Archiv für Andachten

Die Bergpredigt ist Konkretion der Liebe

Die Bergpredigt

11.3.1999

Einer der bekanntesten und wichtigsten Texte des NT ist die Bergpredigt.

Für viele ist sie der Inbegriff der Botschaft Jesu und das Dokument, das den Kern des christlichen Glaubens unüberbietbar zum Ausdruck bringt. Wer sich auf sie beruft, beruft sich auf Jesus selbst und ist sich bewußt, im Geiste Jesu zu handeln.

Die Bergpredigt ist ein Text, der entscheidende Elemente der Verkündigung Jesu überliefert. Doch muß man sich klar machen, daß es sich hier nicht um eine Predigt Jesu, sondern um eine Redekomposition des Evangelisten Matthäus handelt. Eine parallele Rede findet sich bei Lukas (6, 20-49). Der Grundbestand der Bergpredigt/Feldrede stammt aus der Spruchquelle. Mt hat diesen zu einem großen Redekomplex ausgebaut.

An verschiedenen Stellen muß man damit rechnen, daß Mt die Worte Jesu auch inhaltlich verändert wiedergibt. Z.B. Bei Lukas werden die Armen wie andere Gruppen von Leidenden und Benachteiligten unmittelbar angesprochen („Ihr“); Matthäus spricht von „Armen im Geiste“ und formuliert allgemein: „Selig sind dienjenigen, die…“.

Die Forderungen, die Jesus in der Bergpredigt erhebt, kennzeichnet eine nicht überbietbare Radikalität.

Schon früh hat sich in der Kirchengeschichte die Frage der Erfüllbarkeit der Bergpredigt erhoben.

Eher die Randgruppen haben sich entschieden auf die Bergpredigt berufen. Die Mönchsorden des Mittelalters, die sog. Täufer in der Zeit der Reformation, Freikirchen wie etwa die Quäker oder die Mennoniten.

Bereits in urchristlicher Zeit ist die Problematik der Bergpredigt sichtbar in einer Schrift aus dem ersten Jahrhundert, der Didache, dort heißt es: „Wenn du das ganze Joch des Herrn tragen kannst, wirst du vollkommen sein; kannst du das aber nicht, dann halte, was du kannst“. Nicht alle Gemeindeglieder werden hier auf Jesu radikale Forderung verpflichtet, sonden die „Vollkommenen“.

Dies nun führt zum Umgang mit der Bergpredigt im Mittelalter. Die Zehn Gebote werden für allgemein verbindlich erklärt. Sie zu halten ist nötig für das Heil. Daneben gibt es aber die „Vollkommenen“, die sich an die Bergpredigt halten und damit besondere Verdienste erwerben. Zu diesen zählen z.B. die Bettelmönche, allen voran Franziskus von Assisi, dessen Leben und Lehre ganz durch die Bergpredigt bestimmt ist: Besitzverzicht, Verwirklichung von Barmherzigkeit und Demut, Feindesliebe, Frieden stiften, nicht richten, nicht sorgen.

Die böhmischen Brüder, eine Reformbewegung im Mittelalter haben sich ebenfalls ganz entschieden auf die Bergpredigt berufen. Die Bergpredigt war für sie Lebensgesetz und für alle Glieder verbindlich. Besonders hervorgehoben wurden die Gebote: Nicht zürnen, nicht begehren, sich nicht scheiden lassen, nicht schwören, dem Übel nicht widerstehen, die Feinde lieben.

Für Luther richtet sich die Bergpredigt an alle Christen. Im Zentrum seines Interesses steht die Einstellung zum irdischen Besitz, das Verhalten zum Nächsten und die Bereitschaft zum Leiden. Er war überzeugt, daß das Befolgen der Bergpredigt die Christen gleichsam zu Narren macht und in Verfolgungssituationen hineinführt. An der Verbindlichkeit der Bergpredigt macht er keine Abstiche. Dennoch wird sie für ihn zum asketischen Ideal. Er sieht mit Nüchternheit die Realitäten der Welt und nimmt sie mit ihrem Recht und ihren Ordnungen, ihren Mächten und Strukturen und ihren Gefahren ernst. Für die Christen gilt, dem Bösen zu widerstehen, mit Vernunft für Recht zu sorgen und vor Gewalt und Zerstörung zu schützen.

Im Luthertum gibt es ein Verständnis von besonderer Art. Hier wird die Frage der Erfüllbarkeit der radikalen Forderungen Jesu nicht nur verneint. In der Nicht-Erfüllbarkeit liegt vielmehr ihr eigentlicher Sinn. Durch sie soll sich der Mensch seiner Verlorenheit und Erlösungsbedürftigkeit bewußt werden. Jegliche Art menschlicher Selbstgerechtigkeit wird der Boden entzogen.

Die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts löst das Problem ganz anders. Im Sinne eines Gesetzes sei die Bergpredigt mißverstanden. Worauf Jesus abzielt, ist die Gesinnung. Gemeint ist: Der Mensch ist bis in das innerste Wesen hinein in Anspruch genommen; mit äußerem Tun, einzelnen Taten, und seien sie noch so bewunderungswürdig, kann man dem, was Jesus fordert, nicht gerecht werden.

Albert Schweitzer (1906) hat erkannt, daß die Verkündigung Jesu durch und durch eschatologisch, d.h. durch die Nähe der Gottesherrschaft bestimmt. Die Forderungen Jesu sind nur durch die Naherwartung zu verstehen. In diesem Sinne sind die Weisungen der Bergpredigt aber „zeitgebunden“. Nachdem die Naherwartung sich nicht erfüllt hat, ist die „Zeit“ ihrer Gültigkeit vorbei. Für die Gestaltung eines christlichen Lebens in der Welt und Zeit, wie sie heute erfahren wird, können sie so nicht gelten.

Anders die Religiösen Sozialisten, sie betonen, daß es der Bergpredigt auf entschiedenes Tun ankommt. Für Leonhard Ragaz ist die Bergpredigt eine große Hilfe angesichts der desolaten Weltlage, des Zusammenbruches unserer Kultur. Für Ragaz ist die Bergpredigt revolutionär im Blick auf den Umsturz der Werte, Gesetze und Regeln, die im gesellschaftlich-politischen Leben gelten.

Für Mahatma Gandhi war sie Anstoß zu seinem Programm der Gewaltlosigkeit bzw. des gewaltlosen Kampfes gegen die Unterdrückung.

Für Martin Luther King führte das Gebot der Feindesliebe zu der Einsicht, daß nicht Haß und Gewalt den gerechten Kampf gegen die Rassentrennung mitbestimmen dürfen.

Mt 5, 17-48 Die Antithesen

Einem Gesetz des AT wird das „Ich aber sage euch“ von Jesus gegenübergestellt.

Die Antithesen beziehen sich auf Forderungen der Tora. Sie wollen diese aber nicht aufheben, sondern „erfüllen“. Matthäus denkt dabei aber nicht, oder nicht ausschließlich daran, daß Jesus die Tora „erfüllt“, indem er sie befolgt.

„Erfüllen“ bedeutet: „interpretieren“. In Jesu Interpretation gehen die Forderungen der Tora an die Wurzel menschlicher Existenz, konfrontieren sie mit dem unverstellten Willen Gottes.

Die Inhalte und Bedeutung der Bergpredigt sind Konkretionen der „Liebe“.

Ragaz:

Du sollst da Böse nicht mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen. Du sollst nicht Unrecht mit Unrecht, Lüge mit Lüge, Gewalt mit Gewalt bekriegen. Du sollst dem Bösen nicht auf der gleichen Ebene entgegenstehen. Du sollst dich nicht an der Regel der Welt orientieren, sondern an Gott. Du sollst größer sein als das Böse. Du darfst dich nicht in dein bloßes Recht, das Rache-Recht ist, verstricken.

Jesu eigene Selbsthingabe, die uns zugute kommt.

8.3.1999, Heilig Geist

Kurt-Helmuth Eimuth

Orgelvorspiel

Eingangslied: EG 158, 1-4 O Christe, Morgensterne

Votum:

Im Psalm 25 heißt es:

„Meine Augen sehen stets auf den Herrn“, möge Gott auch uns Augen geben für seine Wunder und Ohren für sein Wort.

Wir feiern diese Andacht im Namen Gottes, im Namen Jesu Christi und im Namen des Heiligen Geistes.

Pfarrerin: Psalm – 34

Lassen Sie uns gemeinsam Psalm 34 beten

Ich will den Herrn loben allezeit;

sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.

Meine Seele soll sich rühmen des Herrn,

daß es die Elenden hören und sich freuen.

Preiset mit mir den Herrn

und laßt uns miteinander seinen Namen erhöhen!

Als ich den Herrn suchte, antwortete er mir

und errettete mich aus aller meiner Furcht.

Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude,

und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden.

Als einer im Elend rief, hörte der Herr

und half ihm aus allen seinen Nöten.

Der Engel des Herrn lagert sich um die her,

die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.

Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr

ist. Wohl dem, der auf ihn trauet!

Fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen!

Denn die ihn fürchten, haben keinen Mangel.

Reiche müssen darben und hungern;

aber die den Herrn suchen, haben keinen

Mangel an irgendeinem Gut.

Wenn die Gerechten schreien, so hört der Herr

und errettet sie aus all ihrer Not.

Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen

Herzens sind,

und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt

haben.

Der Gerechte muß viel erleiden,

aber aus alledem hilft ihm der Herr.

Der Herr erlöst das Leben seiner Knechte,

und alle, die auf ihn trauen, werden frei von

Schuld.

Gebet

Gott im Himmel, wir sind deine geliebten Kinder, und du willst, daß wir in dieser Liebe leben. Du hast jede und jeden einzelnen beim Namen gerufen. So laß auch uns an unseren Mitmenschen nicht achtlos vorübergehen. Hilf uns, mit ihnen gemeinsam den aufrechten Gang zu üben, damit daraus Leben erwächst und Glück genug für alle. Das bitten wir dich im Namen deiner Sohnes Jesus Christus, der sich immer auf die Seite der Unterdrückten und Verachteten gestellt hat und im Namen deines Geistes, der uns antreibt zu einem Leben, in dem es gerecht zugeht. Amen.

Gemeinde: Lied: EG 96 1-3

Pfarrerin: Predigt:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der gestrige Predigttext steht im Markusevangelium, Kapitel 12, 41-44. Es ist die Geschichte vom Scherflein der Witwe:

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein.

Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig.

Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.

Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluß eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir können es schon kaum noch hören. Es geht ums Geld. Selbst hier im Predigttext geht es schon wieder ums Geld.

Die Jüngerinnen und Jünger hatten wohl in der Nähe des Opferstockes gestanden und zugesehen, wie die Menschen Geld hineinwarfen. Jede und jeder, der an einem Gottesdienst teilnehmen wollte, kam dort vorbei und legte Geld ein.

Das Geld, das in den Gotteskasten eingelegt wurde, war für den Tempel, den Gottesdienst bestimmt.

Ursprünglich war angeordnet worden – man kann es im zweiten Buch Mose nachlesen -, daß jeder nur einen halben Schekel, eine kleine Münze also, einlegen sollte, der Reiche nicht mehr als der Arme. Das sollte wohl darauf hindeuten, daß vor Gott alle Menschen gleich sind und daß Reiche und Arme den Gottesdienst gleichermaßen brauchen.

Zur Zeit Jesu jedoch war dieser tiefe Sinn längst verloren gegangen. Oder war er von denen, die religiös oder politisch das Sagen hatten, verschwiegen worden? Man brauchte ja Geld! Viel Geld! Denn der dritte Tempel, den der König Herodes an Stelle des zerstörten zweiten Tempels im Jahre 20 vor Christus hatte bauen lassen, war noch nicht ganz fertig. Und vielen war er noch nicht pompös, noch nicht prächtig genug. Alle Israeliten, auch Jesu Jüngerinnen und Jünger, waren ja stolz auf ihren Tempel.

Nur – war dieses architektonische Wunderwerk wirklich allein zum Lobe Gottes errichtet worden? Oder diente es nicht mehr noch dem Ansehen der Mächtigen, die hinter Griechen und Römern und deren prächtiger Kultur nicht zurückstehen wollten?

