Kirchen sollen zur Wirtschaftspolitik Stellung beziehen
Diskussion in der Matthäuskirche: Karin Kortmann, Gerhard Wegner, Katja Mayer, Stefan Toepfer, Dietmar Hexel, Gerhard Kruip. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Vielleicht war es ja mehr als nur ein Symbol, dass gerade „die Kirchengemeinde unter den Bankentürmen“, nämlich die Hoffnungsgemeinde, gestern abend zu einer Diskussion unter der Überschrift „Viele Krisen – nichts gelernt“ eingeladen hatte. Gut hundert Menschen waren gekommen, um in der Matthäuskirche an der Messe über die Notwendigkeit eines neuen ökumenischen Sozialwortes zu diskutieren.
Das erste von den Kirchen 1997 vorgelegte Sozialwort hat damals eine große Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden. Heute sei eine neue, von beiden großen Kirchen getragene Standortbestimmung wünschenswert, sagte Karin Kortmann vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Allerdings bereitet derzeit ein Arbeitskreis lediglich „Thesen“ vor – sozusagen ein „Sozialwort light“, wie es der Moderator Stefan Toepfer von der FAZ formulierte.
Doch besser ein gemeinsames Thesenpapier als gar nichts, darüber war das Podium sich einig. Der Politik insgesamt stellte Kortmann, die als Staatssekretärin im Entwicklungshilfeministerium tätig war, ein schlechtes Zeugnis aus. Die Politik gestalte nicht mehr, sondern komme als „Löcher stopfendes Finanzamt“ daher. Die Gesellschaft müsse grundsätzliche Fragen beantworten, zum Beispiel, wie Wohlstand ohne Wachstum zu erzielen sei, ergänzte die Unternehmensberaterin Katja Mayer. Bei solchen Grundsatzfragen könne die Kirche eine Plattform bieten, um die Diskussion voranzutreiben.
Ein grundsätzliches Umsteuern hält auch Gerhard Wegner vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland für notwendig. Für ein Unternehmen wie Volkswagen dürfe nicht länger das Ziel sein, der größte Autobauer der Welt zu werden, sondern es müsse das Problem lösen, wie man Mobilität mit Nachhaltigkeit in Einklang bringen kann.
Konkret wurde Dietmar Hexel vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes: In den abstrakten Analysen sei man sich ja einig, jetzt müsse man handeln. Es gelte, „Gerechtigkeit zu organisieren“. Die Aufgabe der Wirtschaft sei es, den Menschen zu dienen. Warum müsse jemand mit einem Nettojahreseinkommen von einer Million Euro noch mehr verdienen, oder Unternehmen Gewinne von zwanzig Prozent erzielen?
Auch die Kirchen selbst sind als größter Arbeitgeber in Deutschland in der Pflicht. Karin Kortmann kritisierte auch deren wirtschaftliches Handeln. Sie forderte eine Selbstverpflichtung, sich als Arbeitgeber auch selbst an die propagierten Standards zu halten. Den DGB forderte Kortmann auf, weiterhin Druck auf die Kirchen auszuüben. Ebenfalls sei es notwendig, Frauen gezielt einzubeziehen. Wie schlecht es darum derzeit bestellt sei, sehe man an der Zusammensetzung der sechsköpfigen Arbeitsgruppe, die das sozialpolitische Thesenpapier formulieren soll: Nur eine einzige Frau wurde dort hinein berufen.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt Dezember 2011