Bastian Bergerhoff: „In Frankfurt haben wir Religionsfrieden“

von Anne Lemhöfer
und Kurt-Helmuth Eimuth 6. September 2021

Bastian Bergerhoff (53) ist der neue Frankfurter Kirchendezernent. Der Grünen-Politiker ist nicht getauft, geht aber trotzdem gelegentlich in den Gottesdienst. Wir haben mit ihm über Bach, den interreligiösen Dialog und seine Lieblingskirche gesprochen.

Der neue Kirchendezernent Bastian Bergerhoff auf dem Römerberg. Zuständig ist er unter anderem für den Unterhalt der historischen Kirchengebäude in Frankfurt. | Foto: Rolf Oeser
Der neue Kirchendezernent Bastian Bergerhoff auf dem Römerberg. Zuständig ist er unter anderem für den Unterhalt der historischen Kirchengebäude in Frankfurt. | Foto: Rolf Oeser

Herr Bergerhoff, Sie sind frisch gekürter Frankfurter Stadtkämmerer, außerdem sind Sie ab sofor zuständig für die Bereiche Personal und Kirchen innerhalb der Stadtregierung. Warum braucht Frankfurt als multireligiöse Stadt, in der auch viele Atheist:innen leben, eigentlich einen Kirchendezernenten?
Als Kirchendezernent bin ich in erster Linie für die Kirchengebäude und deren Unterhalt im historischen Stadtkern zuständig, die sich im Eigentum der Stadt Frankfurt befinden. Diese Zuständigkeit hat historische Gründe. Das hat mit dem Dotationsvertrag von 1830 zu tun, durch den die kirchlichen Räume, vor allem die Innenstadtkirchen, an die Stadt übertragen wurden.

Gehen Sie selbst in den Gottesdienst?
Ja, gelegentlich. Als ich noch in einem Kirchenchor gesungen habe, bin ich regelmäßig zum Singen im Gottesdienst gewesen. Aber auch zu anderen Anlässen gehe ich manchmal in den Gottesdienst. Ich wurde nicht getauft, habe heute aber familiär und kulturell eine starke Nähe zu den Kirchen. Mein persönlicher Zugang war dabei immer insbesondere die Musik.

Haben Sie selbst Musik gemacht?
Ich mache privat sehr viel Musik. Aber Sie fragen wahrscheinlich nach Musik in Kirchengemeinden. Ja, ich habe lange im Chor der Thomas-Gemeinde in Heddernheim gesungen und habe in einer anderen Gemeinde gelegentlich sonntags in Vertretung die Orgel gespielt.

Haben Sie ein Lieblingslied?
Mir geht „Aus tiefster Not schrei ich zu dir“ – gerade im Satz von Johann Sebastian Bach – sehr nahe, es berührt mich sowohl musikalisch wie auch textlich stark.

Für manche mag das seltsam anmuten, dass ein Kirchendezernent nicht getauft ist.
Vielleicht. Aber auch nur auf den ersten Blick. Die Zuständigkeit für kirchlich Angelegenheiten ist ja tatsächlich keine inhaltliche Zuständigkeit für den Glauben. Glaube ist zum Glück etwas sehr Persönliches. Und dass Religion auch heute noch ein Faktor im gesellschaftlichen Alltag ist, war auch für mich immer klar und ich habe das immer positiv erlebt – neben meiner Begeisterung für Musik hat das bei mir zum Beispiel dadurch Spuren hinterlassen, dass ich im katholischen Haus der Begegnung meinen Zivildienst geleistet habe.

Haben Sie eine Lieblingskirche?
Ich wohne im Bereich der Dreikönigskirche. Die hat in Frankfurt sicherlich große Bedeutung für die Kirchenmusik, von der wir ja schon viel gesprochen haben. Daneben gibt es andere, auch kleinere Kirchen, die mir aus unterschiedlichen Gründen im Laufe meines Lebens Besonderes bedeutet haben. Ein Ranking liegt mir fern. Als zuständiger Dezernent sehe ich aber natürlich, dass gerade unsere Innenstadtkirchen ein hohes kulturelles Gut für die Stadt darstellen, das es zu pflegen gilt. Nicht zuletzt an der St. Leonhardskirche ist zu sehen, wie gut das der Stadt die letzten Jahre gelungen ist. Alle unsere Innenstadtkirchen sind prägende Orte, jede auf ihre eigene Art.

