Tag Archiv für Occupy

Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Wenn das Occupy-Camp eines verkörpert hat, dann die tiefe Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Bis ins konservative Lager hinein spüren viele, dass der heutige Turbokapitalismus vor allem eines ist: ungerecht. Es hat eine Diskussion begonnen über die Vision einer Gesellschaft: Soll sie sich nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausrichten? Oder soll sie vor allem gerecht sein?

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von “Evangelisches Frankfurt”. Foto: Rolf Oeser 

An vielen Stellen werden Ungerechtigkeiten wieder angeprangert. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel etwa fordert inzwischen einen Verkaufsstopp für den Bio-Sprit E 10: Es gebe einen „Konflikt zwischen Tank und Teller“. Recht hat er, denn der Anbau von Biomasse zur Spritgewinnung treibt die ohnehin steigenden Lebensmittelpreise weiter nach oben und verbreitet den Hunger in der Welt.

Noch so eine Ungerechtigkeit wird die Entwicklungshilfe direkt treffen. Die Finanzkrise hat nämlich ihre Auswirkungen nicht nur im Euro-Raum. Viele EU-Staaten wollen die Ausgaben für Entwicklungshilfe zurückfahren. Spanien und Griechenland haben ihr Budget schon um 30 bis 40 Prozent gekürzt. Noch 2005 hatte die EU versprochen, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung bis 2015 in Entwicklungshilfe zu investieren. Deutschland liegt mit 0,39 Prozent weit hinter dieser Marke.

Und noch so eine Ungerechtigkeit wird möglicherweise ins Visier genommen: Die steuerliche Benachteiligung eingetragener Lebenspartnerschaften im Vergleich zur Ehe. Das Ehegattensplitting ist ohnehin vielen ein Dorn im Auge, schließlich kostet es den Staat 20 Milliarden Euro jährlich und bevorzugt vor allem sehr gut verdienende Haushalte mit nur einem Einkommen – unabhängig davon, ob Kinder im Haushalt leben. Für diese gewaltige Summe kann man sich effektivere Modelle der Familienförderung vorstellen.

Und schließlich ist da noch der Stachel von Hartz IV. Das Modell war ökonomisch erfolgreich, aber es hat einen bitteren Beigeschmack. Denn die Hartz-Gesetze drängten zwar die Arbeitslosigkeit zurück, schufen aber auch Armut trotz Arbeit und führten zu einer Ausweitung des Niedriglohnbereichs. Auch Dank der neuen sozialen Bewegungen hat inzwischen eine Diskussion darüber begonnen, ob etwa ein Grundeinkommen für alle eine Alternative sein könnte.

An vielen Stellen brechen derzeit solche Debatten auf – und das ist gut so. Denn die Idee einer gerechten Gesellschaft ist auch eine im Kern christliche Idee.

Kurt-Helmuth Eimuth, Evangelisches Frankfurt, September 2012

Die Kirche unterstützt Occupy – und das ist gut so

Die Kirche unterstützt Occupy – und das ist gut so

Evangelisches Frankfurt via facebook, 22. Mai 2012

Geld und Vermögen sind extrem ungleich verteilt – und das hat nichts mit der Arbeitsleistung zu tun. Wir müssen dringend nach Wegen suchen, den Reichtum gerecht zu verteilen. Deshalb ist es auch gut, dass die evangelische Kirche am Wochenende ihre Stimme erhoben und die Occupy-Proteste unterstützt hat.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser 

Solche Worte spricht in der evangelischen Kirche sonst nur noch Margot Käßmann:

„Die evangelische Kirche in Frankfurt tritt ein für die offene Auseinandersetzung über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. … Als Christen und Christinnen solidarisieren wir uns mit den Menschen, die unter den massiven sozialen Verwerfungen der Krise, wie z.B. der massiv zunehmenden Armut und der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zu leiden haben. Vor dem Hintergrund der nach wie vor ungelösten Folgeprobleme auf nationaler wie internationaler Ebene unterstützen wir die Kritik an der ungerechten Lastenverteilung der Krise und fordern eine breite Diskussion um die Zukunft Europas.“

