Tag Archiv für Käßmann

Conny&Kurt live bei der Kieler Woche

Seit gut einem Jahr sind Conny&Kurt mit ihrem Podcast via Zoom wöchentlich auf Sendung. Bei ihrem Treffen während der Kieler Woche zeigen sie sich zufrieden mit Themen, Gesprächspartner:innen und Reichweite. Dabei führt Margot Käßmann nicht die Liste der Zugriffe an, sondern das Gespräch mit dem Vorsitzenden der Kieler Tafel. Auch der Bericht über die Glückskirche während des Hessentages sowie das Angebot des spirituellen Wegbegleiters Georg Magirius rangieren weit vorne. Conny&Kurt hat besonders das Gespräch mit Nationaltorhüterin Ann-Katrin Berger, die über ihre Krebserkrankung sprach, beeindruckt. Fazit: Conny&Kurt wird es weiterhin wöchentlich geben. Die nächsten Themen: die Pflegesituation (Mit Bischöfin Beate Hofmann) und der Kinderklassiker „Struwwelpeter) (mit der Museumsleiterin Beate Zekorn-von Bebenburg). Leider ist der Ton etwas vom Wind verrauscht. Sorry.

Podcast Conny&Kurt in der Presse

Conny und Kurt“ im Gespräch mit Margot Käßmann

Aktuelles

von Redaktion

3. Juni 2022

Zwei frühere Mitarbeiter der Frankfurter evangelischen Kirche haben im Ruhestand einen Podcast gestartet. Unter dem Titel „Conny & Kurt“ sprechen Conny von Schumann (zuletzt Leiter der Notfallseelsorge) und Kurt-Helmuth Eimuth (zuletzt Leiter des Arbeitsbereichs Kindertagesstätten und langjähriges Redaktionsmitglied des EFO-Magazins) jeden Donnerstag über sozialethische Themen. In der aktuellen Folge ist die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann zu Gast.

Conny von Schumann und Kurt-Helmuth Eimuth sprechen jeden Donnerstag in ihrem Podcast über sozialethische Themen.
Conny von Schumann und Kurt-Helmuth Eimuth sprechen jeden Donnerstag in ihrem Podcast über sozialethische Themen.

Thema ist die aktuell so brennende Frage nach einer christlichen Friedensethik angesichts des Krieges in der Ukraine. Alt-Bischöfin Margot Käßmann erzählt, warum sie Pazifistin ist und bleibt und warum der Kontakt zur russischen Zivilgesellschaft notwendig ist. Es gebe Kontakte, auch zu Priestern der russisch-orthodoxen Kirche, die sich gegen den Krieg wendeten, so Käßmann. Ob Menschenrechtsgruppen oder junge Leute, die bei einem Rockkonzert in Sprechchören den Krieg verurteilten: „Zu dieser Zivilgesellschaft brauchen wir den Kontakt“, betont Käßmann. Deshalb sei sie auch dagegen, Städtepartnerschaften und Universitätspartnerschaften jetzt aufzukündigen. Man müsse so viel wie möglich auch an Informationen auf diesem Wege vermitteln.

Käßmann wendet sich auch gegen den Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) – auch wenn der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche ein „absoluter Nationalist“ sei. Noch gut ist der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland in Erinnerung, dass der Patriarch die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Deutschlands aufkündigte, weil er der Auffassung war, mit der Wahl einer Frau habe sich die Kirche von der christlichen Moral gelöst.

Ebenso lehnt die Theologin die 100 Milliarden Euro teure Aufrüstung ab. „Ich habe sieben Enkelkinder, ich denke, dass in ihre Zukunft nicht durch mehr Rüstung investiert wird, sondern durch mehr Geld für unsere Schulen für unser Bildungssystem, für Entwicklung und zur Bekämpfung des Klimawandels.“

Der Podcast „Conny & Kurt“ erscheint jeden Donnerstag zu einer sozial-ethischen Frage. Es gibt ihn bei Spotify, auf der eigenen Hompage und als Video

Im Alter kann man sich noch verlieben

von Kurt-Helmuth Eimuth 19. Oktober 2021

Nach vierzig Jahren hat Margot Käßmann einen alten Jugendfreund wiedergefunden. Inzwischen sind die beiden ein Paar und haben gemeinsam ein Buch über ihre Lebenserinnerungen geschrieben.

Margot Käßmann, Andreas Helm: Mit mutigem Schritt zurück zum Glück. 187 Seiten, bene! 2021, 20 Euro
Margot Käßmann, Andreas Helm: Mit mutigem Schritt zurück zum Glück. 187 Seiten, bene! 2021, 20 Euro

Sie ist die bekannteste Theologin Deutschlands. An ihrem Schicksal nehmen Millionen Teil, ob zweimalige Krebserkrankung, Scheidung oder jene unglückliche Alkoholfahrt, die sie das Amt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland kostete. Seit Jahren lässt Margot Käßmann die Menschen teilhaben an ihren Herausforderungen, aber auch an ihrem Glück.

Und nun? Ruhestand, Enkel und hie und da eine Fernsehpredigt? Nein, nicht bei Käßmann. Hollywood hätte es sich nicht besser ausdenken können: Ihr alter Jugendfreund, Andreas Helm, traf sie, sprach sie vor acht Jahren an, und die beiden entdeckten, dass sie sich noch nahe sind. Erstaunlich ähnlich sind ihre Leben verlaufen: Beide geschieden, beide haben jeweils vier Kinder, teils mit den gleichen Namen.