Wie beurteilen Sie den interreligiösen Dialog in Frankfurt?
Ich finde, dass er sehr gut funktioniert! Die Interreligiosität reflektiert Frankfurt in seiner Vielfalt – ich glaube, es gibt keine Religionsgemeinschaft, und sei sie noch so klein, die hier keine Vertreter:innen hat. Auch der Rat der Religionen arbeitet sehr erfolgreich. Es gibt in Frankfurt kaum unlösbare Konflikte um das Thema Religion – es wird immer versucht, zu vermitteln und Lösungen zu finden. Ich habe den Eindruck, dass wir in Frankfurt Religionsfrieden haben.

Welche Funktion von Kirche ist Ihrer Meinung nach in Frankfurt die Wichtigste?
Religion ist sicher ein Element, das die Stadt und die Gesellschaft zusammenhält. Wenn Menschen ihren Glauben als etwas Trennendes begreifen, dann habe ich dafür wenig Verständnis. Das betrifft aber sicher nur eine verschwindende Minderheit. Die meisten Menschen betrachten ihren Glauben als etwas Zusammenbringendes und leben ihn auch so. Ich finde es toll, dass sich die Kirchen an gesellschaftlichen Diskussionen beteiligen, in allen Bereichen. Darüber hinaus sind sie eine tragende Säule unserer sozialen Infrastruktur, die unerlässlich für uns ist.

Fünf Punkte für eine dringend notwendige Pflegereform

von Kurt-Helmuth Eimuth 4. August 2021

Die größte Gruppe von Menschen, die in der Pflege tätig sind, gingen bei der jüngsten Reform leer aus: die Angehörigen. Unser Autor, selbst pflegender Angehöriger, nennt fünf Punkte, die dringend nötig wären, um die Situation kurzfristig zu verbessern.

Die Pflegeversicherung wurde in Deutschland 1995 eingeführt, gegen den Widerstand der Wirtschaft, die eine weitere Belastung durch Sozialabgaben ablehnte. Als Kompromiss wurde ein gesetzlicher Feiertag, der evangelische Buß- und Bettag abgeschafft. Heute profitieren rund 4,1 Millionen Menschen von ihr.

Doch Vorsicht: Die Pflegeversicherung ist anders als die Krankenversicherung nur eine Teilkaskoversicherung. Das heißt, ein erheblicher Teil der Pflegekosten muss selbst aufgebracht werden. So übersteigen zum Beispiel die Heimkosten den Zuschuss der Pflegeversicherung oft erheblich, und auch bei der ambulanten Pflege ist der Zuschuss der Pflegekasse schnell aufgebraucht.

Rund 3,3 Millionen pflegebedürftige Menschen werden derzeit zuhause versorgt, davon 2,1 Millionen ausschließlich von ihren Angehörigen. Die von der Regierung im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbesserung und Entbürokratisierung der Pflege wurde im letzten Moment bei der Pflegereform im Juni wieder gestrichen. Das Diakonische Werk Hessen Nassau stellte fest: „Die notwendige, umfassende Reform des Pflegesystems ist nicht erreicht! Eine demografiefeste und für alle Menschen bezahlbare Pflege ist nicht in Sicht.“

Was wäre zu tun? Unser Autor, selbst pflegender Angehöriger, hat die wichtigsten fünf Punkte zusammengetragen:

Erstens: Die Pflegeversicherung muss die entstehenden Kosten in ähnlicher Höhe wie die Krankenversicherung abdecken. Für die Grundversorgung muss vollumfänglich gesorgt sein: Vollkasko statt Teilkasko.

Zweitens: Die Abrechnung muss entbürokratisiert werden. Eigentlich war bei der jüngsten Pflegereform geplant, Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege zu einem Budget zusammenzufassen. Das wäre ein erster Schritt gewesen. So wie die Abrechnungsmodalitäten jetzt sind, verhindern sie, dass zahlreiche Anspruchsberechtigte die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen. Dies ist zutiefst unsozial.