Zur Zeit Jesu war es jedenfalls den Tempelobersten nicht unangenehm, wenn „viele Reiche viel einlegten“. Und die weniger bemittelten Gottesdienstbesucher werden das Auftreten der Reichen teils mit Anerkennung, teils mit Neid beobachtet haben. Und da ja jeder wußte, daß eine großzügige Spende einem Reichen kaum weh tut, fanden die meisten solchen Brauch wohl auch in Ordnung. Wer dachte schon daran, daß sich dahinter nicht selten ein handfester Interessentausch abspielte: Die Reichen vergrößerten ihr ohnehin beträchtliches Ansehen noch mehr, und die Tempelobersten erhöhten mit dem durch hohe Spenden ermöglichten Prunk nicht nur den Glanz der Gottesdienste, sondern auch ihren politischen Einfluß. In diesem Geschäft kam Gott kaum vor. Gebraucht wurde nur das Geld.

Die Frau, auf die Jesus seine Jüngerinnen und Jünger hinwies, hatte gewiß niemand sonderlich beachtet. Ihre Kleidung war die einer Witwe.

Keinen Mann zu haben bedeutete damals für eine Frau meist bittere Armut. Reichtum und Anerkennung und Einfluß bekam eine Israelitin nur über ihren Mann. Wir können annehmen, daß diese Frau, angewiesen auf wohltätige Angehörige oder Nachbarn, von der Hand in den Mund lebte, vergleichbar etwa Sozialhilfeempfängern heute. Solche werden ja auch bei uns kaum beachtet.

Doch Jesus sieht die Menschen, die im Schatten und am Rande der Gesellschaft leben. Er sah im Tempel die arme Frau. Er sah, daß sie erst eine, dann eine zweite Münze aus den Falten ihres Kleides hervorholte, offensichtlich ihr letztes Geld.

Nun kann man sagen: Das war ja nur ein Pfennigbetrag. Mit dem hätte die Frau ihre Situation ohnehin nicht ändern und auch sonst nichts unternehmen können. Man hätte damit auch keine Kirche unterhalten, keinen Kindergarten mitfinanzieren oder in der Diakonie spürbar helfen können. Da konnte man mit den Gaben der Wohlhabenden schon eher etwas anfangen. Aber doch lobt Jesus gerade dieses „Scherflein der Witwe“ als hervorragendes Opfer: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.“

Erwartet Jesus das so von uns? Sollen wir alles, was wir haben, einfach in den Opferkasten legen, nach der Devise Gott wird’s schon machen?

Aber Jesus sagt ja im Blick auf unser Geld gar nicht: „So geh hin und mach’s auch so!“ Vielmehr erinnert er uns an unsere Verantwortung, mit Reichtum und Geld gewissenhaft umzugehen und Gutes zu tun.

Wie selbstverständlich scheint es, diese Geschichte als Mahnung an die Reichen zu hören, als Aufforderung zur Verhaltensänderung. Aber dieses moralische, ja moralisierende Mißverständnis ist die bevorzugte Falle, in die wir bürgerlichen Christinnen und Christen tappen können. Dann macht uns die Geschichte bestenfalls ein schlechtes Gewissen, dann führt sie zu moralisch guten Vorsätzen, dann treibt sie hinein in den Teufelskreis von moralisch gutem Willen und doch immer wieder dem Versagen.

Die Reichen werden hier von Jesus nicht gemaßregelt, weil sie lediglich von ihrem Überfluß abgeben. Fast anerkennend heißt es: „Und viele Reiche legten viel ein.“ Vielmehr geht es Jesus darum, seinen Jüngerinnen und Jüngern die Augen zu öffnen für jene arme Witwe, die so ganz ohne Absicherung aus Glauben und Vertrauen lebt, daß sie alles weggibt. Sie hat sich selbst gegeben. Es geht hier nicht um Reichtum oder Armut, sondern einzig darum, daß diese Frau sich und ihre Zukunft bedingungslos Gott anvertraut.

Es ist vor Gott nicht entscheidend, wie bedeutsam wir in der Welt sind und welchen Einfluß wir haben. Entscheidend ist, wie dankbar wir Gott antworten, wieviel Liebe wir ihm entgegenbringen.

Wir, die wir zu den Reichen dieser Erde zählen, sind dennoch in Gefahr, mit unserem Wohlstand das lebensnotwendige Vertrauen in Gott zu verspielen.

Unsere Lebensplanung gleicht zweifellos mehr der des reichen Mannes. Wir rechnen und kalkulieren, treffen Vorsorge, schließen Versicherungen ab. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn wir dabei nicht immer wieder Gott ausblenden würden.

Nur wenn etwas schiefgeht, wenn Unglück, Krankheit oder Tod uns treffen, sind wir schnell dabei, ihn anzuklagen, anstatt zu fragen: Von woher verstehe ich Ausrichtung, Wert und Sinn meines Lebens, von Gott oder von meinen Besitz her? Wem vertraue ich im Leben?

Es hängt alles mit der Botschaft von Gottes Weltherrschaft zusammen, mit dem Glauben an die Gegenwart seiner Güte.

Weil diese Witwe sich ganz geborgen weiß, kann sie alles geben, was sie hat.

Diese biblische Geschichte sollte uns den Blick schärfen für das kraftvolle Zeugnis der allzu oft Übersehenen: für die Großzügigkeit der kleinen Spenderinnen und Spender, für die treue gerade von Frauen in Diakonie und Gemeinde.

Mit der Geschichte vom „Scherflein der Witwe“ endet im Markusevangelium der Bericht vom Wirken Jesu; es folgt seine Abschiedsrede und seine Passion. Jesu selbst wird alles geben, was er hat. Seine Liebe zu den Menschen wird ihn das Leben kosten. Und so ist die Tat der Witwe nicht zuerst Vorbild für unser Tun, sondern Gleichnis für Jesu eigene Selbsthingabe, die uns zugute kommt. Er beschämt uns nicht, er beschenkt uns.

Amen.

Gemeinde: Lied: EG 400, 1-2, 5-7, Ich will dich lieben

Mitteilungen

Gebet

Gott, wir danken dir,

daß wir offen und ehrlich mit dir reden können

klagen und anklagen, aber auch danken und bitten.

Wir bitten dich für alle, die in deiner Gemeinde mitarbeiten

und oftmals an ihrer Arbeit leiden:

Gib ihnen Selbstvertrauen und Zivilcourage,

damit sie ihre Aufgaben erfüllen können

oder Möglichkeiten der Veränderung sehen lernen.

Und hilf uns dabei, Menschen in deiner Nachfolge zu sein,

die sich gegenseitig fördern und ermutigen.

Wir bitten dich für die Frauen und Mädchen,

die unter Gewalt und Mißbrauch leiden

und selbst als Opfer noch die Schuld bei sich suchen:

Gib ihnen Kraft und Stärke,

ihre eigene Würde wiederzugewinnen

und laß uns Menschen sein, die versuchen, zu trösten

Wir bitten dich für uns:

Komm zu uns mit deinem Geist und Wort;

gib uns Hoffnung,

eine Hoffnung, die alle und alles einbezieht

Frieden und Gerechtigkeit für die Welt

und Frieden und Trost für jeden und jede von uns.

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden und Segen unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich

und gebe dir Frieden. Amen.

Lied: 421 Verleih uns Frieden

Vertrauen und Hoffnung

Gottesdienst, Palmsonntag, Wiesbaden

Phil 2, 5-11 – Kreuz Baum des Lebens

Stilles Gebet

Orgelvorspiel

Lektor: Begrüßung und Votum

Gemeinde: Amen

Gemeinde: Eingangslied 455, 1-3

Pfarrerin: Eingangsspruch Ps 69

Gott, hilf mir!

Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.

Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist;

ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen.

Ich habe mich müde geschrien,

mein Hals ist heiser.

Meine Augen sind trübe geworden,

weil ich so lange harren muß auf meinen Gott.

Ich aber bete zu dir, Herr, zur Zeit der Gnade;

Gott, nach deiner großen Güte erhöre mich mit deiner

treuen Hilfe.

Errette mich aus dem Schlamm,

daß ich nicht versinke,

daß ich errettet werde vor denen, die mich hassen,

und aus den tiefen Wassern;

daß mich die Flut nicht ersäufe und die Tiefe

nicht verschlinge

und das Loch des Brunnens sich nicht über mir schließe.

Erhöre mich, Herr, denn deine Güte ist tröstlich;

wende dich zu mir nach deiner großen Barmherzigkeit

und verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knechte,

denn mir ist angst; erhöre mich eilands.

Nahe dich zu meiner Seele und erlöse sie,

Gott, deine Hilfe schütze mich!

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn…

Pfarrerin: Sündenbekenntnis

Viele Menschen leiden bei uns und in anderen Teilen der Welt.

Wir haben Mitleid mit ihnen und manchmal Angst,

es könnte auch uns das Leiden treffen.

Wir scheuen uns vor dem Leiden

und zweifeln an seinem Sinn.

Wir nehmen uns Zeit,

dem Weg Jesu zum Kreuz nachzugehen.

Wir möchten begreifen,

was uns altbekannt ist

und zugleich fremd vorkommt.

Vielleicht hören wir die Geschichte Jesu

nur als einen Bericht aus vergangener Zeit.

Vielleicht geht uns auf,

daß Jesu Weg ins Leiden die Geschichte ist,

die wir ihm bereiten.

Vielleicht geht uns auf,

wo er heute gekreuzigt wird:

unter uns.

Herr, erbarme dich

Gemeinde: Herr, erbarme dich

Pfarrerin: Gnadenverkündigung:

Wie gut, wenn ein Mensch die Hand reicht,

Menschen nachgeht,

die auf der Schattenseite des Lebens stehen,

Menschen eine Richtung zeigt,

die sich in ihrem Leben verlaufen haben.

Wie gut, wenn Gott so mit uns das Leben teilt

und wir Jesus Christus in vielen Gesichtern sehen können.

Lobsinget dem Herrn, erhebet seinen Namen!

Gemeinde: Ehre sei Gott in der Höhe

Pfarrerin: Der Herr sei mit euch!

Gemeinde: Und mit deinem Geist

Pfarrerin: Gebet:

Umjubelt und dann fallen gelassen,

stürmisch gefeiert und dann verstoßen,

so gehst du den Weg des Gehorsams.

Du setzt dich nicht gewaltsam durch.

Du stehst für uns ein bis zum Tode am Kreuz.

Du hast dem Leid einen Sinn gegeben.

Wir brauchen unser Kreuz nicht nur zu beklagen,

wir können es tragen lernen,

laß uns still werden vor dir.

Laß uns von der Kraft empfangen,

mit der du Gottes Willen vollenden konntest. Amen

Gemeinde: Amen

Musik

Lektor: Schriftlesung

Joh. 12, 12-19

Apostolisches Glaubensbekenntnis:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unseres Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden,

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied: EG 87, 1,3,4,6

Pfarrerin: Predigt

Der Predigttext für den heutigen Sonntag, Palmarum, steht im Philipperbrief, im 2. Kapitel, die Verse 5 – 11

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Liebe Gemeinde,

Das Lied des Paulus, das wir eben gehört haben, erzählt, wie sich Gott von oben nach unten bewegt hat, um uns durch Jesus Christus rettend nahe zu kommen. Dorthin kam Gott in Christus, wo Menschen schwach, ausgeliefert und verloren sind.

Warum mußte Gott Mensch werden?

Warum mußte Christus ans Kreuz?

Der Palmsonntag zeigt Jesus am Ende seines Weges.

Die Evangelien berichten, daß Jesus vor seinem Leiden und Sterben in Jerusalem glanzvoll einzog. Er wurde als großer Mann gefeiert. Die Leute jubelten ihm zu und legten Palmzweige auf seinen Weg. Daher hat der heutige Sonntag seinen Namen: Palmarum.

