Tag Archiv für EKHN

Frauenarbeit: Zwei Schritte zurück

Vor wenigen Wochen beschloss die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) drastische Einschnitte bei der Frauenarbeit. Die finanzielle Unterstützung für den Landesverband Evangelischer Frauen in der EKHN wird ab 2027 um knapp 60 Prozent gekürzt. Zusätzlich wird die Stelle der Geschäftsführenden Pfarrerin ab 31.12.2029 gestrichen. Im Podcast Conny&Kurt fragen die beiden Männer die Geschäftsführende Pfarrerin des Verbandes, Anja Schwier-Weinrich, wie das passieren konnte. Schließlich wird sonst gerade in dieser Landeskirche Wert darauf gelegt, Frauen zu fördern. Schwier-Weinrich sieht in der Gesellschaft einen Prozess des Rollbacks, der auch vor der Kirche nicht Halt mache. „Frauenthemen sind out.“ Auch Untersuchungen zeigten, dass in Krisenzeiten zu alten Rollenbildern und -verhaltensweisen zurückgekehrt werde. Es kommt zu einer Retraditionalisierung.

Erste Glückskirche Deutschlands

„Wir schaffen Raum, dass die Besucherinnen und Besucher Glücksmomente erleben können“, sagt Projektleiterin Mareike Frahn-Langenau selbstbewusst. Zum Hessentag hat die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau die örtliche Martinskirche zur „Glückskirche“ umgestaltet. Es ist ein überraschender und leicht irritierender Anblick: Wer die Kirche im südhessischen Pfungstadt betritt,blickt nicht wie gewohnt auf viele hölzerne Bankreihen und den Altar, sondern auf ein Blumen- und Pflanzenmeer. „Die Menschen werden mitgerissen“, berichtet die Pfarrerin im Podcast Conny&Kurt: „Sie tanzten sogar vor Lebensfreude. Eine 20-minütige multimediale Inszenierung des deutsch-iranischen Komponisten und Mediendesigner Parviz Mir-Ali ergänzt das sinnliche Erlebnis.

Weniger Pfarrstellen, mehr Teamarbeit: die Kirche in 2030 – Das Interview

Propst Oliver Albrecht (links) im Gespräch mit Kurt-Helmuth Eimuth.
Propst Oliver Albrecht (links) im Gespräch mit Kurt-Helmuth Eimuth.

von Kurt-Helmuth Eimuth 28. Mai 2021

Bis zum Jahr 2030 wird die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) laut aktuellen Prognosen 300.000 Mitglieder verlieren, das ist ein Fünftel ihrer derzeitigen Stärke. Ein Reformprozess unter der Überschrift „ekhn 2030“ will nun die Strukturen entsprechend anpassen.

Noch im laufenden Jahrzehnt sollen die Ausgaben der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) von derzeit 700 Millionen Euro im Jahr auf 560 Millionen reduziert werden. Aber wo sparen? Es gelte, gemeinsam herauszufinden, „was wir weiter tun wollen, was wir neu beginnen wollen und was seine Zeit gehabt hat und nicht mehr weitergeführt werden soll“, sagt Kirchenpräsident Volker Jung.

Geld ist dabei aber nicht das einzige Problem. Die Zahl der Pfarrstellen wird bis 2030 sogar überproportional schrumpfen, von derzeit 1.600 auf 1.000, was vor allem an einer großen bevorstehenden Pensionierungswelle und fehlendem Nachwuchs liegt. Unter dem Stichwort „Professionenmix“ sollen daher in Zukunft auch andere Berufe eine stärkere kommunikative Rolle übernehmen, etwa Pädagogen und Kirchenmusikerinnen. Die Zeit der „traditionellen Pfarrherrlichkeit“ sei ohnehin vorbei, sagt Propst Oliver Albrecht.

Sparen allein reicht nicht, man braucht auch eine Vision

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

von Kurt-Helmuth Eimuth 28. Mai 2021

Wie soll gespart werden? Und wie setzt man Prioritäten? Beim Strategie-Projekt „ekhn 2030“ ist die Vision bisher noch unklar.