Drittens: Das Pflegegeld ist jährlich an die Inflationsrate anzupassen. Der relativ neue Entlastungsbetrag (125 Euro monatlich) kann derzeit zur Bezahlung von zertifizierten Dienstleistern genutzt werden, dazu kann auch die Reinigung der Wohnung gehören. Allerdings: Es finden sich kaum Angebote hierfür bei den Anbietern. Hinzu kommt, dass die Ausführungsbestimmungen in den 16 Bundesländern unterschiedlich sind. Selbst Nachbar:innen müssen sich erst qualifizieren, wenn sie einen Obolus aus diesem Budget erhalten sollen. Einfacher und eine wirkliche Entlastung wäre es, wenn das Pflegegeld um den Entlastungsbetrag aufgestockt würde.

Viertens: Pflegende Angehörige sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Berufstätigkeit vorübergehend einzuschränken oder aufzugeben, ohne zu verarmen und ihre Arbeitsstelle zu verlieren. Für entsprechende Regelungen könnte das Elterngeld Pate stehen.

Fünftens: Die derzeit je nach Pflegegrad verpflichtende halb- oder vierteljährliche Pflegeberatung ist sicher hilfreich und auch im Sinne der Pflegenden eine Kontrolle. Doch sollten die Berater:innen auch in Sachen Finanzierung kompetent sein. So könnte die Beratung wirklich einen Lotsendienst erfüllen.

Vom Umgang mit dem Männer-Krebs

Leben & Alltag

von Kurt-Helmuth Eimuth 26. Juli 2021

Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 60.000 Männer an Prostatakrebs. Und plötzlich spielt im Leben anderes eine Rolle als bisher. Auch dem Theologen und Berater Wolfgang Weinrich ist das so gegangen. In seinem neuen Buch lässt er andere an seinen Erkenntnissen teilhaben.

Wolfgang H. Weinrich: Sex geht jetzt anders. Persönliches und Versöhnliches vom MännerKrebs. Books on Demand, 91 Seiten, 16,80 Euro (E-Book 8,49 Euro).
Wolfgang H. Weinrich: Sex geht jetzt anders. Persönliches und Versöhnliches vom MännerKrebs. Books on Demand, 91 Seiten, 16,80 Euro (E-Book 8,49 Euro).

Männer werden nicht krank. Jedenfalls ihrem eigenen Gefühl nach. Auch Wolfgang Weinrich war so ein Mann. Bis zur Diagnose Prostatakrebs hielt er sich für „unkrankbar“ – mit diesem Wort beschreibt der Theologe diese Haltung. Er war der Macher, der kreative Kopf für die Kommunikationsprojekte der hessen-nassauischen Landeskirche. Er organisierte Auftritte beim Hessentag, erfand eine Lichtkirche und ein neues Kirchen-Logo, das Facettenkreuz. Dann ging er frühzeitig in den Ruhestand, um in aller Freiheit neu Projekte zu planen. Und dann das: Prostatakrebs.

Männer gehen nicht zur Vorsorge, jedenfalls nicht so häufig. Kein Wunder, dass ihn der Urologe fragte, warum er nicht schon früher gekommen sei – doch ist es müßig, darüber weiter nachzudenken. Die Situation bedurfte einer radikalen Änderung, nicht nur des Alltags, sondern auch der inneren Einstellung. Wolfgang Weinreich krank. Das passte nicht zum Selbstbild. Er musste sich zurückziehen. Meist in seinen Sessel. Zum Nachdenken. Auch über so Fragen wie: „Was war in meinem Leben und ist es jetzt vorbei? Es gibt viele Abschiedsmomente in so einer Situation“, erinnert sich Weinrich.