Bei uns, in der evangelischen Kirche, steht dieser Sonntag ganz im Zeichen der Erinnerung an die Passion Jesu. Mit dem Palmsonntag wird die Karwoche eröffnet, die Woche der Trauer, des Leids und der Wehklage

Palmsonntag steht in der Spannung zwischen „Hosianna“, dem „Gelobt sei, der da kommt“ und dem „Kreuzige ihn“. Es ging schnell.

Jesus zieht in Jerusalem ein, begleitet vom Hosianna der Menge, bald aber dem haßerfüllten „Kreuzige ihn“ ausgesetzt. Das Ziel seines Weges, all das, was in der Karwoche bedacht wird, läßt erkennen, wie Jesus die Realität der Welt und des Menschen erlebt und erlitten hat. Er mußte sein Kreuz buchstäblich auf sich nehmen und nach Golgatha tragen.

Wir richten heute unsere Aufmerksamkeit auf dieses Kreuz, auf das Kreuz das Jesus erduldet hat. Dieses Kreuz ist in der christlichen Tradition zum Symbol geworden. Doch dieses Symbol ist von der Kirche über die Jahrhunderte aus seiner historischen Verankerung gerissen und spiritualisiert, also rein geistig gedeutet worden. Aus dem historischen Kreuz des Jesus von Nazareth wurde ein zeitlos religiöses Symbol, das nur noch repräsentierte, was es unmittelbar darstellte, nicht mehr, wie es dazu kam, oder wie es weiterging. Dadurch konnte es leicht zu angstmachenden, unterdrückerischen Zwecken verwendet werden, wie beispielsweise durch die Inquisition.

Die Spiritualisierung des Kreuzes hat verdunkelt, daß der Kreuzweg Jesu in ein neues Leben mündete; daß Jesus ein armer Mensch war, der gekreuzigt wurde, weil er mit seiner Botschaft von der Umwertung aller Werte den Armen, den Frauen und Kindern, den Sklaven eine neue Zukunft versprach.

Jesu Leiden und Sterben am Kreuz. Dieses Bild begleitet uns durch die ganzen Jahrhunderte.

Die Kreuzigung war ein römisches Herrschaftsinstrument. Die römische Weltmacht kreuzigte Männer und Frauen, von denen sie befürchtete, daß sie politische Unruhe stifteten. Die Rebellen wurden gekreuzigt. Römische Staatsbürger durften nicht gekreuzigt werden. Und Jesus war für die Römer ein solcher Rebell.

Jesus war die leibliche Verkörperung der Gerechtigkeit Gottes in seiner Welt.

Das jüdische Volk war ausgebeutet und verarmte immer mehr. Jesus kündigte den Armen die Königsherrschaft Gottes an, er verbündete sich mit den Armen und mit den Blinden. Sie sahen in seiner Nähe wieder ihre Zukunft.

Jesus ist öffentlich in Wort und Tat mit dem Anspruch aufgetreten, daß nur eine Herrschaft Zukunft hat: die Herrschft Gottes.

Die Herrschaft Gottes ist das Ende aller menschlichen Herrschaft, und sie ist eine Herrschaft, die Menschen nicht kleinmacht, sondern sie befreit. In der Königsherrschaft Gottes können die Menschen endlich so leben, wie es der Schöpfung entspricht.

Jesu Tod am Kreuz war nicht das Ende seines Weges, sondern der wunderbare Beginn der Königsherrschaft Gottes auf dieser Welt. Es war ein Holzkreuz, an dem Jesus starb. Seine Freundinnen und Freunde haben den Gekreuzigten wegen seiner Lebenskraft so sehr geliebt, daß sie sagten: Das Kreuz ist der Lebensbaum. Die Welt des Todes ist dürre Steppe, wo nur stachlige Sträucher wachsen. Der Lebensbaum hat seine Wurzeln am klaren Quellwasser, er ist saftig und grün und er trägt nicht nur einmal im Jahr, er trägt immer Früchte.

Im vierten Jahrhundert heißt es in einer Taufkatechese:

„Das Holz des Lebens (das Kreuz) wurde in die Erde gepflanzt, damit die verfluchte Erde Segen genieße und die Toten erlöst werden. Schämen wir uns also nicht, den Gekreuzigten zu bekennen! Besiegeln wir vertrauensvoll mit den Fingern die Stirne, machen wir das Kreuzzeichen auf alles, auf das Brot, das wir essen, über den Becher, den wir trinken! Machen wir es beim Kommen und Gehen, vor dem Schlafe, beim Niederlegen und Aufstehen, beim Gehen und Ruhen!… (Cyrill von Jerusalem). Das Kreuz Christi ist der Lebensbaum, die Fülle des Lebens.

Nicht irgendwo im Himmel, sondern dort, wo der Tod am mächtigsten ist, da wird Gottes Kraft lebendig.

Jesus hat uns ermutigt. Ermutigt gegen die Ungerechtigkeiten in dieser Welt anzugehen. Und je mehr jede und jeder von uns in die Liebe hineinwächst, desto verletztlicher macht man sich. Du wirst einfach angreifbarer, wenn du sichtbar geworden bist.

Zwar neigen wir ja dazu unangenehme Tatsachen zu verdrängen, auszuklammen. Aber leicht sind wir davon überzeugt, daß wir doch nichts ändern können. „Die da oben machen ja doch, was sie wollen“.

Jede und Jeder einzelne muß sich entscheiden, ob er oder sie Kreuze errichtet oder abschaft, ob das Kreuz Leben verhindert oder ermöglicht.

Im Hebräerbrief heißt es: „Laßt uns mit Ausdauer in dem Wettlauf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken“. Die Augen sind auf das Kreuz Christi gerichtet. Sein Lebenslauf war ein Hindernislauf durch Verfolgung, Verachtung, Spott und Folter, Schweiß und Qualen. Bei all dem hat er das Ziel nicht aus den Augen verloren.

Oft stehen wir vor der Alternative: Glauben als Flucht in die heile Welt, oder das Kreuz als Lebensbaum. Nehmen wir das Kreuz als unseren Lebensweg an, so können wir auf eine Wolke von Zeugen schauen. Diese Zeugen werden im 11. Kapitel des Hebräerbriefes genannt. Angefangen bei Abel werden viele Männer und Frauen erwähnt, die unmittelbar mit der Geschichte Israels zu tun haben, und darüberhinaus diejenigen, die nach Jesu Kreuz und Auferstehung das Kreuz des Lebens auf sich genommen haben und immer wieder nehmen. Die Kirche lebt von diesen Männern und Frauen. Ihr Beispiel ermutigt uns. Ihr Glaube kann unseren Glauben festigen.

Die Kreuze heute stehen: in den Häusern für vergewaltigte Mädchen und geschlagene Frauen, an gnadenlosen Fließbändern und auf den Arbeitsämtern, im Ausländerviertel, da stehen die Kreuze. Viel stummes Leid ist auch in den Familien, in den Beziehungen von Mann und Frau, in dem Unverständnis zwischen Müttern und Töchtern, auch das sind Kreuze.

Unsere Kreuze heute tragen beispielsweise die Namen: Einsamkeit, Lieblosigkeit oder Umweltzerstörung. Ich denke an die alte Frau, die schon morgens den Fernsehapparat anstellt, damit sie etwas Unterhaltung hat, damit sich wenigstens dieser Apparat mit ihr unterhält. Ich denke an die Lieblosigkeit und Unachtsamkeit mit denen wir Behinderten und Kindern begegnen, etwa wenn integrative Erziehung nicht eine Selbstverständlichkeit ist. Ich denke an die voranschreitende Bedrohung unseres Lebensraumes, etwa durch die Erwärmung der Erdatmosphäre, oder das über Europa drohende Ozonloch.

Das Kreuz annehmen und tragen bedeutet initiativ zu werden, zu versuchen die Situation zu verändern. Die alte Frau wird aus ihrer Einsamkeit herauskommen, wenn sie selbst aufsteht und auf andere Menschen zugeht, beispielsweise indem sie sich mit anderen, die ebenfalls unter ihrer Einsamkeit leiden, trifft.

Das Kreuz der Lieblosigkeit und Unachtsamkeit, mit der wir vor allem Behinderten und Kindern begegnen, annehmen und tragen bedeutet beispielsweise, sich für integrative Erziehung einsetzen, und für Kinder eintreten, um ihnen Rechte zu verschaffen und einen Raum zum leben zu ermöglichen.

Das Kreuz der Umweltzerstörung annehmen und tragen, bedeutet in unserem Alltag sorgsam mit Gottes Schöpfung umgehen. Viele Kleinigkeiten gehören dazu. Beispielsweise, wenn wir beim Einkauf darauf achten, ausschließlich Mehrwegflaschen zu erwerben. Die Macht der Konsumenten ist größer als wir annehmen. So hat ein großes Versandhaus auf umweltfreundliche Produkte umgestellt, weil die Konsumenten eben diese verstärkt nachfragen. Überall dort erleben wir, daß das Kreuz, nicht totes Holz bleibt, sondern anfängt zu grünen.

Es liegt an uns, die Kreuze zu sehen, die um uns herum aufgerichtet werden. Unsere Kultur dagegen lädt uns ein, die Kreuze nicht zu sehen. Kreuze werden in Gold gegossen und als Anhänger verkauft. Sie sind zum Schmuck geworden.

Das Kreuz wird dann zu einem rein religiösen Symbol im kirchlichen Bereich verniedlicht.

Die Tradition hat uns keinen Rosengarten versprochen, keinen Rückzug auf eine einsame Insel oder ins private Heim. Aber sie hat uns nicht ohne Rosen gelassen. Frauen und Männer aus der mystischen Tradition des Mittelalters, darunter Martin Luther, haben im Kreuz eine Rose blühen sehen; sie haben verstanden, daß Lieben, Leiden und In-Gott-Hineinwachsen zusammengehören. Die Rose war ihnen ein Erkennungszeichen dafür, daß der Baum des Lebens blüht. Als das Mädchen Maria durch den Dornwald ging, haben die Rosen zu blühen angefangen – und die weiße Rose der Sophie Scholl aus der finstersten Zeit unseres Landes blüht auch für uns.

Und haben wir nicht auch schon erfahren, daß stark sein und verletzlich bleiben sich nicht ausschließen?

In die befreiende Tradition des Christentums eintreten heißt, das Kreuz als den Baum des Lebens sehen lernen, weil es uns zeigt, wie aus Bösem Gutes wachsen kann.

Durchkreuzt ist der Titel der Ausstellung, die heute hier eröffnet wird. Das Kreuz ist für Doris Kohn ein Symbol von besonderer Bedeutung. Zunächst nicht bewußt war es für sie ein Symbol zur Auseinandersetzung mit Krisen. Immer dann wenn ihre Pläne durchkreuzt wurden entdeckte sie die Kraft des Neuen. Das Ende ist nicht das Ende, sondern der Beginn. Inzwischen ist für Doris Kohn, so berichtet sie im Ausstellungskatalog, das Kreuz eine Chance für einen Neubeginn. Sie findet ihren Halt im und durch das Kreuz.

Es ist für viele von uns ein langer Weg bis wir erkennen, daß das Kreuz und das Leben zusammengehören. In unserer auf Freude, auf das nur-Spaß-haben angelegten Gesellschaft wird dieser Zusammenhang oftmals auseinandergerissen. Dabei ist es doch fast eine Binsenweisheit, daß nur der das Erklimmen des Gipfels richtig genießen kann, der auch das Tal kennt.

Was uns zu Christen macht, ist der unbeirrte Glaube, daß aus Tälern Hügel werden können, aus Feinden Freunde, aus Bösem Gutes, daß aus dem Kreuz neues Leben grünt – weil Gott uns dazu fähig macht.

Gott hat der Liebe recht gegeben. Das singt das Lied des Paulus. Christus ist nicht am tiefsten Punkt geblieben. Die Macht der Liebe hat jetzt schon einen Namen. Vertrauen und Hoffnung machen jetzt schon das Bekenntnis möglich, daß Jesus Christus der Herr ist. „Wer bekennt muß sich nicht mehr fürchten“.

Amen.