„Den traditionellen Pfarrherrn gibt es nicht mehr, Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten heute lieber in Teams. Aufgaben werden nicht mehr starr nach Zuständigkeiten zugeteilt, sondern nach Gaben und Kompetenzen in Absprache aufgeteilt“ – so entwirft der Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, Perspektiven für die Zukunft der Kirchengemeinden.

Auf den ersten Blick klingt der geplante „Professionenmix“, den das Strategie-Projekt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau entwirft, gut. Verwaltungsleute, Pfarrpersonen, Pädagoginnen und Kirchenmusiker, die eng und gemeindeübergreifend zusammenarbeiten: Das ist eine schöne Vorstellung. Aber wird es klappen? Wie viel Zeit und Energie wird dann wieder verbraucht für Absprachen und Koordination, Zeit, die woanders fehlt?

Es ist wahrlich eine Herkulesaufgabe, die angesichts der zurückgehenden Mitgliederzahlen vor der Kirche liegt. Wo soll man den Rotstift ansetzen? Überall ein bisschen? Die Erfahrung zeigt, dass das Gießkannenprinzip nicht hilft und die Arbeit eher schwächt. Die Alternative ist Prioritätensetzung. Aber genau damit tun sich Synoden, die Kirchenparlamente, schwer. Ein Beispiel ist das Frankfurter Bibelhaus, wo man sich nicht recht entscheiden kann, ob man es nun erhalten oder schließen will: Vorläufig soll es weiter Zuschüsse bekommen, aber weniger als bisher. Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes.

Ein anderes Thema ist die hochgradige Fremdfinanzierung bestimmter kirchlicher Arbeitsfelder. Kindertagesstätten etwa werden heute zu mindestens 85 Prozent aus staatlichen Geldern und Elternbeiträgen refinanziert. Wer eine Million an Eigenmitteln kürzt, muss also insgesamt sieben Millionen einsparen. Oder man strebt eine vollständige Fremdfinanzierung an. Als die Kirche im 19. Jahrhundert Krankenpflege und Kindergärten gründete, war das etwas Neues. Heute aber sollten diese Aufgaben von der öffentlichen Hand finanziert werden.

Bei allen Konzepten ist auch zu bedenken, dass nicht in erster Linie eigene Fehler verantwortlich für den Bedeutungsverlust der Kirchen sind, sondern der religiöse Traditionsabbruch in den Familien. Wer nicht von klein auf in eine christliche Kultur eingeübt ist, knüpft auch weniger Beziehungen zu einer Gemeinde – egal, was diese leistet oder anbietet.

Das einzige, was da hilft, ist Beziehungsarbeit. Die große Stärke der Kirche liegt darin, dass sie immer noch in allen Stadtteilen präsent ist. Warum überlässt man es nicht den Gemeinden, sich stärker selbst zu verwalten? Schließlich wird auch jeder Sportverein mit Vereinsheim und Sportanlagen ehrenamtlich geführt. Passende Lösungen können nur lokal gefunden werden.

Religiöse Sekte verbreitete Coronavirus in Südkorea

von Kurt-Helmuth Eimuth 4. März 2020

Für die Verbreitung des Coronavirus in Südkorea war hauptsächlich eine religiöse Endzeit-Sekte verantwortlich. Ihrem Gründer droht jetzt eine Anklage wegen Mordes. Auch in Frankfurt ist die Gruppierung aktiv und hat hier schätzungsweise 500 Mitglieder. Ihr Frankfurter Zentrum ist allerdings zurzeit geschlossen, angeblich wegen Brandschutz.


Sektengründer Man-Hee Lee steht in Südkorea vor einer Mordanklage. Er und andere Mitglieder halten sich für unsterblich und haben daher großen Anteil an der Verbreitung des Corona-Virus in ihrem Land.
Sektengründer Man-Hee Lee steht in Südkorea vor einer Mordanklage. Er und andere Mitglieder halten sich für unsterblich und haben daher großen Anteil an der Verbreitung des Corona-Virus in ihrem Land.

Die meisten Fälle von Infektionen mit dem Coronavirus außerhalb Chinas gibt es in Südkorea. An der Verbreitung des Virus hatte eine religiöse Sekte großen Anteil, die auch in Frankfurt aktiv ist und hier nach Schätzungen etwa 500 Mitglieder hat. Das Frankfurter Zentrum ist zur Zeit jedoch ebenso geschlossen wie das in Berlin.

