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Klezmers Techter virtuos in Griesheim

Virtuos am Instrument, vielseitig in den Arrangements und mit großer Lebensfreude präsentierten sich gestern Abend „Klezmers Techter“ in der vollbesetzten Griesheimer Segenskirche.

Klezmers Töchter begeisterten in der Griesheimer Segenskirche. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth 

Im Rahmen des Griesheimer Musiksommers brachten die drei Musikerinnen die einst in Deutschland von den Nazis ausgerottete Klezmermusik wieder zurück, so die Initiatorin des Griesheimer Musiksommers, Brigitte Babbe. Aber mehr noch: Gabriele Kaufmann, Nina Hacker und Almut Schwab nahmen deutlich auch Elemente anderer Stilrichtungen auf, selbst Mainzer Karnevalsmusik schimmerte im Stück “Massel tov” durch.

Tanzen mit zwölf Kilo schwerem Akkordeon

Kein Wunder: Wurde doch die Instrumentierung von der gebürtigen Mainzerin Almut Schwab arrangiert. Klezmermusik stammt aus dem jiddischsprachigen Osteuropa und war von jeher beeinflusst von nicht-jiddischer Musik der jeweiligen Region. Nach den ersten Auswanderungswellen gelangte sie nach Amerika und verband sich dort auch mit dem swingenden Jazz. Diese Tradition setzt das Trio fort.

Die Künstlerinnen beeindruckten durch ihre Vielseitigkeit an den Instrumenten, wozu auch Bassklarinette, Querflöte und Hackbrett gehören. Unnachahmlich wie Almut Schwab trotz des von ihr gespielten zwölf Kilogramm schweren Arkodeons über die Bühne tanzte und den Dialog mit ihren Mitspielerinnen und mit dem Publikum suchte.

Unzählige Facetten menschlicher Gefühle

Klezmermusik drückt unzählige Facetten menschlicher Gefühle aus. Etwa beim Stück „Friling“, geschrieben nach dem Tod der Ehefrau des Komponisten im Konzentrationslager. Hier überzeugt das Trio auch durch leise Töne und den stampfenden Rhythmus, den Nina Hacker mit dem Bass vorgibt. Klezmers Techter sind eine Entdeckung für die Kirchenmusik-Szene.

Kurt-Helmuth Eimuth Evangelisches Frankfurt Internet 5.8.12

Zeugen Jehovas Tür nicht schließen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

04.08.2012 ·  Die Zeugen Jehovas haben das Image der Harmlosigkeit. Kurt-Helmuth Eimuth teilt diese Einschätzung nicht. Eimuth ist Diplompädagoge und Gründungsmitglied von Sinus. Das ist eine Selbsthilfeinitiative und Beratungsstelle, die sich in Frankfurt um Sektenaussteiger und ihre Angehörigen kümmert.

Wer wendet sich an Sinus?

In der Regel sind es Angehörige. Sie möchten Informationen und unsere Erfahrungen. Deshalb vermitteln wir Gespräche zu anderen Angehörigen und ehemaligen Sektenmitgliedern. Hilfreich sind auch konkrete Ratschläge, wie man mit Familienmitgliedern, die sich einer Sekte angeschlossen haben, umgehen soll.

Was ist Ihr wichtigster Rat?

Es kommt darauf an, die Türe nicht hinter sich zu schließen. Vorwürfe und Vorhaltungen helfen nicht weiter. Auch wenn es schwerfällt: Verständnis und Zuhören helfen, den Dialogfaden nicht abreißen zu lassen.

Welche Sekten sind heute in Deutschland besonders aktiv?

Sicher sind die Zeugen Jehovas hierzulande die größte Sekte, auch wenn ihre Mitgliederzahl stagniert. Scientology ist weiter aktiv. Und die religiöse Landschaft hat sich weiter differenziert. Heute sind zahlreiche kleine Gruppen tätig, die durchaus sektenhafte Züge tragen. Dies gilt auch für den Psychomarkt und die Esoterik.

Die Zeugen Jehovas haben in Hessen den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Wie schätzen Sie diese Gemeinschaft ein? Ist sie überhaupt gefährlich?

Die Lehre der Zeugen Jehovas wirkt vor allem auf Kinder und Jugendliche sozial ausgrenzend, schon im Kindergarten werden sie zu Außenseitern.

Wodurch?

Es wird zum Beispiel nicht gerne gesehen, wenn sie Geburtstage oder christliche Feste mitfeiern. Schon das Bemalen eines Ostereis kann zu einem Problem für ein dreijähriges Kind werden. Die Einübung in die demokratische Willens- und Meinungsbildung wird vorenthalten. So sollten bis vor einigen Jahren Kinder nicht einmal an Klassensprecherwahlen teilnehmen, weil dies ein Dienst im verhassten System wäre. Wer Kindern und Jugendlichen verbietet, an jeder politischen Willensbildung teilzunehmen, dem muss eine demokratische Grundhaltung abgesprochen werden. Das autoritäre und angsteinflößende Erziehungskonzept der Zeugen Jehovas gefährdet meines Erachtens das Kindswohl, weil es eine Form der psychischen Misshandlung darstellt. Die Anerkennung der Sekte als Körperschaft des öffentlichen Rechts ändert daran nichts. Die Zeugen Jehovas sind eine gefährliche Sekte.

