Archiv für 23. Februar 2013

Ein Risiko für die psychische Gesundheit der Kinder

Von – 23. Februar 2013

Gegen das im Entwurf vorgelegte Hessische Kinderförderungsgesetz (HessKifög) laufen die Träger von Krippen, Kindertagesstätten und Horten Sturm. Zu Recht.

Das neue Gesetz soll zum Januar 2014 in Kraft treten. Am 7. März ist eine Anhörung im Sozialausschuss des Landtags geplant, im April soll das Gesetz beschlossen werden. Derzeit werden in den Kindertagesstätten Unterschriften gesammelt und Demonstrationen dagegen vorbereitet.

Das Gesetz vereint Rechtsvorschriften und Verordnungen und gibt vor – so Sozialminister Stefan Grüttner – die Qualität in den Einrichtungen zu verbessern. Die Wohlfahrtsverbände, auch die Kirchen, weisen demgegenüber darauf hin, dass die Versäumnisse der letzten Jahre auf Kosten der Qualität gelöst werden sollen. Um den im Jahr 2008 beschlossenen Rechtsanspruch für Kinder unter 3 Jahren am 1. August 2013 umsetzen zu können, werden die Standards für Personal und Öffnungszeiten heruntergeschraubt.

Zwanzig Prozent Personal mit “fachfremder” Ausbildung

So sieht das KiFöG vor, dass Personen mit fachfremder Ausbildung in den Gruppen arbeiten. Dies widerspricht allen Empfehlungen wissenschaftlicher Studien, die besagen, dass unterhalb des Fachschulniveaus keine Kräfte eingestellt werden sollten. Das KiFög möchte hingegen bis zu zwanzig Prozent „fachfremder“ Personen zulassen.

Und dieses weniger für die Aufgabe von Erziehung und Bildung vorbereitete Personal soll dann auch noch eine zu große Zahl von Kindern betreuen. In allen Altersstufen unterläuft Hessen schon jetzt das gebotene Verhältnis von Fachkräften und Kindern. Bildung braucht  Bindung. Erst wenn sich ein Kind sicher und geborgen fühlt, kann es sich für die ihm eigenen Bildungsprozesse öffnen.

Jüngere Kinder brauchen individuelle Zuwendung

Je jünger die Kinder sind, desto mehr individuelle Zuwendung benötigen sie. Scharf verurteilt deshalb auch Norbert Neuß, Pädagogik-Professor an der Universität Gießen, dass künftig bis zu 16 Kinder im „U3-Bereich“ (also in Krippen) in einer Gruppe aufgenommen werden können sollen: „Das widerspricht nicht nur den wissenschaftlichen Mindeststandards, sondern auch allen Forschungsergebnissen aus der Bindungsforschung! Unter den durch das HessKifög geplanten Umständen wird eine Krippenbetreuung zu einem nicht einschätzbaren Risiko für die psychische Gesundheit der jungen Kinder.“

Auch die Finanzierung von Öffnungszeiten wird bei 42 Stunden pro Woche gekappt. Das bedeutet aber für viele Eltern das Ende einer möglichen Vollerwerbstätigkeit. Das Gesetz unterläuft damit die Bestrebungen der Wirtschaft, Fachkräfte zu halten und zu gewinnen.  Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hat einen unmittelbaren Zusammenhang von Kinderbetreuungsangeboten und Fachkräftegewinnung festgestellt. Das nun vorgelegte Gesetz widerspricht also nicht nur pädagogischen, sondern auch wirtschaftlichen Notwendigkeiten.

Nicht nur Quantität zählt, sondern auch Qualität

Frankfurt, die Familienstadt, hat dies längst erkannt und sich beim Ausbau der Krippenplätze an die Spitze derer gesetzt, die nicht nur Quantität sondern auch Qualität wollen. Mit städtischen Mitteln finanziert sie seit langem weit mehr als das, was das Land Hessen als Minimum fordert. „Ausgehend von der Finanzierungsvereinbarung zwischen der Stadt und den freien Trägern gibt es derzeit in Frankfurt standardisierte Öffnungszeiten, eine Regelung zu angemessenen Gruppengrößen in den verschiedenen Altersgruppen und der Personalbemessung. Dies gilt es zu halten und auszubauen“, betont der Fachausschuss Kinderbetreuung der Stadt Frankfurt. Daran könnte sich das Land ein Beispiel nehmen. Oder sollte wirklich angesichts der Milliarden, die für Banken und Rettungsschirme ausgegeben werden, kein Geld für die Kinder da sein?