Heute sind Margot Käßmann und Andreas Helm ein Paar. In einem dialogisch angelegten Buch beschreiben sie ihr neues gemeinsames Leben. Spannend wird es aber für den Leser und die Leserin, wenn von den gemeinsamen Erfahrungen berichtet wird. Von der großen Demonstration gegen den Nato-Doppelbeschluss oder der kritischen Haltung zur Atomkraft. Und sie lassen diejenigen von uns, die ebenfalls in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren sind, teilhaben an ihren Erinnerungen: „Ja, die Jahre des Lebens verändern uns. Aber wir beide haben den Eindruck, der Wesenskern eines Menschen verändert sich auch in 40 Jahren nicht, selbst wenn es ein bisschen gedauert hat, bis wir uns erzählt hatten, was in dieser Zeitspanne passiert war.“

Sie erzählen es sich und uns, die wir es mit unseren eigenen Biografien vergleichen. Wie war das bei mir, wie war das bei dir? Gerade wenn man selbst eine Sozialisation in der evangelischen Kirche erlebt hat, wird vieles wieder lebendig. Die Partys im Jugendkeller, die Fahrten mit der Gemeindejugend, auch die Musik. Es war eine Zeit des Aufbruchs in Kirche und Gesellschaft.

Käßmann und Helm leben ihr Leben weiter, haben keine gemeinsame Wohnung und sind doch oft zusammen. Ein Buch über eine gelungene Partnerschaft, deren Wurzel in der Jugend gelegt wurde und die sich doch erst im Alter wirklich zusammenfand. „Es braucht manchmal Kraftanstrengungen, einen neuen Aufbruch und Offenheit, um Beziehung zu wagen.“ Das geht auch noch mit 60 Jahren.

Doch die beiden verschließen nicht die Augen vor dem Alter und einer möglichen Pflegebedürftigkeit. „Sollte eine/r von uns pflegebedürftig werden, müssen wir neu schauen, wie wir unser Leben dann miteinander gestalten.“ Es ist kein theologisches Buch, aber es ist ein Buch über die Meisterung des Lebens in Gottvertrauen. Mehr Theologie geht doch eigentlich nicht.

Margot Käßmann/Andreas Helm: Mit mutigem Schritt zurück zum Glück, 187 Seiten, bene!, 20 Euro.

Nein, Frau Käßmann!

von Kurt-Helmuth Eimuth 2. Juni 2020

Die bekannte evangelische Theologin Margot Käßmann fordert die Älteren auf zugunsten der Jungen zu verzichten. Schließlich gehörten die über Sechzigjährigen einer Luxusgeneration an. Solidarität muss anders aussehen, meint unser Autor.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Ältere Menschen sollten in der Corona-Pandemie zugunsten der Kinder und der Jüngeren zu Hause bleiben, sagte kürzlich die evangelische Theologin Margot Käßmann mit Blick auf die weiter eingeschränkten Kita- und Schulangebote dem Straßenmagazin „Asphalt“ in Hannover. Im Interview hatte Käßmann geäußert, die Älteren hätten ein gutes Leben gelebt. Deshalb sei es angesichts der Bedrohung durch Covid-19 jetzt an ihnen, zugunsten der Kinder zu verzichten: „Wenn ich wüsste, dass die Kleinen und Jüngeren wieder rauskönnen, wenn wir, die über Sechzigjährigen, die Risikogruppen, zu Hause blieben, wenn das der Deal wäre, dann würde ich mich darauf einlassen“, sagte die streitbare frühere Bischöfin und Ratsvorsitzende der EKD und forderte zugleich eine zügige Öffnung von Kitas und Schulen. Gerade die Älteren seien „mehrheitlich die Luxusgeneration, die es so gut hatte wie keine Generation vorher und keine danach“. Keine Generation sei weniger von den wirtschaftlichen Folgen der Krise betroffen.

Es ist ein feiner Zug von Käßmann, dass sie persönlich verzichten will. Gut so. Dies kann und soll sie. Nur darf sie ihr Verhalten nicht zum moralischen Imperativ erheben. Denn die Gesellschaft braucht Solidarität, nicht Spaltung. Es ist die Stärke der Gemeinschaft, dass die Stärkeren für die Schwachen einstehen. Darauf fußt an vielen Stellen unsere Gesellschaft. Der chronisch Kranke zahlt den gleichen Beitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung wie der durch und durch Gesunde, und selbst das Steuerrecht erhebt den Anspruch, dass starke Schultern mehr tragen können. Vom ethischen Standpunkt aus betrachtet irrt die prominente Theologin.

Aber auch aus einer wissenschaftlichen Perspektive hilft der Vorschlag, alle über Sechzigjährigen in Quarantäne zu schicken, nicht weiter. Die sozialen Folgen, die eine solche Kontaktsperre in Altenheimen verursachen würde, wären enorm. Mancherorts fühlte sich dies während des Lockdowns eher wie Einzelhaft an. Und bedenkt man die Zahl der Menschen mit Vorerkrankungen, die alle zur Risikogruppe gehören, so müsste man eben nicht nur jene 13 Millionen isolieren, die älter als 70 Jahre sind, sondern auch die chronisch Kranken. Darunter wäre dann auch die 16-jährige Diabetikerin und der 30-jährige Asthmatiker. In Deutschland sind 8 Millionen Menschen an Asthma erkrankt, 7,8 Millionen sind schwerbehindert und 1,7 Millionen leiden an einer Herzkrankheit, die eine klinische Behandlung im vergangenen Jahr erforderte.

Nein, das Choronavirus ist eben nicht nur für alte Menschen gefährlich. Vermutlich gehören 20 bis 30 Millionen zur Risikogruppe, bei 83 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Die können sich unmöglich alle freiwillig isolieren.

