Tag Archiv für jüdische Weltverschwörung

Das Gift der Verschwörung

von Kurt-Helmuth Eimuth 1. Februar 2021

Verschwörungserzählungen sind nicht erst seit Corona verbreitet. Das Problem: Sie können immer weiter nach rechts driften und radikalisiert werden.

„Aluhutträger“ lassen sich nicht überzeugen: Das Wort geht auf eine Science-Fiction-Geschichte von Julian Huxley aus dem Jahr 1927 zurück, in der Kappen aus Metallfolie Telepathie blocken sollen. | Foto: Kai Schwerdt /Flickr.com (cc by-nc)
„Aluhutträger“ lassen sich nicht überzeugen: Das Wort geht auf eine Science-Fiction-Geschichte von Julian Huxley aus dem Jahr 1927 zurück, in der Kappen aus Metallfolie Telepathie blocken sollen. | Foto: Kai Schwerdt /Flickr.com (cc by-nc)

Eigentlich verständlich, dass Menschen auf komplizierte Zusammenhange gerne einfache Antworten bekommen möchten. Einfache Antworten entlasten emotional, denn es ist sehr schwierig, Unsicherheiten auszuhalten. Eine repräsentative Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung, durchgeführt vor einem Jahr, zeigt, wie verbreitet der Wunsch nach einfachen Antworten ist: 30 Prozent halten demnach die Behauptung, dass geheime Machte die Welt steuern, „für wahrscheinlich richtig oder sicher richtig“, ein harter Kern von 11 Prozent ist sich dessen sogar „ganz sicher“.

Ganz oben auf der Hitliste klassischer Verschwörungsmythen steht die Überzeugung, die Mondlandung hätte gar nicht stattgefunden, sondern wäre im Studio gefilmt worden. Politischer wird es mit der Behauptung, die Anschlage vom 11. September seien von der US-Regierung selbst inszeniert worden, um islamistischen Staaten den Krieg erklären zu können. Und natürlich ist da auch noch die große Diana-Verschwörung, die gleich mehrere Deutungen des Unfalls der englischen Prinzessin zu bieten hat.

Seit Corona ist aber nicht nur die Zahl der Verschwörungserzählungen gewachsen, sie werden auch immer radikaler. Psychologisch ist das erklärbar: Wenn man an etwas glaubt – zum Beispiel, dass es das Virus gar nicht gibt oder Donald Trump mit Sicherheit die Wahl gewinnt – sich dies aber in der Realität nicht bewahrheitet, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erkennt an, dass man falsch lag, oder man gräbt sich noch tiefer ein und erfindet immer neue Erklärungen.

Wie weit die Radikalisierung in den USA schon fortgeschritten ist, zeigt eine neue Umfrage: Fast 40 Prozent der Befragten glaubt, dass ein „tiefer Staat“ im Geheimen gegen Donald Trump operiert hat. Und mehr als die Hälfte hält es für vorstellbar, dass eine Gruppe „satanistischer Eliten“ einen Kindersexring betreibet und Politik und Medien kontrolliert.

Dass eine Elite Kinder gefangen hält und ihnen Blut absaugt, ist ein altes antisemitisches Erzählmuster. Schon im 15. Jahrhundert hieß es, Frauen und Juden würden aus Kindern Hexensalbe herstellen. Bis heute schwingt der Mythos einer geheimen jüdischen Weltverschwörung mit, wenn behauptet wird, dunkle Mächte wollten die Menschen durch eine Impfung manipulieren. Dementsprechend wird auch der Holocaust verharmlost, wenn zum Beispiel „Querdenker“ sich heute als ebenso verfolgt wie Jüdinnen und Juden unter Hitler stilisieren.

Mit dem harten Kern dieser Bewegung, in Deutschland etwa zehn Prozent der Erwachsenen, lässt sich kaum noch vernünftig diskutieren. Sie sind so in ihr eigenes Glaubensmuster verwoben, dass Argumente keine Chance haben. Doch der größere Teil derer, die Verschwörungsideen verbreiten, sind vor allem verunsichert. Mit ihnen muss gesprochen werden, sie brauchen Argumente so dringend wie Zuwendung.

Schneller als das Virus

In Zeiten der Verunsicherung haben Verschwörungsmythen Konjunktur. Es ist die Zeit der Vereinfacher und Demagogen. Auch im religiösen Bereich gibt es viele bizarre Theorien zu den Ursachen des Coronavirus. Zum Glück gehen die etablierten Religionen verantwortungsvoll mit der Krise um.

Wer hat's in die Welt gebracht? Verschwörungsmythen über Covid-19 verbreiten sich fast schneller als der Virus. | Foto: Fusion Medical Animation/unsplash.
Wer hat’s in die Welt gebracht? Verschwörungsmythen über Covid-19 verbreiten sich fast schneller als der Virus. | Foto: Fusion Medical Animation/unsplash.

Schon in den ersten Wochen nach Ausbruch des Coronavirus sollen nach einer Meldung der Washington Post sieben Prozent aller Posts auf Twitter falsche Informationen verbreitet haben. Komplizierte Sachverhalte reduzieren und möglichst einen Schuldigen benennen – so einfach ist das Muster des Verschwörungsmythos.