Was macht den Ausstieg schwierig?

In der Sekte ist alles geregelt. Der Wochen- und Tagesablauf, die Art des Umgangs, die Einteilung der Welt in Gut und Böse. Beim Austritt stehen die Betroffenen von dem Nichts. Die alten Freunde wenden sich von ihnen ab. Es gibt für die Mitglieder innerhalb der Sekte niemanden, der ihnen hilft und in einer Krise beisteht.

Die Fragen stellte Nina Himmer.

Kindeswohl vor Religionsfreiheit: Ja bitte!

Ein Kommentar von Kurt-Helmuth Eimuth

Zugegeben, es ist eine belastete Diskussion, die nach dem Kölner Urteil zur Beschneidung entbrannte. Kulturelle Traditionen und Jahrhunderte alte Verletzungen und Vorurteile werden wieder in Erinnerunng gerufen.

Ohne Zweifel ist die Beschneidung Teil einer religiösen Identität. Dies ist zu beachten und zu respektieren. Es steht auch niemandem zu, dies religiös zu bewerten.

Doch haben alle Menschen, gleich welchen Alters, nach unserem Grundgesetz das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Eine Erkenntnis, die sich erst langsam in unserer Gesellschaft durchsetzt. Denkt man etwa daran, dass es über fünfzig Jahre dauerte, bis das Schlagen von Kindern gesetzlich auch den Erziehungsberechtigten verboten wurde.

Eine Beschneidung ist irreversibel, bereitet zudem Schmerzen. Nach unserem Rechtsverständnis haben auch Eltern nicht das Recht solches ihren Kindern anzutun. Die Motive der Eltern – und seien sie noch so ehrenwert – dürfen da keine Rolle spielen.

Vieleicht ist es ja ein Ausweg, die Beschneidung an die Religionsmündigkeit zu koppeln. Wer mit 14 Jahren ja zu seiner Religion sagt, mag sich dann in eigener Verantwortung beschneiden lassen.

Die derzeitige Diskussion allerdings gleicht eher einem Kulturkampf. Dies führt nicht weiter.

Im Vordergrund muss das Kindeswohl stehen. In der Diskussion vermisse ich die Stimme all derer, die dieses verteidigen. Wo bleiben die Voten der Konderschutzbeauftragten und Pädagoginnen und Pädagogen?

Evangelisches Frankfurt online 3. Juli 2012

Ein Stück Zuhause zwischen Gittern

FR 10. Juli 2012

Die evangelische Krabbelstube Moses will den Kindern eine Umgebung schaffen, in der sie sich geborgen fühlen – dabei spielen Transparenz und hölzerne Abtrennungen eine wichtige Rolle