Es ist sicher hilfreich, wenn Margot Käßmann auf soziale Kontakte verzichtet. Das ist der beste Schutz für sie selbst und trägt auch zur Eindämmung der Epidemie bei. Aber zur Handlungsmaxime für alle kann ein solches Verhalten auf Dauer nicht gemacht werden. Sondern es gilt, die neue Normalität so auszutaxieren, dass das Virus unter Kontrolle ist. Die Zahl der Neuerkrankungen muss so niedrig bleiben, dass jede Infizierung schnell und konsequent nachverfolgt werden kann.

Leider ist zu befürchten, dass im Wettlauf der Lockerungen die gebotene Vorsicht verloren geht. Schon jetzt ist zu beobachten, dass die Gefahr durch das Virus zunehmend unterschätzt wird, denn es ist ja bisher alles gut gegangen. Dagegen gilt es die Stimme zu erheben. Wir alle, ob Jung oder Alt, müssen vorsichtig bleiben.

Konstantin Wecker bekam in der Paulskirche die Albert-Schweitzer-Medaille

von Kurt-Helmuth Eimuth 4. September 2019

Der Poet, Sänger und Musiker Konstantin Wecker ist der erste Preisträger der Albert-Schweitzer-Medaille, die an den Arzt, Philosophen und Theologen Albert Schweitzer (1875-1965) erinnert. Sie wurde zum 50. Jubiläum des Frankfurter Albert-Schweitzer-Zentrums gestiftet.

Marion Eimuth mit Konstatin Wecker Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Es war der Höhepunkt des diesjährigen Jubiläumsjahres zum 50-jährigen Bestehen des Albert-Schweitzer-Zentrums in Frankfurt: Mit einem Festakt in der Paulskirche wurde gestern am 3. September erstmals die Albert-Schweitzer-Medaille verliehen. Preisträger war der Sänger und Musiker Konstantin Wecker, der für sein politisches Engagement bekannt ist.

In seiner Laudatio bezeichnete der Neurobiologe Gerald Hüther Wecker als „Suchenden, der die Herzen der Menschen öffnet“. Wecker sei ebenso wie Albert Schweitzer jemand, für den Poesie und Widerstand, Kunst und Wissenschaft zusammen gehören, betonte der Neurobiologe, der schon einige gemeinsame Veranstaltungen mit Wecker gestaltet hat.

Die Theologin Margot Käßmann wandte sich in ihrem Festvortrag gegen eine Sprache, die „inhumane Gedanken schleichend billigt“. Wer sich der Philosophie Albert Schweitzers mit ihrer zentralen Aussage der „Ehrfurcht vor dem Leben“ verbunden fühle, müsse solchen Tendenzen widersprechen. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und ehemalige Reformationsbotschafterin führte zahlreiche Beispiele für eine menschenverachtende Sprache an, zum Beispiel den Ausdruck „Kopftuchmädchen“. Es sei zwar richtig, dass die Burka nicht nach Deutschland gehöre, „aber Springer-Stiefel und Glatzköpfe auch nicht“. Deutschland könne stolz auf seine Integrationsleistung sein, betonte Käßmann, und verwies auf die Leistung in den Nachkriegsjahren. Heute brauche man eine postmigrantische Definition von Deutschland. Schließlich sei das ganze christliche Abendland das Ergebnis von Migration. Für Albert Schweitzer sei die atomare Bedrohung seine Hauptsorge gewesen: „Das verbindet ihn mit Konstantin Wecker und mir“, sagte Käßmann. Sicher hätte Albert Schweitzer an dem jugendlichen Protest der Fridays for Future-Bewegung seine Freude gehabt. Auch das könne man von Schweitzer lernen: „Nicht nachlassen. Er hat für seine Sache alles gegeben.“

Albert Schweitzer hatte für Sport zwar nichts übrig und konnte mit Fußball nichts anfangen. Trotzdem sprach zum Jubiläum und zur Preisverleihung auch der Präsident von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, wohl auch, weil der Club und sein Präsident für eine klare Haltung stehen. Sport, so Fischer, könne Werte schaffen und vermitteln. Sport müsse politisch sein. Der Sport stehe dafür, dass alle Menschen gleich sind. In der Kabine der Eintracht säßen Spieler aus 19 Nationen. Die 80.000 Mitglieder des Clubs kämen aus 100 Nationen. Fischer kritisierte auch die antisemitischen Rufe gegen den Schiedsrichter beim Spiel gegen Straßburg vor einigen Tagen.

Der Frankfurter evangelische Stadtdekan Achim Knecht würdigte die Bedeutung des Albert-Schweitzer-Zentrums mit Archiv, das heute in der Wolfgangstraße im Nordend untergebracht ist. „Die Evangelische Kirche in dieser Stadt sieht sich auch heute noch dem Erbe des bedeutenden Humanisten Albert Schweitzer verpflichtet“, hob Knecht hervor und wies auf die Aktualität der Ethik Albert Schweitzers hin: „Die Rettung von Menschen, die auf ihrer Flucht und Migration nach Europa auf dem Mittelmeer in Seenot geraten, ist heute ein zeitgemäßer Ausdruck einer tatkräftigen Ehrfurcht vor dem Leben. Ich bin überzeugt, auch Albert Schweitzer hätte die Seenotrettung von Geflüchteten und Migranten aus dem Mittelmeer unterstützt!“

Oberbürgermeister Peter Feldmann erinnerte in seiner Ansprache an die besondere Verbindung Albert Schweitzers mit Frankfurt. Schweitzer hat 1928 den Goethepreis der Stadt erhalten, 1951 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, und 1959 wurde er zum Ehrenbürger Frankfurts ernannt. „Albert Schweitzer war gerne hier. Es hat ihn immer wieder in diese Stadt gezogen“, sagte Feldmann.