Empörung allein bringt nichts

Empörung allein bringt nichts

Hoch sensibel reagiert die Gesellschaft auf vermeintliche oder tatsächliche Fehltritte führender Persönlichkeiten. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kirche. Aber Empörung allein bringt nichts.

Kein Zweifel, ein Flug erster Klasse, um Slums in Indien zu besuchen, lässt sich kaum rechtfertigen. Und eine Studie zur Größe der kirchlichen Dienstwagen und ihrem CO2-Ausstoß hat ergeben: Die Limousinen der Oberklasse verbrauchen zu viel.

Keine Frage – Führungspersönlichkeiten müssen sich an ihren eigenen Maßstäben messen lassen. Nur: Kleinliche Neiddebatten helfen nicht weiter. Es ist doch völlig einleuchtend, dass Minister und Aufsichtsratsvorsitzende in bequemen Autos durchs Land gefahren werden. Schließlich ist der Wagen für sie ihr zweites Büro, und zudem bieten die Autohersteller deftige Nachlässe an, weshalb auch manch kirchliche Führungspersönlichkeit nicht im Golf vorfährt.

Apropos Golf. Kann man es Peer Steinbrück wirklich übel nehmen, dass auch er Wagen mit großem Hubraum bevorzugt? Würden wir das nicht alle tun, wenn wir als Spitzenpolitiker unterwegs wären? Sein Fehler war lediglich, dass er es gesagt hat. Sicher ist es auch richtig, dass es irgendwie eine Unwucht darstellt, wenn ein Sparkassendirektor besser bezahlt wird als die Kanzlerin. Man sollte solche Sparkassen- und Bankgehälter gerade in Zeiten der Finanzkrise überdenken. Schließlich können immer mehr Menschen von ihrem Lohn kaum leben, während die Spitzengehälter in ungeahnte Höhen schießen.

Würden wir nicht auch das Geld nehmen?

Doch zurück zum Kanzlerkandidaten. Seine Äußerung wurde so verstanden, als fordere er für sich im Kanzleramt mehr Geld. Einem, der seine Vorträge so teuer wie möglich verkauft, traut man das zu. Aber seien wir ehrlich: Würden wir nicht auch das Geld nehmen?

Mediale Empörung über das Fehlverhalten Einzelner verschleiert eher Missstände, als dass es sie aufdeckt. Warum muss ein Unternehmen der Stadtwerke Bochum überhaupt solch teure Marketingmaßnahmen machen? Warum wird die Automobilindustrie nicht dazu verpflichtet, Autos mit niedrigem Verbrauch zu bauen? Warum gibt es ein Steuerprivileg für Dienstwagen? Und schließlich: Wie kann man eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums erreichen?

Schwierige Fragen mit komplexen Antworten. Das ist schlecht auf eine Schlagzeile zu bringen und anstrengend zu verstehen. Empörung geht halt einfacher.

Beitrag von , veröffentlicht am 13. Februar 2013 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

Neues Eltern-Kind-Café in Höchst

Neues Eltern-Kind-Café in Höchst

Im Evangelischen Familienzentrum in Höchst, Bolongarostraße 186, ist ein neues Eltern-Kind-Café eröffnet worden. Für die Kleinen gibt es Spielangebote, für die Erwachsenen Kaffee und Kuchen und mehr.

Hierher können Eltern und Kinder kommen, ohne sich vorher anzumelden oder Kursgebühren zahlen zu müssen: Ende Januar wurde im Evangelischen Familienzentrum in Höchst, Bolongarostraße 186, ein Eltern-Kind-Café eröffnet. Für die Kleinen gibt es Spielangebote, für die Erwachsenen neben Kaffee und Kuchen auch die Gelegenheit, sich über die Programmangebote der Familienbildung zu informieren.

Das Café wird zu festen Zeiten geöffnet sein. Während die Kinder betreut werden, können sich Mütter beim Wellness-Programm im Nebenraum entspannen – zum Beispiel jeden Montag von 10 bis 12 Uhr bei einem gemeinsamen Frühstück mit Lockerungs- und Entspannungsübungen. Wer will, kann auch die eigenen Sprachkenntnisse verbessern: Für Kinder von drei bis sechs Jahren gibt es differenzierte Spielkreise in Russisch, Spanisch und Englisch, und beim Sprach-Café immer mittwochs von 10 bis 12 Uhr kann die deutsche Sprache anhand von Alltagsthemen geübt werden. Donnerstags von 15 bis 17 Uhr gibt es ein Familien-Café zum Treffen und Kontakteknüpfen, dabei steht eine pädagogische Mitarbeiterin für alle Fragen rund um das Kind zu Verfügung.