Gemeinde: Lied: EG 93, 1-4

Lektor: Abkündigungen

Musik

Pfarrerin: Fürbitten

Jesus Christus,

du hast den Widerspruch zwischen Jubel und Klage,

zwischen Glanz und Elend in deinem Leben

und Leiden durchgehalten.

Wir aber werden oft zerrissen.

Wir fürchten das Leiden und passen uns deshalb

den herrschenden Meinungen an.

Du aber machst uns Mut,

weil du deinem Auftrag treu geblieben bist.

Wir bitten dich, laß uns an unserem Platz das Notwendige tun,

laß uns, falls notwendig, widerstehen.

Wir bitten dich, laß uns unser Kreuz erkennen und tragen.

Wir bitten für die Menschen, die in ihrem Leid nicht mehr wissen,

wohin sie sich wenden können, daß sie spüren, wie Gott und die Menschen ihnen aufmerksam zuhören.

Wir wollen nicht müde werden,

das Wunder in unserem Leben zu erwarten und erhoffen:

Das Wunder geliebt zu werden und zu lieben –

das Wunder getragen zu werden und zu tragen –

das Wunder, daß du uns ins Dasein gerufen hast.

All das bedenken wir in der Stille und bringen vor dich, was uns bewegt….

Wir beten mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Gemeinde: EG 170, 1-4

Pfarrerin: Segen

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Gemeinde: Amen, Amen, Amen.

Frau Pfaff bittet die Besucher herein

Musik

Ausstellungseröffnung

Hier ist ein Mensch

Vorletzter Sonntag, Mt 25,31-46

Pfarrerin Marion Eimuth

14.11.1997

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 152,, 1-4

Zum heutigen Sonntag, dem Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, begrüße ich sie ganz herzlich. Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.

Pfarrerin: Psalm :50

Gott, der Herr, der Mächtige,

redet und ruft der Welt zu

vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang.

Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes.

Unser Gott kommt und schweiget nicht.

Er ruft Himmel und Erde zu,

daß er sein Volk richten wolle:

„Höre, mein Volk, laß mich reden;

Israel, ich will wider dich zeugen:

Ich, Gott, bin dein Gott.

Opfere Gott Dank

und erfülle dem Höchsten deine Gelübde

und rufe mich an in der Not,

so will ich dich erretten,

und du sollst mich preisen.

Begreift es doch, die ihr Gott vergesset,

damit ich nicht hinraffe, und kein Retter ist da!

Wer Dank opfert, der preiset mich,

und da ist der Weg, daß ich ihm zeige mein Heil.“

Kommt , laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Heute – am Volkstrauertag – denken wir an die Toten vergangener und gegenwärtiger Kriege, an die Opfer von Unrecht und Ausbeutung, an die Millionen, die vor Hunger sterben.

Sie klagen uns an.

Wo haben wir dem Frieden,

wo haben wir der Gerechtigkeit,

wo haben wir dem Leben gedient?

Wir haben das Elend nicht wahrgenommen

und nicht wahrhaben wollen –

damals nicht und heute nicht,

haben uns beruhigt:

Da kann man doch nichts machen,

das Schicksal hat es so gewollt.

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

„Ehre sei Gott in der Höhe:“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Du, guter Gott,

nimmst dir in deiner Barmherzigkeit Zeit für mich. Ich kann zu dir kommen mit meiner Not, meinem Kummer, meiner Angst, meinen Strapazen, meiner Überanstrengung.

Gib mir heute morgen Zeichen deiner Nähe, gib mir ein Wort, das mir Kraft gibt zum Leben und an dem ich merke, daß es Menschen gibt, mit denen ich teilen könnte meinen Kummer und meine Not. Gib mir Kraft, daß sich meine Augen öffnen für die gefüllten Hände, die ich habe, gefüllt mit Zeit und Gütern, und daß ich selbst barmherzig sein kann mit den Menschen, die mir heute und in der kommenden Woche begegnen, für die Menschen mit ihrem Kummer, ihrer Angst, ihren Strapazen.

Gib mit ein offenes Ohr und einen aufmerksamen Geist für die Zeichen deiner Nähe durch Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir in der Einheit des Heiligen Geistes lebt und wirkt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

Jer 8, 4-7

Sprich zu ihnen: So spricht der Herr: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde: Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, daß sie nicht umkehren wollen. Ich sehe und höre, daß sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen: aber mein Volk will das Recht des Herrn nicht wissen.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 149, 1-3,5

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Röm 8 18-23

Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat – , doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied , 432, 1-3

Pfarrerin: Predigt:

Text, Mt 25, 31-46

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Liebe Gemeinde,

In einem Fenster der Turmhalle des Straßburger Münsters aus dem Jahr 1350 werden die Werke der Barmherzigkeit gezeigt. Da ist Christus zu sehen als Bedürftiger und Notleidender, als einer, dem selbst Bamrherzigkeit verweigert wird. Eine Darstellung aus einer Zeit, in der die Pest die Menschen Europas so schrecklich heimsuchte. Eine der Inschriften sagt: „Do ich hungrik was, ir spiset mich nit.“

Bilder und Worte am Eingang, die anrühren können. Es geht um dich und darum, wie du Gott begegnen kannst. So können wir in die Worte Jesu hineinhören, heute, am vorletzten Sonntag im Jahr der Kirche, der auch Volkstrauertag genannt wird. Es ist ja der Tag, an dem wir alle an die schrecklichen Folgen des Weltkrieges und des unvorstellbaren Mordens an Mitmenschen denken und Gott draum bitten wollen, daß er unsere Gedanken auf den Weg des Friedens lenke.

Wir kommen nicht umhin, heute morgen aus unserem Evangelium herauszuhören, daß das Worte sind, die von einem Gericht sprechen und davon, daß Jesus wiederkommen wird und zu Gericht sitzen. Und es wird uns das Bild aus dem Alltag der Hirten in Palästina vor Augen geführt: Tagsüber weiden sie die Schafe und Ziegen. Für die Nacht aber werden sie getrennt, die Ziegen kommen in einen Stall, weil sie die Kühle der Nacht nicht vertragen, während sich die Schafe auch in der Nacht lieber im Freien aufhalten. Schafe sind wertvoller als Ziegen, deshalb wird ihnen der Platz zur Rechten zugewiesen.

Ein idyllisches Bild für einen ernsten Vorgang: Am Ende der Tage werden Gerechte und Ungerechte getrennt, und es wird deutlich werden, wer sich in seinem Leben bei dem, was er tat, hat leiten lassen von dem, was Jesus erwartet.

Martin Niemöller, der nach seinen Lebensmaximen befragt wurde, hat gesagt: „Ich stelle mir immer die Frage: ‚Was würde Jesus dazu sagen'“? Dann, am Ende der Tage, so unser Evangelium, werden wir erfahren, was Jesus wirklich zu allem sagt.

Sicher können wir uns fragen: Bewegt der Gedanke an ein zukünftiges Gericht über unsere Taten und Unterlassungen heute noch die Menschen? Auch für viele Christen ist das Bild vom Gericht in den Hintergrund gerückt, wenn nicht gar unerträglich geworden, und sie sagen: Ein richtender, wütender Gott entspricht nicht dem, was wir von Gott aus der Bibel hören, der die Liebe ist. Gericht ist mittelalterlich. Und ehrlicherweise werden wir das auch heute morgen bekennen müssen: Wir gehen nachher ruhig auseinander und rechnen in unserem Verhalten nicht damit, daß das eintritt, was wir gehört haben und worum wir beim Abendmahl bitten: „Ja, komm, Herr Jesus.“

Doch werden wir bedenken müssen, wenn wir die Worte Jesu aufmerksam hören wollen: Können wir zuversichtliche, fröhliche, mutige Christen sein, ohne auf ein Ziel zuzugehen? Können wir uns einsetzen für Wahrheit, Liebe, Frieden, wenn wir sagen, daß Lüge, Selbstgefälligkeit, Hunger und Krieg das letzte Wort behalten werden?

Ob man sich diesen Vorgang am Ende vorstellt verbunden mit katastrophenartigen Bildern, wie sie auch in der Bibel stehen, oder mehr als eine innere Bewegung, das ist nicht wesentlich. Wichtig daran allein bleibt, daß unser Geschick nicht im Sande verläuft. Sondern Christus wird mir als Richter erscheinen und von Angesicht zu Angesicht das Überraschende sagen: „Ich bin dir schon längst begegnet. Was du getan hast den Geringsten meiner Brüder und Schwestern, das hast du mir getan.“

Er erwartet von uns unbemerkte, kleine, schlichte Zeichen. Zeichen der Aufmerksamkeit dafür: Hier ist ein Mensch. Ist er nicht wichtiger als alles andere? Das ist Barmherzigkeit.

Wenn Jesus vom Hungrigen spricht, der Nahrung braucht, dann gehen uns ja die schrecklichen Bilder nicht aus dem Sinn aus dem Innern Afrikas, wenn sterbende Menschen noch einmal ihre Hand flehend aufhalten und bitten: ein paar Körner Reis, ein Schluck sauberes Wasser! Und wir hören, daß die Zahl der Kinder, die an Hunger sterben müssen, weltweit nicht geringer wird: alle zwei Sekunden stirbt eines.

Jeder und jede von uns wird wissen, wie man mit Spenden Not lindern kann. Es geht aber auch noch um einen tieferen Vorgang: nicht nur das, was wir geben, kann für andere Nahrung sein, sondern wir selbst. Die Zeit, die ich gebe, mein Zuhören, mein Teilnehmen kann schon satt machen. Auch mich selbst.

Durstigen zu trinken geben könnte heißen: aufmerksam hören auf die Not, die sich verborgen hat, die sich gar nicht mehr aussprechen kann, weil sie mit so vielem zugedeckt wird. Es könnte heißen: Nicht ausweichen, sondern zuhören und ohne Belehrungen sagen: Du bist nicht allein. Durst wird gestillt, und Hoffnung keimt auf.

Im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern wird von einem kleinen Jungen nicht nur ein Betrug aufgedeckt, als er unbefangen über den Kaiser sagt: „Der ist ja nackt.“ Sondern es wird auch aufgedeckt Eitelkeit und Duckmäusertum. Durch eine einzige Feststellung ist der Kaiser entlarvt und die, die ihn betrogen haben.

Es ist schlimm, plötzlich nackt dazustehen, bloßgestellt. Kann es etwas Entwürdegenderes geben als dies, wenn das, was einer schamhaft verbergen möchte in seinem Innern, ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird?

Ich kenne Menschen, in deren Nähe ich mich deshalb wohlfühle, weil ich weiß, sie kennen mich genau, manchmal besser, als ich mich selbst kenne. Und ich kann doch das Vertrauen haben, daß ihre Zurückhaltung mich schützend und tröstlich umgibt wie ein wärmender Mantel im Winter. Und ich begreife in ihrer Nähe viel von Gottes Barmherzigkeit.

Drei Möglichkeit haben wir gehört, wie Barmherzigkeit werden kann. Und immer geht es um Menschen, die einander nötig haben.

Es mag merkwürdig erscheinen, daß mittelalterliche Frömmigkeit den sechs Werken der Barmherzigkeit ein siebtes hinzugefügt hat: Tote begraben. Doch zeichenhaft ergibt auch das Sinn: Ich kann etwas tun für den, der gerade nichts mehr tun kann. Ich kann mich vor dem Guten und Schönen, das einer in seinem Leben getan hat, verneigen, denken an die Möglichkeiten, die vielleicht noch vor ihm standen, und ich gebe alles zurück in Gottes Hände, weiß ihn in Gottes Barmherzigkeit geborgen, von der alles einmal seinen Ausgang nahm.

Ein Kreis schließt sich.

Nichts Außerordentliches nennt Christus in Mt 25, nur dies: Hier ist ein Mensch. Nicht hundert, nicht zehn Menschen. Ein Mensch, einer, der dich nötig hat, der dich braucht. Deshalb ist es trotz aller Not keine traurige, deprimierende Welt. Denn wo Menschen einander brauchen, da ist Gelegenheit, die Tage sinnvoll zu sehen, da ist Leben, da ist Entdeckung, da ist ein weiter Horizont für Begegnung, und es spürt eine plötzlich, was sie kann.

