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Die Kirche braucht eine wie Käßmann

Evamgelisches Frankfurt April 2010

Kommentar

Die Kirche braucht eine wie Käßmann

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Für die Comedians war es der Stoff, aus dem flache Scherze sind. Eine Bischöfin mit 1,5 Promille ist eine Steilvorlage für Harald Schmidt und Co. Auch deshalb war es richtig, dass Margot Käßmann von ihren Ämtern als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und als Bischöfin ihrer Landeskirche zurücktrat.

Dem Spott auf Kosten einer Bischöfin hätte sie vielleicht noch mit einer kleinen Charmeoffensive begegnen können. Doch Margot Käßmann wusste, dass da etwas zerbrochen war, das existentiell für sie, für ihre Arbeit, ist: Glaubwürdigkeit. Sie wollte nicht darüber hinwegsehen, dass ihre Autorität beschädigt war. Wörtlich sagte sie: „Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so, wie ich sie hatte.“ Man denke nur an die Auseinandersetzung um den Afghanistan-Krieg. Eine Bischöfin, die selbst einen „schweren Fehler“ gemacht hat, kann so etwas nicht durchhalten.

Doch die eigentliche Stärke von Margot Käßmann sind ihre Niederlagen. Sie kann wie kaum eine andere von ihrem Leben, von ihren Zweifeln und von ihrem Glauben erzählen. So schreibt sie über ihre Brustkrebserkrankung und ihre Scheidung: „In der Mitte des Lebens ist mir wichtig geworden, Krankheit und Leid und Krisen als Vertiefung anzusehen. … Nach acht Wochen habe ich wieder angefangen zu arbeiten. Und es war da eben doch auch ein tiefer Einschnitt, weil ich in dieser Zeit begriffen habe, dass ich der Tatsache ins Auge schauen muss, dass meine Ehe als gelebte Beziehung nicht mehr existiert. In einer existentiell bewegenden Situation ist es nicht möglich, vor der Realität wegzulaufen. Die Erkrankung hat mir letzten Endes den Mut gegeben, mich dieser Wirklichkeit zu stellen.“

Auch als sie ihren Rücktritt bekannt gab, zeigte sie Stärke. Nach all dem Erlebten, nach ihrer größten persönlichen Niederlage, kam dann dieser Satz: „Du kannst niemals tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Welch eine Glaubenszuversicht, welch eine Kraft!

Es ist ihr zu wünschen, dass sie sich bald von ihrem Erschrecken über sich selbst erholt. Denn die evangelische Kirche braucht Menschen wie Käßmann, die unerschrocken, politisch und fromm an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken. Und die heute 51-Jährige wird in naher Zukunft sicher wieder die öffentliche Bühne betreten. Ob als Autorin – sie hat über zwanzig Bücher verfasst – ob als Professorin oder gar in einem hohen kirchlichen Amt. Die Kirche braucht eine wie Margot Käßmann.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Die Logik des Krieges“- warum Käßmann Recht hat

Evangelisches Frankfurt Februar 2010

„Die Logik des Krieges“- warum Käßmann Recht hat

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Selten hat es eine neue Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche geschafft, so schnell auch bei Kirchenfernen bekannt zu werden – und das noch mit einer Predigt. Margot Käßmann, die Bischöfin aus Hannover und neue Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat, kaum hundert Tage im Amt, ein Thema transportiert, das ansonsten gerne verdrängt wird.

„Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden“, führte sie in ihrer Predigt am Neujahrstag aus. „Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut, von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen.“ Die Bischöfin wusste wohl, was ihr die Kritiker vorwerfen würden, denn sie sagte weiter: „Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen.“

Käßmann fordert also andere Konfliktlösungsstrategien, weil die bisherigen Muster der Realpolitik versagt haben. Das ist keine prinzipielle Antikriegshaltung. Die EKD hat vor drei Jahren in einer Denkschrift Kriterien eines gerade noch zulässigen Krieges benannt und darin politische, moralische und völkerrechtliche Aspekte aufgeführt, unter denen der Einsatz „rechtserhaltender“ militärischer Gewalt zulässig ist. Diese Kriterien hält die Ratsvorsitzende beim Afghanistan-Krieg völlig zu Recht für nicht (mehr) erfüllt. Inzwischen hat sich der gesamte Rat der EKD hinter die Bischöfin gestellt. Es ist zu befürchten, dass die Strategie der USA, mit immer noch mehr Militär den Krieg zu gewinnen, genau so scheitert wie einst das Engagement der Sowjetunion in Afghanistan. Margot Käßmann hat eine notwendige Diskussion angestoßen. Keineswegs naiv, sondern mit Augenmaß. Ihre Predigt ist gleichzeitig prophetisch und voller Realitätssinn. Es ist zu hoffen, dass die Zuspitzung auf die Frage, wie viele Soldaten Deutschland zusätzlich nach Afghanistan schickt, etwas von der Offenheit des protestantischen Denkens der Bischöfin atmet. Es geht um Krieg und Frieden und damit für viele Menschen um Leben oder Sterben.

Kurt-Helmuth Eimuth

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