Von Sabine Hamacher

Wann fühlen sich Kinder, die maximal einen Meter groß sind, in einem Raum geborgen? Wie kriegt man Beheimatung hin? Für Kurt-Helmuth Eimuth, Leiter des Arbeitsbereichs Kindertagesstätten der Diakonie, sind das die entscheidenden Fragen. „Es muss Rückzugsmöglichkeiten geben“, ergänzt Melanie Neusitzer, Leiterin der Krabbelstube Moses, „die Kinder müssen sich Höhlen bauen können“. Wie groß der Raum in Quadratmetern gemessen ist, finden beide nachrangig. 40 plus 20 lautet die Formel für die Kitas des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt, zu denen auch die der Diakonie gehören: ein Gruppenraum von 40 Quadratmetern und dazu ein 20 Quadratmeter großer sogenannter Intensivraum. In der Krabbelstube Moses in Bockenheim ist das ein Schlafraum mit lauter niedrigen Holzbettchen; dazu gibt es ein Bad mit winziger Toilette und zwei Waschbecken, die etwa in Kniehöhe eines Erwachsenen an der Wand angebracht sind. Alles ist neu hier; die Kita, die drei Gruppen mit jeweils maximal elf Kleinkindern beherbergt, hat erst im November eröffnet. Sie liegt in einem Hinterhof in der Großen Seestraße. Das Gebäude gehört einer Haustechnik-Firma und war früher eine Werkstatt. Die Räume im Erdgeschoss samt Keller hat die Diakonie gemietet. Die Böden wurden mit Kautschuk ausgelegt („weich und warm“, sagt Eimuth), die Wände halbhoch mit Holz verkleidet. Wenn sich Eltern eine Kita anschauen, achten sie darauf, dass sie hell und freundlich wirkt, erzählt Leiterin Neusitzer. Nach den Quadratmetern werde nicht gefragt. Von denen hätten die Kinder sowieso nicht so viel, glaubt Eimuth, „aber von gut ausgebildeten Erzieherinnen, die in sich ruhen und nicht so hoch arbeitsbelastet sind“. Immer zwei Betreuerinnen kümmern sich um eine Gruppe, die Kinder sind vier Monate bis drei Jahre alt. Ab 7.30 Uhr werden die ersten gebracht, um 17 Uhr schließt die Krabbelstube. Dazwischen haben die Kleinen viel Zeit, „sich die Räume anzueignen“, wie Neusitzer es nennt. Im Bewegungsraum – in der Kita Moses ein Flur – lassen sich die schwungvollen Linien auf dem Boden mit dem Bobbycar wunderbar nachfahren. Dabei können die „Kollegen“ aus den Gruppenräumen zuschauen: Zum Flur hin haben alle Räume ein schmales Fenster: „Die Kinder sollen durchblicken können“, sagt Eimuth. Überhaupt: Transparenz. Das ist ein ganz wichtiges Stichwort und geht auf Emmi Pikler zurück. An der ungarischen Ärztin, die sich vor etwa hundert Jahren dafür einsetzte, die Bedürfnisse der Kinder zu akzeptieren und ihnen mit Wertschätzung zu begegnen, orientiert sich die Einrichtung bis ins Detail. „Sie wollte, dass man den Kindern eine vorbereitete Umgebung schafft, die sie sich dann erschließen können“, sagt Neusitzer. Die Pikler-Ideen sind Standard in den Kitas der Diakonie; die Konzepthoheit wird allerdings den Gemeinden überlassen. Pikler entwickelte auch den Ansatz der „beziehungsvollen Pflege“: Das Kind wird nur gewickelt, wenn es selbst will, und auch nur von der Erzieherin, die es sich dazu aussucht. Die Wickeltische für diesen Vorgang, der „sprachlich begleitet“ werden soll, lässt die Diakonie eigens anfertigen. Sie haben eine ausfahrbare Treppe, damit die Kinder ganz allein hochklettern können. Wie die Gruppenräume genutzt werden, geben die Spielgitter aus Holz vor, die an einer Wand befestigt sind und verschoben werden können. So wird der Raum strukturiert und ein Essbereich abgetrennt. „Im Alter von null bis drei kriegen die Kinder sonst Angst und sind überfordert“, sagt Neusitzer. Schon um 11 Uhr wird Mittagessen verteilt, die Kleinen haben früh Hunger. Sie sitzen auf Bänkchen, die fest mit dem Tisch davor verschraubt sind, essen von richtigen Tellern und trinken aus Gläsern. Kunststoffbecher gibt es nicht, auch das geht auf Pikler zurück: Das Getränk soll sichtbar sein. Ab 11.30 Uhr ist Zeit für den Mittagsschlaf. „Wenn ein Kind erst um zwei müde wird, ist das auch in Ordnung“, sagt Neusitzer, und Eimuth ergänzt: „Kleine Kinder haben einen eigenen Rhythmus, die können wir nicht in ein Gruppenschema zwängen.“ Neben der Achtung vor der persönlichen Tagesstruktur ist für Neusitzer etwas anderes sehr wichtig: dass sich die sichere Bindung, die die Kinder zu ihren Eltern aufgebaut haben, auf eine Erzieherin überträgt, „dass sie hier auch noch ein Stück Zuhause haben“. „Kinder haben ein unglaubliches Urvertrauen. Das wollen wir aufgreifen und nicht enttäuschen“, sagt Eimuth und nennt das „die evangelische Basis“: Vertrauen haben, dass man in der Welt besteht, von Gott angenommen ist. „Es kommt aufs Konzept an“, betont er. „Wir sind davon überzeugt, dass das in unseren Raumstandards gut möglich ist.“

Spielgitter teilen in der Kita Moses einen gepolsterten Krabbelraum und einen Essbereich mit Holzbänkchen ab. Ein zu großer Raum überfordere die Kinder und mache ihnen Angst, sagt die Leiterin. Andreas Arnold (3)

 

DEBATTE ÜBER DIE RAUMGRÖSSE

Knapp 100 Kitas betreibt der Evangelische Regionalverband Frankfurt: 80 davon gehören zum Trägerverbund der evangelischen Kirche und 19 zur Diakonie, die ihrerseits eine Einrichtung des Regionalverbands ist.

Dessen Raumprogramm richtet sich nach der Formel 40 plus 20: ein Gruppenraum von 40 Quadratmetern und dazu ein 20 Quadratmeter großer sogenannter Intensivraum.

Der Intensivraum kann bei kleineren Kindern ein Schlafraum sein, bei größeren zum Beispiel auch ein Atelier. Hinzu kommt in jedem Fall ein kleines Bad mit Toilette und Waschbecken.

Diese Mindestgröße der Räume bezieht sich auf jeweils eine Gruppe. Bei Kindern unter drei Jahren dürfen maximal elf Kinder in einer Gruppe sein, bei älteren Kindern sind es 20 bis 21. Die Raumgröße bleibt immer gleich.

Der Evangelische Regionalverband orientiert sich mit seinem Raumprogramm an der oberen Marge der Richtlinien des hessischen Landesjugendamts von 1992. Daran hält er sich aber nicht sklavisch, sondern orientiert sich an den Gegebenheiten.

So hat nicht jeder Gruppenraum tatsächlich 40 Quadratmeter. Der Raum der Gruppe 1 in der Krabbelstube Moses etwa liegt mit 38 knapp darunter.