An seinem Glauben hat er allerdings nicht gezweifelt. Er, der sich schon von Berufs wegen mit dem Tod auseinandergesetzt hat, war vertraut mit der Frage: Warum gerade ich? „Das ist Schicksal“, sagt Weinrich. „Gott ist nicht der, der direkt in mein Leben hineingeht. Es kann halt jedem Menschen passieren.“ Geholfen haben ihm viele Gespräche, auch mit Ärzten. Ergebnis eines langen Prozesses: „Ich will leben. Ich werde weiter leben. Punkt.“

Nach Weinrichs Beobachtung ist die größte Sorge bei Männern die vor Inkontinenz und Impotenz. „Aber man kann lernen, damit umzugehen, und das macht auch Spaß.“ Offen spricht Weinrich über diese Tabuthemen und wundert sich, dass nur für Inkontinenzeinlagen bei Frauen geworben wird. Dabei ist das auch bei Männern ein Problem, insbesondere nach Prostataoperationen. Beckenbodenübungen beispielsweise auch, zur Stärkung der Schließmuskulatur.

Inzwischen ist Weinrich wieder zurück im Leben, unterwegs mit seiner Band und auch mit Lesungen: Über seinen Kampf mit dem Krebs hat er ein Buch geschrieben. Locker, fast fröhlich, aber auch mit aller Ernsthaftigkeit berichtet er darin von Zweifeln, Arztgesprächen und Reha. Erstaunlicherweise gibt es Reaktionen von vielen Frauen auf sein Buch. Sie sagen: „Gut, dass Du darüber sprichst. Wie kann ich denn mit meinem Mann umgehen, denn er spricht nicht darüber, auch nicht mit mir.“ Für alle Männer hat Weinrich aber nur eine Empfehlung: „Mann, geh‘ zur Vorsorge.“

Wolfgang H. Weinrich
Sex geht jetzt anders
Persönliches und Versöhnliches vom MännerKrebs
ISBN 9783 752 689 143
WolfgangWeinrich.de

Sex geht jetzt anders

Ein Gespräch mit dem Autor Wolfgang Weinrich über seine Prostatakrebserkrankung, über die Angst vor dem Tod, die Reha und die Notwendigkeit der Vorsorge.

Verabschiedung Conny von Schumann

Conny von Schumann wurde am 3. Juli 2021 in der Heiliggeistkirche aus dem Dienst des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt Offenbach verabschiedet. Zuletzt leitete er die Notfallseelsorge.

Notfallseelsorger verabschiedet

Conny von Schumann wurde am Freitag, 2. Juli 2021, als Leiter der Notfallseelsorge Frankfurt Offenbach von Stadtdekan Achim Knecht in den Ruhestand verabschiedet. Knecht würdigte den Dienst des Leiters aber auch aller Ehrenamtlichen, die an 365 Tagen 24 Stunden lang bereit stehen, um in existentiellen Krisensituationen Menschen zu begleiten. Conny von Schumann arbeitete vier Jahrzehnte bei der evangelischen Kirche, seit 2005 beim Evangelischen Regionalverband Frankfurt Offenbach.

Über die Arbeit der Notfallseelsorge und den Ruhestand spricht Conny von Schumann im Interview:

Katholische Kirche: Ganz Offenbach wird eine Pfarrei

Offenbach lokal

von Kurt-Helmuth Eimuth 25. Juni 2021

Die Herausforderungen der katholischen Kirche ähneln denen der evangelischen: Beide müssen sich auf einen massiven Mitgliederrückgang einstellen, für beide hat dies finanzielle Folgen, und beide leiden unter fehlendem theologischen Nachwuchs, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. In Offenbach zieht die katholische Kirche nun Konsequenzen: Die ganze Stadt wird eine einzige Gemeinde.

Stadtdekan Andreas Puckel über die Reformpläne der katholischen Kirche in Offenbach. | Foto: Rolf Oeser
Stadtdekan Andreas Puckel über die Reformpläne der katholischen Kirche in Offenbach. | Foto: Rolf Oeser

Die katholische Kirche Offenbachs hat sich zu einem radikalen Schritt entschlossen: Die ganze Stadt soll eine einzige Pfarrei werden. Die bisherige Position des Stadtdekans von Offenbach wird ersetzt durch einen leitenden Pfarrer. Im November soll ein konkretes Konzept vorliegen. In zehn Arbeitsgruppen unter Beteiligung von hundert Ehrenamtlichen wird es derzeit zu Themen wie Seelsorge, Sozialraum oder auch Finanzen und Gebäudenutzung erarbeitet.