Beeindruckt zeigte sich die Vorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, Pfarrerin Esther Gebhardt, bei der Einweihung von dem großen Zuspruch, den das Café gleich bei der Eröffnung fand. „Die evangelische Kirche“, so Gebhardt, „drückt damit auch ihre Wertschätzung für Familien aus“. Für Dekan Achim Knecht bieten die neuen Räume im Dalberghaus für das Familienzentrum neue Chancen der Vernetzung.

Beitrag von , veröffentlicht am 11. Februar 2013 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

„Nur wenige lehnten den NS-Staat ab“

„Nur wenige lehnten den NS-Staat ab“

Vor 80 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt. Jürgen Telschow hat die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die evangelische Kirche in Frankfurt untersucht. Ein Interview.

Herr Telschow, Sie haben über den „Kirchenkampf“ in Frankfurt geforscht. Um was ging es denn dabei?

Wenn man den Begriff traditionell verwendet, ging es um eine Auseinandersetzung innerhalb der evangelischen Kirche zwischen den „Deutschen Christen“, die der Ideologie des Nationalsozialismus folgten, und einer kirchlichen Richtung, die sich „Bekennende Kirche“ nannte. Sie bestand auf einer theologischen und organisatorischen Eigenständigkeit gegenüber dem NS-Staat. Damit wird aber eigentlich verdeckt, dass meines Erachtens der Gegner der Bekennenden Kirche gar nicht die Deutschen Christen waren, sondern der NS-Staat. Die Bekennende Kirche hat zwar an einem ganz entscheidenden Punkt der Gleichschaltung widerstanden, aber sie hat mitgemacht oder toleriert oder sich weggeduckt bei all dem anderen, was dieser NS-Staat über Deutschland und die Welt gebracht hat. Mit dem Begriff „Kirchenkampf“ konnte sie ihr Bild von dem Kämpfer gegen das Unrecht schlagwortartig skizzieren.

Man kann also nicht sagen, dass die Bekennende Kirche Widerstand geleistet hätte?

Nein. Es gab in der Bekennenden Kirche nur ganz wenige, die den NS-Staat grundsätzlich abgelehnt haben.

Sie schreiben, dass das protestantische Milieu eine Nähe zum Nationalsozialismus gehabt hätte. Wie erklärt sich das?

Von der Urchristenheit her sind die Christen aufgerufen worden, den Staat, ganz gleich wie er ausschaut, als von Gott gegeben anzusehen. Es gibt das bekannte Wort von Römer 13, wo es nicht nur heißt: „Seid Untertan der Obrigkeit“, sondern es geht weiter: „… denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott“. Und so haben die Christen über 2000 Jahre damit gelebt, dass man sich dem Staat zu unterwerfen hat. Dann hatten sie erhebliche Probleme, die Weimarer Republik als eine Obrigkeit von Gott anzusehen, weil die Regierung von Menschen gewählt war. Es fiel ihnen leichter, Hitler als von Gott Gesandten anzusehen und damit in die alten Denkmuster zu verfallen. Auch gehörten die Pfarrer als Teile des Bürgertums einer Bevölkerungsgruppe an, die dem Verlust der Monarchie nachtrauerte, schockiert über die Formen des Atheismus war, und die moderne Zeit mit der Liberalitiät in der Gesellschaft kritisch sah.

Sie schreiben, dass sich die Deutschen Christen die rassistische Ideologie zu Eigen gemacht hätten. Dies sei sogar konstitutiv gewesen.

Das ist das Erschreckende. Theologisch war ja die evangelische Kirche schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr gespalten – zwischen den pietistischen Traditionalisten und der so genannten liberalen Theologie, die Glauben mit Wissenschaft und Kultur vereinbaren wollte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich mit Karl Barth eine theologische Richtung entwickelt, die den Liberalen vorwarf, dass sie theologische Fragen zu sehr mit kulturellen Fragen vermischten und nicht mehr nur aufs Evangelium schauten. Karl Barth hat dafür gekämpft, dass man ausschließlich das Evangelium als Richtschnur betrachtet und es nicht mit anderen Philosophien oder weltanschaulichen Elementen verbindet. Das Eigenartige ist, dass dann parallel dazu mit den Vorläufern der Deutschen Christen genau das Umgekehrte passierte: Jetzt war es nicht die Kultur und die Wissenschaft, denen man sich annäherte, sondern es waren plötzlich rassische Fragen oder das Führerprinzip.

Aber es gab in Frankfurt auch Widerstand gegenüber dem Beschäftigungsverbot von nicht „reinarischen“ Ärzten, zum Beispiel in evangelischen Krankenhäusern.