Gott schenke uns, daß wir begreifen, wie aus seiner Barmherzigkeit unsere Hände schon längst gefüllt sind und wir sie nur aufzumachen brauchen, nicht krampfhaft festhalten müssen. Und wenn wir unsere Hände auftun, steht er plötzlich vor uns mit Schwestern und Brüdern und sagt: Komm her zu mir.

Amen.

Gemeinde: Lied 413, 1-5

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 632, 1-5 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Gütiger Gott, du gibst uns Menschen an die Seite, mit denen wir ein Stück unseres Lebens gemeinsam gehen, Menschen, die uns länger begleiten oder die uns nur kurz begegnen. Manchmal ist es uns eine Freude und Erleichterung, manchmal beschwerlich, weil sie uns zu tragen geben. Für sie alle bitten wir heute:

– Für die, die sich nicht zurechtfinden in der Gestaltung ihres Lebens, die kein Ziel haben, auf das sie zugehen können, daß sie eine Aufgabe finden, für die sie sich einsetzen können.

– Für die verschämt Armen, die ihre Not nicht an die große Glocke hängen mögen, daß ihnen Möglichkeiten eröffnet werden, ihr Leben in Würde zu führen.

– Für unsere Politikerinnen und Politiker, daß sie nicht allein ihre Arbeit tun in der Sorge, wie die leeren Kassen gefüllt werden können, sondern daß sie stets die Menschen im Blick haben, die sich um ihr Auskommen sehr mühen müssen.

– Für die, die heute an die Opfer der Kriege denken und an das schreckliche Morden, für die, die an Leid und Schuld sich erinnern, das so viele Wunden zugefügt hat, die kaum zu heilen sind auch nach so langer Zeit nicht, daß ihr Schmerz, ihr Mahnen nicht im Gedenken stecken bleiben, sondern zu einem friedvollen Miteinander in unserem Land und weltweit Mut machen.

– Für uns selbst, daß wir nicht erschrecken und mutlos werden vor den vielen Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, sondern daß wir sorglos und gelassen einem Bruder und einer Schwester gerade jetzt das geben können, was er und sie brauchen.

Gib offene Augen, Ohren und Hände, die spüren, was fehlt und was wir geben können.

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel

Woche der ausländischen Mitbürger

Kurt-Helmuth Eimuth

28. 9. 1997

Orgelvorspiel

Begrüßung

Lied: EG 262, 1;4+6 Sonne der Gerechtigkeit

Votum:

Im Namen Gottes feiern wir diesen Gottesdienst.

Gott ist der Grund unseres Lebens.

Jesus Christus lädt alle Menschen in das Reich Gottes ein.

Gottes Geist stärkt Liebe und Gerechtigkeit unter uns. Amen.

Psalm: 31, Nr. 716

Lied: EG 593, 1+2+5 Licht das in die Welt

Predigt:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Woche des ausländischen Mitbürgers ging gerade zu Ende. Aus diesem Anlaß habe ich Ihnen ein Kinderbuch mitgebracht. „Soham – Eine Geschichte vom Fremdsein“ ist es betitelt. Es handelt vom Flüchtlingskind Soham, von seinen Konflikten in der Schule, von sozialer Ausgrenzung aber auch vom Lernen das Fremde zu akzeptieren. Und weil es eine Geschichte ist, geht sie gut aus. Die Kinder lernen, ihre Vorurteile zu durchbrechen. Herr Becker, der Lehrer, sagt am Ende den von uns sogeliebten Satz: „Und vergeßt nicht, es gibt für jeden von uns nur ein einziges Land, in dem er kein Ausländer ist! Das ist für jeden das eigene Land“.

Wir leben hier in dieser Stadt mit vielen Menschen aus ganz unterschiedlichen Nationen, Kulturen und Religionen zusammen. Gerade auch unsere Kindergärten und Horte sind Orte in denen dies deutlich und sichtbar wird. Die multikulturelle Situation hier kann als gegenseitige Bereicherung und Lernchance für alle Beteiligten erlebt werden. Wo anders als in der Kindertagesstätte sind Kinder für eine so lange Zeit, so intensiv zusammen und erfahren wie es in anderen Ländern aussieht, was dort gegessen wird, welche Lieder gesungen werden, welche Feste gefeiert werden. Diese Arbeit der Erzieherinnen trägt zum friedlichen Zusammenleben bei, zur Verständigung der Kinder, die hier lernen in Toleranz dem Anderen, der Anderen zu begegnen. Und ich denke, dies wirkt sich auch auf das zu Hause aus, auf die Eltern, die in der Kindertagesstätte die Möglichkeit der Begegnung haben.

In Genesis 12, 1 – 3 stehen die Verse:

Abraham, ein Mann, der seine Sachen packt und sich auf eine unbekannte Reise macht. Allein auf sich gestellt, so begegnet uns Abraham. Doch sein Gott ist mit ihm, er wandert mit.

„Der erste Glaubende, der allein gegen alle steht und sich für frei erklärt.“ So schildert Elie Wiesel, ein jüdischer Schriftsteller, den Mann, bei dem die Religionen des Judentums, des Christentums und des Islams ihren Anfang nahmen.

Für das Judentum ist Abraham der ‚große Mann‘, in den Gebeten Israels wird er zu einem Sinnbild der Gnade, des Mitleidens und der Liebe. Das Neue Testament der Christen nennt ihn den ‚Vater vieler Völker‘, und im Koran, dem heiligen Buch der Moslems, gibt Gott Abraham die Verheißung: ‚Ich will dich zu einem Vorbild für die Menschen machen‘.

Abraham hat einen Ruf gehört und diesem Ruf ist er gefolgt. Abraham hat auch uns heute noch Wesentliches zu sagen: Es kommt nicht darauf an, durch das Besondere, das Auffällige, aus der Masse herauszuragen. Es kommt darauf an seinem Leben ein Ziel, einen Inhalt zu geben. Gott hat jede und jeden bei seinem Namen gerufen, das ist die eigentliche Würde des Menschen, eines jeden Menschen.

Unabhängig von der Religion hat Gott alle Menschen bei ihren Namen gerufen. Die Gnade Gottes ist ebenso unteilbar wie die Menschenwürde. Auch deshalb können und müssen Christinnen und Christen Toleranz üben.

Amen.

Lied: 594, Der Himmel geht über allen auf (3 x)

Mitteilungen: Geburtstage

Fürbitten:

Gott, du liebst uns wie ein Vater,

du kümmerst dich um uns wie eine Mutter.

Deshalb bringen wir unsere Bitten und Wünsche vor dich:

Wir haben in diesem Gottesdienst unsere Klage ebenso vor Dich gebracht wie unsere Bitten und Hoffnungen.

Gott, lehre uns, genauer hinzusehen,

die Angst der Menschen, die bei uns eine Heimat suchen –

und Feindschaft erfahren.

Laß uns dein Mund sein, der sagt,

was keiner hören will.

Und deine Füße laß uns sein, o Gott,

die hingehen zu unseren ausländischen Nachbarn.

Und deine Hand, die nicht Berührung

mit dem Fremden scheut.

Rufe du uns immer wieder bei unserem Namen,

damit wir uns umwenden

und deinem Weg des Lebens folgen,

dem Weg der Gerechtigkeit und der Liebe

für Frauen und Männer, Schwestern und Brüder

bei uns und in aller Welt.

Und in der Stille bringen wir vor dich was uns noch bewegt.

Gemeinsam beten wir:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich

und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Lied: 171, Bewahre uns Gott

Religion im Film

Pfarrerin Marion Eimuth

Andacht, 28.7.97

Religion im Film

Lied: EG 437, 1-4

Votum:

Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen, und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern (Lk 12,48)

Mit diesem Wochenspruch aus dem Lukasevangelium begrüße ich Sie herzlich zur heutigen Andacht, die wir feiern im Namen Gottes des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 136

Lied: EG 557, 1-3

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Daß das Fernsehen den Alltag strukturiert ist jedem von uns bewußt. Daß das Fernsehen die Liturgie des Alltags schafft, daran haben wir uns gewöhnt.

Das Abendprogramm kann erst dann beginnen, wenn wir („Hier ist das 1. Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Guten Abend, meine lieben..“) mit dem Votum begrüßt wurden und wenn wir als Eingangsspruch das Nachrichtenritual des Tages gehört und gesehen haben. Danach darf erst das Hauptprogramm kommen – und alle Bemühungen diese liturgische Struktur zu verändern sind bis jetzt gescheitert.

Wir brauchen immer wiederkehrende Abläufe, benötigen feste und klare Strukturen, um unseren Alltag selbst zu stabilisieren und uns zu orientieren.

Aber damit nicht genug der Anleihen an Kirche, Gottesdienst und Religion. Seit einiger Zeit diskutieren wir unter dem Begriff „Medienreligiosität“, daß das Fernsehen eine neue, symbolische Ordnung von Welt und Leben schafft und damit eine religiöse Identifikation ermöglicht.

Müßten wir weniger darüber nachdenken, welche Art von Verkündigungs- oder religiösen Informationsfernsehendungen es, egal in welchem Programm oder welcher Senderstruktur, gibt und mehr darüber, welche christlichen Symbole und Bilder, Strukturen und Botschaften im gesamten Programm enthalten sind?

Würde dann Medienreligiosität auch eine Herausforderung für die Kirche? Das Fernsehen zeigt deutlich: Trotz fortschreitender Säkularisierung gibt es eine breite Akzeptanz der christlich geprägten Religiosität in unserer Gesellschaft.

„Captain Planet und Power Ranger: die geheimen religiösen Erzieher“, war der Titel eines Seminars Ende des vergangenen Jahres mit Erzieherinnen und wird es in diesem Jahr wieder sein, das ich zusammen mit dem Landesfilmdienst veranstaltet habe. Der Untertitel lautete: „Religion im Alltag der Kinder“.

Es ging uns vor allem darum, die von der Kindergartenpädagogik kritisierten Lieblingssendungen der Kinder im Zeichentrickformat genauer anzusehen und zu analysieren. Wir wollten herausfinden ob die Faszination, die diese Sendungen auf Kinder ausüben, auch durch religiöse Inhalte ausgelöst sein könnte.

Wir wollten auch der medienpädagogischen These nachgehen, daß der viel gepriesene Situationsansatz im Kindergarten die Medien und die Medienerfahrungen, sogar unter religionspädagogischen Gesichtspunkten mit einschließen müßte, weil die Medien zur Entwicklung der kindlichen Spiritualität beitragen.

Aladdin ist eine der Lieblingssendungen der Kinder. Unsere, zufällig ausgewählte Folge, hieß „Verschwundene Kinder“. Aladdin wird durch eine frechen Straßenjungen in der Erinnerung in die Vergangenheit zurückversetzt und er erinnert sich an einen Freund, den er völlig aus den Augen verloren hat.

Und nun fällt ihm auf, daß der kleine, freche Straßenjunge auch dabei ist, von einer bösen, dunklen Macht in Besitz genommen zu werden und zu verschwinden. Er deckt das dunkle Spiel auf, opfert sich für die verschwundenen Kinder auf, hilft ihnen zurückzukommen, wieder sichtbar zu werden.

Die Botschaft des Filmes: Du hast die Möglichkeit gut oder böse zu werden. Du kannst dich entscheiden, du kannst mit jeder guten Handlung deine Identität (wieder-) finden. Wenn du anderen hilfst, dann bedeutet das für dich nicht der Untergang, sondern dein positives Handeln schützt dich vor dem Verschwinden im Nichts.

Die handelnden Personen haben klare religiöse Zuordnungen: Aladdin übernimmt die Helfer- und Opferrolle Jesu, Morgana stellt die dunkle, böse, teuflische Seite dar, Dschini, der (Heilige) Feist ist Helfer und Vermittler.

Ende des Filmes: Mit jeder guten Tat bekommt der frühere Freund seine ursprüngliche, menschliche Gestalt zurück, er erhält seine neue Identität.