Islamische Geistliche aus Tunesien und Ägypten zum Beispiel haben behauptet, das Coronavirus sei eine Strafe Gottes für die Chinesen für deren Umgang mit den Uiguren. Im Irak verbreitete sich die Erklärung, bei der Epidemie handele es sich um ein amerikanisch-jüdisches Komplott. Ziel sei es, die Weltbevölkerung zu dezimieren.

Die Vorstellung von einer „jüdischen Weltverschwörung“ kursiert schon seit gut hundert Jahren. Sie geht unter anderem auf einen Roman aus dem Jahr 1868 zurück, der ein geheimes Treffen auf dem Judenfriedhof in Prag ausmalt. In den dort angeblich beschlossenen „Protokollen der Weisen von Zion“ sei beschrieben, wie das „internationale Judentum“ die Herrschaft über die Menschheit erlangen will, indem sie Wirtschaft, Finanzen, Medien und Kultur kontrollieren.

Diese fixe Idee wird bei jeder Krise wieder reaktiviert. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung, sagte im Deutschlandfunk, es habe nur wenige Tage gedauert, bis das Auftreten des Coronavirus auch in Deutschland mit einer jüdischen Weltverschwörung verknüpft wurde: „Man hat gesagt: In Wuhan gibt es ein Biolabor, Bill Gates und Melinda Gates entwickeln Impfstoffe und verdienen damit Geld, und die seien ja Juden. Nichts davon stimmt.“

Vereinfachende Denkmuster finden sich bei sektenhaften Gruppierungen aller Religionen. Für Man-Hee Lee von der südkoreanischen Sekte „Shincheonji“ war klar: Das Coronavirus ist das Werk des Teufels, das die Ausweitung der Shincheonji-Kirche verhindern soll. An der Verbreitung des Virus in Südkorea hatte die christliche Sekte großen Anteil: Die Mitglieder halten sich für quasi unsterblich, weshalb ihnen Krankheiten nichts anhaben können. Dem Sektengründer droht in Südkorea jetzt ein Strafverfahren wegen Mordes. In Frankfurt hat Shincheonji 500 Mitglieder, ihr Zentrum ist geschlossen.

Die „Catedral Global do Espírito Santo“ in Brasilien hatte in einer Online-Broschüre mit der „Kraft Gottes gegen das Coronavirus“ geworben. Sie versprach ihren Gläubigen „eine Salbung mit geweihtem Öl“, das gegen Epidemien, Viren oder Krankheiten immun mache. In den USA geißelte ein evangelikaler Pastor Corona als Strafe Gottes für Homosexualität.

Doch Verschwörungsmythen sind nicht nur bizarr und abgedreht. Dies mag vielleicht für die Überzeugung gelten, dass die Mondlandung von der NASA in einem Filmstudio inszeniert wurde oder dass Elvis Presley noch lebt und von Außerirdischen entführt wurde, um die beiden beliebtesten Verschwörungsmythen zu nennen. Aber im politischen Bereich wird aus abgedrehten Ideen häufig blutiger Ernst.

Der rassistische Attentäter von Hanau fantasierte von einer angeblichen Überwachung durch ominöse Geheimdienste, von Gedankenkontrolle und Manipulation. Verschwörungsideologien sind häufig Teil eines Radikalisierungsprozesses. Durch sie fühlen sich Attentäter subjektiv berechtigt, andere zu töten. Die jeweilige Ideologie – und mag sie noch so krude sein – wirkt wie ein Durchlauferhitzer. Absurde Gedanken werden zum Kochen gebracht und entladen sich in Gewalt.

Auch der Rechtsextremist Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen umgebracht hat, sah sich als Retter einer christlich-europäischen Ordnung. Er griff dabei auf Ideen sogenannter national-konservativer Intellektueller zurück, die vor einer angeblich geplanten Islamisierung Europas warnen.

Die Macht von vereinfachenden Vorstellungen, die Sehnsucht nach scheinbar leichter Erlösung überflügelt oftmals den Verstand. Auch unseren zuweilen. Ruhig und besonnen sollen wir bleiben, und doch rennen wir los und kaufen Nudeln und Toilettenpapier. Sind das die überlebenswichtigen Güter? Der Mensch ist vernunftbegabt, aber seine Gefühle stehen ihm oft im Weg. Und darum sind Verschwörungsideologien vermutlich unausrottbar. Mal sind sie nur grotesk, mal gefährlich für Leib und Seele.

1924 entmystifizierte Binjamin Segel in einem gründlich recherchierten Buch mit dem Titel „Protokolle. Eine Erledigung“ die so genannten Protokollen der Weisen von Zion, stellte aber gleichzeitig fest: „Wir sagten uns, es ist überflüssig, gegen dieses dumme Zeug anzukämpfen, das wird über kurz oder lang unter dem Hohnlachen der ganzen Welt zusammenbrechen. Wir haben uns getäuscht. Wir haben die Dummheit und Leichtgläubigkeit der Welt sehr erheblich unterschätzt. Mit diesen Protokollen hat gleichsam die Geschichte das Experiment gemacht, was man alles in einem aufgeklärten Zeitalter den Massen zumuten darf.“ Wie Recht er hatte.

Die Top Ten der Verschwörungstheorien.