Tag Archiv für Krimi

Ohne Panik für den Notfall vorsorgen

Die Lektüre eines Krimis hatte für Conny & Kurt eine reale Konsequenz. Sie wollen sich jetzt doch um einige Vorräte für den Notfall kümmern. Wasser, Solarpanel und ein paar Lebensmittelvorräte können nicht schaden. In seinem Thriller Blackout schildert Marc Elsberg die Folgen eines Stromausfalls im engverzahnten Stromnetz Europas. Kein Wasser, keine Energie, keine Kommunikation, kein Lebensmittelnachschub…Gerade vor dem Hintergrund möglicher Schädigung der Infrastruktur, wie sie kürzlich zu erleben war, ist dies hoffentlich weiterhin unwahrscheinlich. Aber mit den Empfehlungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Vorsorge sollte man sich auseinandersetzen.
(https://www.bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/Vorsorge/vorsorge_node.html)

Lesetipps vom Krimiexperten Lutz Lemhöfer

Für den Theologen und Krimiexperten Lutz Lemhöfer, Frankfurt, stehen die ersten Krimis der Weltliteratur in der Bibel. Kain und Abel etwa, wobei hier der Täter nicht gefasst wird.

Der Täter kommt davon. Oder der Bericht von Daniel, der aufgrund einer Intrige in die Löwengrube geworfen wurde. Die Themen seien damals wie heute auch in den Krimis, Leben und Tod, Recht und Unrecht. Hinzu kommen Ermittler, die in einem spezifischen religiösen Milieu angesiedelt sind. Der Klassiker Father Brown als christlicher Geistlicher. Aber auch jüdische Geistliche klären Mordfälle auf. Und immer wird das jeweilige religiöse Milieu genau beschrieben. Auch sektenhaftes Verhalten wird nachvollziehbar, etwa bei Mankell. Den christlichen Fundamentalismus beschreibt Patricia Highsmith präzise. Über Religion kann man also bei der Krimilektüre Vieles erfahren, so das Fazit Lemhöfers. Der Experte selbst hat sich für seinen Urlaub mit „Das Gotteshaus“ einen speziellen Krimi eingepackt.

Die Liste der im Podcast erwähnten Krimis:

Gilbert K Chesterton, Die besten Pater-Brown-Geschichten, Reclam Taschenbuch
Harry Kemelmann, Am Freitag schlief der Rabbi lang (Der erste Band der Reihe, alle rororo)
Michel Bergmann, Der Rabbi und der Kommissar, Heyne
Henning Mankell, Vor dem Frost, dtv
Arsa Larsoon, Sonnensturm, btb
Patricia Highsmith, Leute, die an die Tür klopfen, Diogenes
C.J.Tudor, Das Gotteshaus, Goldmann

Wie viel Realität steckt im Kriminalroman?

von Kurt-Helmuth Eimuth 17. Oktober 2019

Kain erschlug Abel – das Verbrechen gehört seit biblischen Zeiten zur menschlichen Gesellschaft dazu. Nicht zufällig ist der Kriminalroman eines der beliebtesten Genres. Doch wie viel Realität steckt da drin?

Von links: Polizeipräsident Gerhard Bereswill, Nele Neuhaus, Matthias Altenburg, Moderator Manfred Köhler (FAZ) | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Von links: Polizeipräsident Gerhard Bereswill, Nele Neuhaus, Matthias Altenburg, Moderator Manfred Köhler (FAZ) | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Kain erschlug Abel. Ein Brudermord. Im Zorn. Ein Mord, der am Anfang eines guten Krimis stehen könnte?

Krimi-Autor Matthias Altenburg orientiert sich bei seinen Büchern gerne an realen Geschehnissen. „Ich finde lieber was, als dass ich was erfinde,“ war seine zentrale Aussage beim Bürgergespräch der FAZ in der Oper. Doch er betont, dass er keine Sachbücher schreibe. „Ich brauche die Realität als Sprungbrett für meine Phantasie“, so der Erfinder des Ermittlers Marthaler. Bücher von ehemaligen Kriminalbeamten seien hingegen immer langweilig.

