Tag Archiv für Peterskirche

„Auch Pfarrer auf Seiten der Unruhestifter“

Evangelisches Frankfurt März 2008

„Auch Pfarrer auf Seiten der Unruhestifter“

Sie waren aufregend, lebendig, inspirierend: Vor vierzig Jahren sorgten die ‘68er auch in Frankfurter Kirchengemeinden für neue Aufbrüche.

Während die evangelische Jugend zu einem Seminar über die „Annalen des Kolonialismus in Lateinamerika“ einlud, polemisierte Pfarrer Erich Schmidt im Rundbrief der Petersgemeinde gegen die jungen Rebellen: „Es ist beschämend, dass sich auch evangelische Pfarrer und Laien auf die Seite dieser Unruhestifter stellen.“ Die ‘68e–Bewegung vor vierzig Jahren ließ auch die Frankfurter Kirchengemeinden nicht unberührt.

Protest im Karfreitagsgottesdienst 1968: Jochen Krahl vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund besetzt die Kanzel der Frankfurter Peterskirche, um gegen den Mordanschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke zu protestieren. Auf den Plakattexten wird dem Springer-Konzern eine Mitschuld zugesprochen.
Foto: kna

Themen wie Vietnamkrieg, Imperialismus, Dritte Welt oder auch freie Sexualität schwappten, ebenso wie Formen des Protests, aus der Universität herüber. So kam es am dritten Advent 1968 zum Eklat bei, einem so genannten „Go-In“ in der Epi-phaniaskirche im Nordend. Pfarrer Ernst Schäfer versuchte zunächst, den Protest mit Hilfe der Orgel übertönen zu lassen, um dann den Gottesdienst abzubrechen und die ungebetenen Gäste zur Diskussion ins Gemeindehaus zu bitten.

Die Störer hatten sich zuvor in einem neu gegründeten „Politischen Arbeitskreis“ des Stadtjugendpfarramtes zusammengefunden. Später kam es – typisch für diese Zeit – zu einer Spaltung der Gruppe, da man die Aktionsformen unterschiedlich bewertete. Der Arbeitskreis hatte sich zur Aufgabe gesetzt, „das politische Bewusstsein in der evangelischen Jugend und in den Gemeinden durch seine Arbeit zu fördern“, so eine Selbstdarstellung. Doch die meisten Gemeinden lehnten solche Protestformen ab. „Der Arbeitskreis wurde immer radikaler“, erinnert sich Klaus Würmell, der damals Bildungsreferent im Stadtjugendpfarramt war. „Solche Aktionen brachten mich und den Stadtjugendpfarrer Dieter Trautwein durchaus innerkirchlich in Schwierigkeiten.“ Die Folge: Das Stadtjugendpfarramt zog sich aus der Verantwortung für den Arbeitskreis zurück.

Für die Kirche als Institution hatte der Aufbruch der Studenten in der Tat beängstigende Auswirkungen. Die jährliche Austrittsquote schnellte von 0,2 auf 0,8 Prozent der Kirchenmitglieder hoch, gleichzeitig sank der Besuch der Gottesdienste von 15 auf 8 Prozent. Die Kirche war eben ein Teil der „alten Zöpfe“, die es abzuschneiden galt.

Einladung mit Che Guevara: Flyer des „Politischen Arbeitskreises“ im Stadtjugendpfarramt 1968.

Einladung mit Che Guevara: Flyer des „Politischen Arbeitskreises“ im Stadtjugendpfarramt 1968.

Und im Rückblick muss man sagen: durchaus zu Recht. Denn noch 1959 konnte sich der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Otto Dibelius, eine Obrigkeit nur in patriarchalischen Formen denken. Eine demokratisch gewählte Regierung besaß für ihn, da sie prinzipiell abwählbar war, „keine wirkliche Autorität“. Der heutige Ratvorsitzende Wolfgang Huber stellt deshalb fest: „Es war ein weiter Weg bis zur uneingeschränkten Anerkennung der demokratischen Staatsform durch die evangelische Kirche.“ Voll und ganz zur Demokratie bekenne sich die evangelische Kirche in ihrer Gesamtheit erst seit Mitte der achtziger Jahre.

Dass die Kirche 1968 nicht mehr so gefragt war, erlebte auch Hermann Düringer als Theologiestudent. „Plötzlich sprangen Kommilitonen ab und studierten Soziologie.“ Für den heutigen Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain im Taunus waren jene Jahre eine „lebendige, aufgeregte und inspirierende Zeit.“ Zum Lebensgefühl dieser Tage gehörte auch „der Stolz, wenn man vom Wasserwerfer nass gespritzt worden war “.

Kristallisationspunkt der Proteste in Frankfurt war der Umgang mit „Fürsorgezöglingen“, wie Jugendliche, die in Heimen lebten, damals genannt wurden. Einige Dutzend waren aus dem Heim „Staffelberg“ in Biedenkopf ausgebrochen und lebten nun in Frankfurt. Die spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin hatte zum „Aufstand der Betroffenen“ aufgerufen. Tatsächlich besaß die Heimunterbringung jener Tage eher Gefängnischarakter.