Der Name der Gruppierung, „Shinchonji“ (auch: „Shincheonji“), heißt übersetzt „neuer Himmel und neue Erde“. Gründer ist Man-Hee Lee, der sich als „Pastor der Endzeit“ sieht, der das Volk Gottes sammelt und auf das Kommen Jesu vorbereitet. Die Mitglieder der Sekte halten sich für quasi unsterblich, weshalb sie auch glauben, dass Krankheiten ihnen nichts anhaben können. Dem Sektengründer droht nun in Südkorea eine Mordanklage. Immerhin soll die Hälfte aller Erkrankungen auf die Verbreitung durch Shinchonji zurückgehen.

„Lee selbst bezeichnet sich als körperlich unsterblich“, erläutert Oliver Koch, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Dies gelte wohl auch für viele andere Mitglieder, „Krankheiten werden nicht ernst genommen.“

Koch warnt schon seit langem vor der Gruppierung. Die wahren Hintergründe von diversen Unterorganisationen würden verschleiert. Das Auftreten der Sekte sei sehr aggressiv, ihre Missionierungstaktik fast militärisch-strategisch, die Organisationsstrukturen intransparent bis hin zu Falschdarstellungen. Dies führe zu sehr vielen Beratungsanfragen. Wie auch bei anderen Sekten, steht bei Neumitgliedern der Einsatz für die Mission im Mittelpunkt. Darunter leiden Familie und Beruf.

Sektengründer Lee hat sich inzwischen öffentlich beim koreanischen Volk entschuldigt. Das Frankfurter Zentrum ist zur Zeit wegen „Brandschutz“ geschlossen, in Berlin werden Sanierungsarbeiten als Grund für die Schließung angegeben. Unklar ist, wie sich die Mitglieder in Deutschland verhalten werden. In Südkorea gehen die staatlichen Organe wohl mit allen Mitteln gegen die Verbreitung des Virus durch Shinchonji vor. Möglicherweise ist der Coronavirus dort der Anfang vom Ende dieser Sekte.

Weitere Informationen zu Shinchonji und dem Umgang mit der Sekte sind in einer Broschüre zu finden, die das Zentrum Oekumene veröffentlicht hat.

Mitgliederrückgang der Kirchen: Rückzug ist keine Lösung

von Kurt-Helmuth Eimuth 8. Mai 2019

Gewusst hat man es schon länger, jetzt gibt es auch die Zahlen dazu: Auf mittlere Sicht wird nur noch eine Minderheit der Menschen in Deutschland Mitglied in einer christlichen Kirche sein. Sich nun in eine fromme Innerlichkeit zurückzuziehen, wäre allerdings der falsche Schritt, warnt Kirchenpräsident Volker Jung ganz zu recht.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Zahlen können brutal sein, zumindest schonungslos. Die jetzt veröffentlichte Studie zur Mitgliederentwicklung der beiden großen christlichen Kirchen sind es. Bis 2060 werden die Kirchen nur noch die Hälfte des heutigen Mitgliederstandes haben. Ursache ist nach einer Studie des Forschungszentrums Generationenverträge (FZG) der Freiburger Universität zum einen der demografische Wandel – um 21 Prozent wird die Zahl der Evangelischen sich deshalb reduzieren. Weitere 30 Prozent sind auf die sinkende Zahl der Taufen und eine Zunahme der Austritte zurückzuführen.

Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, setzt daher auf Kommunikation. Die unersetzbare direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch müsse mit der medialen und digitalen Kommunikation verbunden werden, äußerte Jung gegenüber dem Evangelischen Pressedienst. „Der Rückzug in eine fromme Innerlichkeit oder ein gemeindliches Vereinsleben ist für mich keine Option“, sagte Jung.

Kommunikation, auch mediale Kommunikation, ist sicher eine Basis und eine Grundvoraussetzung in einer modernen Gesellschaft. Doch braucht der Glauben Menschen. Menschen, die Vorbild sind. Menschen, die Fragen haben und Fragen beantworten. Menschen, die aus ihrem Glauben heraus eine Haltung entwickeln. Es ist eben etwas anderes, ob ich die Natur schützen will, oder ob ich Gottes Schöpfung bewahren will. Es ist ein Unterschied, ob ich jeden Menschen respektiere, oder ob ich jeden Menschen als Geschöpf Gottes sehe.