Die religiöse Sichtweise der alltäglichen Fernseherlebnisse von Kindern brachte das Ergebnis:

– Es macht wenig Sinn, die Medien in die Sündenbockrolle hineinzudrängen und mediale Erlebnisse und Wahrnehmungen zu negieren.

– Genauer hinsehen, könnte helfen, auch für die religiöse ERZIEHUNG.

– Religiöse Symbole und Geschichten, Mythen und Legenden werden in den Kindersendungen in unterschiedlicher Weise immer wieder variiert und strukturiert. Hier anzuknüpfen könnte eine Möglichkeit sein, aus dem aktuellen medialen Lebensalltag einen Weg zu finden zu den biblischen Geschichten, den Normen und Werten.

Wir erleben es alle: Das Fernsehen vermittelt Sinnentwürfe, Inhalte, Symbole, Formen, Formate, Rituale, die ursprünglich im Zuständigkeitsbereich der Kirche lagen. Wenn man sich über die Kindersendungen hinaus das tägliche Programm der Talk-, Spel- und Mitmachsendungen, der täglichen Soap-Operas ansieht, dann wird deutlich: Fernsehen hat heute vielfach die Rolle der Kirche übernommen, bei Verheißung, Vergebung, Verkündigung, Trost und Spiritualität.

Lied: 171, 1-2

Mitteilungen:

Gebet:

Du Schöpfer dieser Welt,

wir leben von deiner Güte und Weisheit.

Uns Menschen ist viel Macht gegeben.

Was deine Weisheit geschaffen hat,

ist uns unweisen Menschen anvertraut.

Was du gegeben hast, damit wir leben könne,

ist Gefahr geworden für unser aller leben.

Wir möchten dir danken für deine Welt.

Wir möchten einander schützen

vor Gewalt und Haßt.

Wir möchten deine Gaben behüten:

die Menschen und ihr Glück

und das Leben der ganzen Erde.

Wir bitten dich, bewahre uns den Frieden

und bewahre uns davor,

den Frieden anderer zu gefährden:

den Frieden unserer Kinder, Freunde und Nachbarn

und aller, denen wir begegnen.

Wir bitten dich, Schöpfer dieser Welt,

hilf uns und gib Gelingen.

Vater unser im Himmel!

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gibt uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Gott,

der Ursprung und Vollender aller Dinge,

segne dich,

gebe dir Gedeihen und Wachstum,

Erfüllung deinen Hoffnungen,

Frucht deiner Mühe,

und am Ende das Ziel deiner Wege. Amen.

Lied: EG 171, 3-4

Gerechtigkeit ist Leben

Andacht, Kirchentag

30. 6. 1997

Lied: EG 445, 1, 2, 5

Votum:

Aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.

Mit diesem Wochenspruch aus dem Epheserbrief, Kapitel 2, Vers 8 begrüße ich Sie herzlich zur heutigen Andacht, die wir feiern im Namen Gottes des Vater, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Psalm 73, Nr. 733

Lied: EG 632, 1-3

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der 27. Deutsche Evangelische Kirchentag ging vor gut einer Woche zu Ende. Leipzig war geprägt, trotz Regens, von den vielen fröhlichen Besuchern und Besucherinnen. Das Bild kennen wir ja. Und doch war dieses Mal das Kirchentagsthema etwas sperriger. Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben, so das Motto des viertägigen Treffens ist angesichts der deutlichen Widersprüche die der Besucher und die Besucherin selbst bei der Straßenbahnfahrt wahrnimmt augenfällig.

Da stehen postmoderne Bürogebäude neben Häusern, die an das Nachkriegsdeutschland erinnern. Soziale Gegensätze prallen hier aufeinander in einer Schärfe, wie wir sie uns kaum vorstellen. Und dann dieses programmatische und prophetische Wort: Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben. Ungerechtigkeit ist Tod. Ungerechtigkeit vernichtet. Ungerechtigkeit macht perspektivlos.

Doch so sehr wir alle uns Gerechtigkeit wünschen, so schwierig ist es immer klar zu sagen was gerecht ist. Im heutigen Lehrtext heißt es im 1. Johannesbrief, Kapitel 1, Vers 8: Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.

Wir Menschen müssen um diese Wahrheit ringen, immer wissend, daß wir auch irren können. Doch wir sind aufgefordert eben sie zu suchen, uns für sie einzusetzen und Position zu beziehen. Darum muß sich auch unsere Kirche für die Wahrheit engagieren. Wahr ist: Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben. Wenn wir diese Wahrheit teilen, müssen wir uns für eine gerechte Welt einsetzen. Keine leichte Aufgabe, weder für den Einzelnen noch für unsere Kirche. Dorothee Sölle hat es in der ihr eigenen Weise in einer Bibelarbeit in Leipzig auf den Punkt gebracht.

„Einer der vielen Gründe, warum es die Kirche heute nicht gerade leicht hat, ist ein sehr ehrenvoller: die unaufgebbare Perspektive der Verlierer, der Loser. Der biblische Gott hat eine merkwürdige Vorliebe für die, die zu kurz kommen, für die kein Platz da ist, die Unterlegenen. Wo gesiegt wird, da wird auch unterworfen; wo heute Waffen exportiert werden, da werden morgen Frauchen vergewaltigt; wo gewonnen wird, da gibt es Verlierer; wo Globalisierung Platz greift, da wird die Subsistenzwirtschaft zerstört; wo Arbeit abgeschafft wird, um schneller und problemloser zu den Winnern zu gehören, da sollten wir diese andere Perspektive mitsehen. ‚Wer verliert dabei?‘ sollten wir bei jeder wirtschaftspolitischen Neuerung, wie zum Beispiel der Abschaffung der Vermögenssteuer, laut und deutlich fragen. Wer sind die Verlierer bei der globalen Weltaneignung?

Und wer gewinnt, wenn Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet werden? Die Aktien steigen, wenn mehr Menschen ins Unglück gestürzt werden.

Ich frage mich manchmal, was ich der Kirche, meiner Kirche, wünsche, wie sie ohne Selbstbeschädigung und Selbsterübrigung durch diese Zeiten käme. Ich möchte, daß sie nicht nur zählt und sich selber im Zählen erstickt. Es gibt Loser, die haben nichts anderes im Kopf als die Winner. So sollte es bei uns nicht sein. Ich wünsche mir, daß diese Erzählgemeinschaft namens Kirche mit störrischer Geduld Jesaja und Christus weitererzählt, Geschichten, die nicht von Winnern handeln. Ich wünsche mir, daß sich die Kirche nicht der Sprache der Gerechtigkeit schämt. Daß sie dieses überflüssige Globalisierungshemmnis namens Gerechtigkeit noch erinnert. Daß sie es analysiert und einklagt, betet und singt.

Lied: EG: 632, 4 + 5

Mitteilungen:

Gebet:

Du Schöpfer dieser Welt.

Wir leben von deiner Güte und Weisheit.

Uns Menschen ist viel Macht gegeben.

Was deine Weisheit geschaffen hat,

ist uns unweisen Menschen anvertraut.

Was du gegeben hast, damit wir leben können,

ist Gefahr geworden für unser aller Leben.

Wir möchten dir danken für deine Welt.

Wir möchten einander schützen

vor Gewalt und Haß.

Wir möchten deine Gaben behüten:

die Menschen und ihr Glück

und das Leben der ganzen Erde.

Wir bitten dich, bewahre uns den Frieden

und bewahre uns davor,

den Frieden anderer zu gefährden:

den Frieden unserer Kinder, Freunde und Nachbarn

und aller, denen wir begegnen.

Wir bitten dich, Schöpfer dieser Welt,

hilf uns und gib Gelingen.

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Lied: EG 421 (1)

Seien wir mutig

Andacht, 26. 5. 1997

Pfarrerin Marion Eimuth

Orgelvorspiel

Lied: 319, 1-4 Die beste Zeit im Jahr ist mein

Psalm: 145 Nr. 756

Ansprache:

Apg. 2, 1-13

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

gestern war der Trinitatissonntag, das Fest der Dreifaltigkeit. Es ist die Dreiheit der göttlichen Personen: Vater – Sohn und Heiliger Geist. Und damit hängt eng das Pfingstfest, die Ausgießung des Heiligen Geistes zuammen.

Vor ein paar Wochen habe ich mit Erzieherinnen darüber gearbeitet. Wir haben überlegt, was der Heilige Geist für eine jede von uns ist, was darunter zu verstehen ist, welche Probleme das Pfingstfest macht und was davon an Kinder weitergegeben werden kann.

Den Erzieherinnen ging es wie vielen Menschen, zunächst mal ist es ein Fest mit einem freien Tag. Sie freuen sich, mal wieder richtig ausspannen zu können. Und das ist sicher auch nötig. An Feiertagen darf man sich ausruhen. Wir sind aber auch dazu eingeladen über das, was es zu feiern gibt, nachzudenken. Anders als an Weihnachten oder an Ostern begleiten uns an Pfingsten wenig Bräuche.

Pfingsten scheint zweitklassig. Und dabei ist Pfingsten das Fest des Heiligen Geistes! Der Heilige Geist ist die Kraft, die treibt, bewegt und verändert. Das merken wir heute ebenso wie damals die Jüngerinnen und Jünger Jesu es bemerkt und erlebt haben. Sie, die Gruppe, die Jesu folgte, hatten sich zurückgezogen und lebten in großer Angst. Die kleine Christenschar hatte sich an diesem jüdischen Erntefest, sieben Wochen nach Ostern, in einem Haus in Jerusalem versammelt. Dabei wurden, wie wir eben hörten, alle mit dem Heiligen Geist erfüllt. Und die Versammelten fingen an, in anderen Sprachen zu predigen. Sie hatten den Geist Gottes erfahren.

Alle, die sich zu Pfingsten versammelt haben, sind bewegt, sie erleben, was sie nicht fassen können. Die Sprache wird nicht zur Abgrenzung oder zu dialogischer Auseinandersetzung benutzt. Sprache drückt hier Zusammengehörigkeit aus. Jedem und jeder klingt die Sprache des anderen vertraut. Sogar ein Verstehen ohne Worte, wie es sich in der Liebe zwischen zwei Menschen ereignet, scheint im Pfingstgeschehen möglich.

Gottes Geist befreit zum Leben. Genau dies hat an Pfingsten seinen Anfang genommen. Menschen, die an Jesus Christus glaubten, haben Atem und neue Luft geschöpft, haben Mut gefunden, weiterzusagen, was sie bewegte.

Pfingsten ist nicht nur das alte jüdische Erntedankfest der ersten Früchte. Pfingsten ist mehr. Es ist das Fest des Heiligen Geistes. Das Fest, das neue Perspektiven eröffnet. Der Geist von Pfingsten schafft Verbindungen, baut Brücken. Wie in der biblischen Pfingsterzählung auf einmal die Sprachbarrieren überwunden werden, so wird es auch der Kraft dieses Geistes gelingen, neue Möglichkeiten zu entdecken. Der Heilige Geist lädt ein neue Wege auszuprobieren. Dieser Geist will uns stark machen für den Kampf gegen jede Hoffnungslosigkeit.

In unserem Sprachgebrauch hängen Geist und Denken zusammen. Geistvolles und Geistreiches begeistert mehr als leeres Gerede. So wird auch der Heilige Geist uns immer wieder dazu auffordern, sich unseres Verstandes zu bedienen. Auch und gerade wenn es um die Verbindung zu unseren Mitmenschen geht. Aus der Kraft dieses Geistes kann es uns gelingen, unermüdlich zu bleiben und Verantwortung zu übernehmen.

Geist und Denken gehören zusammen. Doch lassen sich gerade die Kirchen die den Geist betonen, vom Gefühl leiten. Gefühle sind wichtig und für Christinnen und Christen in ihrer Beziehung zu Gott unabdingbar notwendig. Doch wir Menschen verfügen über Gefühl und Verstand. Beides gehört zusammen.

