Tag Archiv für Calvin

Wenn Betteln organisiert wird, ist das für Städte ein Problem

von Kurt-Helmuth Eimuth 29. September 2014

„Bild“ spricht vom „Bettlerkrieg“ auf der Zeil. Es gebe ein Gerangel um die besten Plätze, und selbst Passanten würden angegriffen. In Norwegen will man das Betteln gar ganz verbieten. Städte wissen sich gegen das organisierte Betteln offenbar nicht anders zu helfen.

Nicht alle betteln freiwillig, manche werden abends abkassiert. Wie hoch das Ausmaß der organisierten Ausbeutung ist, ist jedoch Spekulation. Foto: Rolf Oeser
Nicht alle betteln freiwillig, manche werden abends abkassiert. Wie hoch das Ausmaß der organisierten Ausbeutung ist, ist jedoch Spekulation. Foto: Rolf Oeser

Das Geben von Almosen gehört schon immer zur christlichen Tradition, die Unterstützung der Armen ist gute Praxis auch im Judentum und im Islam. Menschen in Not gilt es zu unterstützen, ihnen soll man helfen, da sind sich alle Religionen einig.

In der Folge – sozusagen die Kehrseite der Medaille – fordern arme Menschen die „milden Geben“ auch selbst ein, sie betteln. Dies und selbst die Zurschaustellung von Elend müsse man ertragen, urteilte in den 1970er Jahren das Verfassungsgericht. Der Bettler, der stumm an der Ecke sitzt, dürfe nicht vertrieben werden.

Der schweizerische Reformator Johannes Calvin hingegen setzte erstaunlicherweise schon vor 500 Jahren in Genf ein striktes Verbot des Bettelns durch. Jeder müsse von seiner Arbeit leben können, meinte Calvin. Und wenn das nicht gegeben sei, müsse er Zuwendungen bekommen. Deshalb wird in jedem Gottesdienst mit dem Klingelbeutel für diakonische Aufgaben gesammelt. Gottesdienst feiern und an die Armen denken gehören also untrennbar zusammen.

Doch spätestens seit Brechts Dreigroschenoper ist bekannt, dass Betteln eben auch organisiert wird. „Manche müssen das Geld, dass sie erbetteln, abgeben“, sagt Bettina Bonett, Straßensozialarbeiterin bei der Obdachlosenhilfe „Weser 5“. „Neulich habe ich beobachtet, wie ein Typ zwei Frauen richtig verfolgt hat, damit sie ihm das Geld geben“, erzählt sie.

„Zahlen über das Ausmaß des organisierten Bettelns gibt es nicht, nur subjektive Empfindungen“, sagt Ralph Rohrer vom Frankfurter Ordnungsamt. Doch immer mehr Zeitungen haben in letzter Zeit über das Phänomen berichtet: Die Banden seien straff organisiert, holten Menschen aus osteuropäischen Staaten mit falschen Versprechungen in den Westen, die dann in den Fußgängerzonen systematisch zum Betteln eingesetzt würden. Der Gewinn sei beträchtlich. Es wird geschätzt, dass jeder Bettler, jede Bettlerin 100 Euro am Tag einbringen muss. Die Banden operierten europaweit.

„Geben Sie nur dem Bettler ihres Vertrauens etwas“, rät Rohrer. Der Mann vom Ordnungsamt meint jene, die schon seit Jahren am selben Platz sitzen, die sozusagen persönlich bekannt sind. Oder man verweist an das Diakoniezentrum „Weser 5“. Für 1,50 Euro bekommt man dort ein Mittagessen. Bettina Bonett verteilt statt Geld manchmal Essensgutscheine.

Vorreiter der sozialen Marktwirtschaft

Evangelisches Frankfurt April 2009

Vorreiter der sozialen Marktwirtschaft
Über den Einfluss des Reformators Johannes Calvin auf den Kapitalismus

Auf dem Höhepunkt von Fasching zu einem Vortrag über „Geld und gute Worte – Calvins Wirtschaftsethik und ihre Impulse für die Moderne“ einzuladen – das ist wohl so etwas wie die Anwendung des den Protes­tanten nachgesagten Arbeitsethos. Der Wuppertaler Theologe und Calvin-Experte Matthias Freudenberg entlarvte dieses Klischee jedoch bei seinem Vortrag in der gut besetzten reformierten Kirche im Westend als Vorurteil.