Der Musiker und Sänger Konstantin Wecker (links) verbindet seit vielen Jahren Kunst und Politik. Dafür wurde er in der Paulskirche mit der Albert-Schweitzer-Medaille ausgezeichnet. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Der Musiker und Sänger Konstantin Wecker (links) verbindet seit vielen Jahren Kunst und Politik. Dafür wurde er in der Paulskirche mit der Albert-Schweitzer-Medaille ausgezeichnet. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Margot Käßmann über Geschwister in der Bibel

von Kurt-Helmuth Eimuth 12. Juli 2019

Mit ihrem neuen Buch ist Margot Käßmann ein ungewöhnlicher Blick auf die Heilige Schrift gelungen: Von Geschwisterbeziehungen auszugehen eröffnet eine Perspektive, die wir tagtäglich erleben und gerade deshalb kaum wahrnehmen.

Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.
Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.

Beziehungen sind für Menschen überlebensnotwendig. Freundinnen und Freunde kommen und gehen, Partner und Partnerinnen auch, und in der Regel überleben Kinder ihre Eltern. Die Beziehung, die im Verlauf des Lebens am Längsten besteht, ist die zu den Geschwistern.

„Da gibt es große Liebe zueinander und große Konkurrenz, Solidarität und Abgrenzung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Auseinandersetzung“, schreibt Margot Käßmann in ihrem Vorwort. Offenbar war dies auch schon zu biblischen Zeiten so.

Allerdings waren damals die gesellschaftlichen Umstände anders. Der Wert einer Frau wurde an der Zahl ihrer Geburten (von Jungen) gemessen, Intimsphäre kam im engen Zelt kaum auf. Käßmann erzählt die alten Geschichten spannend aus heutiger Perspektive. Zum Beispiel den Streit zwischen Jakob und Esau um das Erstgeburtsrecht. Die beiden waren Zwillinge. Was bedeutete es damals für ihre Mutter Rebekka, zwei Kinder gleichzeitig zu bekommen? Anders als heute konnte sie das ja vor der Geburt nicht wissen.

Und dann bevorzugt die Mutter einen der Brüder. Für Margot Käßmann ist das nicht nachvollziehbar: „Ein Kind zum Liebling zu erklären, wird immer den Familienfrieden stören.“ Und dann eines Tages begegnen sich die Brüder wieder. Käßmann, die selbst Mutter von Zwillingen ist, vermutet, dass die Bindung der Brüder trotz allem stark war. Sie hätten gewiss oft aneinander gedacht oder voneinander geträumt. Obgleich Jakob Esau betrogen hat, liegen sie sich in den Armen. „Was für eine wunderbare Geschichte von Versöhnung ohne viel Worte, von Versöhnung, die es in Familien nach aller Auseinandersetzung und allem Streit eben auch geben kann.“

In vielen der auf wenigen Seiten beschriebenen Geschwisterbeziehungen werden Verhältnisse deutlich, die uns zunächst fremd zu sein scheinen. Doch auf dem zweiten Blick kennen wir die Probleme auch: Leihmutterschaft, die Sehnsucht nach „eigenen“ Kindern, sexuelle Gewalt. In der Bibel werden diese Probleme häufig sehr direkt, geradezu brutal erzählt. Etwa wenn Lot seine sexuell noch unerfahrenen Töchter an einen Männermob herausgeben will. Später machen dieselben Töchter ihren Vater betrunken und bringen ihn dazu, sie zu schwängern.

Margot Kässmann ist überzeugt, dass hier in Wahrheit ein klassischer Fall von häuslicher Vergewaltigung erzählt wird. „Inzest galt auch in jenen Zeiten als Tabu. Also wird erklärt: Sie haben den armen betrunkenen Vater verführt.“ Für Käßmann ist das einzig Tröstliche an dieser furchtbaren Geschichte, dass die Schwestern nicht alleine sind. Sie haben einander, und sie hatten die Kraft, ihre Söhne groß zu ziehen.

Das Buch lässt die biblischen Familienbanden, die Verzwickungen und Verflechtungen, die Abhängigkeiten und die Zuneigungen, die Sanftheit und Brutalität biblischer Geschichten vor den Augen des Lesers und der Leserin entstehen. Es liest sich Spannend wie ein Krimi, und man bekommt Lust, mehr zu erfahren. Eine empfehlenswerte Lektüre, die einen neuen Blick auf die biblische Überlieferung eröffnet.

Margot Käßmann in der Paulskirche am 3. September 2019 Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Zeitreise mit Margot Käßmann

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. September 2018

Zum 60. Geburtstag erschien eine Biografie der prominenten Theologin. 

Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.
Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.

Sie ist die wohl bekannteste und beliebteste Theologin Deutschlands: Zum 60. Geburtstag von Margot Käßmann erschien nun ihre Biografie. Verfasst hat sie der Theologe und Journalist Uwe Birnstein, der seit sieben Jahren ihr Berater ist.

Für ihn und für die Leserinnen und Leser hat Margot Käßmann tiefe Einblicke gewährt. Zahlreiche Fotografien und Zitate aus dem Tagebuch lassen Geschichte, Kirchengeschichte und Familiengeschichte lebendig werden. Käßmanns Auseinandersetzung mit Martin Luther King als Jugendliche und ihre Begegnung mit Nelson Mandela lassen die Wurzeln ihres Pazifismus erahnen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Erfahrung durch ihr Leben, als Frau benachteiligt worden zu sein. Immer wieder versuchten Männer, sie auszutricksen. Zum Beispiel der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Eduard Lohse, der 1983 ihre Wahl in den Zentralausschuss des Ökumenischen Rates verhindern wollte. 