Seit den 1980er Jahren hat sich die Kirche nicht mehr so klar positioniert. Doch es dämmert langsam, dass der Kapitalismus nicht einfach das überlegene Gesellschaftssystem ist. Schon vor Jahren hat Alt-Kanzler Helmut Schmidt vom „Haifischkapitalismus“ gesprochen. Die einst die junge Bonner Republik prägende soziale Verantwortung hat weltweit keine Chance. Die soziale Marktwirtschaft deutscher Prägung kann und konnte sich nicht durchsetzen.

Es ist doch zu fragen, was gerecht ist. In Talkshows wird gerne darüber diskutiert, ob die Höhe der Managergehälter gerecht, zumindest gerechtfertigt ist. Sicher ist das Jahresgehalt von BMW-Chef Norbert Reithofer mit gut sechs Millionen Euro schwer nachzuvollziehen. Doch Reithofer gehört zu jenen, die für ihr Geld noch arbeiten müssen. Die Eigentümerin der Firma BMW, die Familie Quandt hat im gleichen Zeitraum mit ihrem Erbe 650 Millionen verdient. Nicht die Arbeitsleistung hat den Reichtum der Besitzenden in neuen Dimensionen katapultiert, nein, es sind die Profite aus den Kapitalgesellschaften.

In nackten Zahlen ausgedrückt: Dem reichsten einen Prozent der Deutschen gehören 35,8 Prozent des Vermögens – oder andersherum betrachtet: Den ärmeren 90 Prozent gehören gerade einmal 33,4 Prozent. Reichtum wird nur selten erarbeitet, aber oft ererbt. 80 Prozent der Reichen in Deutschland sind Erben.

Mir fällt bei all dieser Diskussion um ein gerechtes Wirtschaftssystem immer das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ein: Der Gutsbesitzer schließt zunächst einen üblichen Arbeitsvertrag mit Handschlag ab, nennt dabei auch die Lohnsumme. Der eine Denar, so setzt der Text stillschweigend voraus, ist so etwas wie das Existenzminimum.

Der Arbeitgeber stellt dann im Laufe des Tages weitere Tagelöhner ein, um 9, 12, 15 und 17 Uhr. Die zuletzt Angeheuerten dürften nur noch gut eine Stunde bis zum Sonnenuntergang gearbeitet haben. Der Arbeitgeber zahlt trotzdem allen den vollen Tagelohn, unabhängig wie lange sie gearbeitet haben. Er sieht, dass auch die Arbeitslosen, die nur noch eine Stunde gearbeitet haben, den einen Denar zum Überleben brauchen. Der Gutsbesitzer richtet sich bei der Auszahlung des Lohnes nicht nach der Leistung sondern nach den Bedürfnissen der Menschen. Die Langarbeiter protestieren. Sie haben kein Verständnis. Das Gleichnis endet offen mit der wortlosen Einladung des Arbeitsherrn an die Langarbeiter, ihr Herz zu öffnen und den Arbeitslosen den Überlebensdenar zu gönnen.

Da springt die Analogie mit Griechenland geradezu ins Auge. Öffnen wir unser Herz und gönnen den Menschen in Griechenland den Überlebenseuro, möchte man sagen. Nur leider sind wir nicht mehr bei der Feldarbeit. Die Finanzmärkte funktionieren anders als der Ackerbau. Und doch hat uns das Gleichnis auch heute noch etwas zu sagen.

Luise Schottroff formuliert es so: „Das Gleichnis öffnet Raum für den Gedanken, dass Veränderung möglich ist. Der Arbeitsherr verändert seine Orientierung am Profit, und die Langarbeiter werden zur Solidarität eingeladen.“

Wir alle müssen uns einmischen, müssen nach Wegen suchen, den Reichtum gerecht zu verteilen. Gut, dass die evangelische Kirche sich wieder einmischen will. Deshalb ist es auch gut, dass die evangelische Kirche am Wochenende ihre Stimme erhoben hat.