Die Stadt Frankfurt sieht mit ihrem seit 2009 gültigen Raumprogramm für Kindertagesstätten insgesamt 75 Quadratmeter pro Gruppe vor – das ist auch im deutschlandweiten Städtevergleich viel.

Nach Kritik des Revisionsamtes an teuren Kita-Bauten soll das Raumprogramm nun aber überprüft werden. Nach den Ferien wollen Planungs- und Bildungsdezernat eine entsprechende Vorlage präsentieren.

Schulpfarrämter zu streichen ist falsch

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) will massiv Pfarrstellen an Schulen streichen. Hundert von derzeit 172 Schulpfarrstellen sollen wegfallen.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von “Evangelisches Frankfurt”. Foto: Rolf Oeser

Grund für die Kürzungen ist nicht, dass die Kirche sparen muss: Finanziert werden diese Stellen weitestgehend vom Staat, denn Religion ist in Deutschland ordentliches Lehrfach.

Hintergrund ist vielmehr der absehbare Fachkräftemangel. Denn es fehlt in Deutschland nicht nur an Ingenieuren, Krankenpflegern und Erzieherinnen, sondern auch an geistlichem Personal: Über 900 Pfarrerinnen und Pfarrern gehen in den kommenden zwölf Jahren in Hessen und Nassau in Ruhestand. Davon sollen 550 ersetzt werden – ohnehin ein massiver Stellenabbau. Und trotzdem wird es schwer sein, diese Stellen zu besetzen. Kaum noch junge Menschen studieren Theologie mit dem Berufsziel Pfarramt.

Um dem Engpass abzuhelfen und möglichst viele Stellen in den Kirchengemeinden zu erhalten, will man überproportional in der Schule kürzen. Aber das verkennt die wichtige Bedeutung der Schulpfarrämter. Viele junge Menschen begegnen hier der Kirche zum ersten Mal. Schulpfarrerinnen und Schulpfarrer sind zusätzlich zum Unterricht auch Seelsorgerinnen und Seelsorger, sie organisieren Gottesdienste, sie vertreten die Kirche in der Schulgemeinde.

Es ist für die Kirche eine große Chance, in der Schule Menschen aller Weltanschauungen zu begegnen. In einer Zeit der Säkularisierung, Pluralisierung und des immer wieder beklagten Mitgliederschwundes hat sie hier die einmalige Möglichkeit, ihre Botschaft auch außerhalb der eigenen Kreise zu verbreiten, Menschen zu überzeugen, mit ihrem Personal präsent zu sein. Und das auch noch fast kostenneutral.

Der Reflex, angesichts der Personalknappheit die Bedürfnisse der Gemeinden erst einmal höher zu werten als die der Schulen (und wahrscheinlich auch noch anderer übergemeindlicher Arbeitsfelder), ist zwar nachzuvollziehen, aber dennoch falsch. Denn bei allem Verständnis für die Bedarfe von Kirchengemeinden führt das nur zu immer weiterer „Milieuverengung“.

Die Kirche hat den Auftrag, hinaus in die Welt zu gehen, Menschen zu überzeugen. Sie muss auch der inzwischen weit verbreiteten antikirchlichen Stimmung etwas entgegen halten. Gerade in der Schule hat sie dazu eine großartige Möglichkeit. Es wäre unklug, sie leichtfertig verspielen.

Beitrag von , veröffentlicht am 24. Juni 2012 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

Rechtsanspruch auf Kita für Krabbelkinder ist nicht erfüllbar

Rechtsanspruch auf Kita für Krabbelkinder ist nicht erfüllbar

Ab Sommer 2013 soll es einen Rechtsanspruch auf deinen Kita-Platz auch für Unter-Dreijährige geben. Doch der geschätzte Bedarf für 60 Prozent aller Kinder wird in Frankfurt bis dahin nicht einzulösen sein.

Hort-, Kita- oder Krabbelstubenplätze sind noch immer Mangelware, vor allem in den innenstadtnahen Stadtteilen wie Bornheim und Sachsenhausen und in den Neubaugebieten. Frankfurt hat entgegen dem Trend seit elf Jahren steigende Kinderzahlen. Allein dafür musste die Stadt in den vergangenen acht Jahren 3000 zusätzliche Betreuungsplätze schaffen.

Bei den ganz Kleinen ist der Nachholbedarf noch größer. Mit der Ankündigung eines Rechtsanspruchs für Unter-Dreijährige hat die Politik einen Verhaltenswandel in den Familien noch beschleunigt: Deutlich mehr Eltern als vermutet wollen ihr Kind in eine Krippe geben. Im Magistrat geht man davon aus, dass ein Versorgungsgrad von 35 Prozent, wie von der Bundesregierung vorgesehen, in Frankfurt nicht ausreicht. Laut Martin Müller-Bialon, dem persönlichen Referenten der Bildungsdezernentin, steht bis Ende 2013 voraussichtlich für 42 Prozent, bis 2015 für 48 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung. Den tatsächlichen Bedarf schätzen Fachleute auf 60 Prozent.