Nele Neuhaus arbeitet anders. Sie beschreibt keine realen Kriminalfälle. „Ich liebe es, meine Phantasie spielen zu lassen,“ sagt die Autorin der Taunus-Krimis. Sie könne die Zeit, in der das Geschehen spiele, neu aufleben lassen. Neuhaus: „Das macht mir großen Spaß. Nur der Krimi würde für mich langweilig werden.“ Zum Genre kam sie schon sehr früh. Die Kinderbuchreihe „5 Freunde“ hat sie geliebt. Und am Anfang eines jeden Krimis stehe ja nun mal ein Rätsel, das es zu lösen gelte: Wer war es?

Der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill hat es in der Realität hat mit Mord und Totschlag zu tun. Zum Glück weit weniger als man meint. 300 bis 400 Morde werden in Deutschland im Jahr verübt, fast alle werden aufgeklärt. Auch im Fernsehen kommt kaum ein Mörder davon. Nur werden dort jährlich rund 12.000 Menschen ermordet – Wiederholungen nicht mitgezählt. Allerdings schaue er keine Krimis mehr, und auch in gedruckter Form mag er sie nicht. Kleine handwerkliche Fehler, die er entdecke, hielten ihn dann vom Erzählstrang ab.

Macht

Bathseba

24.1. 2000 Heilig Geist

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

für den politisch Interessierten sind diese Tage spannend. Man schaltet am Abend das Radio an und fragt sich, was denn nun wieder ans Tageslicht befördert wurde. Da werden Gesetze gebrochen, da wird von einst Mächtigen gelogen oder es wird einfach geschwiegen, was auch nicht viel besser ist als lügen. Offenbar ist Macht eine Droge von der man schlecht runter kommt. In einem Interview für das Evangelische Frankfurt sagte mir Jean Claude Diallo, dass es in seiner Heimat ein Sprichwort hierfür gebe. Man sage:

Gib einem Manne Macht, der sie nie erwartet habe, dann wird er verrückt. Nimm einem Mann, der immer Macht hatte, die Macht, dann wird er auch verrückt. Der Virus des Herrschens und des besitzen-Wollens scheint dem menschlichen Wesen eigen.

Die jüdische Tradition kennt solches Verhalten. Drastisch beschreibt sie die Schattenseiten von König David. Im 2. Buch Samuel lesen wir: 2 – 6

Wenig später wird berichtet, wie David seine Intrige spinnt:

13 – 15

Diese Überlieferung ist eine der ältesten Kriminalgeschichten der Menschheit. Es geht um Begierde, um gnadenlose Machtausübung und um Mord. Motive und menschliche Schwächen, die in jedem Kriminalroman unserer Tage vorkommen. David setzt seine Macht gegenüber Batseba ein. Der Streit der Exegeten, ob es sich um eine Vergewaltigung handelte, ist angesichts der Gewalt königlicher Allmacht fast vernachlässigbar. Der König nimmt sich die, die er sieht. Gegen den König lehnt sich niemand auf, hat sich niemand aufzulehnen. Auch nicht, als er einen infamen Mordplan ausheckt und umsetzt. Auch in der weiteren Geschichte des Königshauses werden Frauen benutzt und ausgebeutet.

Zurück zu unserem Bezug, dem Machtmißbrauch. Er ist in einer demokratischen Gesellschaft immer auch eine Möglichkeit. Überall dort, wo Menschen wirken, besteht auch die Gefahr, daß sie ihre Kompetenzen mißbrauchen oder Vorschriften umgehen. Auch Kirche ist davor nicht geschützt. Der Betrugsfall des vergangenen Jahres bei uns, die Vorgänge im diakonischen Werk oder auch die Vorgänge in der evangelischen Kirche von München zeugen von der Anfälligkeit des Menschen.

Helfen kann hier nur ein gesundes Maß an Kontrolle und eine Ausrichtung des Lebens an die christlichen Gebote. Bei allem Entsetzen über das Ausmaß der Geldverschiebung in der Christlich Demokratischen Union bleibt doch auch eine Gewißheit. Die Medien sind wachsam genug, dass sie solche Ungeheuerlichkeiten ans Tageslicht befördern. Da hilft dann kein Schweigen und Leugnen. Wenn die Kontrolle innerhalb der Partei versagt, so funktioniert sie doch im öffentlichen Raum. Dies unterscheidet – gottlob – unsere demokratische Gesellschaft von der Monarchie eines Königs Davids. Unsere Staatsformen haben sich weiterentwickelt, doch der Mensch ist in seiner Sündhaftigkeit der Gleiche geblieben. Die Bibel erzählt vom ständigen Kampf des Menschen mit solchen Versuchungen. Sie benennt und brandmarkt aber auch Sünde als Sünde. Wir Menschen können uns in aller Freiheit entscheiden. Glaube kann uns die Kraft geben, solchen Versuchungen – ob im Großen oder Kleinen – nicht zu unterliegen.