Die neue Stadt-Pfarrei Offenbach soll ein Netzwerk aus den Gemeinden und allen Orten kirchlicher Arbeit, beispielsweise der Caritas, sein. Im Moment gibt es in Offenbach noch elf Pfarreien sowie fünf Pfarreien anderer Muttersprache. „Ziel ist es,“ so der katholische Stadtdekan Andreas Puckel, „dass wir die katholische Kirche fit machen für die Zukunft, also da sind wo die Menschen sind mit ihren Anliegen.“ Man wolle künftig auch professioneller arbeiten: „Die Grundfrage ist: Was brauchen die Menschen? Und bekommen sie das, was sie brauchen, bei uns?“

Insbesondere die Aufgaben des Pfarrers soll sich ändern. „Im Moment ist der Pfarrer ein Allrounder. Das fängt an beim Wechseln der Glühbirnen im Gemeindezentrum, geht über in den hoch komplexen Bereich der Trägerschaft einer Kindertagesstätte bis zur Leitung von zahlreichen Gruppen.“ Der Seelsorger und die Gemeindereferent:innen sollen künftig von diesen „Allroundaufgaben“ entlastet werden. So sollte etwa die Gebäudebewirtschaftung nicht in elf Pfarrbüros geschehen, sondern professionell und zentralisiert. Dadurch würden Ressourcen frei für die Seelsorger:innen, damit diese ihren eigentlichen Aufgaben besser nachkommen können.

„Wir werden die örtliche Nähe beibehalten. Es soll keine leeren Pfarrhäuser mehr geben, sondern wir wollen in den Offenbacher Stadtteilen mit jeweils zwei Seelsorger:innen präsent sein“, sagt Puckel. Aber es werde auch Leute geben, die für die gesamte Stadtpfarrei Aufgaben übernehmen, wie etwa die gemeinsame Firmvorbereitung der Jugendlichen. „Es ist also nicht nur eine Verwaltungsreform, sondern eine inhaltliche Ausrichtung, die näher bei den Menschen sein wird“, fasst Puckel das Ziel zusammen.

Für den Dekan ist es eine besondere Herausforderung, das Engagement der Ehrenamtlichen beizubehalten. Jetzt seien etwa 50 hoch kompetente Verwaltungsräte tätig, dann wären es nur noch elf. „Viele Ehrenamtliche müssen wir ganz anders einbinden.“ Jetzt engagierten sie sich vor Ort. Auch in der großen Pfarrei müssten sie mitgestalten können. „Ob das funktioniert, ist ein Blick in die Glaskugel“, sagt Puckel und strahlt doch Zuversicht aus. Für den Dekan Offenbachs ist dabei die Kommunikation und die Delegation von Entscheidungen nach unten besonders wichtig.

In den konzeptionellen Überlegungen spielt auch die gemeinsame Nutzung von Gebäuden durch die evangelische und katholische Kirche eine Rolle. Puckel spricht hier von einer „Ökumene der Gebäude“. So überlege man zum Beispiel die gemeinsame Nutzung von Gebäuden in der Innenstadt oder die Schaffung eines „Ökumenischen Zentrums Stadtkirche“.

Die Wahlperiode des Stadtdekans läuft im kommenden Jahr aus. Schon dann soll wohl in den neuen Modus geschaltet werden, wenngleich erst noch zweigleisig gefahren wird. Bis zur völligen Umsetzung des Konzeptes könne es bis 2030 dauern, sagt Andreas Puckel, der letzte katholische Stadtdekan Offenbachs.

Hinterm Horizont geht’s weiter: Luther und Lindenberg

von Kurt-Helmuth Eimuth 23. Juni 2021

Udo Lindenberg und Martin Luther sind Brüder im Geiste, meint der Theologe und Autor Uwe Birnstein. Zusammen mit dem Musiker Werner Hucks hat er jetzt ein musikalisches Feature über die beiden herausgebracht.