Haltung und Werte vermitteln Menschen von Generation zu Generation. Oder besser eigentlich: Von einer Generation zur übernächsten Generation. Ganz wesentlich sind dabei nämlich die Großeltern. Oft sind sie es, die den Kindern Fragen nach Leben und Tod beantworten. Die Familie ist traditionell der Ort, an dem religiöse Sozialisation stattfindet. Doch viele Traditionen sind schon lange abgebrochen. Entweder weil die Großeltern in einer Patchworkfamilie nicht mehr vorkommen oder weil zunehmende Mobilität den familiären Kontakt einschränkt.

Machen wir uns nichts vor: Die Kirche als Institution wird diesen Traditionsabbruch nicht kompensieren können. Sie kann aber dort, wo sie Kontakt zu Menschen hat, glaubhaft agieren. Kindertagesstätten und Religionsunterricht sind wichtige Orte, an denen die Kirche präsent sein und ihre Werte vermitteln kann, auch wenn das keine Orte für die Mission sind.

Die Kommunikation mit dem Evangelium braucht aber nicht nur Orte, sie braucht auch Emotionen. Der Musik kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Das Angebot zum Mitsingen von Weihnachtsliedern füllt inzwischen Fußballstadien.

Auch wenn die Mitgliederzahlen einbrechen, wird die Kirche als Minderheitenkirche weiter bestehen und hoffentlich auch Kirche für andere bleiben. Ein Wachsen gegen den Trend wird es nicht geben. Doch es wird auch 2060 Menschen geben, die glaubhaft ihren Glauben leben.

Auch evangelische Besonderheiten begünstigen sexualisierte Gewalt

von Kurt-Helmuth Eimuth 18. März 2019

Die Fälle von sexualisierter Gewalt in kirchlichen Einrichtungen betreffen beide Kirchen. Es gibt Schätzungen, wonach sich ein Drittel der Fälle im kirchlichen Kontext in der evangelischen Kirche abgespielt hat. Wahrscheinlich hat der Missbrauch in der katholischen Kirche strukturelle Gründe. Aber es gibt auch evangelische Besonderheiten, die problematisch sind.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Keineswegs segelt die evangelische Kirche bei den Debatten über sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen im Windschatten der katholischen Kirche. Vielmehr wird ihr vorgeworfen, dass sie selbst im Glashaus sitze, nur eben ihre Verstrickung deutlich leiser bearbeite. Es gibt Schätzungen, wonach sich ein Drittel der Fälle im kirchlichen Kontext in der evangelischen Kirche abgespielt hat.

Wahrscheinlich hat der Missbrauch in der katholischen Kirche strukturelle Gründe. Deutlich stellten Katholiken und Katholikinnen um den Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz in einem offenen Brief einen Zusammenhang her zwischen vorgeschriebenen Lebensformen, sexuellen Tabus und Männerbünden: „Missbrauch in unserer Kirche hat auch systemische Gründe. Die Versuchung des Klerikalismus folgt dem Klerus wie ein Schatten.“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will in zwei wissenschaftlichen Studien das Ausmaß des Skandals in ihren eigenen Strukturen ergründen. Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche, wo es bereits eine 500 Seiten starke Studie dazu gibt, machte in ihrem Bericht vor der EKD-Synode evangelische Spezifika aus. Problematisch seien zum Beispiel „die unreflektierte Vermischung von Privatem und Dienstlichem, dezentrale Strukturen, die unklar machen, wer für was zuständig ist, fehlende Beschwerdemöglichkeiten.“

Im der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind von 1947 bis heute 50 Fälle bekannt geworden, die denen der Verdacht auf sexualisierte Gewalt bestand. Dabei wurden 16 Mal Pfarrer verdächtigt. In 12 Fällen konnten keine Ermittlungen mehr geführt werden, weil die Beschuldigten bereits verstorben waren. Ein Verdacht hat sich als unbegründet erwiesen. Dreimal wurde ein kirchliches Dienstrechts-Verfahren eingeleitet. In den anderen Fällen richteten sich die Anschuldigungen gegen Erzieher, Ehrenamtliche oder Kirchenmusiker. In der Gesamtzahl sind laut EKHN auch alle bekannten Fälle aus Heimen in evangelischer Trägerschaft enthalten.

