. Denn das evangelische Pfarrhaus ist mehr als eine Dienstwohnung. Idealtypisch sei es ein Ort der Andacht, der diakonischen Hilfe und der Bildung, schreiben die Autoren einer Studie, die im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau die Zukunft des Pfarrberufs untersuchte. Das Pfarrhaus war schon immer eine Keimzelle gemeindlicher Aktivität. Die Gemeindehäuser sind dagegen eine relativ junge Erfindung. Sie dienen der Geselligkeit, während die geistlichen Impulse aus dem Pfarrhaus kommen (sollten).
Heute aber begreifen sich viele Pfarrer und Pfarrerinnen eher als Angestellte der Kirche und nicht als Menschen, die rund um die Uhr im Dienst sind – und deren Familien dieses Engagement unterstützen müssen. Das liegt natürlich auch daran, dass es inzwischen viele Teilzeitstellen gibt. Und die Frage, wie man rund um die Uhr ein guter Teilzeitpfarrer sein soll, bleibt weitgehend unbeantwortet. Auch haben sich die Rahmenbedingungen für den geistlichen Berufsstand in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Das Gehalt wurde gekürzt, Beförderungen zeitlich gestreckt, und Pfarrdienstwohnungen sind teurer geworden – bei gleichzeitiger „Residenzpflicht“. Welche „professionstypischen Zumutungen“ da in Zukunft noch angemessen sind, muss wohl weiter diskutiert werden.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Oktober 2004

Die Umfrage
Wann sind Pfarrerinnen und Pfarrer gut?

Hans Springorum (39), Versicherungsangestellter und Kirchenvorsteher in der Petersgemeinde
Das wichtigste ist für mich der Gottesdienst. Da sammle ich mich, denke über die Woche nach, über mich und ein Bibelwort. Sehr schön finde ich es, wenn die Pfarrerin in der Liturgie Zeichen setzt: wenn sie einen besonderen Segen spricht für eine Konfirmandin, die für ein soziales Praktikum ins Ausland geht, oder bei einer Taufe auch die Kinder einbezieht, die nicht selbst getauft werden, oder am Totensonntag für jeden eine Kerze hat. Eine gute Pfarrerin ist meiner Ansicht aber auch eine geniale Netzwerkerin. Dabei muss sie viele Leute kennen und sie zu den ungewöhnlichsten Aktionen zusammenbringen und aktivieren. Noch wichtiger ist aber, dass sie sehr aufmerksam ist und mitkriegt, was einzelne Gemeindemitglieder brauchen, auch wenn sie nicht ständig in Kontakt mit ihr stehen, wie es in der Großstadt ja ganz normal ist.

Renate Menzel (70), Rentnerin
Ein guter Pfarrer muss vor allem ein guter Seelsorger sein. Er sollte für die Belange und Probleme der Menschen da sein und auch offen für die Ideen der Jüngeren. Und er muss gut predigen können. Das heißt für mich, dass er auf traditionelle Weise biblische Texte mit heutigem Zeitgeschehen und heutigen Problemen der Menschen verknüpft und erklärt. Dabei sollten die Predigten nicht nur ermahnend, sondern aufbauend und ermutigend sein. Natürlich hat ein Pfarrer heute viele zusätzliche Aufgaben, die er früher nicht erfüllen musste, wie zum Beispiel die Verwaltungsarbeit oder die Gremien- und übergemeindliche Arbeit. Das ist ein richtiger Knochenjob. Meine Gemeinde wird sich demnächst mit der Nachbargemeinde zusammen schließen. So ein Fusionsprozess erfordert viel Zeit und Arbeit für ein Gemeindeoberhaupt.