Die Frage, wie die evangelische Kirche mit Juden und insbesondere getauften Juden umgegangen ist, beschäftigt uns bis heute. Es ist nicht ganz zufällig, dass die Pfarrerschaft der Machtübernahme der Nationalsozialisten weitgehend zugestimmt hat. Erst in dem Moment, als auch in der Kirche der „Arierparagraph“ eingeführt wurde, also das Verbot, nicht „reinarische“ Menschen im kirchlichen Dienst zu beschäftigen, begann man, sich zu wehren. Es ist interessant, wenn man sich dazu die drei der Landeskirche nahestehenden Krankenhäuser in Frankfurt anschaut: das Diakonissenkrankenhaus, das St. Markuskrankenhaus und das Privatkrankenhaus Sachsenhausen. Auf alle drei ist Druck ausgeübt worden, sich von jüdischen Ärzten zu trennen. Aber die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Der Träger des Sachsenhäuser Krankenhauses, der Gemeinschaftsdiakonieverband in Marburg, lag auf der Linie der Deutschen Christen und der Nationalsozialisten und hat – sehr freundlich gesagt – überhaupt nicht den Versuch gemacht, sich vor seine jüdischen Ärzte zu stellen. Der Träger des St. Markuskrankenhauses, der Vorstand des Bockenheimer Diakonissenvereins, hat es versucht, auch mit juristischen Tricks, hat sich aber nicht durchsetzen können. Beim Diakonissenkrankenhaus schließlich hat der Vorstandsvorsitzende, Senatspräsident am Oberlandesgericht Dr. Heldmann, sofort gesagt: Hier gilt der Arierparagraph nicht. Und man konnte das durchhalten.

Wie war das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Richtungen in der Frankfurter Pfarrerschaft?

Zwischen 1933 und 1945 haben in Frankfurt 137 Pfarrer gearbeitet. Davon waren 60 Mitglieder der Bekennenden Kirche. Das ist ein enorm hoher Anteil. Den Deutschen Christen gehörten 29 Pfarrer an, 17 traten aber nach relativ kurzer Zeit wieder aus.

Heißt das, das protestantische Milieu war hier kritisch eingestellt war?

Ich habe nichts gefunden, was die Ausrichtungen der Gemeindemitglieder betraf. Es gab nur wenige Gemeinden, die sich eindeutig zuordnen lassen. Die Gemeinden waren gespalten. Einige Protagonisten der Bekennenden Kirche wie Otto Fricke und Wilhelm Fresenius hatten nicht einmal in ihren Kirchenvorständen die Mehrheit.

Warum sollte man sich heute noch mit Kirchenkampf beschäftigen?

Was zwischen 1933 und 1945 passiert ist, war ein ganz schrecklicher Irrweg Deutschlands, der aber doch weitgehend Zustimmung gefunden hatte. So richtig überzeugt sind die Menschen auch nach 1945 nicht davon abgerückt. Wir beschäftigen uns heute fast täglich mit den Rechtsradikalen. Wenn ich mich mit Geschichte befasse, geht es mir auch darum, den Menschen, die früher gelebt haben, gerecht zu werden. Auch bin ich jemand, der als Kind sehr darunter gelitten, was zwei Generationen angerichtet haben. Ich bin 1936 geboren, ein paar Bombenangriffe mit Todesangst, die letzten Kämpfe um Berlin, die Besatzung durch die russischen Truppen, dann in Berlin die Blockade, die Teilung Deutschlands und Europas. Das hat Spuren hinterlassen. Deshalb ist es mir nicht egal, was die Verantwortlichen damals gedacht haben.

Jürgen Telschow: Ringen und den rechten Weg – Die evangelische Kirche in Frankfurt zwischen 1933 und 1945, Hessische Kirchengesch. Vereinigung, 17,50 Euro.  Die Buchvorstellung ist am 31. Januar um 18 Uhr im Dominikanerkloster am Börneplatz.

Vortrag: Ein fatales Bündnis

Über „Das Bündnis von Nationalprotestantismus und Nationalsozialismus“ spricht der Kirchengeschichtler Günter Brakelmann am Donnerstag, 21. Februar, um 18 Uhr im Spenerhaus, Dominikanergasse 5. Brakelmann, der an der Ruhr-Universität in Bochum Christliche Gesellschaftslehre lehrte, hat in seinen Forschungen herausgearbeitet, wie sehr Protestantismus und Nationalsozialismus antiaufklärerische, antiliberale und antidemokratische Haltungen teilten.

Beitrag von , veröffentlicht am 30. Januar 2013 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .