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Die Armen bleiben arm, die Reichen wurden reicher

von Kurt-Helmuth Eimuth 3. Januar 2020

Zehn Prozent der Menschen in Deutschland sind überschuldet, das sind fast sieben Millionen. Trotz dem Konjunkturboom der vergangenen Jahre ist ihre Zahl gleich geblieben. Drei Maßnahmen, die man sofort ergreifen müsste.

jeder zehnte Mensch in Deutschland hat mehr Schulden als Vermögen. |Foto: Josh Appel / Unsplash
jeder zehnte Mensch in Deutschland hat mehr Schulden als Vermögen. |Foto: Josh Appel / Unsplash

Der Einzelhandel ist noch in erwartungsvoller Stimmung: Die ersten zwei Wochen eines neuen Jahres gelten als umsatzstark, die weihnachtlichen Gutscheine und Geldgeschenke müssen ausgegeben werden. Aber auch die Börse jubelt. Die Kurse steigen und steigen, schließlich gibt es kaum noch Zinsen, Aktien bleiben die Alternative. Das vergangene Jahrzehnt mit seiner positiven Entwicklung gilt schon als eine Art zweites deutsches Wirtschaftswunder.

Doch zehn Prozent der Deutschen haben ein ganz anderes Problem: Sie sind überschuldet, das heißt, sie haben mehr Schulden als Vermögen. Zum Stichtag 1. Oktober 2019 betrug die Überschuldungsquote bundesweit exakt 10 Prozent – das heißt, über 6,9 Millionen Bürgerinnen und Bürger können ihre Schulden nicht mehr bezahlen und weisen „nachhaltige Zahlungsstörungen“ auf. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr praktisch unverändert.

Nicht alle von ihnen werden auf Dauer zahlungsunfähig sein. Viele werden ihre persönliche Misere wieder in den Griff bekommen. Aber rund vier Millionen Menschen bleiben in einer harten und damit tieferen Überschuldungsspirale gefangen. Von 2006 bis 2019 ist die Zahl der Überschuldungsfälle insgesamt um 611.000 gestiegen.

Auch in Hessen geht die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinander, und zwar stärker als in anderen Bundesländern, wie dem im Dezember veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu entnehmen ist. Der Frankfurter Jugendring weist zudem auf das Problem der Kinderarmut hin: Seinen Erkenntnissen nach lebt jedes vierte Kind in Frankfurt von Hartz IV.

Frauen (12,5 Prozent) sind insgesamt häufiger verschuldet als Männer (7,65 Prozent). Im Vergleich zum Vorjahr ist zudem die Zahl der verschuldeten Rentnerinnen und Rentner über 70 Jahre um 45 Prozent gestiegen, auf insgesamt 381.000 Fälle. Allerdings sind alte Menschen immer noch deutlich seltener überschuldet als Jüngere: Ihr Überschuldungsquote liegt nur bei knapp 3 Prozent.

Der langjährige Konjunkturboom in Deutschland hat also offensichtlich nicht dazu beigetragen, dass die Armutsgefährdungs- und Überschuldungsquoten zurückgegangen sind: Die Armen bleiben arm, die Reichen wurden reicher. Diese Kluft steht einer Gesellschaft, deren Werte Solidarität und Gemeinschaft sind, nicht gut an.

Drei Dinge gilt es jetzt zu tun und staatlich zu fördern:

Erstens darf kein Kind in der Schule zurückgelassen werden. Dass jährlich 70.000 Kinder ohne Schulabschluss und damit ein Leben lang in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, ist nicht tragbar.

Zweitens muss die Langzeitarbeitslosigkeit bekämpft werden. Wir dürfen uns nicht an Millionen Arbeitslose gewöhnen, zumal davon häufig auch deren Familien betroffen und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt sind.

Drittens schließlich muss der Altersarmut vorgebeugt werden. Es sollte für alle Menschen eine Mindestrente geben – die Nachbarländer Schweiz und Österreich machen vor, dass das geht.

Wenn's ums Geld geht

Ehrlich gesagt, so richtig habe ich mich noch nicht an den Euro gewöhnt. Immer noch rechne ich schnell in die gute alte Mark um. Die menschliche Vorstellungskraft ist eben doch an den eigenen Erfahrungshorizont gebunden. Dies ist wohl ein Grund, warum im öffentlichen Bereich so munter drauflos gewirtschaftet wird. Schließlich liegen die Summen jenseits des Vorstellungsvermögens, wenn es um Millionen, vielleicht auch Milliarden geht. Oder können Sie sich vorstellen, dass Militärtransporter für 7 Milliarden Euro, das sind 7000 Millionen, angeschafft werden? Bezogen auf unsere private Bezugsgröße könnten davon etwa 14.000 komfortable Reihenhäuser in Frankfurt gebaut werden.
Der öffentliche Umgang mit Geld scheint allzu sorgenlos. Die jetzigen Haushaltsberatungen in der Stadt zeigen es. Trotz schwindender Einnahmen versuchen die Parteien ihr Klientel zu bedienen. Herauskommen wird vor allem eines: ein Defizit. Nun könnte man auch als Bürger durchaus mal mit einem Kredit leben. Aber wenn die Neuverschuldung immer weiter steigt, stellt man auf Dauer einen ungedeckten Scheck aus, den die nächsten Generationen bezahlen müssen. Nein, so darf es nicht weitergehen. Wir können nicht ständig mehr ausgeben als wir zur Verfügung haben. Und es ist eben Aufgabe des Parlaments, darüber zu entscheiden, ob sich Frankfurt als Kulturhauptstadt Europas bewerben will (geschätzte Kosten 40 Millionen Euro) oder ob eine 12 Millionen teure Olympia-Bewerbung wirklich notwendig ist. Oder ob man dafür Spielplätze in den Kindertagesstätten renoviert. Denn es ist viel Geld in der Stadt: Allein der Kulturetat beträgt 204 Millionen Euro. Das ist ein Vielfaches dessen, was die evangelische Kirche insgesamt für ihre 70 Gemeinden mit ihren 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufwenden kann: 80 Millionen Euro. Auch die Kirche führt derzeit wieder eine Diskussion ums Geld. Es wird eine Rangfolge der Arbeitsbereiche aufgestellt, denn nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch bezahlbar. Das Ergebnis dieser Beratungen wird dann auch in dieser Zeitung nachzulesen sein. Es werden Einrichtungen geschlossen, wie das Familienferiendorf Mauloff, oder Gebäude verkauft, wie die Matthäuskirche, aber es werden auch neue Projekte geplant und umgesetzt, wie etwa die Jugendkulturkirche St. Peters. Denn nur wer den Mut zur Entscheidung hat, kann die Weichen für die Zukunft stellen.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: Februar 2002 · 26. Jahrgang · Nr. 1