Es ist schwer, Fachkräfte in die Stadt zu locken

Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab einem Jahr wird in Frankfurt also nicht zu erfüllen sein. Da helfen auch keine von Berlin in Aussicht gestellten Kredite. Es sind enorme Summen, um die es hier geht: 2008 sah der städtische Etat für Kita-Betriebskosten noch 248 Millionen Euro vor, kommendes Jahr sind es schon 364 Millionen. Und dies, obgleich die Stadt in allen anderen Bereichen spart.

Auch die evangelische Kirche beteiligt sich am Ausbauprogramm. Über 1000 zusätzliche Plätze schafft sie bis 2013. Gemeindekitas werden erweitert oder neu gebaut, Ladenlokale angemietet, um dort Krabbelstuben einzurichten. Über 40 Millionen Euro werden derzeit verbaut. Aber es bleibt das Fachkräfteproblem. Trotz einer Vervielfachung der Ausbildungskapazitäten und anderer Maßnahmen wird es äußerst schwer sein, genügend Fachkräfte in die Städte zu locken.

Familienministerin Kristina Schröder beteuert zurzeit noch, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz auf alle Fälle am 1. August 2013 kommen wird. Doch wenn Eltern diesen Anspruch gerichtlich einklagen, kommen auf die Kommunen Regresszahlungen zu. Es sei denn, es gäbe dann doch noch schnell eine Übergangsregelung.

Beitrag von , veröffentlicht am 24. Juni 2012 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

Die Moon-Sekte gibt sich geläutert

Die Moon-Sekte gibt sich geläutert

Sie waren vor dreißig Jahren eine der umstrittensten religiösen Sekten: die “Moonies”. Heute gibt sich die Gemeinschaft geläutert und wirbt mit Bücherständen am Schweizer Platz und mit Büchersendungen an die Pfarrerschaft.

Spektakuläre Massenhochzeiten veranstaltete die „Vereinigungskirche“ in den 1980er Jahren – hier im Zoo-Gesellschaftshaus. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Sie waren vor dreißig Jahren eine der umstrittensten religiösen Sekten: die Moonies, wie man die Anhänger und Anhängerinnen des Koreaners Sun Myung Moon nannte. Unlautere Werbemethoden, Gehirnwäsche, massive Entfremdung junger Menschen von ihren Familien, Industriebesitz, der Versuch, auf die Politik Einfluss zu nehmen – so lauteten die Vorwürfe. Heute gibt sich die Gemeinschaft geläutert und wirbt mit Bücherständen am Schweizer Platz und mit Büchersendungen an die Pfarrerschaft.

Gemeindezentrum in der Stegstraße in Sachsenhausen

Besucht man in der Sachsenhäuser Stegstraße die Frankfurter Gemeinde der „Tongil-Gyo Vereinigungsbewegung“, wie sich die Moon-Bewegung heute offiziell nennt, findet man ein klassisches Gemeindezentrum vor: Versammlungsraum, Jugendraum, Spielraum für Kinder, Büro. Das wundert nicht, denn der Vormieter des Gebäudes war die Selbständig Evangelisch Lutherische Kirche. An den Wänden hängen auch Bilder von Buddha, Konfuzius und Jesus, denn schließlich will Moon vollbringen, was Jesus nicht geschafft habe – die Glaubensgemeinschaften vereinigen.

Etwa 400 Mitglieder im Großraum Frankfurt

Gemeindemitglied Christoph L. (links) und Sprecher Fritz Piepenburg in den Räumen der „Tongil-Gyo Vereinigungsbewegung“ in Sachsenhausen. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Etwa 400 Menschen im Großraum Frankfurt gehören zur Gemeinde, deutschlandweit hat die Gruppierung 1300 Mitglieder. Man habe sich geändert, sagt ihr Sprecher. In den 1980er Jahren sei so eine Art „Pionierzeit“ gewesen. Heute verzichte man auf Fundraising in Deutschland, wodurch man nicht mehr über viel Geld verfüge, es gebe nur eine hauptamtliche Stelle. Die Mitglieder der Vereinigungsbewegung lebten auch nicht mehr in Wohngemeinschaften zusammen und man betreibe auch keine eigenen Wirtschaftsunternehmungen mehr.

Zum Gespräch kommt Christoph L. hinzu. Der junge Mann, Ende zwanzig, ist in Südamerika aufgewachsen, schon seine Eltern waren in der Moon-Bewegung. Sie gehörten zu jenen, deren Ehepartner durch Moon ausgewählt worden waren, ihre Eheschließung haben sie in einer der berüchtigten Massenhochzeiten vollzogen. Ihr Sohn hat nun ebenfalls auf diese „traditionelle Weise“ geheiratet. „Das ist heute aber die Ausnahme“, sagt L. „Wir sind normale Studenten und sehen uns in der christlichen Tradition“.

Moon-Glaube ist mit Christentum unvereinbar

Sun Myung Moon selbst ist heute 92 Jahre alt. Sein Einreiseverbot nach Deutschland ist aufgehoben, vergangenes Jahr konnte er in Berlin zu seinen Anhängern und Anhängerinnen sprechen. Er lebt mit seiner erweiterten Familie als Multimillionär in den USA, dort musste er eine Haftstrafe wegen Steuervergehen verbüßen.

