Archiv für 18. Mai 2014

Systematischer Kindesmissbrauch in Sekten

von truk – 18. Mai 2014

Erst nach zwei oder drei Jahrzehnten können Ehemalige über das Ausmaß des Kindesmissbrauchs in Sekten sprechen.

Kurt-Helmuth Eimuth fordert Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen auf, sich dem Problem der Sekten zu stellen. Foto: Rolf Oeser

Das Beispiel der Aktionsanalytischen Organisation (AAO) zeigt, dass die Gesellschaft auch bei Psychogruppen und Sekten ihren Schutzauftrag gegenüber den Kindern nachkommen muss. Soziale Berufe sollten sich mit Mechanismen und Techniken von Psychogruppen und Sekten beschäftigen, „damit sie Anzeichen von Kindeswohlgefährdung erkennen können“.

Dies forderte der Sektenexperte Kurt-Helmuth Eimuth vor Mitgliedern der Sekteninformation und Selbesthilfe Hessen (Sinus) am Samstag, 17. Mai, in Frankfurt. Die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit ende dort, wo dass Recht des Kindes auf körperliche und psychische Unversehrtheit verletzt werde. Eimuth hatte den systematischen Kindesmissbrauch in der AAO des ehemaligen Aktionskünstlers Otto Mühl in aufgezeigt.

In den letzten Jahren seien mehrere Biografien und Dokumentationen von Mitgliedern der zweiten Generation entstanden, also Kindern, die in Sekten wie die Kinder Gottes oder der Bhagwan-Bewegung aufgewachsen sind. Alle zeigten auf eindrucksvolle Art und Weise den systematischen Kindesmissbrauch in den jeweiligen Orgainsationen. Erst jetzt nach zwanzig oder dreißig Jahren könnten die Betroffenen darüber reden.

Doch anders als in Kirche oder der Odenwaldschule sei in der AAO der Kindesmissbrauch Teil der Ideologie gewesen. „Es war nicht die Verfehlung eines Einzelnen, die womöglich unter den Teppich gekehrt wurde, sondern es gehörte zum allseits akzeptieren Gruppenleben“, so Eimuth. Es war in den Augen der Mitglieder, auch der Eltern, die Erfüllung vom Meister „in die Sexualität eingeführt“ zu werden. Und wenn sich junge Mädchen mit 14 Jahren ihrer Vergewaltigung widersetzten, als sie dem Meister zugeführt werden sollten, so setzten die Gruppenmitglieder dieses Mädchen unter massiven Druck. Die AAO war für Eimuth „eine kriminelle Vereinigung, die systematischen Kindesmissbrauch betrieb“. Aber auch die anderen Formen der sogenannten Erziehung seien bei den Betroffenen nicht spurlos vorbeigegangen. Der ständige Kunkurrenzkampf um ein gutes Ranking, die ständige Verunsicherung, die vermisste soziale Geborgenheit, die fehlende Sicherheit habe die Kinderseelen verletzt.

Wie der Vorsitzende von Sinus, Conny von Schumann, der Versammlung berichtete, würden aus Deutschland heraus Sekten auch in andere europäische Länder expandieren. Dies gelte nach den Beobachtungen der europäischen Anti-Sekteninitiativen vor allem für das Universelle Leben um die selbsternannte Würzburger Prophetin Gabriele Wittek.

Beitrag von truk, veröffentlicht am 18. Mai 2014 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe Web.

Hare-Krishna auf der Zeil

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 4. Mai 2014

Es gibt sie noch, die Krishna-Bewegung. In den 70er und 80er Jahren waren sie häufig missionierend in den Fußgängerzonen anzutreffen. Heute ist dies eine Seltenheit. Aber zur Begeisterung des überraschten Publikums intonierten die in indische Dhotis und Saris gekleideten und zum Teil kahlgeschorenen Jünger und Jüngerinnen auf der Zeil unter Trommelbegleitung das „Hare-Krishna“-Mantra.

Zum Vergnügen der Passanten singen die Anhänger der Krishna-Bewegung ihr Mantra auf der Zeil: „Hare Krishna Hare Krishna Krishn Krishna Hare Hare“. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Das „Chanten“ und Tanzen (sankirtan) gehören zu den zentralen Aktivitäten der Hare-Krishna-Anhänger und sind ein typisches Erkennungszeichen der „Harinams“, der missionarischen Auftritte.

Die Bewegung zeigt sich heute kulturell angepasster. Nach dem Tod ihres Meitsers Prabhupada 1977 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung. In der Folge gab es eine gewisse Öffnung. Inzwischen hat sich die Gemeinschaft auf dem religiösen Markt etabliert.