Arnolf Schade-James (47) Pfarrer in der Friedensgemeinde im Gallusviertel
Pfarrerinnen und Pfarrer sollten die Theologie, die sie verkündigen, auch leben. Die von Gott geschenkte Liebe ist die Quelle, aus der sie schöpfen, um diese Liebe an andere weiter zu geben. Ich versuche meinen Vikarinnen und Vikaren immer zu vermitteln, dass wir die Menschen ernst nehmen, uns um sie be-mühen müssen. Nichts von dem, was wir tun, ist heute noch selbstverständlich. Mir ist auch wichtig, die Gemeinde zu führen ohne Führungsanspruch. Nach dem Motto: Ich kann euch den Weg zeigen, gehen müsst ihr ihn alleine. Natürlich hat sich das Gemeindedasein verändert. Ich zum Beispiel bin permanent damit beschäftigt, irgendwas zu organisieren. Ich bin ein professioneller Geburtstagskartenschreiber geworden. Da helfen natürlich auch Computerkenntnisse. Das muss ein Pfarrer heute auch können.

Birgit Rosenberger (35), Bürokauffrau
Das ist jemand, der Verständnis für meine Wünsche und Bedürfnisse aufbringt, der auch mal flexibel ist. Zum Beispiel, wenn es darum geht, mein Kind zu taufen, obwohl ich nicht verheiratet bin, oder einen Tauf gottesdienst ausnahmsweise samstags statt sonntags zu halten. Ich habe da leider ganz schlechte Erfahrungen gemacht. Das hat mich echt schockiert. Vor allem bei der evangelischen Kirche hätte ich das nicht erwartet. Wegen der Samstagstaufe meines jüngsten Kindes habe ich mich dann an das evangelische Info-Center gewandt, durch das ich einen für mich guten Pfarrer gefunden habe. Für jüngere Kirchenmitglieder wie mich spielt das Fromme, das Traditionelle eine untergeordnete Rolle. Kirche ist für mich wichtig und gibt mir Halt, aber etwas Offenheit und Service würde ich mir heutzutage schon wünschen.

Jonas aus Eritrea ist jetzt Mehrsprachler

Jonas kam vor drei Jahren in die Kindertagesstätte der Sossenheimer Regenbogengemeinde. Der Dreijährige kam mit seiner Familie aus Eritrea. Verfolgung, Flucht und die ungewisse Zukunft hatten auch schon auf seine Seele einen Schatten geworfen. Nun stand er da, im deutschen Kindergarten, staunend und auch ängstlich. Die fremde Sprache verstand er nicht.
„Sprachförderung beginnt bei uns schon bei den 3- bis 4-jährigen“, sagt Ingrid Marth, die Leiterin des Kindergartens Regenbogenland, „sie gelingt aber nur, wenn es eine gute Beziehung zwischen dem Kind und der Erzieherin gibt.“ Was gibt es Schöneres, als sich gemeinsam mit der Erzieherin ein Bilderbuch anzuschauen? So einfach kann Sprachförderung sein.
Aufgeschreckt von den Ergebnissen bei der internationalen Vergleichsstudie Pisa, die den deutschen Schülerinnen und Schülern in Sachen Lesekompetenz ein schlechtes Zeugnis ausstellte, hat die hessische Landesregierung beschlossen, die Sprachkompetenz bei der Einschulung zu überprüfen und die Kinder wenn nötig vorab zu fördern. In Sossenheim haben die beiden Grundschulen und die 13 Kindertagesstätten dazu ein „Sossenheimer Modell“ entwickelt. Gemeinsam fördert man nicht nur die ausländischen, sondern alle Vorschulkinder. Beim Lernen bezieht man die Alltagswelt der Kinder ein. So geht etwa die eine Gruppe in den Stadtteil einkaufen: Zum Türken an der Ecke, zum italienischen Gemüseladen oder zum deutschen Kiosk. Und da wird keineswegs nur deutsch gesprochen, sondern auch mal italienisch oder türkisch. „Die meisten Kinder haben Sprachkompetenz in einer anderen Sprache, aber wir definieren sie als Kinder mit Defiziten“ kritisiert Ingrid Marth eine verbreitete Haltung.
Eine andere Gruppe machte sich auf die Suche nach Buchstaben und malte sie in ihr Heft ab. „HL“ zum Beispiel oder – vor allem bei Jungen beliebt – Automarken und Nummernschilder. Insgesamt nahmen 94 Kinder aus 21 Nationen am „Sossenheimer Modell“ teil. Jetzt soll es auch ein Kursangebot für die Eltern geben. Allerdings lastet die Durchführung fast ganz auf den Einrichtungen. Die Materialien seien, so Marth, auf dem Stand der 80er Jahre, und ausreichend Stunden für die Förderung wurden auch nicht zur Verfügung gestellt. Trotzdem zeigt das Projekt Wirkung. Jonas’ Deutsch ist inzwischen so gut, dass er eine gute Grundlage für die Schule hat.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Mai 2004