Ob tatsächlich ein Wandel innerhalb der Vereinigungsbewegung stattgefunden hat oder nur das Image aufpoliert wurde, lässt sich derzeit kaum beurteilen. „Die Gemeinschaft trägt zugleich religiös-weltanschauliche, ideologisch-politische und wirtschaftliche Züge. Mit einer christlichen Kirche besteht nur eine oberflächliche Ähnlichkeit“, sagt der Weltanschauungsbeauftragte Hansjörg Hemminger. Mit dem Christentum sei der Glaube unvereinbar, so werde ausdrücklich die Trinitätslehre verworfen und geglaubt, dass die Erlösung der Menschen mit Sun Myung Moon komme. Die Moon-Bewegung versuche, durch die Veränderung ihres Auftretens seriöser zu wirken, und habe in den USA bereits einen gewissen Einfluss auf die konservative Publizistik und Politik gewonnen, meint Hemminger.

Beitrag von , veröffentlicht am 24. Juni 2012 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

Halb Rödelheim ging in diese Kita

Die Wehrhof-Kita in Rödelheim feierte gestern ihr 125. Jubiläum. Nicht immer ging es zwischen Kommune und  evangelischer Trägerschaft harmonisch zu. Eine Fotoausstellung vermittelt Eindrücke aus eineinhalb Jahrhunderten.

Spaß hatten die Kinder beim Geburtstagsfest der Wehrhof-Kita. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth 

„Halb Rödelheim ging durch die Hände unserer Erzieherinnen“, sagte Pfarrer Ludwig Schneider bei der gestrigen 125-Jahr-Feier des Wehrhof-Kindergartens. Angefangen hatte alles schon 1871, also bereits vor 141 Jahren. Der damalige Rödelheimer Pfarrer Johann Thudichum gründete eine evangelische Kleinkinderschule, die von den beiden Diakonissen Schwester Luise und Schwester Sophie geleitet wurde.

Doch die religiöse Erziehung war vielen säkularen Rödelheimern ein Dorn im Auge, und 1875 übernahm die kommunale Gemeinde die Trägerschaft. Schockiert von der unchristlichen Atmosphäre bei einem Weihnachtsfest in der nun kommunalen Einrichtung, rief Pfarrer Eduard Lohoff dann 1887 die „evangelische Privat-Kleinkinderschule“ ins Leben.

Auch in der Wehrhof-Kita herrschte 1914 Kriegesbegeisterung. Foto: Archiv 

Eine  Fotoausstellung vermittelt Eindrücke aus eineinhalb Jahrhunderten Geschichte. Ein Bild aus dem Jahr 1914 – die Gruppe brav hinter einem Tisch in Reih und Glied, ein kleiner Junge mit Pickelhaube – erinnert an die verbreitete Kriegsbegeisterung. 1933 musste sich der Kirchenvorstand gegen die Übernahme durch die Nazis zur Wehr setzen.

Eine Diakonisse kümmerte sich um 90 Kinder

Schlimme Erlebnisse, schöne Erlebnisse: Der Rödelheimer Pfarrerssohn Heinz-Albrecht Müller, der etwa 1936 in den Kindergarten kam, erinnert sich gern an „Sommerfeste hinten im Hof“, an Lieder, die gesungen wurden. Aber er spricht auch vom Luftangriff 1943, vier Tage vor Weihnachten, bei dem die Kirche zerstört wurde.

Im März 1944 lag dann der Wehrhof selbst in Trümmern. Schwierige Zeiten des Wiederaufbaus, Umzüge, viele Veränderungen. Um die 90 Kinder spielten früher hier, für die Ende des 19. Jahrhunderts zunächst nur eine Diakonisse zuständig war, jeweils sieben Stunden an sechs Tagen.

Inzwischen hat sich die Kita verkleinert. 42 Kinder im Alter drei bis sechs, in zwei Gruppen, bevölkern den Altbau neben dem Nidda-Wehr. „Vieles hatten wir hier“, resümiert Pfarrer Ludwig Schneider: „Diakonissen, Schwestern, Tanten, Kinderfräulein, Erzieherinnen und heute sogar Erzieher.“ Der rote Faden sei „der Dreiklang von Betreuung, Bildung und Erziehung“, so der Leiter des Bereiches Kindertagesstätten des Diakonischen Werks, Kurt-Helmuth Eimuth, und natürlich die christliche Prägung.

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Beitrag von , veröffentlicht am 18. Juni 2012 in der Rubrik Stadtkirche des Evangelischen Frankfurts

Grundsteinlegung der Kita „Villa Kunterbunt“ in Sossenheim

In der Regenbogengemeinde in Sossenheim entsteht ein neues Kinderzentrum. Dafür wurden nicht nur Büros aufgegeben und Nadelbäume gefällt – auch der Glockenturm musste fallen.