Kurt-Helmuth Eimuth

Romane zum Thema Sekten

Von Geldhaien von Seelenfischern: Über Sekten im Roman
Helle Aufregung in der Familie: ein Mitglied ist in eine Sekte abgetaucht. Aber kein Jugendlicher hat sich dem zweifelhaften Guru an den Hals geworfen, sondern die ebenso gesicherte wie gelangweilte Mittelstandsgattin mittleren Alters. Das könnte Thema einer betulichen Reportage mit erhobenem Zeigefinger sein, aber der amerikanische Autor John Updike macht daraus einen deftig-witzigen Briefroman. „S.“ – so signiert die Guru-Jüngerin ihre Briefe an die besorgten erwachsenen Kinder. Ähnlichkeiten zur „Bhagwan“-Farm in Oregon sind natürlich rein zufällig. .. Und ebenso hat die „Kirche für angewandte Philosophie“ im Krimi „Gottesgemüse“ des deutschen Autors Jürgen Kehrer natürlich rein gar nichts mit der real existierenden Scientology-Organisation zu tun… Das Thema „Sekten“ hat Konjunktur – auch im Genre des ernsthaften Unterhaltungsromans. Das hat gute Gründe. Immer geht es um menschliche Extremsituationen: Euphorie und tiefe Depression, quälende Abhängigkeit und fanatischer Missionseifer, Autorität und Aufbegehren. Fiktiv und im Modell besonders krass beschreibt Margaret Atwood in ihrem „Report der Magd“ die quälende Zukunftsvision einer Sekte an der Macht: eine würdige Fortsetzung von Orwells Roman „1984“. Sehr viel alltäglicher, aber nicht weniger bedrohlich, zeichnet Patricia Highsmith das Psychogramm einer christlich-fundamentalistischen Sekte. In selbstgefälliger Rechthaberei und gnadenlosem Missionsdrang treiben sie Menschen in den Tod, diese „Leute, die an die Tür klopfen“. Ein milderes, zwischen obskurem Eifer und menschlicher Wärme schwankendes Bild, entwirft Anne Tyler in ihrem Roman „Fast ein Heiliger“ von der „Kirche der zweiten Chance“, die dem Titelhelden tatsächlich eine zweite Chance gibt, mit einer Lebensschuld auf konstruktive Weise umzugehen. Hart an der Realität bleibt schließlich der Sektenexperte Hans Jörg Hemminger von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in seinem kriminalistischen Sammelband „Das Duell der Gurus“. In dessen Kurzgeschichten wird man rasch verschiedene bekannte Gewächse aus dem Dschungel der neuen Religiosität wieder entdecken. Manchmal werden in der Fiktion die Dinge „bis zur Kenntlichkeit entstellt“ und damit erst sichtbar. Ein treffliches Verfahren, sich besonders mit den religiösen Gruppierungen auseinanderzusetzen, deren Propaganda und Realität so extrem auseinanderklaffen wie bei Sekten aller Art. Ihre Struktur, ihre Zwänge, ihre Verheißungen und ihre Bedrohlichkeit können im Medium der Literatur aufs beste dargestellt werden. Sektenkunde einmal anders. Sehr empfehlenswert!
Lutz Lemhöfer

