Archiv für 11. April 2017

Wer richtig Ostern feiern will, muss vorher erstmal trauern

von Kurt-Helmuth Eimuth 11. April 2017

Osterhase, Ostereier – das alles wird heutzutage viel zu früh ausgepackt. Denn Ostern beginnt erst am Sonntag. Vorher kommt noch die Karwoche.

Schwarze Paramente am Altar gibt es nur an Karfreitag und Totensonntag. Hier fotografiert in der Melanchthonkirche in Fechenheim. Foto: Rolf Oeser
Schwarze Paramente am Altar gibt es nur an Karfreitag und Totensonntag. Hier fotografiert in der Melanchthonkirche in Fechenheim. Foto: Rolf Oeser

Das Wort „Karwoche“ kommt von dem Althochdeutschen „Kara“ für Klage, Kummer – denn die Christenheit erinnert sich an die Hinrichtung Jesu durch die römischen Besatzer. Deshalb ist es traditionell eine stille Woche: Man macht nichts Lustiges oder Lautes. Bis vor fünfzig Jahren war das im Alltag noch zu spüren, im Radio kam nur gedämpfte Musik. Übrig geblieben ist das Tanzverbot – und dass in Frankfurt an Karfreitag die Dippemess geschlossen bleibt.

Das Gedenken beginnt schon mit Gründonnerstag. In Frankfurt ist man überzeugt, dass der wegen der „Grünen Soße“ so heißt, die an diesem Tag traditionellerweise verzehrt wird. In Wahrheit stand aber wohl eher das alte Wort „greinen“ (für „weinen“) Pate. Es werden in der Theologie auch noch andere Herleitungen diskutiert, die Grüne Soße findet sich aber nicht darunter. Auch in anderen Landstrichen kommt an diesem Tag nur Grünes auf den Tisch, etwa Grünkohl oder Spinat.

Am Gründonnerstag wird an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngerinnen und Jüngern erinnert. Viele Gemeinden feiern deshalb Abendmahlsgottesdienste, zum Zeichen der Trauer wird mancherorts das Kreuz verhängt oder der Altar symbolisch abgeräumt.

Der Karfreitag galt volkstümlich als der höchste evangelische Feiertag. Hier wird dem Martyrium Jesu emotional nachgespürt. Gottesdienste finden nachmittags zur Todesstunde Jesu statt. Oft wird das Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhardt gesungen, das auch bei Beerdigungen oft zu hören ist. Der Karfreitag ist zudem ein Fastentag, was aber meist nur bedeutet, dass Fisch statt Fleisch gegessen wird. Im Gottesdienst erklingt, wie in der Passionszeit generell, kein Halleluja, die Orgel schweigt weitgehend, und die Glocken läuten gedämpfter.

Dann kommt der Karsamstag – und nicht, wie oft zu hören, der Ostersamstag! Ein Tag, an dem man sich auf das Fest vorbereitet, etwa mit Ostereierfärben. Mit Einbruch der Dunkelheit wird manchmal ein Osterfeuer angezündet.

Erst am Sonntag ist tatsächlich Ostern. Seit einigen Jahren hat sich der Brauch verbreitet, dass Gemeinden sich bereits am frühen Morgen in der noch dunklen Kirche versammeln und dann mit der der aufgehenden Sonne die Erinnerung an die Auferstehung erleben. Alle rufen sich gegenseitig zu: „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

Und anschließend darf dann gefeiert werden: mit einem Osterfrühstück zum Beispiel, bei einem Familienbesuch oder einem Frühlingsspaziergang in der Sonne – wenn es nicht, schließlich ist April, plötzlich schneit.