Auch dass die Kirche wie selbstverständlich von ihr verlangte, ehrenamtlich als Pfarrerin zu arbeiten, während sie ihrem Mann eine volle Stelle gab, gehört zu diesen Erfahrungen. Immer wieder stieß sie auf Vorbehalte: „Wie wollen Sie das mit vier Kindern schaffen?“ 

Ausführlich beschreibt Birnstein auch die Krebsdiagnose, den Rücktritt vom Amt der EKD-Ratsvorsitzenden und ihre letzte Tätigkeit als Luther-Botschafterin.

Uwe Birnstein ist nicht nur eine Biografie über eine populäre Frau gelungen. Vielmehr ist das Buch eine Zeitreise, spannend erzählt und voller Hintergrundinformationen über die jeweiligen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Das klingt ernst, ist auch ernstm ist aber doch mit lockerer Feder geschrieben, sodass der Leser und die Leserin oft lachen können.

Der 22. Mai soll Friedenstag werden

Erinnerung an Familie Jürges

Andacht, Frieden 10.6.13

Lied: EG 455, 1-3 Morgenlicht leuchtet

Votum:

Im Namen Gottes kommen wir zusammen.

Gott nimmt uns an, wie wir sind.

Jesus gibt unserem Leben Richtung und Sinn.

Gottes Geist ruft uns auf den richtigen Weg.

Herzlich willkommen allen, die sich haben rufen lassen.

Nehmen wir uns Zeit

für uns, für Gott, miteinander.

Amen

Psalm 57, Nr. 728

Lied: EG 425, 1-3 Gib uns Frieden jeden Tag

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

1
Der 22. Mai soll in Frankfurt Friedentag werden. Diesen Vorschlag machte Pfarrer Karsten Petersen. Es ist der Todestag der vor 30 Jahren durch den Absturz eines Starfighters getöteten Frankfurter Pfarrersfamilie Jürges. Petersen schlug dies während einer Andacht vor drei Wochen am Grab der Familie auf dem Oberräder Waldfriedhof vor: Petersen fragte: „Wäre es nicht an der Zeit, den 22. Mai in Frankfurt in Zukunft zu einem Friedenstag zu machen, einen Tag, an dem die evangelische Kirche, vielleicht gemeinsam auch mit der katholischen Kirche und mit anderen Religionsgemeinschaften regelmäßig das Thema „Wie kann es Frieden geben in unserer Welt?“ mit klugen und informativen Veranstaltungen gestaltet?

Am Pfingstsonntag, dem 22. Mai 1983, war während einer Flugschau auf dem damaligen militärischen Teil des Rhein-Main-Flughafens ein kanadischer Kampfjet abgestützt und hatte den Wagen der Pfarrersfamilie getroffen. Martin Jürges (40), seine Frau Irmtraud (38), seine Mutter Erna (77) und seine beiden Kinder Katharina (1) und Jan (11) starben sofort am Unglücksort nahe der heutigen Commerzbank-Arena. Die 19-jährige Nichte Gesine Wagner erlag knapp drei Monate später ihren schweren Verbrennungen. Karsten Petersen, damals Pfarrer in der benachbarten Weißfrauengemeinde, knüpfte an die Pressemitteilung des Kirchenpräsidenten Volker Jung an. Sie war mit „Ihr Vermächtnis ist der Frieden“ überschrieben. Der ehemalige Stadtjugendpfarrer Martin Jürges und seine Frau die Sozialarbeiterin Irmtraud Jürges-Kießling hatten sich immer für die Belange der Menschen eingesetzt. Eben auch für den Frieden. Erinnern wir uns: Die 1980er Jahre waren die Jahre der Auseindersetzung um die Stationierung der amerikanischen Pershing-Raketen. 1981 war die große Friedenskundgebung in Bonn und 1983 sollte es einen Kirchentag in Hannover unter dem Motto „Umkehr zum Leben“ geben. Es wurde ein Kirchentag in lila, denn die lila Tücher mit der Aufschrift Frieden schaffen ohne Waffen bestimmten allemal das Erscheinungsbild. Martin Jürges hatte schon 40 dieser Tücher für seine Gemeinde im Keller gelagert, denn er wollte mit einer Gruppe am Kirchentag teilnehmen.

Frieden – was ein Wort. Für uns, für die Nachkriegsgeneration, fast so selbstverständlich wie das tägliche Brot. Dabei gab es noch keine deutsche Generation, die nicht mindestens einen Krieg erlebte. Und auch für uns ist Krieg nicht so fern wie wir meinen.

Es war Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende, die mit ihrer Neujahrspredigt 2010 daran erinnerte und ganz Deutschland aufrüttelte. Sie sagte in der Dresdner Frauenkirche: „Es gibt einen Kontrast zwischen Gottes Zusage und unserem unfertigen, unvollkommenen Leben. Das ist offensichtlich. Da ist eine Verheißung spürbar, aber die Realität ist knallhart….

Denn Erschrecken gibt es ja nicht nur im persönlichen Leben, sondern auch mit Blick auf unsere Welt.

Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Das wissen die Menschen in Dresden besonders gut! Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen. Vor gut zwanzig Jahren haben viele Menschen die Kerzen und Gebete auch hier in Dresden belächelt….“

Wir wissen was nach diesen Worten geschah. Es gab eine hitzige Diskussion. Ob die Kirche sich überhaupt in dieser Art einmischen dürfe, wurde gefragt. Und doch hat sich die Diskussion dann versachlicht und heute wissen wir, dass es zumindest fraglich ist, ob der Afghanistan-Kriegseinsatz zur Befriedung beigetragen hat.

Frieden schaffen ohne Waffen ist nicht nur ein moralischer Imperativ, es ist auch eine Kunst. Eine Kunst, die zumindest die deutschen Politiker in den letzten sechs Jahrzehnten ganz gut beherrschten. Sicher, es gereicht uns sicher nicht zur Ehre, dass wir der drittgrößte Waffenexporteur der Welt sind, aber auf deutschen Boden fand kein Krieg mehr statt. Garant dafür ist auch das vereinte Europa. Dies ist die eigentliche europäische Leistung, nicht die Wirtschaftsvereinigung. Letztere funktioniert ja auch nur so leidlich.

In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts kursierten Aufkleber und Aufnäher mit einem Zitat des Propheten Micha. Aus Schwerter werden Pflugscharen.

Beim Propheten Micha heißt es in 4,1–4

„In den letzten Tagen aber wird der Berg, auf dem Gottes Haus steht, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, und viele Heiden werden hingehen und sagen: ‚Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln!‘
Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Ländern. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken.
Denn der Mund des Herrn Zebaot hat es geredet.“

Micha gilt als einer der großen Vorkämpfer der Gerechtigkeit. Seine Kritik an den Verantwortlichen in Staat und Religion gründet auf einem ausgeprägten Rechtsbewußtsein.

Micha ist überzeugt, dass das von Gott gesetzte Recht für die Schwachen und Schutzlosen Partei ergreifen wird.

Die Vision einer umfassenden Friedenswelt mit Bildern aus dem Ackerbau wird uns hier gezeigt.

Das Zentrum dieser Textstelle ist der neugeschaffene Zionsberg. Der Traum kommt aus der Erfahrung Israels, als kulturelle und religiöse Minderheit unter vielen Völkern zu leben. Dies führt zur friedlichen Koexistenz.

Michas Kritik an der falschen Heilsgewissheit gilt auch allen übrigen Völkern. Weder politische Diplomatie noch militärische Rüstung könnten Frieden gewährleisten.

Gottes Gerechtigkeit und nicht mehr die Waffengewalt der Völker entscheidet, darum ist sein Reich eine Herrschaft des Friedens auf Erden; die Welt der Menschen mit ihrem Kampf und Streit wird umgewandelt zu Gottes Friedensreich; die Waffen, die der Zerstörung und Vernichtung dienten, werden umgeschmiedet zu Werkzeugen des Aufbaus.

Gott selbst hat in diesem Schlusswort diese Verheißung gegeben.

Natürlich sind wir Christinnen und Christen dazu aufgerufen, hier und heute uns für den Frieden einzusetzen.

Also lassen Sie uns gemeinsam nach Wegen des Friedens suchen. Dafür bedarf es auch immer eines Anlasses. Der 22. Mai, der Tag an dem für Familie Jürges der Tod vom Himmel fiel, ist ein solcher Anlass.

Lied: EG: 560, 1-4 Es kommt die Zeit

Mitteilungen:

Geburtstage

Gebet:

Herr, unser Gott:

Wir spüren die Wunden unserer Welt.

Unsere Welt leidet am Krieg etwa in Syrien oder in Afghansitan

Sie leidet an Unmenschlichkeit und Lieblosigkeit.

Sie leidet an jedem Schlag, an jedem Schuss, an jeder Bombe.

Wir betrachten diese Wunde mit Angst und Sorge,

haben Angst, dass sie sich ausbreitet statt zu heilen,

und spüren auch, dass wir diese Wunde mitzuverantworten haben.

Herr, erbarme dich unser.

Wir bitten dich für alle Menschen,

die von der gewaltsamen Auseinandersetzung betroffen sind:

– für die zahllosen Opfer, die ihr Leben lassen müssen,

– für die Familien, die um Menschen bangen,

– für die Frauen und Kinder,

die unter der Gewalt und den katastrophalen Verhältnissen leiden

und zu unschuldigen Opfern werden,

– für die vielen Opfer, die durch Verwundung Schmerzen leiden

oder durch die Grausamkeit verstört sind,

– für die Soldaten, die Angst haben vor dem Tod.

Herr, lass die Regierenden ernsthaft nach Wegen zum Frieden suchen

und den Krieg möglichst schnell beenden.

Herr, wir bitten auch für uns:

Lass uns immer wieder neu für den Frieden beten.

Lass uns immer wieder den Mut finden,

uns für den Frieden einzusetzen,

– durch verbindende Worte und Taten,

– durch Teilen,

– durch Abbau von Trennendem

– und vor allem: durch Widerstehen der Gewalt.

Schenke uns dazu die Kraft und deinen Segen.

Schenke den Wunden der Welt Heilung

durch Jesus Christus, deinen Sohn,

der die Welt mit dir versöhnt hat.

Und was uns noch bewegt, bringen wir vor dich mit den Worten, die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden und Segen unseres Gottes:

Gott, du Ursprung allen Lebens,

du Quelle der Liebe,

du bist wie eine gute Mutter

und wie ein guter Vater.