Kinderglaube stärkt für's Leben

Evangelisches Frankfurt: April 2004 · 28. Jahrgang · Nr. 2

„Brauchen Kinder Religion?“ –

150 Fachleute diskutierten in Frankfurt

Kinder & Kirche, Bild: Paul M. Walsh, Wikimedia

„Wohnt Gott im Wind?“ oder „Warum lebe ich, wenn ich doch eines Tages sterben muss?“ Kinder stellen religiöse Fragen. Aber wer gibt ihnen Antworten? Bei einer Fachtagung im Frankfurter Dominikanerkloster, die die Stiftung Ravensburger Verlag veranstaltete, diskutierten gut 150 Fachleute über die Frage „Brauchen Kinder Religion?“ Im Grunde waren sie sich einig: Ein gesunder Kinderglaube stärkt für’s ganze Leben. Der evangelische Religionspädagoge Friedrich Schweitzer sprach sogar von einem „Recht des Kindes auf religiöse Erziehung“. In einer immer kompli zierter werdenden Welt suchten Kinder vermehrt nach Orientierungshilfen. Religiöse Frühförderung müsse deshalb den gleichen Rang haben wie Frühenglisch, Sportförderung oder Medienerziehung. Schweitzer geht jedoch davon aus, dass religiöse Erziehung künftig eher schwieriger als einfacher wird. Viele Eltern seien bei religiösen Fragen ihrer Kinder verunsichert und wüssten oft nicht, wie sie antworten sollen. Der katholische Religionspädagoge Albert Biesinger wünscht sich deshalb mehr „religiöse Elternkompetenz“. Allerdings sieht er in der Distanz vieler Eltern zu einer traditionellen Frömmigkeit auch eine Chance. Die 20- bis 40-Jährigen heute gingen meist unbefangener an religiöse Themen heran als noch die Generation vor ihnen. Viele von ihnen hätten keinerlei Erfahrungen mit Religion gemacht – und also auch keine negativen. Oft werde den Eltern in spiritueller Hinsicht auch zu wenig zugetraut, kritisierte Biesinger: „Warum wird eigentlich die religiöse Erziehung so kompliziert gemacht?“ Vielleicht ist es ja wirklich so einfach: Kinderbibel aufschlagen, gemeinsam anschauen, und schon ist man im Gespräch. Der Berliner Sozialpädagoge Richard Münchmeier wies jedoch darauf hin, dass die Eltern heute nicht mehr der selbstverständliche Garant einer religiösen Erziehung seien, sondern sich ihre Prägekraft mit vielen anderen „Erziehungsmächten“ teilen. Zudem gelte Religion heute als etwas durch und durch Privates und damit als nachrangig gegenüber den vermuteten Anforderungen in Ausbildung und Beruf, an denen sich viele Eltern bei der Erziehung immer mehr orientieren. Der Tübinger Psychiater Gunther Klosinski unterstrich die positive Wirkung von Religion. Religiöse Erziehung und eine religiöse Einstellung förderten ein positives soziales Verhalten. So sei etwa das Bild vom „Schutzengel“ aus entwicklungspsychologischer Sicht für Kinder sehr hilfreich. Klosinski wies aber auch auf die Gefahren einer streng moralisierenden Religion hin. „Wenn Religion zum Austragungsort sozialer und psychischer Konflikte wird, dann wird sie missbraucht.“ Nicht nur die Eltern seien für die Vermittlung einer religiösen Entwicklung von Bedeutung, sondern vor allem auch die Großeltern. Mit ihrem Vorbild könnten sie etwas von ihrer Glaubenspraxis weitergeben.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: April 2004 · 28. Jahrgang · Nr. 2

Dem Zappelphilipp kann geholfen werden

Evangelisches Frankfurt November 2003

Dem Zappelphilipp kann geholfen werden

Paul war ein liebenswertes, aufgewecktes Kind. Dass man mit ihm kaum in ein Restaurant gehen konnte, irritierte die Eltern zunächst nur wenig. Kinder sind halt lebhaft. Beim Übergang vom Kindergarten zur Schule gab es dann die ersten Probleme, doch Dank einer engagierten Lehrerin kam Paul glimpflich durch die Grundschulzeit. Natürlich fiel auf, dass er sehr unruhig und lebhaft war und kaum auf seinem Stuhl sitzen konnte. Auch zuhause war Paul extrem anstrengend. Das Einhalten von Regeln war nicht seine Stärke, ständig musste sich alles um ihn drehen.
Der Start ins Gymnasium war eine halbe Katastrophe. Der Mathelehrer empfahl die Realschule. Schließlich gingen die Eltern mit Paul zu einem Intelligenztest.
Ergebnis: Paul ist überdurchschnittlich begabt. Der Besuch bei einer Kinderneurologin brachte Klarheit: Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) oder auch ADHS (Aufmerksamkeits-Hyperaktivstörung). Für Wolfgang Schrödter von der Psychologischen Beratungsstelle Höchst ist Paul kein Einzelfall. „Eigentlich“, so der Psychologe, sind wir seit mehr als 30 Jahren damit befasst.“ Es habe schon immer Kinder gegeben, die besonders unruhig sind. Seit der Diskussion um ADS beziehungsweise ADHS suchen Eltern verstärkt Beratungsangebote auf. Für Wolfgang Schrödter ist eine sorgfältige Diagnose wichtig. Die Familiengeschichte etwa oder Komplikationen bei der Geburt.
„Der Konflikt muss nicht da liegen, wo er zu liegen scheint“, weiß Schrödter. Da schickt etwa ein Lehrer ein Kind in die Beratungsstelle, weil es immer so unruhig ist. Aber ist das vielleicht nur die gesunde Reaktion auf einen langweiligen Unterricht? Auch bei der Frage, ob ADHS medikamentös behandelt werden sollte, ist Schrödter vorsichtig. Oft werde das Beruhigungsmittel Ritalin ohne fundierte Diagnose verschrieben. „Die internationalen Zahlen legen den Verdacht nahe, dass weit über den Bedarf verschrieben wird.“ Doch im Einzelfall könne eine medikamentöse Therapie durchaus angebracht sein. Die Psychologische Beratungsstelle Höchst ist unter Telefon 3399980 zu erreichen.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt November 2003

Der Generationenkrieg

Das 4. Gebot mahnt nicht nur, sondern es hat auch eine ganz praktische Konsequenz: Wer heute Vater und Mutter auf das finanzielle Abstellgleis schiebt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Kinder in einigen Jahren mit ihm ebenso verfahren.Das 4. Gebot mahnt nicht nur, sondern es hat auch eine ganz praktische Konsequenz: Wer heute Vater und Mutter auf das finanzielle Abstellgleis schiebt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Kinder in einigen Jahren mit ihm ebenso verfahren. - Foto: wikimedia/Pmikkola