Bei der Bearbeitung von sexualisierter Gewalt kann sich die evangelische Kirche also strukturell nicht auf den Klerus fokussieren. Sie muss die Mitarbeiterschaft in ihrer ganzen Breite – ob haupt- oder ehrenamtlich – in den Blick nehmen. Mit Hilfe eines neuen Gesetzes gegen Kindeswohlgefährdung und der Vorschrift von erweiterten Führungszeugnissen für Haupt- und Ehrenamtliche sind erste Schritte unternommen worden. Schulungen ergänzen die formalen Anforderungen. Zudem hat die EKHN Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Beschwerden ausgewiesen.

Überall, wo Macht ausgeübt wird, ob in der Psychotherapie, in der Seelsorge, in der Schule oder im Kindergarten, kann diese missbraucht werden. Deshalb gilt es weiterhin wachsam für Anzeichen eines Missbrauchs zu sein. Die Analyse der Vergangenheit kann da wertvolle Hinweise geben.

„Wir haben einen breiten Konsens, dem Rechtspopulismus entgegenzutreten“

von Kurt-Helmuth Eimuth 10. Januar 2019

In vielen Ländern sind konservative christliche Gruppen einer der Pfeiler rechtspopulistischer Bewegungen. Wie sieht das in Hessen aus? Ganz anders, sagt Volker Rahn, Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, im Gespräch mit dem EFO-Magazin. Eine solche Stimmungslage sei hier „absolut nicht spürbar “ .

Volker Rahn ist Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. | Foto: EKHN/Bongart
Volker Rahn ist Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. | Foto: EKHN/Bongart

EFO-Magazin: Herr Rahn, nimmt die Akzeptanz von rechtspopulistischen Gedankengut in christlichen Freikirchen, konservativen evangelischen Kreisen oder Gemeinden zu?

Volker Rahn: Die evangelische Kirche liegt ja nicht auf dem Mars und ist mit ihren Mitgliedern ein Spiegelbild der Gesellschaft. Insofern sind in Kirchengemeinden eben auch alle politischen Spielarten vertreten. Zu spüren waren kritische Stimmen etwa zur Flüchtlingshilfe der hessen-nassauischen Kirche eher 2016 auf dem Höhepunkt der Zuwanderung und im Vorfeld des Bundestagswahlkampfs 2017 mit seinen starken populistischen Tendenzen. Inzwischen ist es hier wieder sehr ruhig. Im Gegenteil: Es ist derzeit ein breiter Konsens zu spüren, rechtspopulistischen Tendenzen oder fremdenfeindlichen Äußerungen entschieden entgegenzutreten. Was die Freikirchen angeht, denen eine besondere, teilweise auch personelle Nähe zu rechtspopulistischen Parteiungen nachgesagt wird: Da müsste man die betreffenden Kirchen direkt fragen.

Es gingen aber auch schon Fälle von EKHN-Verantwortlichen mit einer Nähe zur AfD durch die Presse.

Sicher: Es mag vereinzelt Fälle geben. Schlagzeilen machte zum Beispiel eine Kirchenvorsteherin, die unter großem öffentlichem Getöse in die verantwortliche Position einer populistischen Partei wechselte. Das bleibt aber ein absoluter Ausnahmefall. Ein Kippen der Stimmungslage ist in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) absolut nicht spürbar, wie gesagt, ganz im Gegenteil.

Wie äußert sich das?

Wir haben zum Beispiel in den Gemeinden und Dekanaten ein anhaltend starkes Interesse nach Hilfen im Umgang mit Rechtspopulismus vor Ort. Oft stehen Dekanate im Verbund mit anderen Gruppierungen an der Spitze von Bewegungen, die die Demokratie stärken wollen und dagegen kämpfen, dass Dörfer oder Regionen braun werden.

Welche Unterstützung bekommen sie dabei von der Landeskirche?

Die EKHN hat eine eigene Stelle zur Stärkung der Demokratie im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung eingerichtet. Unser Experte Matthias Blöser berät Gemeinden, die besonders betroffen sind, zum Beispiel, weil sie unter parteipolitischen Schmähungen leiden oder von rechten Kampagnen wegen ihres Eintretens für Flüchtlinge mit Hass überzogen werden. Mitte Januar will die Kirchenleitung zudem eine brandneue Handreichung für Kirchengemeinden herausgeben, wie man vor Ort mit rechtspopulistischen Positionen umgeht.

Die Kirche will aber auch Forum für den Dialog sein. Gelingt das? Oder haben diejenigen Recht, die sagen, dass Menschen mit einem eher traditionelleren Verständnis von Gesellschaft inzwischen an den Rand der Volkskirche gedrängt werden?

Einer der Kernpunkte der neuen Handreichung ist genau diese Frage: Wie gelingt es, klar Position für eine offene, menschliche Gesellschaft zu beziehen, ohne andere Meinungen an den Rand zu drängen oder Menschen auszugrenzen? Ein Schlüssel dazu ist eine doppelte Grundhaltung. Es geht darum, antidemokratische Positionen oder menschenverachtende Äußerungen klar zu benennen und aufzudecken. Gleichzeitig ist es eine christliche Herausforderung, die betreffende Person trotz ihrer Aussagen zu achten. Und schließlich ist es nicht so, dass in der liberalen EKHN alles geht. Unsere Grundordnung etwa beschreibt ganz klar die Leitplanken. Darin heißt es zum Beispiel, frei formuliert, dass die Kirche aus den niederschmetternden Erfahrungen des Nationalsozialismus heraus heute für eine offene Gesellschaft eintritt, die sich an Vielfalt, Verschiedenheit und Toleranz orientiert. Was das konkret heißt, darüber ist zu diskutieren. Das ist eine Herausforderung für alle Seiten, der man sich stellen muss.

Evangelische Kirche arbeitet Misshandlung von Heimkindern auf

von Kurt-Helmuth Eimuth 27. Juni 2018

Heimerziehung im Nachkriegdeutschland bedeutete oftmals Schläge, Isolierung, Falschmedikation und Demütigung. Die evangelische Kirche hat Betroffenen zugehört, Dokumente zusammengetragen und Fachleute befragt. Eine Wanderausstellung und ein Film fassen die Ergebnisse zusammen.

Kinderheim der Diakonie in Hephata, Treysa: Aufnahme aus den 1960er Jahren. | Foto: Dietmar Wegewitz/Flickr.com (cc by-sa)
Kinderheim der Diakonie in Hephata, Treysa: Aufnahme aus den 1960er Jahren. | Foto: Dietmar Wegewitz/Flickr.com (cc by-sa)

Die Situation in den Kinderheimen der 1950er und 1960er Jahren war vielerorts geprägt von Brutalität und Demütigung, auch in den Heimen der evangelischen Kirche. „Es gab Heime, die waren nicht schlimm und es gab Heime, die waren schlimm“, so die Historikerin Anette Neff von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). 

Die Landeskirche hat vor sechs Jahren begonnen, die Geschichte der Heimkinder in der Nachkriegszeit aufzuarbeiten. Daraus sind jetzt eine Wanderausstellung und ein 80-minütiger Dokumentarfilm entstanden. Doch besteht auch weiterhin die Möglichkeit, sich als Betroffener oder Betroffene an die Kirche zu wenden. Film und Ausstellung sollen ermutigen, das Gespräch zu suchen. Denn dass Betroffene zu Wort kommen, ist der Schlüssel der Aufarbeitung. 

„Das Gespräch und die Anerkennung waren wichtig“, konstatiert Petra Knötzele, die Leiterin des Aufarbeitungsprojektes. Und genau so ist der Film „Kopf Herz Tisch³“ von Filmemacherin Sonja Toepfer konzipiert. Interviews  mit Betroffenen, mit ehemaligen Heimkindern,  werden Aussagen von Verantwortlichen und Fachleuten gegenübergestellt. Auf erklärende Kommentare verzichtet der Film ganz. Die Schilderungen der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen werden allenfalls mit eingeblendeten Originaltexten ergänzt. 

So entsteht ein facettenreiches Bild einer dunklen Zeit, in der Machtausübung gegenüber Kindern gang und gäbe waren. Demütigung, Schläge, Medikamente, Isolierung und all jene schrecklichen Dinge, die man eher in einem Folterzentrum vermutet als in einem Kinderheim.

Der Film dokumentiert auf erschreckende Weise, dass Handlungsmuster der Vorkriegszeit wie etwa die Einteilung in „gesund und krank“ oder „normal und abweichend“ auch noch in den 1960er Jahren gängig waren. Diese Denkmuster reichten weit in der Geschichte zurück, wurden dann aber im Nationalsozialismus auf die Spitze getrieben. „Die Nazis haben dann das Töten hinzugefügt“, erläutert Neff. Die Historikerin weist aber auch darauf hin, dass solche Unterscheidungen in Bezug auf den Wert des menschlichen Lebens im Grundsatz auch bis heute gemacht werden, zum Beispiel bei Abtreibungen wegen einer Behinderung des Kindes. 

Auch die Medizin hat in zahlreichen Fällen, die der Film dokumentiert, eine unrühmliche Rolle gespielt. Einer der Zeitzeugen, der Kinderarzt und Psychiater Hans von Lüpke, bescheinigt der Medizin ein veraltetes Denkmodell. „Erst kommt die Organmedizin, dann das Psychische“, kritisiert er. Dabei hänge beides wechselseitig miteinander zusammen. 

Heute setze sich die Kirche dafür ein, dass überall dort, wo Menschen in Abhängigkeit untergebracht sind, ob im Kinder- oder im Altenheim, eine respektvolle und menschliche Haltung eingenommen werde, sagt Petra Knötzele. Deshalb sollen die Ausstellung und der Film auch in der pädagigischen und pflegerischen Aus- und Fortbildung eingesetzt werden. Der Film kann demnächst auch als DVD gerkauft werden, der Erlös soll dann ehemaligen Heimkindern zugute kommen. 

Digitalisierung beschleunigt die Ausdifferenzierung des Glaubens

Der emeritierte Münchner evangelische Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf stellt einen wachsenden Einfluss des Internets auf die Glaubenswirklichkeit der Menschen fest: „Jeder kann sich seinen eigenen Glauben zurechtbasteln.“

Symposium der EKHN-Stfitung zu Algorithmen und Digitalisierung. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Dieser Differenzierungsprozess in Glaubensdingen sei zwar schon länger zu beobachten, sagte Graf bei einem Symposium der Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zu gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung in Frankfurt. Das Internet habe ihn jedoch massiv beschleunigt und den Kommunikationsraum von Religion „ins Unendliche erweitert“.

Um 1900 habe es weltweit rund 3.000 verschiedene Kirchen und Glaubensgemeinschaften gegeben, 100 Jahre später seien es bereits 35.000. „Jeder kann sich seinen eigenen Glauben zurechtbasteln“, resümierte Graf. In der Schweiz glaubten mittlerweile 30 Prozent der konservativen katholischen Kirchgängerinnen an die im Buddhismus verankerte Wiedergeburt, sagte Graf unter Berufung auf die religionssoziologische Studie „Jeder ist ein Sonderfall“.

Das Internet gebe religiösen Akteuren nie dagewesene Möglichkeiten, immer mehr über andere religiöse Akteure zu erfahren. Diese „wechselseitige Beobachtung“ erlaube und befördere die Übernahme von Inhalten und Denkmustern anderer. So erschienen im „Osservatore Romano“, der Tagesszeitung des Vatikans, vermehrt Beiträge über islamische Banken, in denen diskutiert werde, ob der Wall Street nicht ein Scharia-konformes Finanzgebaren guttäte. Umgekehrt werde in muslimischen Gemeinschaften über einen „unbefleckten Koran“ räsoniert, also ein Denkmuster der Marienverehrung übernommen.

Sorge bereiten dem Theologen religiöse Riten und Symbole in Computerspielen. Sie beförderten Denkmuster von einem allmächtigen Gott, die im Gegensatz zur christlichen Vorstellung eines „beobachtenden Gottes“ stünden. Das Symposium der EKHN-Stiftung hatte das Thema „Allmacht der Algorithmen? Die digitale Revolution und wie wir sie gestalten“.

Weitere Referierende waren die Sozio-Informatikerin Katharina Zweig und der Chefredakteur des Magazins GEO Christoph Kucklick.

21.2.2017