Rutschauto oder Bobby-Car?

Bild: Wikimedia/Thiemo Schuff

Welt des Kindes, Dezember 2002

Qualifizierungsoffensive in Frühenglisch

Der Unterricht in Frühenglisch begann mit Spanisch. Astrid Troost, Sprachlehrerin an der Evangelischen Ausbildungsstätte für Sozialpädagogische Berufe am Frankfurter Diakonissenhaus irritierte bewusst: „ Die Studierenden sollen die Erfahrung machen, wie Kindergartenkinder eine Sprache wahrnehmen. Sie sollen sich zurückversetzen in die Zeit als sie selbst noch in diesem Alter waren.“

Der Unterricht begann mit einem spanischem „Holá“, was jeder und jede versteht, aber eben doch etwas anders klingt. Und dann erklärte die Lehrerin quasi im Rollenspiel die Situation so wie sie in der Kindertagesstätte wäre: „Wir wollen eine neue Sprache lernen. Vielleicht könnt ihr ja auch schon ein paar Worte. Ihr habt Euch wahnsinnig auf den heutigen Tag gefreut und seid sicher aufgeregt.“ Astrid Troost nimmt die Angst. Hier im Kreis der Studierenden spricht sie nochmals die Rahmenbedingungen aus: „Ihr müsst nichts wiederholen. Es besteht kein Leistungsdruck. Es gibt keine Erwartungen. Ihr macht einfach mit. Ihr macht einfach, was ich Euch vormache.“

Und dann geht es los. Mit dem „Holá Astrid“ stellt sich die Lehrerin vor. Schnell wird es nachgesprochen. Alle, die wollen kommen in den Kreis. Dann gibt es Übungen zum Aufstehen, Setzen und Klatschen. Nach der Bewegung werden die ersten Wörter mittels Wortkarten vorgestellt. Fisch, Haus, Boot werden in spanisch vorgestellt. Später wird die Lehrerin die Karten verwechseln und die Studierende alias die Kinder werden sie verbessern. Nach diesem Richtig oder Falsch-Spiel erzählt Troost noch eine kurze Geschichte. Immer wenn die soeben gelernten Wörter fallen, soll die Gruppe klatschen. Das klappt wunderbar, doch funktioniert es nur bei voller Konzentration.

Soweit die erste Stunde. Spaß hat sie allen gemacht. Die Studierenden merken, wie einfach es sein kann, sich auf eine neue Sprache einzulassen. Gleichzeitig haben sie selbst erfahren wie anstrengend diese kleinen Übungen sind. Die Lehrerin ist zufrieden. Alle haben sich in der ersten Stunde Frühenglisch auf Spanisch eingelassen. Nur eines sei anders gewesen als im Kindergarten. Die jungen Leute haben an anderen Stellen gelacht. Ein Kindergartenkind findet es eben urkomisch, wenn die Lehrerin einen falschen Begriff zu einer Wortkarte sagt.

Die Methode des Erlernens einer Sprache sei für alle Sprachen gleich. Zentrale Bedeutung hat hier das „Total Physical Response“ (TPR). Die Kinder setzen das gesprochene Wort in Bewegung, in Gesten um und erfahren Sprache so mit allen Sinnen. Während des Unterrichts ist der Gebrauch der Muttersprache unerlässlich. Dies gibt Sicherheit und vermeidet bei Anleitungen Chaos, das durch Irrtümer entstehen kann.

Eine kontroverse Diskussion ging der in diesem Schuljahr als Wahlfach eingeführten Doppelstunde „Frühenglisch“ voraus. Die Pädagogik-Lehrerinnen mahnten zurecht den Situationsansatz an. Verträgt sich dieses Angebot mit einer Konzeption, die die Lebensthemen der Kinder zum Ausgangspunkt der Bildungsarbeit im Elementarbereich macht? Wäre es nicht notwendiger türkisch zu lehren? Leistet man dem Elite-Kindergarten, der auch Englisch anbietet, Vorschub?

Am Ende des Diskussionsprozesses stimmten alle Beteiligten völlig überein. Gerade mit der Vermittlung einer Fremdsprachenkompetenz wirkt man einem beängstigendem Trend entgegen. Immer mehr wird der Beruf der Erzieherin entwertet. Für die musikalische Bildung wird die Jugendmusikschule geholt, für die Bewegungserziehung kommt der Sportverein ins Haus und für die Fremdsprache eben die Englischlehrerin. Gerade der Situationsansatz fordert das Gegenteil. Zwar sollen punktuell Experten hinzugezogen werden, aber im Rahmen der Projektarbeit ist die Erzieherin für die Bildung zuständig. So ist denn auch als Ziel der Vermittlung des Unterrichts an der Fachschule die Befähigung der Studierenden zu einem in die Projektarbeit integriertem Englischunterricht formuliert. Zu Themen wie Familie, Einkaufen, Tiere oder Feste können immer wieder englische Einheiten eingebaut werden, beispielweise im Liedgut oder durch das Vermitteln von Reimen.

Ferner wird den Studierenden verdeutlicht, dass Englisch im Kindergarten kein Schulunterricht ist. Emotionaler Stress bei Kindern muss unbedingt vermieden werden. Die Kinder müssen die Möglichkeit haben, ihr eigenes Lerntempo zu bestimmen. Wenn dies alles gelingt, dann werden sie eine gute Grundlage für ihr späteres Sprachgefühl mit auf den Weg bekommen. Und voller Stolz werden sie ihre Eltern und Großeltern testen, ob die denn auch Englisch können.

Schulleitung und Träger begrüßen diese Qualifizierungsoffensive. Doch es blieb nicht nur beim Beifall. Man stellte auch die notwendigen Finanzmittel bereit. Ein Schuljahr bekommen die Studierenden, die über ausreichende Englischkenntnisse verfügen, die Möglichkeit zusätzlich zum vorgesehenen Englischunterricht an dieser Qualifizierung teilzunehmen. Sie bekommen über dieses erste von drei Modulen ein Zertifikat. Die anderen Module können sie später an der Akademie für Fort- und Weiterbildung, ebenfalls im Frankfurter Diakonissenhaus angesiedelt, erwerben.

Kurt-Helmuth Eimuth

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