Möglicherweise ist nicht mehr viel von der Bibel bekannt, aber der Satz „Du sollst Vater und Mutter ehren“, also das 4. Gebot, hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Es steht als moralischer Imperativ, der auch für Nicht-Christen Bedeutung hat. Mit gutem Grund.
Seit die Großfamilie nicht mehr für den würdevollen Lebensabend der Alten sorgt, tritt die staatliche Rente als solidarischer Ersatz ein. Unumstritten schien, dass diejenigen, die lange gearbeitet haben, in Würde und ohne Armut alt werden können. Dass es heute weitgehend keine Altersarmut gibt und die medizinische Versorgung die Lebenserwartung ständig steigen lässt, ist ein hohes Gut.
Doch jetzt, bei steigenden Sozialausgaben und sinkenden Steuereinnahmen, wird dieser Konsens aufgekündigt. Es wird nach der Generationengerechtigkeit gefragt, manche Beobachter sprechen sogar schon vom Generationenkrieg. In der Tat tobt ein Verteilungskampf zwischen Alten und Jungen. Falsche Alternativen werden aufgemacht: Mehr Bildung oder mehr Rente? Mehr Kinderbetreuung oder Hüftgelenke auch für 85-Jährige? Eine unsägliche Debatte.
Das 4. Gebot mahnt nicht nur, sondern es hat auch eine ganz praktische Konsequenz: Wer heute Vater und Mutter auf das finanzielle Abstellgleis schiebt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Kinder in einigen Jahren mit ihm ebenso verfahren.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt Oktober 2003

Nein, Herr Koch

Roland Koch, CDU

Kommentar

Der Vorgang ist ohne Beispiel: Da wird gestrichen und gekürzt nach Gutsherrenart. Was gestern noch gefördert wurde, ist heute überflüssig. Die „Giftliste“ trifft Bereiche, die der CDU schon immer eher ein Dorn im Auge waren: Frauenförderung oder die Arbeit mit Migranten. Wirklich überraschend ist das nicht.
Schon eher verwunderlich ist der Umgang der Christdemokraten mit den freien Trägern, mit der Kirche. Sie waren bisher der Garant für eine qualifizierte soziale Arbeit. Und sie verließen sich auf die staatlichen Zuwendungen. Diese Zuwendungen sind keine Subventionen kirchlicher Arbeit, sondern im Gegenteil: Das soziale Engagement gesellschaftlicher Gruppen, hier der Kirche, erspart es dem Staat, selbst tätig zu werden, und spart zudem Geld, denn die Kirche legt ja immer noch etwas dazu.
Doch dieses Prinzip funktioniert nur, wenn es eine vertrauensvolle Basis für die Zusammenarbeit gibt. Wer kurzfristig Kürzungen in diesem Ausmaß beschließt, zieht zahlreichen Trägern den Teppich unter den Füßen weg. Einige Einrichtungen werden schließen, andere ihr Angebot einschränken. Auf die Folgen wurde schon vielfältig hingewiesen. Tatsächlich steht nichts Geringeres als der soziale Frieden auf dem Spiel. Angesichts dieser Dimension sind die Folgen für die Kirche eher kleine, nichts desto trotz aber ärgerlich. Denn die Kirchen tragen das unternehmerische Risiko. Sie haben Räume angemietet und Personal eingestellt. Schließlich hat man auch eine Verantwortung der Mitarbeiterschaft gegenüber. Wie radikal die Regierung Koch vorgeht, zeigt sich am Flughafen. Der Vertrag zum Betrieb des Flughafensozialdienstes, den beide Kirchen gemeinsam betreiben, wurde zum Jahresende einseitig gekündigt. Nein, Herr Koch, so geht man nicht mit Partnern um!
Nach dieser Erfahrung wird die Kirche ihre Arbeit neu ausrichten müssen. Möglicherweise wird man sich davon verabschieden, mit Hilfe des Staates immer neue Projekte anzugehen und seine Arbeit ständig auszuweiten. Bisher schielte man auch auf die Refinanzierungsmöglichkeiten. Wird Erziehungsberatung gefördert, wird sie angeboten, wird Mediation gefördert, wird eben diese ins Programm genommen. Künftig wird man stärker exemplarisch arbeiten und sich verstärkt fragen: Was ist unser kirchlicher Auftrag, was kann nur die Kirche anbieten? Im Management nennt man einen solchen Prozess die Konzentration auf das Kerngeschäft. So gesehen liegt eben in jeder Krise auch eine Chance.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: Oktober/November 2003 · 27. Jahrgang · Nr. 7