Uwe Birnstein, Werner Hucks: Luther & Lindenberg, CD, 16 Euro, Bezug über komm-webshop.de
Uwe Birnstein, Werner Hucks: Luther & Lindenberg, CD, 16 Euro, Bezug über komm-webshop.de

Beim Theologiestudenten Uwe Birnstein stand in den 1980er Jahren die Musik von Udo Lindenberg ganz oben auf der Playlist. Sobald sich die Gelegenheit bot, interviewte er den Deutschrocker. Lässig mit Whiskyglas in der Hand sei Lindenberg dahergekommen, erzählt Birnstein, und doch überraschte er den jungen Studenten mit Konzentration und Nachdenklichkeit. Und dem berühmten Luther zugeordneten Zitat vom Apfelbäumchen, das er noch pflanzen würde, selbst wenn morgen die Welt unterginge. Es gebe keine Alternative zum Optimismus, war Lindenbergs Interpretation: „Hinterm Horizont geht’s weiter“. Den Hit hat Lindenberg nach dem frühen Tod einer Freundin geschrieben, denn – der Tod hat nicht das letzte Wort.

In seinem Feature zieht Birnstein biographische Verbindungen klug und informativ, wie er es auch schon in Büchern über Leonhard Cohen oder Bob Dylan getan hat. Sein Vortrag ist voll überraschender Perspektiven, die immer wieder ergänzt werden durch das Gitarrenspiel von Werner Hucks, der die alten Melodien und Lindenbergs Songs gekonnt anklingen lässt. Entstanden ist eine Produktion, die zum Nachdenken anregt oder auch einfach zum Genuss der Musik einlädt: „Eine feste Burg“, „Hinterm Horizont“, „Verleih uns Frieden gnädiglich“, „Cello“ oder „Mein Ding“.

In Lindenbergs Song „Mein Ding“ zum Beispiel sieht Birnstein die gleiche Eigensinnigkeit wie bei Luther. Der eine macht sein Ding, der andere steht fest zu seiner Überzeugung und kann nicht anders. Zwei unabhängige Geister, die auch neue Begrifflichkeiten geprägt haben, was Birnstein und Hucks genüsslich vortragen. Auf beide passen Bezeichnungen wie Ketzer, Prediger, Promi, Protestant, Sprücheklopfer, Grenzüberschreiter, Deutschsprecher, Liedermacher, Erneuerer, Reformator, Querkopf oder Wortschöpfer. Ja, diese Aufzählung zeigt schon, dass Luther und Lindenberg doch mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick meint.

In seinem von musikalischen Assoziationen unterbrochenen Vortrag beleuchtet Birnstein auch die Kindheit der beiden Protagonisten. Martin sollte Jurist werden und kam aus angesehenem Haus. Oft musste er vor der Rute seines Vaters fliehen. Gewalt und auch der Tod waren ihm nicht fremd. Vier seiner Geschwister starben. 463 Jahre später wurde Udo Lindenberg geboren. Eine andere Zeit. Musikalisch dominiert vom Jazz. Der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei. Die Elterngeneration versuchte sich die schrecklichen Bilder im Suff aus dem Kopf zu trinken. Launig erinnert sich Udo, dass er das einzige „Heidenkind“ am Ort gewesen sei, denn Vater Gustav habe sich die Kirchensteuer gespart. Es war damals sehr außergewöhnlich, dass jemand seine Kinder nicht taufen ließ. Der Oma gefiel das auch gar nicht. Also wurde Udo gemeinsam mit seinen Geschwistern im Alter von sieben Jahren doch noch zum Taufbecken geführt. Oma war selig. Trotz evangelischer Kindertagesstätte blieb Udo aber der Kirche gegenüber kritisch. „Lindenberg ist fromm auf seine Art“, bilanziert Birnstein.

Udo Lindenberg ist kein Reformator und hat sicher auch nicht die deutsche Sprache so nachhaltig geprägt wie Luther. Aber es lohnt sich, seine CDs mal wieder hervorzukramen. Birnstein hat einen anderen Zugang eröffnet – zu Luther und zu Lindenberg, eben zwei coolen Typen. Ein spannendes Feature für alle theologisch Interessierten, die gelegentlich auch mal Rockmusik hören.