Aus Anlass des 500. Geburtstags von Johannes Calvin führte Freudenberg in das Denken des Schweizer Kirchenreformators ein. Zentral sei die so genannte „Prädestinationslehre“: Calvin war der Überzeugung, dass Menschen an ihrer Fähigkeit zu strengster Pflichterfüllung sehen können, ob sie zum Heil vorausbestimmt sind. Eigentlich wollte er damit die Allmacht Gottes und die Bedeutungslosigkeit des menschlichen Willens betonen. Allerdings beließ es Calvin nicht bei der „inneren Religiosität“, sondern verschaffte seiner Lehre mit Hilfe einer strengen Moral und Kirchenzucht, die er in seiner Heimatstadt Genf einführte, Gültigkeit.

Ironische Anspielung darauf, dass Johannes Calvin ein Begründer des westlichen Kapitalismus gewesen sein soll: Diesen Kugelschreiber, aus dem sich eine stilisierte Dollar-Note mit dem Portrait des Reformators herausziehen lässt, entwickelte das „Calvin-Büro“ der evangelischen Kirche zum Jubiläum. Er kostet 1,95 Euro und kann im Internet über www.ekmd.de/webshop/catalog bestellt werden. | Foto: epd-Bild / Dieter Sell

Ironische Anspielung darauf, dass Johannes Calvin ein Begründer des westlichen Kapitalismus gewesen sein soll: Diesen Kugelschreiber, aus dem sich eine stilisierte Dollar-Note mit dem Portrait des Reformators herausziehen lässt, entwickelte das „Calvin-Büro“ der evangelischen Kirche zum Jubiläum. Er kostet 1,95 Euro und kann im Internet über www.ekmd.de/webshop/catalog bestellt werden.
Foto: epd-Bild / Dieter Sell

Entstand damit jenes „protestantische Arbeitsethos“, das die Grundlage für das Gewinnstreben im Kapitalismus bilden würde? Dies jedenfalls ist die populär gewordene These, die der Soziologe Max Weber am Anfang des 20. Jahrhunderts aufstellte. Er hatte beobachtet, dass zwischen gewissen Formen des religiösen Glaubens und der Berufsethik Wahlverwandtschaften bestünden.

Allerdings sei diese These nicht belegbar, sagt Freudenberg. Weber habe lediglich den englischen Puritanismus des 17. und 18. Jahrhunderts analysiert – auch wenn es zweifelsohne richtig sei, dass die Disziplinierung in der Lebensführung bei den Reformierten größer sei als bei den Katholiken, die eine größere Familienorien­tierung hätten.

Calvin könne aber nicht als Vorläufer jenes kapitalistischen Wirtschaftssystems gelten, das derzeit so tief in der Krise steckt. Seine Theologie sei an einer „lebensdienlichen Ökonomie“ ausgerichtet gewesen. Die Erwählungslehre sei nicht auf Erfolg ausgerichtet. Wenn überhaupt, dann habe Calvin eher in Richtung einer sozialen Marktwirtschaft gedacht. So empfahl er den Reichen, „gern und reichlich“ zu geben, und war der Meinung, die Armen sollten „ohne Scheu“ nehmen – „quasi aus der Hand Gottes“. Die moderne Eigentumsverpflichtung habe Calvin vorweggenommen: Alles Eigentum gehöre Gott, und die Menschen sollen damit haushalten. Geld und Reichtum seien somit auch kein Hindernis, um ins Reich Gottes einzugehen. Auch eine Erbschaftssteuer habe Calvin in Betracht gezogen. Und zur Wirtschaftsförderung empfahl er Kleinkredite für Handwerker und Flüchtlinge. Dabei unterschied Calvin zwischen zinslosen Konsumkrediten und zinspflichtigen Produktionskrediten, wobei der Grundsatz zu gelten habe, „dass nur der zahlen müsse, der auch zahlen könne“. Er sah im Eigentum, so Freudenberger, eine gute Gabe Gottes. Als Christ habe man nach Calvin die Pflicht, das Wirtschaftsleben positiv mitzugestalten.

Kurt-Helmuth Eimuth