Weltweit verbreiten sich Gruppen, die Wert auf spektakuläre Geistgaben legen. In Lateinamerika haben die Pfingstkirchen großen Zulauf, in Nordamerika betonen Fernsehprediger mit oft zweifelhaften Geschäftsgebaren die scheinbar neuentdeckten Charismen und auch hier in Frankfurt haben sich in den letzten Jahren Gemeinden gegründet, die einer neuen Erweckungsbewegung zuzurechnen sind.

Sicher ist das Reden in Zungen eine mögliche Gabe. Das Zungenreden, Glossolalie genannt, gehört allgemein zu den wichtigsten Erscheinungsformen religiöser Ekstase: in einem Zustand der Begeisterung werden zusammenhängende, keiner menschlichen Sprache verwandte Laute hervorgestoßen.

Das Zungenreden ist für Lukas Anzeichen höchster religiöser Zuwendung, es ist für ihn die Sprache der Engel im Menschenmund. Paulus dagegen beurteilt das ganz anders. Er tritt diesem Phänomen unverhohlen kritisch gegenüber. Er warnt vor der Überbetonung des Gefühls. Auch heute gilt diese Einschätzung noch. Es gibt in diesen pfingstlerisch-orientierten Gemeinden so etwas wie eine Sucht nach dem Außergewöhnlichen, nach dem Spektakulären. Das Unscheinbare, das Alltägliche muß in den Hintergrund treten. Dabei ist doch gerade die Botschaft von Pfingsten, daß der Heilige Geist Christinnen und Christen im Alltag begegnet. Diese Kraft wirkt vielfältig. Sie hebt Sprachlosigkeit und Sprachverwirrung auf. Ein Lächeln, ein freundliches Wort kann ein solcher Neuanfang sein. In diesem Geist spüren wir die Zuwendung, die uns andere entgegenbringen. In diesem Geist wächst die Kraft, andere zu trösten und zu stärken. Und das können auch Kinder verstehen und erfahren.

So gesehen, ist das Pfingstfest auch in der Kindertagesstättenarbeit ebenso präsent wie Weihnachten und Ostern. Es gehört zu uns wie eben jener Geist, den wir den Heiligen Geist nennen. Pfingsten ist ein Teil unserer Tradition. Die Erzieherinnen, von denen ich eingangs sprach, haben sich auf den Weg gemacht, ihn zu entdecken. Seien wir nur ebenso mutig und machen uns auf den Weg, diese geheimnisvolle Kraft wirken zu lassen.

Amen.

Gebet:

Herr, unser Gott.

Wir suchen dich in der Ferne,

doch du bist uns

durch deinen Geist ganz nah.

Durch ihn gibst du den Schwachen Kraft.

Durch ihn tröstet du die Traurigen

und ermutigst die Verzagenden.

Mach uns zu geistesgegenwärtigen Menschen,

die mit offenen Augen durch diese Welt gehen.

Dein Geist schafft Verständigung

und Vertrauen.

Wir bitten dich für alle Menschen,

die sich nicht mehr verstehen.

Schenke uns mehr Verständnis füreinander.

Dein Geist will uns zu freien Menschen machen.

Befreie uns von der Sorge um uns selbst

und schenke uns das Vertrauen,

daß du für uns sorgst. Amen.

Lied: 126, 1-3

Segen: Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne im Geist Jesu Christi. Amen.

Was bedeutet Solidarität

Pfarrerin Marion Eimuth

Andacht, 20. 1. 1997

Orgelvorspiel

Lied: EG 72, 1-6

Psalm 92, Nr. 737

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Dieses Jahr findet der Kirchentag in Leipzig statt. Er steht unter dem Motto: „Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben“.

Ich selbst bin bei der Vorbereitung im Markt der Möglichkeiten mit der Bundesvereinigung Kindertagesstätten. Wir haben gemerkt, daß das Thema eine Herausforderung für uns ist. Was ist gerecht oder ungerecht? Ist es gerecht, daß Menschen die einen Arbeitsplatz haben sich krank schuften oder andere krank werden, weil sie keinen Arbeitsplatz haben und sich überflüssig fühlen?

So ist in dem Vorbereitungsheft zum Kirchentag zu lesen, daß Leben nur gelingen und weitergehen kann, „wenn es gerecht zugeht in unseren Familien, in unserem Land, in Europa und in der Welt… Unsere kleine Gerechtigkeit ist der menschenmögliche Versuch, Gottes Gerechtigkeit zu entsprechen“. Leben behält seinen Sinn und Wert, wenn es sich auf die Gerechtigkeit Gottes verläßt.

Hierzu sind für jeden Tag Bibeltexte ausgesucht die dies unterstreichen sollen. Einen mögchte ich mit Ihnen heute morgen lesen: Es sind die Arbeiter im Weinberg im Matthäusevangelium, im 20. Kapitel, die Verse 1-16:

Text

Jesus erzählt eine Geschichte aus dem Leben. Ein alltäglicher Vorgang wird beschrieben, nämlich, daß ein Weinbergbesitzer auf dem Markt Tagelöhner mietet. Die Arbeitssuchenden warten dort auf Aufträge. Der Weinbergbesitzer geht selbst auf die Suche nach Arbeitern. Daraus läßt sich schließen, daß er keiner von den Großgrundbesitzern ist. Die lassen solche Arbeiten durch Verwaltungssklaven ausführen und von der Weinernte selbst merken sie nicht viel.

Auf dem Marktplatz warten genügend Tagelöhner. Selbst in der Erntezeit scheint Arbeitslosigkeit bei Landarbeitern die Regel zu sein.

Fünf Gruppen von Arbeitern werden zu unterschiedlichen Stunden gemietet.

Mit der ersten Gruppe wird ein Tagelohn vereinbart. „Sie stimmen dem Preis und der Arbeitszeit zu und werden dann an die Arbeit geschickt.

Mit den vier weiteren Gruppen wird jedoch so keine vollständige Vereinbarung getroffen. – Die Lohnhöhe bleibt offen: „was recht ist will ich euch geben“.

Die Position der Arbeitslosen ist offensichtlich so schwach, daß sie ohne klare Lohnvereinbarung an die Arbeit gehen und in Kauf nehmen, von dem Weinbergbesitzer auch unter ihren Erwartungen entlohnt zu werden. Bei der letzten Gruppe, die um die 11. Stunde gemietet werden, ist überhaupt nicht mehr von Lohn die Rede.

Der Arbeitstag dauert von Sonnenaufgang bis vor Sonnenuntergang. Es sind z.Zt. der Traubenernte im August/September etwa 12-13 Stunden. Die Arbeiter der 11. Stunde haben vermutlich nur noch eine gute Stunde gearbeitet.

Das Wesentliche in dieser Erzählung ist die Auseinandersetzung um den Lohn, die an den beiden extremen Gruppen demonstriert wird.

Die Lohnauszahlung ist am Abend. Sie dürfte bei Tagelöhnern die Regel gewesen sein, es sei denn, der Arbeitgeber versucht, die Tagelöhner um ihren Lohn zu betrügen.

Die Lohnhöhe für die letzte Gruppe ist absolut ungewöhnlich. Deshalb erwartet die erste Gruppe bei einem so güten Arbeitsherrn einen wesentlich höheren Lohn als den vereinbarten.

Eine Geschichte wird erzählt, die in allen Einzelheiten so hätte passieren könne, nur die Güte des Arbeitgebers ist ungewöhnlich. Die Auseinandersetzung darüber ist der Punkt, auf den das Gleichnis hinaus will.

Das Verhalten des Arbeitgebers bei der Löhnung steht in scharfem Kontrast zur Realität. Das Gegenteil hätte man erwartet. Normale Arbeitgeber nehmen gerade jede Gelegenheit wahr, den Lohn zu drücken.

Das Gleichnis will von der Güte Gottes reden und vom Verhalten von Menschen untereinander, das im Zusammenhang mit der Güte Gottes steht.

Die murrende Gruppe der ersten haben mehr als die letzten geleistet. Nicht ihr Wunsch nach Lohngerechtigkeit als solcher setzt sie ins Unrecht, sondern die Art, wie sie mit diesem Wunsch umgehen.

Sie machen ihren Wunsch nach Lohngerechtigkeit zur Waffe gegen andere. Sie sind neidisch.

Kritisiert werden hier nicht abstrakt Lohndenken oder Lohngerechtigkeitsforderungen, sondern unbarmherziges, unsolidarisches Verhalten.

Verhandelt wird in diesem Gleichnis nicht das Lohndenken, sondern die Benutzung des Gerechtigkeitsempfindens, als Waffe gegen andere Menschen.

Das Gleichnis hat kein negatives, sondern ein positives Ziel: Es will Solidarität lehren. Es wirbt um die Solidarität von Menschen, die die gemeinsame Gottesvorstellung vom barmherzigen Gott haben. Bei all den derzeitigen Verteilungskämpfen in unserem Land will uns dieses Gleichnis die Augen für diesen Maßstab öffnen. Was kann Solidarität mit vier Millionen Arbeitslosen heißen?

Was bedeutet Solidarität der jungen mit der älteren Generation angesichts leerer Rentenkassen?

Was heißt Solidarität mit der sogenannten 3. Welt angesichts der Globalisierungsdebatte?

Die Liste kann täglich erweitert werden. Antworten auf diese Fragen habe auch ich nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Aber es lohnt sich sicher bei mancher Narichtensendung innezuhalten und den Maßstab des Gleichnisses vom Weinberg anzulegen. Amen

Gebet:

Mein Gott, es fällt uns nicht leicht, heute wieder anzufangen. Es war schön, das Wochenende über frei zu haben. Dafür danken wir. Jetzt aber beginnt wieder der Alltag. Wir bitten dich, Gott, für unser gemeinsames Leben und Arbeiten: Gib uns Kraft und Ruhe. Hilf uns zu unterscheiden zwischen dem, was wichtig und dem, was unwichtig ist. Im Vertrauen auf dich wollen wir die Woche beginnen. Bleibe bei uns. Amen.

Lied: 171 1-4

Segen: Herr, wir bitten dich: Segne uns. Halte deine schützenden Hände über uns und gib uns deinen Frieden. Amen.

Gott klopft an unsere Türen

Sonntag, 2. Advent, Lk 1, 26-33 u.38

7.12.1996

Pfarrerin Marion Eimuth

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 8, 1-6

Zum heutigen Sonntag, den 2. Advent, begrüße ich sie ganz herzlich mit dem Wochenspruch aus dem Lukasevangelium, dem 21. Kapitel: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.

Pfarrerin: Psalm : 80, 2-7;15-20

Du Hirte Israels, höre, der du Josef hütest die Schafe! Erscheine, der du thronst über den Cherubim, vor Ephraim, Benjamin und Manasse! Erwecke deine Kraft und komm uns zu Hilfe!

Gott, tröste uns wieder und laß leuchten dein Antlitz, so genesen wir. Herr Zebaoth, wie lange willst du zürnen, während dein Volk zu dir betet? Du speisest sie mit Tränenbrot und tränkest sie mit einem großen Krug voll Tränen. Du läßest unsre Nachbarn sich um uns streiten, und unsre Feinde verspotten uns.

Gott Zebaoth, wende dich doch! Schaue vom Himmel und sieh darein, nimm dich dieses Weinstocks an! Schütze doch, was deine Rechte gepflanzt hat, den Sohn, den du dir großgezogen hast! Sie haben ihn mit Feuer verbrannt wie Kehricht; vor dem Drohen deines Angesichts sollen sie umkommen. Deine Hand schütze den Mann deiner Rechten, den Sohn, den du dir großgezogen hast. So wollen wir nicht von dir weichen. Laß uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen. Herr, Gott Zebaoth, tröste uns wieder; laß leuchten dein Antlitz, so genesen wir.

Kommt , laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Guter Gott,

wir haben das Warten auf dich und dein Reich verlernt. Alles wollen wir uns selbst verschaffen, und zwar sofort.

Erwartung und Vorfreude haben keinen Platz bei uns.

Wir bitten dich:

Schenke uns Geduld,

damit wir beharrlich warten auf deinen Tag.

Guter Gott,

wir haben die Hoffnung verlernt.

Alles meinen wir tun zu müssen und tun doch nichts.

Der Angst, der Verunsicherung haben wir viel zuviel Platz eingeräumt.