LESEPROBE

Hansjörg Hemminger, LOREL SUN GIBT AUF
( … ) Schließlich betrat Lorel Sun den Raum – oder soll ich sagen: Er hatte seinen Auftritt? Der Meister trug Mokassins und ein wallendes, buntes Gewand, das wohl an eine indianische Webdecke erinnern sollte. Aber der Kopf war ganz unindianisch: blond, nordisch-lang, mit ausgeprägtem Kinn, schweren Augenlidern und buschigen, hellen Brauen. Zu meiner Überraschung sprach er ein annehmbares Deutsch, der amerikanische Akzent fügte seinen Worten gerade genug Exotik hinzu, um sie noch eindrucksvoller werden zu lassen. Mit weit ausholenden, feierlichen Handbewegungen begrüßte uns Sun, um sich schließlich voller Würde in dem Armsessel am Kamin niederzulassen. In einfachen Worten schilderte er die starken, positiven Energien, die er im Raum spüren könne, sprach von negativen Kräften, die er durch seine vorbereitende Lichtmeditation abgewehrt habe, und leitete dann zu einer gemeinsamen Mantra-Meditation über. Ein blasser, dicklicher junger Mann schlug auf ein Zeichen hin in kurzen Abständen eine bronzene Klangschale an, und die Anwesenden fielen mit einem getragenen, gesummten „Oooooom“ ein. Dann folgten Paarübungen, die mir eher peinlich waren. Gerne hätte ich sie mit Marius gemacht, aber der griff sich demonstrativ eine junge Frau zu seiner Rechten, eine angehende Lehrerin, wie ich später erfuhr. Ich musste mit einer sehr viel älteren Frau links von mir Vorlieb nehmen. Glücklicherweise erinnerte sie mich an meine Hausärztin, so dass sich die Peinlichkeit in Grenzen hielt, selbst als sie mich dazu brachten, mich auf dem Berberteppich auszustrecken und mir von ihr das Bauch-Chakra bestrahlen zu lassen. Die Bestrahlung bestand darin, dass die Pseudo-Ärztin ihre Handfläche wenige Zentimeter über meinem Nabel schweben ließ, um die Energien zu konzentrieren, die von Lorel Suns Händen ausgingen, die er in der Mitte der Runde hoch in die Luft hielt. Nicht ganz wahrheitsgemäß erklärte ich meiner Partnerin, dass ich die Wärme fühlen könnte, die von ihrer Hand auf mich überströmte, weigerte mich aber mit einem Hinweis auf meine Unfähigkeit, ihre guten Dienste im Chakren-Bestrahlen zu erwidern. Marius zeigte keine solchen Hemmungen. Er hatte zuerst mit Hingabe Energien auf den Bauchnabel der Junglehrerin gelenkt und ließ sich nun selbst „behandeln“ ( … ) (aus: Hansjörg Hemmingen, Das Duell der Gurus, Kriminalfâlle aus dem Sektenmilieu, S. 33 f, Brunnen-Verlag, Gießen 1994)

Pfarrer, Rabbis, Detektive: Über Religion im Kriminalroman
Mancher hat nicht nur eine Leiche im Keller, sondern ein Skelett auf der Orgelempore. So jedenfalls in dem Kirchenkrimi des norddeutschen Pfarrers Christian Uecker „Wenn der Tod tanzt“. Ueckers Bücher beweisen wieder einmal mehr, dass Krimi und Religion gar nicht wenig miteinander zu tun haben. Seit Chestertons legendärem Pater Brown ist die Garde geistlicher Detektive größer und bunter geworden: Die Reihe reicht von William Kienzles progressiv-katholischem Gemeindepfarrer in Chicago über Harry Kemelmans Rabbi, der Kriminalfälle mit Hilfe des Talmud löst, bis zu Tony Hillermans Navajo-Polizisten, der sich in der Freizeit zum Schamanen ausbilden lässt. Die geistlichen Detektive lösen ihre Fälle zumeist nicht durch hektische Aktionen und waffenstarrende Verfolgungsjagden, sondern durch genaue Beobachtung und tiefe Menschenkenntnis. Die Abgründe der menschlichen Seele sind ihnen sozusagen von Berufs wegen vertraut. Dem kommt eine Eigenart der Gattung Kriminalroman entgegen: Es geht nie um Banalitäten. Alles dreht sich um Schuld und Sühne, Leidenschaft und Verzweiflung, Recht und Unrecht. Themen also, die auch die Theologie betreffen. Und im besseren Krimi ist wie in der besseren Theologie zu lernen, dass Schuld und Unschuld im Menschenleben nicht immer so klar verteilt sind wie im Lehrbuch. Die menschliche Gerechtigkeit bleibt brüchig und harrt nach wie vor der Erlösung. Niemand beschreibt dies so subtil wie die große alte Dame des britischen Kriminalromans, Dorothy Sayers. Die anglikanische Pfarrerstochter und Verfasserin religiöser Dramen lässt ihren Meisterdetektiv Lord Peter Wimsey immer wieder über die Frage stolpern, ob seine kriminalistischen Spürjagden letztlich mehr Recht oder mehr Opfer hervorbringen. Die Antwort eines Geistlichen spiegelt auch die christliche Grundposition der Autorin: „Übergeben Sie den Missetäter der Gerechtigkeit, aber vergessen Sie dabei nicht, dass auch Sie und ich nicht davonkommen würden, wenn uns allen Recht geschähe.“ (Lutz Lemhöfer)