Sei vor uns und führe uns

sei hinter uns und schütze uns

sei neben uns und begleite uns

sei zwischen uns und verbinde uns

sei in uns und erfülle uns

sei über uns und segne uns. Amen

Lied: EG: 590 Herr, wir bitten komm

Mit Leib und Seele

Evangelische Spiritualität

19. September 2011

Andacht Peterskirche

Kurt-Helmuth Eimuth

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir haben heute diese Andacht etwas anders gestaltet. Wir hatten vor gut einer Woche auf unserer Fortbildung “Mit Leib und Seele” so viel Freude an dieser Form, dass wir sie heute gerne daran teilhaben lassen wollten.

Mit Leib und Seele – eine Woche auf Körper und Geist hören, Anleitungen zu Sport und Meditation erfahren, und das noch an einem wunderbaren Ort im Jugendwerk Brebbia des Bistums Mainz am südlichen Lago Maggiore. Ist das denn Fortbildung?

Eine Frage, die sich auch den 30 teilnehmenden Erzieherinnen stellte. Gut protestantisch hatten sie doch ein klein wenig ein schlechtes Gewissen gegenüber ihren Kolleginnen. Eine Woche so ganz für sich selbst. Darf man das?

Um es vorweg zu nehmen. Ich meine: Ja, man darf das. Ja, man muss das sogar. Bei all den Arbeitsanforderungen, die ja auch in den Kindertagesstätten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, ist es geradezu notwendig, nach dem eigenen Grund zu suchen, sich gelegentlich wieder zu vergewissern, nach dem Grund unseres Tun`s. Früherer Nannte man das eine Rüstzeit. Da sollte man für den Alltag zugerüstet werden. Heute bedienen wir uns einer anderen Sprache. Aber der Zweck kommt doch der Rüstzeit sehr nahe. Es geht um die Suche, um das Spüren unserer eigenen Religiosität, die uns im Alltag halt gibtt.

In ihrem Buch: „Mit Herzen, Mund und Händen“ zeigt Margot Käßmann Grundlagen für eine christliche Spirituallität auf. Sie betont, dass Sinnlichkeit des Glaubens hier durchaus in reformatorischer Tradition steht und fragt nach evangelischer Spiritualität. Im Neuen Testament ist immer wieder von Gottes Geist die Rede. Der verwendete griechische Begriff hierfür, pneuma, wird im Lateinischen mit spiritus übersetzt. Der Geist steht für die Dimension des Glaubens, und auch für die innere Glaubenserfahrung, für die göttliche Gegenwart. Spiritualität ist damit die Glaubensdimension, die sich durch die dritte Person der Trinität erschließt, den Heiligen Geist. Durch Gottes Geist wird unsere Gottesbeziehung erfahrbar.

Den eigenen sprituellen Weg aber wird jeder Mensch individuell finden müssen. Spiritualität im Alltag zu leben, das scheint wichtig, das ist ein reformatorisches Anliegen für uns als Einzelne, für unsere Gemeinden und für unsere Kirche insgesamt.

Die vier tragenden Säulen evangelischer Spiritualität, die Margot Käßmann sieht, sind die Bibel, der Gottesdienst, das Gebet und das Gesangbuch.

Die Bibel

Aus der Bibel, dem Buch der Erfahrung des Glaubens an Gott, des Lebens mit Gott, finden wir Orientierung. Die Bibel ist niemals ausgelesen. Ein Text der Bibel ist nie ein für alle Mal im Leben derselbe und hat für unterschiedliche Menschen in ihrer je eigenen Lebenssituation eine unterschiedliche Bedeutung. Z.B. ist hier der Psalm 23 für viele Menschen außerordentlich verschieden.

Für viele Menschen ist der Psalm Trost und Zuspruch in unterschiedlichen Situationen. Aber es gibt auch diejenigen, die innerliche Widerstände spüren, wenn sie hören: Dein Stecken und Stab trösten mich. Sie verbinden damit Schläge in der Familie, die angeblich gut für sie sein sollten.

Es sei eine richtige Tragödie für Käßmann, schreibt sie, dass so viele Menschen in Deutschland die Bibel gar nicht mehr kennen. In diesem Land hat Martin Luther das erste Mal die Bibel in die Volkssprache übersetzt. Er wollte, dass die Menschen selbst nachlesen können. Schulen für Jungen und sogar für Mädchen hat er gegründet, ein Bildungsprozess unvorstellbaren Ausmaßes wurde so in Gang gesetzt.

Vor allem für Evangelische ist die Bibel von zentraler Bedeutung, ja die ganze Reformation ist letzten Endes von Luthers Bibelstudium her entwickelt. Die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache war ein revolutionärer Vorgang.

Vielleicht sei die Poesie die schönste Sprache des Glaubens, so Käßmann. Poetische Texte der Bibel von den Psalmen bis 1. Korinther 13 haben die Herzen der Menschen immer besonders berührt.

Sie gibt die Anregung, doch mal z.B. ein Evangelium zu lesen. Jeden Tag ein Stück.

Der Gottesdienst

So mancher Seufzer ist über den Gottesdienst zu hören: zu trocken, zu lieblos, zu wenig ansprechend. Das Fazit einer Auswertung durch Konfirmanden lautet: Er ist für fast alle langweilig.

Ein Gottesdienst soll Menschen im Glauben stärken, sie aufnehmen in die Gemeinschaft, ihnen Anregung geben zum Nachdenken, sie das Lob Gottes singen und ihre Gedanken vor Gott bringen lassen. In den Gemeinden vor Ort sollte überlegt werden, wie der Gottesdienst lebendiger werden kann, sodass, wer teilnimmt, spirituell gestärkt wird und Gemeinschaft erlebt.