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen urteilt: „Die fundamentalistische Auslegung altindischer Schriften, die untergeordnete Rolle der Frau, die Vorstellung eines „spirituellen Kastensystems“, das in einer idealen Gesellschaftsordnung Verwirklichung finden sollte, die teilweise aggressive Werbung und die Entschlossenheit, mit der im engeren Kreis der Devotees das Dienen – auch dem Guru gegenüber – zum Heilsprinzip erklärt wird, bleiben indes Elemente der unorthodoxen Bewegung.“

Der Vorwurf der indischen Exotik, die unvermittelt in die westliche Kultur hineingetragen würde, ist immer wieder erhoben worden; oft waren familiäre Beziehungen durch die Mitgliedschaft einer Zerreißprobe ausgesetzt. So als Element der Straßenmusik hat es sicher den Passanten Spaß gemacht. Als ein Japaner einen Jünger nach dem Musikstil fragte, antwortete dieser: „Es ist indische Musik.“ Wohl wahr, aber doch auch etwas mehr.

Alltägliches vom lieben Gott

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 1. Mai 2014

In seinem Buch „Der liebe Gott kommt nicht voran“ spürt Wolfgang Weinrich der menschlichen Seite des christlichen Gottesbildes nach und versucht unaufgeregt, Orientierung in einer komplizierten Welt zu geben.

Zur Präsentation seines Buches hatte Wolfgang Weinrich zahlreiche Kolleginnen und Kollegen eingeladen. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Wie wird es wohl sein, wenn der liebe Gott in die Börse geht? Muss er sich auch der Sicherheitskontrolle am Eingang unterziehen? Was hält der liebe Gott von dem geschäftlichen Treiben, steigenden und fallenden Aktien, von dem Treiben, das die Welt bewegt?

Wissen tut es Wolfgang Weinrich auch nicht, aber er kann es sich vorstellen. „An einem Tag wie diesem, denkt der liebe Gott, wird sich jemand das Leben nehmen, weil die Kurve dort an der Wand nicht nach oben geht.“

In seinem Buch „Der liebe Gott kommt nicht voran“ lässt der Theologe seinen literarischen Gott fragen: „Ist das die neue Welt, von der alle reden?“ und kritisch denkt dieser Gott über die Frage der Gerechtigkeit eines solchen Marktes, der zudem elektronisch gesteuert wird, nach“.

Wolfgang Weinrich, Kommunikationsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, getraut sich was mit seinem lieben Gott. Gut, dass Gott Akkordeon spielt, wusste schon Hanns Dieter Hüsch. Aber dass er auch Herzschmerzen haben kann und Zigarren liebt, ist doch überraschend. „’Eine brennende Zigarre‘, sagt der liebe Gott, ‚ist nur vergleichbar mit einem Ausbruch des Vesuvs: mit Dampf, Rauch und Hitze verbunden.’“ Weinrichs Gott liebt eben dieses Element, das in kalter Zeit Wärme spende: das Feuer.

Der liebe Gott kommt nicht voran

Mit solch kleinen, menschlichen Begebenheiten, spürt Weinrich nicht nur der menschlichen Seite des christlichen Gottesbildes nach, sondern er versucht unaufgeregt Orientierung in einer komplizierten Welt zu geben. Ganz ohne missionarischen Eifer, aber doch hintersinnig.

Der akademischen Theologie mag dies an vielen Stellen viel zu platt sein, was hier ein Oberkirchenrat in eine literarische Form gießt. Aber leidet nicht gerade die evangelische Kirche an einer ungeheuren spirituellen Sprachlosigkeit? Weinrich überwindet diese. Wer sich auf diese Form einlassen kann, wird das Buch immer wieder mit Vergnügen zur Hand nehmen.

Mit den Vorbehalten der akademischen Thelogie wird Weinrich leben können. Die Projekte des 59-Jährigen sind anfänglich nie auf ungeteilte Unterstützung in seiner Kirche gestoßen: Sei es die Einführung des Facettenkreuzes als Logo, sei es die Kampagne „Evangelisch aus gutem Grund“ oder die Präsenz auf Hessentagen und Landesgartenschauen.

Wie schreibt der Autor im Nachklapp: „Das Leben ist zu schwer, als dass es nicht auch leichter zugehen könnte. Und zu kurz, um schlechten Wein zu trinken. Das könnte auch der liebe Gott gesagt haben.“

Wolfgang H. Weinrich: Der liebe Gott kommt nicht voran – Geschichten aus dem Alltag des Allmächtigen, Kreuz-Verlag, Freiburg 2014, 12 Euro.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 1. Mai 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe 2014/4 – Juli, Web.