Lesetip:
G.K. Chestertons Geschichten um Pater Brown sind in verschiedenen Sammelbänden zugänglich. Von Harry Kemelman sind alle Bücher zu empfehlen, die den „Rabbi“ im Titel führen. Die Romane von Tony Hillerman und Christian Uecker haben durchgängig auch Religion zum Thema; bei Dorothy Sayers empfehlen sich besonders die Romane „Der Glocken Schlag“, „Ein Toter zuwenig“ und „Keines natürlichen Todes“, dem auch das Zitat entnommen ist.

Dorothy L. Sayers
KEINES NATÜRLICHEN TODES
LESEPROBE AUS:
Dorothy L.Sayers, Keines natürlichen Todes (Unnatural Death“). Kriminalroman, cop. deutsche Rechte bei Scherz Verlag Bern und München
Miss Climpson war eine von denen, die immer sagen: „ich gehöre nicht zu denen, die anderer Leute Post lesen.“ Das ist für alle eine deutliche Warnung, dass sie zu eben dieser Sorte gehören. Dabei sagen sie nicht einmal die Unwahrheit; es ist der reine Selbstbetrug. Die Vorsehung hat sie lediglich wie die Klapperschlangen mit einer Warnrassel ausgestattet. Wer nach dieser Warnung immer noch dumm genug ist, seine Korrespondenz in Reichweite liegenzulassen, ist eben selbst schuld. Miss Climpson warf einen raschen Blick auf das Blatt. In den Anleitungen zur Gewissenserforschung, wie sie an Rechtgläubige manchmal ausgegeben werden, ist oft ein sehr unkluges Absätzchen enthalten, das für die unschuldige Weltfremdheit seiner Verfasser Bände spricht. Da bekommt man zum Beispiel den Rat, zur Vorbereitung auf die Beichte seine Missetaten in einer Liste zusammenzufassen, damit einem nicht die eine oder andere Schlechtigkeit durch die Lappen geht. Natürlich heißt es, man solle nicht die Namen anderer Leute draufschreiben, den Zettel weder seinen Freunden zeigen noch irgendwie herumliegen lassen. Aber solche Missgeschicke passieren nun einmal – und dann könnte dieses Verzeichnis der Sünden das Gegenteil dessen bewirken, was die Kirche im Sinn hat, wenn sie den Gläubigen bittet, dem Priester seine Sünden ins Ohr zu flüstern, und vom Priester verlangt, sie im selben Augenblick zu vergessen, da er den Beichtenden losspricht – als wären sie nie ausgesprochen worden. Jedenfalls war kürzlich jemand von den auf diesem Blatt Papier verzeichneten Sünden reingewaschen worden wahrscheinlich letzten Samstag -, und dann war der Zettel unbemerkt zwischen Kniekissen und Beichtstuhl geflattert und dort den Augen der Reinemachefrau entgangen. Da lag er nun, dieser Bericht, der für Gottes Ohr allein bestimmt gewesen war – hier lag er offen auf Mrs. Budges rundem Mahagonitisch vor den Augen eines sterblichen Mitmenschen. Eine geschlagene halbe Stunde saß Miss Climpson für sich allein und kämpfte mit ihrem Gewissen. Ihre angeborene Neugier sagte: „Lies“. Ihre religiöse Erziehung sagte: „Du darfst nicht lesen.“ Ihr Pflichtgefühl gegenüber ihrem Auftraggeber Wimsey befahl: „Überzeuge dich.“ Ihr Gefühl für Anstand sagte: „Lass das bleiben.“ Und eine schrecklich ungehaltene Stimme grollte finster: „Es geht um Mord. Willst du zur Komplizin eines Mörders werden?“ Sie kam sich vor wie Lancelot Gobbo zwischen Gewissen und Versucher – aber welche Stimme gehörte dem Versucher und welche dem Gewissen? ….
Zusammenstellung: Lutz Lemhöfer 1999