Aufgeschreckt durch die Proteste suchte man aber auch in den Institutionen nach Alternativen. In Frankfurt zum Beispiel gründete schließlich der Evangelische Volksdienst gemeinsam mit dem Stadtjugendpfarramt und auf Bitten der Stadt in der Altkönigstraße ein „Lehrlingskollektiv“.

Im Umfeld dieses Kollektivs kam es auch zu Begegnungen mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Nach ihrer politisch motivierten Brandstiftung im Kaufhaus Schneider auf der Zeil im April 1968 waren sie zu drei Jahren Haft verurteilt worden, kamen aber durch einen Revisionsantrag zunächst wieder frei und beteiligten sich an der „Heimkampagne“ der außerparlamentarischen Opposition. „Sie wollten das politische Bewusstsein der Lehrlinge entwickeln“, erinnert sich Würmell. Er weiß noch gut, wie er sich damals in den Räumen des Stadtjugendpfarramtes mit Baader ein lautstarkes Rededuell lieferte, während die Pfarrerstochter Ensslin zu vermitteln suchte.

Die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der ‘68er bewirkten auch in der evangelischen Jugend neue Aufbrüche. Im Jahr 1970 beteiligten sich 1500 junge Leute an einem „Hungermarsch“ und thematisierten die eigene Mitschuld an Verarmung und Krieg. Es entstanden Jugendgottesdienste, Politische Nachtgebete und Auseinandersetzungen mit einer überkommenen Sexualmoral.

Dass Reform eine dauernde Aufgabe ist, gilt als Grundeinsicht evangelischer, reformatorischer Kirchen. Das Lebensgefühl einer ganzen Generation nach 1968 wurde von Willy Brandt in dem Motto zusammengefasst: „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.“

Für Bischof Wolfgang Huber ist dies die Schnittmenge zwischen der ‘68er-Bewegung und dem Protestantismus: „Die leitende Grundüberzeugung heißt: Gesellschaft und Kirche müssen immer wieder zu neuen Aufbrüchen bereit sein.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Kurzer Sommer – lange Wirkung: Die Kirche und die 68er

Unter dem Motto „Kurzer Sommer – lange Wirkung“ startet im Mai eine Sonderausstellung im Historischen Museum, die sich mit verschiedenen Aspekten der Studentenunruhen beschäftigt. Dazu gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm, an dem auch die Evangelische Stadtakademie, Am Römerberg 9, beteiligt ist. Unter dem Motto „Protest und Protestantismus“ berichtet dort am Montag, 26. Mai, um 19.30 Uhr der damalige Theologiestudent und heutige Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain, Hermann Düringer, von seinen Erlebnissen. Kommentiert wird sein Vortrag von der Kabarettistin Hilde Wackerhagen, die 1968 im Frankfurter Weiberrat dabei war. Mehr zur Ausstellung im Historischen Museum unter www.die-68er.de.

Geschichte der Peterskirche

Außen alt, innen neu: Die Peterskirche in der City, ganz in der Nähe der Konstablerwache. Zum Eingang kommt man von der Stephanstraße aus. | Foto: Antje Schrupp

Außen alt, innen neu: Die Peterskirche in der City, ganz in der Nähe der Konstablerwache. Zum Eingang kommt man von der Stephanstraße aus.
Foto: Antje Schrupp

Der Bau der ersten Peterskapelle an der Schäfergasse wird auf das Jahr 1331 datiert. Stifter war wohl ein Peter Apotheker, der die Kirche nach seinem Namenspatron Petrus benannte. Die Kapelle wurde damals vor den Toren der Stadt gebaut, damit die auf dem Feld Arbeiteten einen kurzen Weg zu ihr hatten.

Die erste Kirche wurde nach dem Zerfall der Kapelle im Jahr 1417 an gleicher Stelle errichtet, etwa auf der Höhe des Schulhofes der Liebfrauenschule. Sie war dem Erzbischof von Mainz zugeordnet. 1531 erreichte die Reformation die Petersgemeinde, und die Kirche wurde evangelisch. 480 Jahre diente sie der christlichen Gemeinde, bis das Gebäude zunehmend zerfiel. Von Fäulnis, Gestank, Schmutz und Brüchigkeit war die Rede. Die Peterskirche wurde abgerissen und an anderer Stelle, auf dem Peterskirchhof, also dem heutigen Standort, 1895 neu gebaut. Sie war groß und prächtig und mit über 1000 Sitzplätzen das größte evangelische Gotteshaus in Frankfurt. Am 20. März 1944 brannte es in den Bombennächten aus.

Nach dem Krieg wurde die Peterskirche wieder aufgebaut und 1965 der Gemeinde übergeben. Sie stand auf den noch vorhandenen Grundmauern, war jedoch architektonisch radikal verändert worden: Die Achse des Innenraums war um 90 Grad gedreht, damit die Bänke im Halbkreis angeordnet werden konnten. Denn die neue Peterskirche sollte eine Predigtkirche sein.

Mit dem jetzigen Umbau zur Jugendkulturkirche erfolgte wieder eine radikale Änderung, die Petersgemeinde nutzt nun die beiden anderen Kirchen im Nordend. Eine neue Idee ist das übrigens nicht: Bereits um 1890 diskutierte man, ob die Peterskirche nicht besser in den neu entstehenden Stadtteil an die Eckenheimer Landstraße zu bauen wäre.

Kurt-Helmuth Eimuth