Uwe Birnstein, Werner Hucks: Luther & Lindenberg, CD, 16 Euro, Bezug über komm-webshop.de

Pflegereform: Die pflegenden Angehörigen schauen in die Röhre

von Kurt-Helmuth Eimuth 15. Juni 2021

Während professionelle Pflegekräfte durch die Pflegereform auf mehr Geld hoffen können, gehen Angehörige leer aus: Anders als im Entwurf vorgesehen wird das Pflegegeld für sie doch nicht angehoben. Und, was fast noch schlimmer ist: Auch das versprochene Pflegebudget wird es nicht geben, die Abrechnungsmodalitäten bleiben also weiterhin ein bürokratischer Kraftakt. Das ist zutiefst unsozial.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode hat die regierende große Koalition im Bund doch noch ein Gesetz hinbekommen, das auf eine faire Bezahlung von Pflegekräften abzielt. Allerdings sind von der Öffentlichkeit fast unbemerkt diejenigen Teile des Gesetzesentwurfes gestrichen worden, die die ehrenamtliche Pflegearbeit der Angehörigen gestärkt hätten. Dies betrifft vor allem das Pflegegeld, aber auch die Vereinfachung der Abrechnungsmodalitäten.

Auf Anfrage hin teilte das Bundesgesundheitsministerium zur Begründung mit: „Aufgrund der pandemiebedingten Umstände war es nicht mehr möglich, einen eigenständigen Gesetzgebungsprozess zur Pflegereform in Gang zu setzen.“ Das klingt aber vorgeschoben. Noch wenige Wochen vor der Entscheidung im Bundestag stand ja zumindest eine Anhebung des Pflegegeldes im Entwurf.

Pflegegeld erhalten die Pflegebedürftigen, um damit etwa Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Betreuung auszugleichen. Oft wird es genutzt, um pflegende Angehörigen, die ihren Beruf aufgegeben haben, damit sie die 24-Stunden-Pflege zu Hause stemmen können, zu entschädigen.

Diese Form der Pflege, die häusliche Pflege, ist keine Kleinigkeit, sondern sie ist das Rückgrat unseres Pflegesystems: Rund 2,9 Millionen Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig. Davon werden 2,08 Millionen zu Hause versorgt, 1,39 Millionen davon von Angehörigen und Bekannten. Demgegenüber stehen 783 000 Pflegebedürftige, die in Einrichtungen gepflegt werden.

Die pflegende Care-Arbeit zu Hause, meist von Frauen geleistet, wurde also im Kern bei dieser Reform nicht berücksichtigt. Lediglich das Budget für die ambulanten Dienste wurde erhöht, um auch hier Kostensteigerungen, die durch verbesserte Zahlung der Pflegekräfte entstehen, auszugleichen. Die professionelle Hilfe wurde gestärkt, aber der größte Bereich der Pflege ging leer aus. Und dies ist keine Kleinigkeit. Seit Januar 2017 wurde das Pflegegeld nicht erhöht. Die fünfprozentige Steigerung, die im Entwurf noch vorgesehen war, wäre also mehr als angemessen gewesen.

Noch im Koalitionsvertrag hatte man zudem versprochen, verschiedene Leistungen in einem Entlastungsbudget zusammenzufassen. „Damit können wir“ so hieß es im Koalitionsvertrag vor vier Jahren, „erheblich zur Entbürokratisierung in der ambulanten Pflege beitragen, die häusliche Versorgung stärken und pflegende Angehörige entlasten.“ Das wäre schön gewesen.

Für die Angehörigen ist es oft ein Ritt durch Instanzen und Verordnungen. Ein kleines Beispiel: Der Bund beschließt einen monatlichen Betrag für ambulante Pflege von 125 Euro. Die Ausführungsbestimmungen überlässt er den Ländern. Das heißt, es gibt 16 verschiedene Ausführungsbestimmungen. In Hessen lässt man sich Zeit. Es dauert fast zwei Jahre, bis die Ausführungsbestimmungen kommen, erst dann können Angehörige das Geld bekommen. Zu Pandemiezeiten wird in Hessen per Verordnung die Möglichkeit des Zugriffes erweitert, wenn man nachweist, dass man einen Hol- und Bringdienst bezahlt. Nur wer informiert die Angehörigen? Das Hessische Sozialministerium verweist auf die Internetseite und schreibt auf Anfrage: „Auf dieser Plattform wird beispielsweise auch informiert, dass das Leistungsangebot der Unterstützungsleistungen im Alltag bis zum 30.06.2021 um die sogenannten „Dienstleistungen bis zu Haustür“ erweitert wurde.“

Interessehalber habe ich selbst das einmal ausprobiert und diese Dienstleistung abgerechnet: Weder die Krankenkasse noch die Beihilfe kannten offenbar diese Erweiterung und verweigerten die Zahlung. Diese Erfahrung machen pflegende Angehörige immer wieder: Bevor sie Geld, das ihnen rechtlich zusteht, auch bekommen, müssen sie ein langes Procedere absolvieren mit Einspruch, Begründung und viel Geduld.