Nicht Umverteilung muss begründet werden, sondern warum man Ungleichheit akzeptiert

Kurt-Helmuth Eimuth. Foto: Rui Camilo

Plötzlich wird wieder über Gerechtigkeit diskutiert. Kann es gerecht sein, wenn die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens besitzen? Wenn höhere Einkommensgruppen von der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland profitieren, während die Realeinkommen der Ärmeren sinken? Wenn Opel-Manager Boni in Millionenhöhe bekommen, aber die Arbeiter um ihre Jobs bangen müssen?
Seit gut zwei Jahrzehnten driftet unsere Gesellschaft auseinander. Über 16 Millionen Menschen in Deutschland sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Doch Menschenwürde, Gleichheit und Gerechtigkeit sind miteinander verwoben. Demokratie hängt davon ab, „dass die Mitglieder einer egalitären Gesellschaft sich wechselseitig das gleiche Recht zugestehen, als Gleiche anerkannt und behandelt zu werden“, wie es der Wirtschaftsethiker Friedhelm Hengsbach formuliert hat.

Nach christlicher Überzeugung sind alle Menschen Ebenbild Gottes. Das bedeutet auch, dass niemand augeschlossen werden darf von Bildung, Gesundheitsversorgung, Daseinsvorsorge.

Aus dieser Perspektive dreht sich die Rechtfertigungspflicht um: Nicht wer für Umverteilung eintritt, muss das begründen, sondern diejenigen, die politisch nichts dagegen unternehmen, dass die Armutsschere immer weiter auseinander geht. Als Gesellschaft müssen wir begründen, warum Menschen mit Behinderung echte Inklusion verweigert wird, warum 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche mit Hartz IV aufwachsen. Wir müssen begründen, warum arbeitslosen Menschen Beschäftigung vorenthalten wird, und wir müssen pflegebedürftigen und kranken Menschen erklären, warum der Personalschlüssel in Krankenhäusern und Altenheimen so schlecht ist. Denn all das sind nicht „wohltätige“ Hilfen, sondern es geht hier um Rechte.

Übrigens scheinen egalitär eingestellte Gesellschaften ein Gewinn für alle zu sein. Der kürzlich erschienene „Weltglücksbericht“ jedenfalls sieht skandinavische Länder, angeführt von Norwegen, ganz vorne.

Algorithmen sind Chance und Gefahr zugleich

Algorithmen, also automatisierte Handlungsabfolgen, gewinnen immer mehr Einfluss auf unser Leben. Das ist aber kein Grund für Panik und unverhältnismäßige Regulierungen.

Ich gehöre nicht zu denen, die schon im Bett ihre Mails checken. Aber spätestens beim Frühstück lese ich auf dem Smartphone die Nachrichten. Dann geht es mit digitaler Musik ins Büro, die Tür zu selbigem öffnet sich mit Magnetkarte. Wie schön: Nie wieder muss ich einen Weg mittels kompliziert zusammengefalteter Stadtpläne suchen oder mich beim Aufnehmen eines Liedes über das Dazwischengequatsche des Moderators ärgern. Kein Wunder, dass mehr als die Hälfte aller Deutschen ein Smartphone besitzt.

Doch was praktisch ist, hat oft auch eine Kehrseite. Unser Leben wird zunehmend von Algorithmen bestimmt. Sie automatisieren Handlungsmuster: „Wer dieses Buch gekauft hat, hat auch jenes Buch gekauft.“ In den USA werden solche vorgeschlagenen Bücher bereits unverbindlich auf gut Glück den Betreffenden zugeschickt. Offenbar rentiert sich das.

Algorithmen wissen mehr über uns, als wir oft eingestehen wollen. Täglich füttern wir das Netz mit noch mehr Daten, damit sie noch genauer werden. 70 „Likes“ auf Facebook reichen aus, damit der Algorithmus mehr über mich weiß als ein echter Freund. Bei 150 Likes übertrifft er die Eltern, ab 300 sogar Partner oder Partnerin.