Die Baustelle für das neue Kinderhaus „Villa Kunterbunt“ wird in die Pädagogik integriert. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth 

Die Kinder kennen das „Rezept“ für ein tragfähiges Fundament: „Man nehme: ein bisschen Sand, ein bisschen Zement, ein bisschen Wasser, ein paar kleine Steine. Alles zusammen verrühren und mit ein bisschen ‘Glaube’ wird es schon gelingen!“

Auf diesem festen Grund errichtet die Regenbogengemeinde in Sossenheim ein neues Kinderzentrum. Die Grundsteinlegung war am 15. Juni, im Herbst 2013 soll das Gebäude bezugsfertig sein. Größer als bisher, am Hang gelegen, in Hufeisenform, Elterncafé, moderne Küche, Innenhof, drei Spielplätze. Raum für die jetzigen sechzig Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, und außerdem für fünf neue Krabbelgruppen, noch einmal fünfzig Kinder.

Für den Umbau mussten Nadelbäume und der Glockenturm fallen. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth 

Ein ambitioniertes Vorhaben – Kosten rund 3,3 Millionen Euro – und ein Wendepunkt. Denn nicht nur eines der Büros musste aufgegeben werden. Auch die alten Nadelbäume auf dem Gelände wurden gefällt. Der Glockenturm, das bisherige Wahrzeichen der Regenbogengemeinde, „mit einem Bagger einfach umgefahren“, erzählt Kita-Leiterin Christine Funk-Geissler.

Klar war: „Wir würden vieles verlieren, was wir geschätzt und geliebt haben.“ Bereits vor Beginn der Arbeiten im Februar 2012 startete das Team der Erzieherinnen und Erzieher deshalb das Projekt „Komm, bau ein Haus“. Erster Schritt: Bestandsaufnahme. Die Kinder dokumentierten fotografierend, filmend, malend, bastelnd, sammelnd. Die Ergebnisse und „Fundstücke aus der Vergangenheit“, wie Schlüssel, Türgriffe, Steine, Blätter, ein altes Telefon, Schilder, bilden nun das Villa Kunterbunt-Museum, das bei der Grundsteinlegung eröffnet wurde.

„Es ist die Erfahrung von Trauer, Abschied nehmen, weil etwa die Eichhörnchen nicht mehr da sind, dann aber auch die Freude auf das, was kommt“, sagt Pfarrer Ulrich Matthei. Die Koexistenz mit der Baustelle wurde in die Pädagogik integriert, eine Pädagogik, die Christine Funk-Geissler so umreißt: „Neugierde wecken, die Welt erfahren, mit allen Sinnen, Forschen und Entdecken“.

Kindergottesdienst zur Grundsteinlegung im Juni. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth 

Mit Begeisterung verfolgten die Kinder Abriss und Vermessung, beschäftigten sich mit Materialien, Werkzeug, Maschinen, experimentierten selber mit Sand und Lehm. Sie führten Interviews mit Geologen, Holzfällern, Zaunmonteuren, Elektrikern und anderen „geheimnisvollen Gästen“, besuchten Architekturmuseum, Hundertwasserhaus und Zoo, denn auch die Tiere haben Häuser – und wurden mit der Zeit zu richtigen Bauexperten. Kurt-Helmuth Eimuth, Leiter des Bereiches Kindertagesstätten beim Diakonischen Werk ist „beeindruckt davon, was das Team in einer sehr schwierigen Situation geleistet hat. Abriss und Neubau werden als Bildungsgelegenheit für die Kinder phantasievoll genutzt.“

Barbara Kernbach

Evangelisches Frankfurt via Internet am 20.6.2012

Organspende: „Gott braucht alte Organe nicht”

von Kurt-Helmuth Eimuth 24. Mai 2012

Laut Umfragen sind 74 Prozent der Deutschen zur Organspende bereit. Aber nur 25 Prozent haben einen Organspendeausweis. Die Lücke zwischen Denken und Handeln soll nun durch die regelmäßige Post von der Krankenkasse geschlossen werden.

Nierentransplantationen ersparen den Betroffenen mehrere langwierige Dialysesitzungen pro Woche. Foto: horizong 21/Fotolia
Nierentransplantationen ersparen den Betroffenen mehrere langwierige Dialysesitzungen pro Woche. Foto: horizong 21/Fotolia

In Deutschland warten derzeit 12000 Menschen auf ein Spenderorgan. Dies ist oftmals ein Wettlauf mit dem Tod. Ein neues Gesetz soll nun Abhilfe schaffen. Alle Bundestagsfraktionen einigten sich auf die so genannte „Entscheidungslösung“. Danach werden alle Bundesbürgerinnen und -bürger über 16 Jahren aufgefordert, ihre Spendenbereitschaft zu erklären.

Regelmäßige Briefe – schon ab diesem Jahr – informieren dann über die Organspende und fordern zur Abgabe der Erklärung auf. Dokumentiert wird das auf den mitgeschickten Organspendeausweisen, später wohl auch auf der Gesundheitskarte.

Wer einen Organspendeausweis ausfüllt, kann das Einverständnis zur Organ- und Gewebespende entweder generell erteilen, auf bestimmte Organe oder Gewebe einschränken oder einer Organ- und Gewebespende widersprechen. Es kann in der Zeile „Anmerkungen?/?Besondere Hinweise“ auch eine bestimmte Person benannt werden, die im Todesfall benachrichtigt werden soll. Wichtig: Der Organspendeausweis wird an keiner offiziellen Stelle registriert oder hinterlegt.