In Psalm 147 heißt es: „Unsern Gott loben, das ist ein köstlich Ding“. Das heißt, es macht Gott Freude, wenn ich Gott zum Lobe singe, wenn wir gemeinsam zu Gott beten, wenn wir Gottes Wort hören. Gottesdienst ist ein Dialog zwischen Gott und Gemeinde, wir hören und antworten, wir bitten um Gottes Gegenwart und erfahren sie.

Gemeinschaft im Hören, Singen und Beten ist Teil christlicher Spiritualität. Die erste Christenheit hat dafür ihr Leben riskiert. Auch heute kann es , etwa in China oder Indonesien, lebensgefährlich sein, an einem Gottesdienst teilzunehmen.

Gottesdienst, das ist die Liturgie, die Erfahrung der Gemeinschaft, die Tradition, in der ich stehe.

Taufe und Abendmahl sind für die Kirche der Reformation die beiden einzigen Sakramente, weil sie direkt auf Jesus Christus zurückgehen. Wasser, Brot und Wein sind elementare Versinnbildlichungen des Glaubens. Und diese beiden Sakramente verbinden uns mit allen anderen Konfessionen. Wir taufen in die eine Kirche Jesu Christi hinein.

Das Gebet

Das Beten gilt als das „Herzstück christlicher Spiritualität“ (VELKD).

Und es ist wohl auch der einfachste Zugang zu Spiritualität. Da bedarf es keiner langwierigen Unterweisung, es betet sich sozusagen von selbst.

Martin Luther hat einmal an seinen Barbier Meister Peter geschrieben und ihm Mut gemacht, ganz schlicht das Vaterunser zu sprechen. Nicht allzu viel Brimborium solle gemacht werden, sondern in diesem Gebet sei alles aufgehoben, wenn sich das Herz dafür erwärme. Luther schreibt: „Und ich habe so auch oft mehr in einem Gebet gelernt, als ich aus viel Lesen und Nachsinnen hätte kriegen können. Darum kommt es am meisten darauf an, dass sich das Herz zum Gebet frei und geneigt mache … Was ists anders als Gott versuchen, wenn das Maul plappert und das Herz anderso zerstreut ist?“

Gebet ist auch Konzentration. Es gibt das gemeinsame Gebet im Gottesdienst, aber vor allem auch das persönliche Gebet im Tagesablauf.

Gebet braucht auch eine Form von Disziplin. Eben mal beten, dass dies oder das eintreten möge, das degradiert Gott zu einem Automaten, in den ich eine Münze werde und erwarte, dass etwas herauskommt.

Es geht beim Beten darum, langfristig beziehungsweise auf Dauer mit Gott im Gespräch zu sein, sich auf die Gottesbeziehung einzulassen. Das verändert immer auch mich selbst.

Kraftvoll soll vor allem das „Amen“ gesprochen werden, so Luther, damit wir den Zweifel bekämpfen. Niemand steht so fest im Glauben, dass er oder sie nicht auch wanken würde.

Probleme verschwinden nicht durch das Gebet, aber sie werden manches Mal auf die ihnen angemessene Dimension zurückgestuft.

Gebete verändern. Das hat vor allem die Erfahrung der Montagsgebete in der Leipziger Nikolaikirche gezeigt. Hier konnte in Freiheit ausgesprochen werden, was Menschen bedrängt.

Wenn Menschen in Angst und Gefahr nicht mehr ein noch aus wissen, ist das gemeinsame Gebet ein Angebot der Geborgenheit und Gemeinschaft.

So sind das persönliche Gebet und das gemeinsame Gebet … tragende Säulen christlicher Spiritualität.

Das Gesangbuch

Das Singen ist das Herzstück evangelischer Spiritualität und neben Bibel, Gottesdienst und Gebet der vierte Grundpfeiler.

Die Psalmen fordern uns geradezu heraus: „Singet dem Herrn ein neues Lied!“ heißt es in Psalm 96 oder in Psalm 68: „Singet Gott, lobsinget seinem Namen!“ Gerade die lutherischen Kirchen haben eine große Tradition, im Singen unseren Glauben auszudrücken. Martin Luther selbst war ein äußerst kreativer Liederdichter. Und Paul Gerhardt ist wohl der größte Liederdichter überhaupt. Seine Verse gehören in den deutschen evangelischen Gesangbüchern zu den am häufigsten erscheinenden Texten, aber auch in der katholischen Kirche werden seine Lieder gesungen, ja sie finden sich in aller Welt.

Alte, weise Lieder können unserem Glauben Form, Töne und Text geben. Aber es können auch neue Lieder sein. Auch hier kann es um tiefen Glauben in neuer Sprache und neuen Tönen gefasst sein.

Singen ist zudem Teil von Bildung. Kirchenmusik ist auch religiöse Bildung.

Es geht um Halt und Orientierung in diesem Leben und weit darüber hinaus. Dafür Zeit zu finden in unserem Leben, Freiraum dafür zu schaffen, ist eine lohnende Angelegenheit. Wir lernen auf diese Weise, das Leben in seiner gottgeschenkten Fülle wahrzunehmen. Wir erfahren, dass der christliche Glaube nicht eine Sache allein des Intellekts ist oder des Kopfes, sondern mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann, gerade auch in der lutherischen Kirche.

Davon, so zeigte die Auswertung, haben die Teilnehmerinnen am Lago Maiggore etwas spüren können. Bei den Andachten, beim meditativen Singen am Ufer des Sees, beim Walken und beim Pilgern zu den 15 Kapellen des Sacro Monte bei Varese.

Mitarbeiterinnen zu stärken, ihnen im Käßmann’schen Sinne Zugang neu oder wieder zur eigenen evangelischen Spiritualität zu eröffnen, ist sicher im besten protestantischen Sinne Bildung.