Viele Menschen sorgen sich daher um den Datenschutz. Das EU-Parlament hat nun eine „Europäische Datenschutzverordnung“ verfasst, die kommendes Jahr in Kraft tritt. Nach Auffassung von Christoph Kucklick bedeutet das aber eine „digitale Konterrevolution“. Was zum Schutz vor Google, Facebook und Co. gedacht war, wende sich gegen die Einzelnen, warnte der Chefredakteur des Magazins GEO beim Algorithmen-Symposium der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

So solle die Benutzung eines fremden Namens in einer Nachricht, zum Beispiel einem Tweet, an die Einwilligung der Betroffenen gebunden sein. Wer eine kritische Bemerkung zu einem Konzert von Helene Fischer machen möchte, soll also vorher die Künstlerin fragen? Das ist absurd. Viele der vorgesehenen Datenschutzpflichten könnten Privatpersonen gar nicht erfüllen, so Kucklick.

Er warnte auch vor der Macht der Datenschutzbehörde: Sie dürfe ohne richterliche Genehmigung in Privatwohnungen eindringen und sie durchsuchen. Man stelle sich dieses Werkzeug in der Hand von Rechtspopulisten vor! „Die berechtigte Sorge um die Macht der Algorithmen wird genutzt, um unsere bürgerlichen Freiheiten einzuschränken“, kritisierte Kucklick.

Die Informatikerin Katharina Zweig schlug einen „Algorithmus-TÜV“ vor. Selbstlernende Systeme können bei Kreditvergaben herangezogen werden oder computerbasierte Prognosen über die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern bei der Findung des Strafmaßes. Wichtige Fragen des Lebens dürften aber nicht Algorithmen überlassen werden, so die Hochschullehrerin der TU Kaiserslautern.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 8. April 2017 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe 2017/2 – April.

Nicht Umverteilung muss begründet werden, sondern warum man Ungleichheit akzeptiert

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Kurt-Helmuth Eimuth. Foto: Rui Camilo

Plötzlich wird wieder über Gerechtigkeit diskutiert. Kann es gerecht sein, wenn die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens besitzen? Wenn höhere Einkommensgruppen von der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland profitieren, während die Realeinkommen der Ärmeren sinken? Wenn Opel-Manager Boni in Millionenhöhe bekommen, aber die Arbeiter um ihre Jobs bangen müssen?

Seit gut zwei Jahrzehnten driftet unsere Gesellschaft auseinander. Über 16 Millionen Menschen in Deutschland sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Doch Menschenwürde, Gleichheit und Gerechtigkeit sind miteinander verwoben. Demokratie hängt davon ab, „dass die Mitglieder einer egalitären Gesellschaft sich wechselseitig das gleiche Recht zugestehen, als Gleiche anerkannt und behandelt zu werden“, wie es der Wirtschaftsethiker Friedhelm Hengsbach formuliert hat.

Nach christlicher Überzeugung sind alle Menschen Ebenbild Gottes. Das bedeutet auch, dass niemand augeschlossen werden darf von Bildung, Gesundheitsversorgung, Daseinsvorsorge.

Aus dieser Perspektive dreht sich die Rechtfertigungspflicht um: Nicht wer für Umverteilung eintritt, muss das begründen, sondern diejenigen, die politisch nichts dagegen unternehmen, dass die Armutsschere immer weiter auseinander geht. Als Gesellschaft müssen wir begründen, warum Menschen mit Behinderung echte Inklusion verweigert wird, warum 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche mit Hartz IV aufwachsen. Wir müssen begründen, warum arbeitslosen Menschen Beschäftigung vorenthalten wird, und wir müssen pflegebedürftigen und kranken Menschen erklären, warum der Personalschlüssel in Krankenhäusern und Altenheimen so schlecht ist. Denn all das sind nicht „wohltätige“ Hilfen, sondern es geht hier um Rechte.

Übrigens scheinen egalitär eingestellte Gesellschaften ein Gewinn für alle zu sein. Der kürzlich erschienene „Weltglücksbericht“ jedenfalls sieht skandinavische Länder, angeführt von Norwegen, ganz vorne.