Wir bitten dich:

Schenke uns Mut und Ausdauer,

damit wir tun, was deiner Welt dient.

Guter Gott,

wir haben die Liebe verlernt.

Alles haben wir an uns gerissen und dabei nichts und niemanden geschont. Uns selber und deine Welt richten wir zugrunde.

Wir bitten dich:

Schenke uns Demut,

damit wir lassen, was deiner Welt schadet.

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Gott läßt uns nicht allein:

Sein Sohn wurde Mensch und lebte unter uns.

Sein Reich ist uns nah

als Hoffnung für uns und für die Welt.

Darum loben und preisen wir Gott.

„Ehre sei Gott in der Höhe:“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Guter Gott,

wir kommen zu dir in einer Zeit, die schon geprägt ist von dem bevorstehenden Fest,

dem Fest der Geburt deines Sohnes.

Laß uns hier Abstand gewinnen,

mach uns offen

für die Erwartung deiner Zukunft,

für die Hoffnung auf dein Reich.

Darum bitten wir dich

im Namen deines Sohnes Jesus Christus,

der mit dir und dem Heiligen Geist uns und diese Welt zum Ziel führt.

Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

Jes 63, 15-19; 64, 1-3

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; „Unser Erlöser“, das ist von alters her dein Name. Warum läßt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.

Wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, daß dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, daß die Berge vor dir erflössen! – und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 6, 1-5

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Jak 5, 7-8

So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied , 13, 1-3

Pfarrerin: Predigt:

Text, Lk 1, 26-33 u. 38

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wir kein Ende haben.

Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Ein Engel verkündet Maria das unglaubliche, das Unfaßbare. Sie soll Jesus gebären. Doch Maria nimmt diese Ankündigung des Engels hin. Sie wehrt sich nicht. Maria will als Magd des Herrn es so geschehen lassen, wie der Engel es ankündigt.

Vor einiger Zeit habe ich mit zwanzig Erzieherinnen evangelischer und katholischer Konfesseion, die in kirchlichen Kindergärten tätig sind, diesen Text für die Adventszeit erarbeitet. Mit sehr viel Engagement und großem Interesse haben die Erzieherinnen sich an diesen Text gewagt. Haben ihre Fragen gestellt und haben die wesentlichen Punkte dieser Textstelle für Kinder zusammengetragen. Deutlich wurde, daß gerade dieser Text wichtig für die Vorbereitungszeit ist. Wichtig auch für Kinder, daß sie sich in der Adventszeit nocheinmal vergewissern, was dieser Jesus von Nazaret für uns ist, auch nach fast 2000 Jahren.

Der jüdische Gelehrte Shalom Ben-Chorin hat für diese Szene, die gerade in der Kunst oft umgesetzt worden ist, im Blick auf das Marienbild festgestellt, daß sie von einem siebenfachen Schleier umhüllt sei. Der Text sei gewebt von Tradition, Dogma, Liturgie, Legende, Kunst, Dichtung und Musik.

Vielleicht gelingt es, den einen oder anderen Schleier zu lüften und ein wenig innezuhalten und uns von der Botschaft dieser Geschichte anrühren zu lassen.

Kaum eine Geschichte ist von den Künstlern, den Malern und Bildhauern in zweitausend Jahren so zart und liebevoll gemalt worden wie die von dem scheuen Menschenkind, das sich von einem Augenblick zum anderen zum Träger eines so einzigartigen Schicksals ausersehen wußte.

Immer kommt der Engel mit großen Flügeln, Botschafter einer anderen Welt, aufrecht, mit erhobener Hand, in Vollmacht verkündend – oder vor Maria kniend, ihr, der künftigen Gottesmutter, seine Ehrerbietung erzeigend…

Und Maria empfängt ihn in Demutshaltung oder aufrecht stehend, oft in Schriftstudium oder Gebet vertieft, manchmal ist in ihrer Nähe eine weiße Lilie, Symbol ihrer Reinheit, der Geist Gottes im Bild der Taube über ihrem Haupt.

Ich denke, die Maler zeigen in ihren Bildern nicht die äußere Szene, so wie sie sich tatsächlich ereignet hat, sondern das innere Ereignis.

In dieser Geschichte steht Maria im Mittelpunkt. Im sechsten Monat der Schwangerschaft der alten Elisabeth besucht der Engel die junge Frau in Nazaret. Die Sohneszusage von Elisabeth und Zacharias ist also eng verknüpft mit der Sohneszusage an Maria. Bei näherer Betrachtung fällt Marias Selbständigkeit auf. Der Bote, der zu ihr kommt, hat einen Namen, er wird uns vorgestellt als der Engel Gabriel. Wie er ausgesehen hat, welche Gestalt er hat, davon erfahren wir aus dem Text nichts. Gabriel war angesehen als ein Ankünder der letzten Zeit vor dem Ende der Welt. Gabriel bedeutet soviel wie „Gottes Starker“, „der vor Gottes Sicht gestellt ist“, also der Thronengel. Dieser nun kündigt der Maria die Geburt eines Sohnes an.

Aus dem Text erfahren wir, daß Maria erschrocken ist, aber nicht erschrocken, daß ein Bote Gottes sie besucht, sondern erschrocken ist sie über den Gruß. „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr sei mir dir“. Dies ist eine Wortspielerei zwischen Alltagsgruß und außerordentlichen Anrede. Der Schluß des Grußes kommt im AT nämlich nur zweimal vor und deutet schon hier bei der Geburtsankündigung auf eine Berufungsgeschichte hin.

Der Engel ist nicht beunruhigend durch seine Erscheinung oder aufgrund seines Aussehens, sondern durch seine Worte.

Sie, Maria, soll sich nicht fürchten, denn sie ist auserwählt, einem besonderen Menschen das Leben zu schenken.

Mit dieser Verheißung bekommt sie gleichzeitig die Aufforderung, ihrem Sohn den Namen Jesus zu geben. Die Namensgebung war zu der Zeit das ureigenste Recht des Vaters und gleichzeitig Ausdruck seines Herrseins.

Nun bekommt Maria die Aufforderung der Namensgebung. Der Name ist von Gott festgelegt. Namen die von Gott her gegeben werden, gelten als vom Heiligen Geist gewirkt. Sie bestimmen Leben und Werk dieser Menschen. So soll es nun bei Jesus ein.

Wichtig an der Botschaft des Engels ist nicht die „wunderbare Geburt“, sondern die Zielsetzung. Sie, Maria, wird einen Sohn bekommen, der „Sohn des Höchsten“ genannt wird. Sein Mane Jesus heißt „Gott hilft“, „Retter“. Und er wird den Thron Davids bekommen. Das soll heißen, er wird gerecht regieren und zwar so, daß es keine Benachteiligung mehr geben wird, daß es wieder Hoffnung geben wird, daß Frieden einkehren wird und die Menschen es gut haben werden.

Dieser wird anders regieren als alle Gewaltherrscher. Erwartet wird von ihm, daß die Zeit des Friedens endlich einkehren wird, daß es keine Kriegswerkzeuge mehr geben wird, daß ohne Macht und Gewalt eine weltverändernde Friedensherrschaft anbrechen wird. Und diese Hoffnung auf einen solchen Messias, gibt es bereits im Jesajabuch.

Wir erfahren außerdem, daß sein Königreich ohne Ende sein wird. Sein Leben gehört Gott.

Hier werden Erwartungen geweckt, die jede menschliche Vorstellungen weit übersteigen. Die Befreiung aus den Ängsten des Lebens, die Befreiung der Unterdrückten und Benachteiligten.

Diese junge Frau wird vom Engel Gottes angesprochen, sie entzieht sich nicht, sondern öffnet sich den Worten. Sie zeigt sich damit zur Gottesfamilie zugehörig.

Wer kann schon ermessen, was da geschieht: Heiliger Geist von gott über eines Frau, und sie überläßt sich ihm. Zu einer nie geahnten Höhe und Würde emporgehoben, von Gott selbst angeredet, zu einem Dasein zwischen Erde und Himmel ausersehen!

Wer unter uns erwartet noch, daß ihn dies widerfahren könnte: ein Anruf von Gott selbst, der wie ein Sturm über ihn kommt und dem er sich überläßt, wohin er ihn auch immer tragen sollte?

Maria hat keine Einwände gegen ihre Berufung. Sie sagt „Ja“ zu der Rede des Engels. Sie bezeichnet sich als Magd des Herrn und drückt damit Gehorsam und Demut gegenüber Gott aus. Selbstsicher nimmt sie an, wofür sie bestimmt wurde. Im NT ist dieser Ausdruck „Magd des Herrn“ einmalig. Als Frau redet so im AT auch Hanna, die Mutter Samuels, oder Mose, David, die Propheten, wenn sie sich als „Knecht Gottes“ bezeichnen.

Mit Magd und Knecht ist hier das Gegenüber vor Gott gemeint, es weist auf den Zuspruch Gottes hin „Ich bin der Herr, dein Gott“.

Der Gehorsam gegen Gottes Willen zerstört nicht Selbstbewußtsein, sondern richtet es auf.

Mit diesem Selbstbewußtsein kann Maria einige Verse weiter ihr Loblied singen. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen“.

Sicher haben wir Menschen, im 20. Jahrhundert es schwer, uns eine Engelsbegegnung vorzustellen. Vielleicht erkennen wir erst im nachhinein, daß wir Menschen getroffen haben, die uns zu unserer Rolle in der Geschichte Gottes verhalten. Engel, die uns davon überzeugt haben, daß wir überhaupt eine Rolle spielen. Daß wir gemeint sind, nicht gering, sondern wertvoll, begnadet in je besonderer Weise, angeblickt vom Angesicht Gottes. Wir müssen dannnicht wie Maria gebären, aber doch mit ihr singen, die Worte ihres Lobliedes, das Magnificat.

Und wir werden lernen müssen, ja zu sagen. Einverstanden zu sein, so wie Maria: „Mir geschehe, wie du gesagt hat.“

Gott klopft an vor einer und eines jeden Tür und auf tausendfache Weise. Die Geschichte von damals wiederholt sich überall dort, wo Menschen offene Ohren und ein offenes Herz haben für den Gott, der den Menschen sucht. Daß wir Stille werden, um uns auf Gott zu besinnen, das ist der Sinn der Adventszeit. Heute fällt uns dies schwer. Aus der Zeit der Besinnung und Vorfreude wurde Weihnachtstrubel, Weihnachtsmarkt, Weihnachtsgeschäft. Doch trotz alledem sind die Menschen gerade in dieser Adventszeit doch etwas offener, sensibler. Und tatsächlich klopft Gott auch heute noch an unsere Türen. Doch es wird nicht immer bemerkt. Heute nicht und auch nicht vor 2000 Jahren. Doch wünsche ich uns allen offene Ohren und so ein offenes Herz wie es in der Bibel oft bezeugt wird.

Amen.

Gemeinde: Lied 4, 1-5

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 16, 1-5 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Guter Gott, wir bitten dich für die, deren Welt ins Wanken geraten ist durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit, durch den Tod oder den Weggang eines geliebten Menschen: Laß sie spüren, daß sie nicht allein sind. Gib ihnen neue Kraft, ihr Leben zu leben. Sende un, damit wir ihnen Begleiterinnen und Begleiter sind.

Guter Gott, wir bitten dich für die, die besonders darunter leiden, daß diese Welt aus den Fugen ist, für die Opfer von Katastrophen und Kriegen, von menschlicher Bosheit und menschlichem Leichtsinn: Laß sie erfahren, daß ihnen Hilfe zuteil wird. Gib ihnen Mut, für ihr Recht zu kämpfen. Send uns, damit wir ihre Anwältinnen und Anwälte sind.

Guter Gott, wir bitten dich für die, die in dieser Welt Zeichen der Hoffnung setzen durch gelebten und bezeugten Glauben, durch das Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung deiner Schöpfung: Laß sie merken, daß ihre Arbeit Früchte trägt. Gib ihnen Ausdauer, wenn die Mühe vergeblich scheint. Sende uns, damit wir ihre Verbündeten sind.

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel