Tag Archiv für sexualisierte Gewalt

Kindesmissbrauch: Wider dem Verlangen

Sexualisierte Gewalt gibt es leider in allen Institutionen und quer durch alle Gesellschaftsschichten. Schmerzlich muss sich nach der jüngsten Studie die evangelische Kirche damit intensiv beschäftigen. Doch zum Schutz der Kinder müssen nicht nur dringend Strukturen in den Organisationen, etwa der Kirche, verändert werden. Auch am anderen Ende muss man dem Phänomen ins Auge sehen. Etwa ein Prozent der Männer – so die Schätzung – haben pädophile oder hebephile Neigungen. Sie fühlen sich von Kindern im vorpubertären oder frühpubertären Alter angezogen. Eine Neigung, deren Ursachen nicht eindeutig geklärt ist. Im Podcast Conny&Kurt erklärt die Psychologin Nora-Frederike Hoffmann, dass diese Neigung „biopsychosoziale Komponenten“ enthalte, also ein Anteil eben auch angeboren sei. Hoffmann und ihr Kollege Leif Trampenau bieten ein (psychotherapeutisch/psychiatrisches) Behandlungsangebot für Männer und Frauen, Erwachsene (und Jugendliche), die therapeutische Hilfe suchen, weil sie sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Die Arbeit der Mitglieder des Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ wird im Rahmen eines Modellvorhabens nach §65d SGB V durch den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) gefördert. Hier können sich Männer hinwenden, die sich eben von den Kindern angezogen fühlen und dieses Verlangen in den Griff bekommen wollen. Die Beratungsstelle kann dabei helfen. Derzeit sind 30 Männer dort in Behandlung, Gleichwohl schätzt man, dass alleine in Schleswig-Holstein 10.000 Männer mit diesem Verlangen leben.

Auch evangelische Besonderheiten begünstigen sexualisierte Gewalt

von Kurt-Helmuth Eimuth 18. März 2019

Die Fälle von sexualisierter Gewalt in kirchlichen Einrichtungen betreffen beide Kirchen. Es gibt Schätzungen, wonach sich ein Drittel der Fälle im kirchlichen Kontext in der evangelischen Kirche abgespielt hat. Wahrscheinlich hat der Missbrauch in der katholischen Kirche strukturelle Gründe. Aber es gibt auch evangelische Besonderheiten, die problematisch sind.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Keineswegs segelt die evangelische Kirche bei den Debatten über sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen im Windschatten der katholischen Kirche. Vielmehr wird ihr vorgeworfen, dass sie selbst im Glashaus sitze, nur eben ihre Verstrickung deutlich leiser bearbeite. Es gibt Schätzungen, wonach sich ein Drittel der Fälle im kirchlichen Kontext in der evangelischen Kirche abgespielt hat.

Wahrscheinlich hat der Missbrauch in der katholischen Kirche strukturelle Gründe. Deutlich stellten Katholiken und Katholikinnen um den Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz in einem offenen Brief einen Zusammenhang her zwischen vorgeschriebenen Lebensformen, sexuellen Tabus und Männerbünden: „Missbrauch in unserer Kirche hat auch systemische Gründe. Die Versuchung des Klerikalismus folgt dem Klerus wie ein Schatten.“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will in zwei wissenschaftlichen Studien das Ausmaß des Skandals in ihren eigenen Strukturen ergründen. Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche, wo es bereits eine 500 Seiten starke Studie dazu gibt, machte in ihrem Bericht vor der EKD-Synode evangelische Spezifika aus. Problematisch seien zum Beispiel „die unreflektierte Vermischung von Privatem und Dienstlichem, dezentrale Strukturen, die unklar machen, wer für was zuständig ist, fehlende Beschwerdemöglichkeiten.“

Im der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind von 1947 bis heute 50 Fälle bekannt geworden, die denen der Verdacht auf sexualisierte Gewalt bestand. Dabei wurden 16 Mal Pfarrer verdächtigt. In 12 Fällen konnten keine Ermittlungen mehr geführt werden, weil die Beschuldigten bereits verstorben waren. Ein Verdacht hat sich als unbegründet erwiesen. Dreimal wurde ein kirchliches Dienstrechts-Verfahren eingeleitet. In den anderen Fällen richteten sich die Anschuldigungen gegen Erzieher, Ehrenamtliche oder Kirchenmusiker. In der Gesamtzahl sind laut EKHN auch alle bekannten Fälle aus Heimen in evangelischer Trägerschaft enthalten.

Bei der Bearbeitung von sexualisierter Gewalt kann sich die evangelische Kirche also strukturell nicht auf den Klerus fokussieren. Sie muss die Mitarbeiterschaft in ihrer ganzen Breite – ob haupt- oder ehrenamtlich – in den Blick nehmen. Mit Hilfe eines neuen Gesetzes gegen Kindeswohlgefährdung und der Vorschrift von erweiterten Führungszeugnissen für Haupt- und Ehrenamtliche sind erste Schritte unternommen worden. Schulungen ergänzen die formalen Anforderungen. Zudem hat die EKHN Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Beschwerden ausgewiesen.

Überall, wo Macht ausgeübt wird, ob in der Psychotherapie, in der Seelsorge, in der Schule oder im Kindergarten, kann diese missbraucht werden. Deshalb gilt es weiterhin wachsam für Anzeichen eines Missbrauchs zu sein. Die Analyse der Vergangenheit kann da wertvolle Hinweise geben.

Vatikankonferenz zu sexualisierter Gewalt: Chance leider vertan

von Kurt-Helmuth Eimuth 25. Februar 2019

Die Krise der katholischen Kirche kann evangelischen Christinnen und Christen nicht gleichgültig sein. Es geht hier nämlich nicht nur um die Glaubwürdigkeit einer Institution, sondern auch um die Glaubwürdigkeit christlicher Lebensentwürfe. Leider wurde die Chance, an die Wurzeln des Übels zu gehen, wieder vertan.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Die Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche fand jetzt auf allerhöchster Ebene statt. Papst Franziskus hatte zur Anti-Missbrauchskonferenz nach Rom geladen. Herausgekommen ist eine Sensibilisierung für die Leiden der Betroffenen. In der etwas blumigen Sprache der Kirche klingt das so: „Das Echo des stillen Schreis der Kleinen, die in ihnen statt Vätern und geistlichen Führern Menschenschinder gefunden haben, wird die durch Scheinheiligkeit und Macht betäubten Herzen erzittern lassen. Wir haben die Pflicht, diesem erstickten stillen Schrei aufmerksam zuzuhören.“

Priester und Bischöfe seien zu „Menschenschindern“ geworden. Scharfe Worte des Papstes. Doch was folgt daraus? Die Kirche werde alle Delikte des sexuellen Missbrauchs an die Justiz weitergeben. Alle Bischofskonferenzen weltweit würden künftig sexuellen Missbrauch unnachsichtig verfolgen. Eigentlich doch eine Selbstverständlichkeit.

An die strukturellen und theologischen Wurzeln des Übels wollte man nicht gehen. Dabei liegen sie auf der Hand. Es ist ein Amtsverständnis, das den Priester erhöht, ja überhöht. Und auch wenn es theologisch nicht so gemeint ist, verführt es doch zur Herrschaft über Menschen. Deutlich sprachen Katholiken und Katholikinnen um den Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz von einem Zusammenhang zwischen vorgeschriebenen Lebensformen, sexuellen Tabus und Männerbünden. „Missbrauch in unserer Kirche hat auch systemische Gründe. Die Versuchung des Klerikalismus folgt dem Klerus wie ein Schatten. Die Aussicht auf Macht in Männerbünden zieht Menschen aus Risikogruppen an“, war in dem offenen Brief zu lesen.

Heribert Prantl nennt die Krise der katholischen Kirche in der Süddeutschen Zeitung eine Jahrtausendkrise, die nur durch Jahrtausendreformen bewältigt werden kann. Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche kann nur wiedergewonnen werden, wenn sie ihre „vormoderne Ordnung“, so der offene Brief aus Frankfurt, überwindet. Dazu bedarf es vor allem eines anderen Amtsverständnisses der Priester. Die freie Wahl der Lebensform sowie die Zulassung von Frauen zum Priesteramt gehört da ebenso dazu wie eine andere Bewertung der Homosexualität.

Die Krise der katholischen Kirche kann evangelischen Christinnen und Christen nicht gleichgültig sein. Es geht hier nämlich nicht nur um die Glaubwürdigkeit einer Institution. Zum einen ist es eine schwere Hypothek für den Annährungsprozess der beiden großen Kirchen. Zum anderen geht es aber auch um die Glaubwürdigkeit christlicher Lebensentwürfe, gleich welcher Prägung. Mit einer zunehmend den christlichen Kirchen gegenüber kritisch eingestellten Gesellschaft erleichtern die Vorgänge in Rom nicht die Diskussion.

Im Fußball würde man sagen: Der Papst hat eine Torchance kreiert aber dann doch nicht konsequent abgeschlossen. Die Chance wurde vertan.

Das katholische Frankfurt setzt ein notwendiges Zeichen

von Kurt-Helmuth Eimuth 5. Februar 2019

In einem offenen Brief haben sich der Frankfurter katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewandt. Ein notwendiges Signal für einen gelebten Glauben in einer modernen Welt.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Deutliche Worte ist man vom katholischen Stadtdekan gewöhnt. Nicht zuletzt im Interview mit dem efo-Magazin wies er auf den Zusammenhang von Zölibat und sexuellem Missbrauch hin.

In einem offenen Brief haben sich jetzt Johannes zu Eltz und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewandt. In Rom solle Kardinal Reinhard Marx die Zusammenhänge von vorgeschriebenen Lebensformen, sexuellen Tabus und Männerbünden freimütig zur Sprache bringen: „Missbrauch in unserer Kirche hat auch systemische Gründe. Die Versuchung des Klerikalismus folgt dem Klerus wie ein Schatten. Die Aussicht auf Macht in Männerbünden zieht Menschen aus Risikogruppen an. Sexuelle Tabus blockieren notwendige Klärungs- und Reifungsprozesse.“

Viele aktive Katholiken könnten die „vormoderne Ordnung“ nicht mehr mittragen, schreiben die Verfasserinnen und Verfasser, unter Ihnen Ansgar Wucherpfennig, Direktor der Hochschule Sankt Georgen, und die Direktorin des Frankfurter Caritas, Gaby Hagmans. Es wird die freie Wahl der Lebensform für Priester und die Zulassung von Frauen zum Priesteramt gefordert, inklusive einer „verständigen und gerechten Bewertung von Homosexualität“.

Der Frankfurter Brandbrief zeigt auf der einen Seite die Nöte der katholischen Kirche, auf der anderen Seite den Mut der lokalen Spitze Neuerungen voranzutreiben. Ein notwendiges Signal für einen gelebten Glauben in einer modernen Welt.