Dabei muss niemand fürchten, sich endgültig festzulegen. Wer die Einstellung zur Organ- und Gewebespende ändert, muss lediglich die alte Erklärung vernichten. Auf einem neuen Ausweis kann dann die geänderte Einstellung festgehalten werden. Der Organspendeausweis sollte immer mitgeführt werden, am besten zusammen mit den Ausweispapieren. Allerdings ändert sich eines nicht: Wer sich zu Lebzeiten nicht erklärt, überlässt im Ernstfall die Entscheidung den Trauernden. Das ist für die Angehörigen oft eine extreme Belastung.

Theologisch gibt es gegen die Organspende keine Vorbehalte. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, ruft die Christinnen und Christen sogar dazu auf, sich einen Organspendeausweis zuzulegen. „Ich glaube, dass Gott meine alten Organe nicht braucht, wenn er mir nach dem Tod ein neues Leben schenkt“, sagte der 62-Jährige gegenüber evangelisch.de. „Ich kann nur sehr ermutigen, sich die Frage, ob Sie spenden würden oder nicht, ernsthaft zu stellen und zu beantworten.“

Organspende – sind Sie dafür?

Sabine Mousset (38), Ärztin

Ich bin für die Organspende und habe auch selbst einen Organspendeausweis, weil ich sehe, wie Menschen unter chronischen Erkrankungen leiden. Ein gespendetes Organ kann die Lebensqualität sehr verbessern. Eine Niere zum Beispiel bedeutet, dass man nicht mehr dreimal in der Woche drei bis vier Stunden zur Dialyse muss. Als Naturwissenschaftlerin bin ich auch vom Hirntod überzeugt, der ja eingetreten sein muss, damit Organe entnommen werden können. Hirntot ist man, wenn man keine Hirnströme mehr messen kann. Das ist unumkehrbar, der Mensch existiert als Persönlichkeit nicht mehr, aber seine Organe können noch sinnvoll gespendet werden. Da der Bedarf an Organen immer höher ist als die, die zur Verfügung stehen, finde ich den Vorstoß der Bundesregierung, die Menschen jetzt direkt anzuschreiben, sehr positiv.

Thomas Leistner (49), Theologe und Lehrer

Im Prinzip schon. Der Hirntod ist aber durchaus auch problematisch. Studien belegen, dass das emotionale Empfinden nach dem Hirntod noch nicht ausgeschaltet ist. Manche Ärzte geben Betäubungsmittel vor der Organentnahme, weil der Körper sich verkrampft. Das macht mich schon sehr nachdenklich. Andererseits weiß ich auch, dass viele Menschen auf ein Spenderorgan warten. Ich habe mit meiner Frau gesprochen, die das letztlich in der Situation entscheiden soll – ich kann nicht alles voraussehen. Organspende ist ein Akt der Nächstenliebe, aber ich finde auch, dass niemand unter Druck gesetzt werden sollte. Man selbst und die nächsten Angehörigen müssen genau wissen, worauf sie sich einlassen. Ethisch ist ja auch die Frage interessant, ob man ein Organ zwar annehmen würde, aber nicht bereit ist, selber eins zu spenden?

Shlomo Raskin (40), Kantor und Seelsorger

Alles, was Menschen retten kann, durch direkte Hilfe oder mit Hilfe der Forschung, ist natürlich positiv. Das größte Gebot in der Tora ist, Leben zu retten. Wir haben nur dieses Leben hier, kein Leben in der Ewigkeit. Und der Körper ist ein Pfand, der uns vom Ewigen geschenkt wurde. So wie eine Mutter einem Kind das Leben schenkt, es gehört ihr aber deshalb nicht. Wenn also einer ein Organ spenden will und der andere das annehmen möchte, finde ich das super. Im Einzelfall sollte man sich aber immer mit dem Rabbi und dem Arzt beraten, denn es muss ja alles zusammenpassen und stimmen. Was natürlich nicht geht, ist, ein Geschäft mit Organen zu betreiben, wie es ja leider manchmal geschieht. Ich selbst spende einmal im Jahr Blut. Das ist ein sehr gutes Gefühl. Vielleicht lege ich mir dann auch einen Organspendeausweis zu.

Gabriella Reff (52), Redaktionsassistentin

Allgemein kann ich das nicht sagen, das muss jeder selbst entscheiden. Ich persönlich habe mich gegen einen Organspendeausweis entschieden. Wenn Organe nach dem so genannten Hirntod entnommen werden, wird der Sterbeprozess unterbrochen. Man hat die Definition des Hirntodes ja eingeführt, um überhaupt Organe transplantieren zu dürfen. Ich denke zwar auch, dass jemand nach unserem heutigen Wissensstand dann wirklich tot ist, auch wenn er sich vielleicht noch bewegt. Aber vielleicht finden spätere Generationen etwas anderes heraus. Wir wissen es nicht. Jedenfalls wird der Sterbeprozess unterbrochen, und das gefällt mir nicht. Neulich habe ich eine Mutter kennengelernt, die es bereut hat, dass sie die Organe ihres Kindes zur Spende freigegeben hat. Jetzt noch, Jahre später. Wir wissen einfach nicht, wie das wirkt.