In der Tat hätte das in der Pflegereform ursprünglich versprochene Entlastungsbudget, dessen Ziel es war, das alles zu vereinfachen, viel Geld gekostet. Aber nicht, weil neue Leistungen hinzugekommen wären, sondern weil mehr Menschen die Hilfen, die ihnen zustehen, auch in Anspruch genommen hätten. 2016 gab man für solche Leistungen 2,6 Milliarden Euro aus. Würde nur ein Viertel der Anspruchsberechtigen die Leistungen des einst anvisierten Entlastungsbudget abrufen, würde es zehn Milliarden Euro kosten.

Es beschleicht einen der Verdacht, dass die bürokratischen Hürden auch dazu dienen, Geld zu sparen. Oder ist das zu einfach gedacht? Mitnichten. Auf eine Anfrage unsererseits im Jahr 2018 teilte das Gesundheitsministerium genau das mit: Eine pauschale Abrechnung sei nicht möglich, weil das den Finanzrahmen sprengen würde.

Der derzeitige bürokratische Pflegedschungel ist also gewollt oder, wie die Jurist:innen sagen, er wird billigend in Kauf genommen. Aber er ist zutiefst unsozial. Denn es können sich nur diejenigen zu ihrem Recht verhelfen, die neben der eigentlich Pflegearbeit sich auch noch Woche für Woche viele Stunden Zeit haben, und die nötige bürokratische Kompetenz, um sich mit Krankenkassen, Pflegekassen und Abrechnungsvorschriften und dergleichen auseinanderzusetzen.

Trotz einiger Verbesserungen im professionellen Care-Bereich, die bei den Pflegekräften hoffentlich auch ankommen, sind der Bundesgesundheitsminister und die Große Koalition mit diesem Gesetzentwurf ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden. In die Röhre schauen die pflegenden Angehörigen.

Weniger Pfarrstellen, mehr Teamarbeit: die Kirche in 2030 – Das Interview

Propst Oliver Albrecht (links) im Gespräch mit Kurt-Helmuth Eimuth.
Propst Oliver Albrecht (links) im Gespräch mit Kurt-Helmuth Eimuth.

von Kurt-Helmuth Eimuth 28. Mai 2021

Bis zum Jahr 2030 wird die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) laut aktuellen Prognosen 300.000 Mitglieder verlieren, das ist ein Fünftel ihrer derzeitigen Stärke. Ein Reformprozess unter der Überschrift „ekhn 2030“ will nun die Strukturen entsprechend anpassen.

Noch im laufenden Jahrzehnt sollen die Ausgaben der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) von derzeit 700 Millionen Euro im Jahr auf 560 Millionen reduziert werden. Aber wo sparen? Es gelte, gemeinsam herauszufinden, „was wir weiter tun wollen, was wir neu beginnen wollen und was seine Zeit gehabt hat und nicht mehr weitergeführt werden soll“, sagt Kirchenpräsident Volker Jung.

Geld ist dabei aber nicht das einzige Problem. Die Zahl der Pfarrstellen wird bis 2030 sogar überproportional schrumpfen, von derzeit 1.600 auf 1.000, was vor allem an einer großen bevorstehenden Pensionierungswelle und fehlendem Nachwuchs liegt. Unter dem Stichwort „Professionenmix“ sollen daher in Zukunft auch andere Berufe eine stärkere kommunikative Rolle übernehmen, etwa Pädagogen und Kirchenmusikerinnen. Die Zeit der „traditionellen Pfarrherrlichkeit“ sei ohnehin vorbei, sagt Propst Oliver Albrecht.