Tag Archiv für Bibel

Dreißig Jahre Martin-Buber-Stiftungsprofessur: Aktuell wie eh und je

von Kurt-Helmuth Eimuth 1. November 2019

Der jüdische Theologe und Philosoph Martin Buber lehrte von 1924 bis 1933 an der Frankfurter Goethe-Universität. 1989 wurde dort eine nach ihm benannte Professur für Jüdische Religionsphilosophie ins Leben gerufen, gestiftet von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Sie wird von wechselnden Gelehrten ausgefüllt und soll Studierenden und der interessierten Öffentlichkeit Zugänge zu Geschichte und Gegenwart des Judentums eröffnen.

Martin Buber im Jahr 1963. | Foto: Joop van Bilsen / Anefo - wikimedia.org (cc)
Martin Buber im Jahr 1963. | Foto: Joop van Bilsen / Anefo – wikimedia.org (cc)

„Wenn sie nicht schon da wäre, müsste man sie erfinden“ sagte die gastgebende Dekanin des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität, Catherina Wenzel, bei der akademischen Feier zum 30jährigen Bestehen der Martin-Buber-Stiftungsprofessur. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland sei ihre Errichtung 1989 geradezu „prophetisch“ gewesen.

Der Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker erinnerte an den antisemitischen Anschlag auf eine Synagoge und ein Dönerrestaurant in Halle und an die Wahlerfolge der AfD zuletzt in Thüringen. „Wir stehen vor gesellschaftlichen Weichenstellungen“, sagte Becker, der auch Beauftragter der Hessischen Landesregierung für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus ist.

Martin Buber (1878–1965) war ein „dialogischer Denker, Theologe und Erzieher“, so die Urkunde zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1953. Von 1916 bis 1938 lebte er in Heppenheim an der Bergstraße, ab 1924 war er Professor in Frankfurt, trat aber direkt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland aus Protest zurück. 1938 flüchtete er aus Deutschland und übersiedelte nach Israel, wo er den Rest seines Lebens verbrachte.

In die Frankfurter Periode seines Denkens und Schreibens fallen wesentliche Teile seines Werks, darunter die dialogische Philosophie des „Ich und Du“, seine politischen Überlegungen zum Zionismus und zu Palästina, Forschungen zur Hebräischen Bibel im Kontext der gemeinsam mit Franz Rosenzweig begonnenen „Verdeutschung“ der Schrift, sowie Überlegungen zur Gestaltung jüdischer Bildung. Buber lehrte außerdem ab 1919 am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt.

1989 stiftete die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau die Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität, 2005 übernahm das Land Hessen die Finanzierung. Professor Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden in Deutschland betonte bei der Jubiläumsfeier die Bedeutung der Begegnung mit dem Judentum. In Gesprächen mit Pfarrerinnen und Pfarrern habe er zuweilen den Eindruck gewonnen, dass man offensichtlich christliche Theologie studieren könne „ohne etwas mit dem Judentum anfangen zu können“. Das Thema sei wohl kein integraler Bestandteil des Theologiestudiums.

In seinem Festvortrag hob der derzeitige Inhaber der Professur Christian Wiese das dialogische Prinzip Bubers hervor. Dies habe er auch auf den interreligiösen Dialog angewandt und etwa 1953 geschrieben: „Ein echtes Gespräch ist eins, in dem jeder der Partner den anderen, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so kann der Gegensatz zwar gewiss nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden.“

Inhaberinnen und Inhaber der Martin-Buber-Professur waren bisher Moshe Goshen-Gottstein (Jerusalem), Ithamar Gruenwald (Tel Aviv), Jacob Neusner (Tampa), Stefan Schreiner (Berlin), Susannah Heschel (Cleveland), Abraham Malamat (Jerusalem), Michael Graetz (Jerusalem), Gedaliahu G. Stroumsa (Jerusalem), Fritz A. Rothschild (New York), Eric M. Meyers (Durham), Chana Safrai (Utrecht), Albert H. Friedlander (London), Rita Thalmann (Paris), Konrad Kwiet (Sydney), Tal Ilan (Jerusalem), Michael Zank (Boston), Almut Sh. Bruckstein (Jerusalem), Yossef Schwartz (Jerusalem/Tel Aviv) und Myriam Bienenstock (Tours/Paris).

Margot Käßmann über Geschwister in der Bibel

von Kurt-Helmuth Eimuth 12. Juli 2019

Mit ihrem neuen Buch ist Margot Käßmann ein ungewöhnlicher Blick auf die Heilige Schrift gelungen: Von Geschwisterbeziehungen auszugehen eröffnet eine Perspektive, die wir tagtäglich erleben und gerade deshalb kaum wahrnehmen.

Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.
Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.

Beziehungen sind für Menschen überlebensnotwendig. Freundinnen und Freunde kommen und gehen, Partner und Partnerinnen auch, und in der Regel überleben Kinder ihre Eltern. Die Beziehung, die im Verlauf des Lebens am Längsten besteht, ist die zu den Geschwistern.

„Da gibt es große Liebe zueinander und große Konkurrenz, Solidarität und Abgrenzung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Auseinandersetzung“, schreibt Margot Käßmann in ihrem Vorwort. Offenbar war dies auch schon zu biblischen Zeiten so.

Allerdings waren damals die gesellschaftlichen Umstände anders. Der Wert einer Frau wurde an der Zahl ihrer Geburten (von Jungen) gemessen, Intimsphäre kam im engen Zelt kaum auf. Käßmann erzählt die alten Geschichten spannend aus heutiger Perspektive. Zum Beispiel den Streit zwischen Jakob und Esau um das Erstgeburtsrecht. Die beiden waren Zwillinge. Was bedeutete es damals für ihre Mutter Rebekka, zwei Kinder gleichzeitig zu bekommen? Anders als heute konnte sie das ja vor der Geburt nicht wissen.

Und dann bevorzugt die Mutter einen der Brüder. Für Margot Käßmann ist das nicht nachvollziehbar: „Ein Kind zum Liebling zu erklären, wird immer den Familienfrieden stören.“ Und dann eines Tages begegnen sich die Brüder wieder. Käßmann, die selbst Mutter von Zwillingen ist, vermutet, dass die Bindung der Brüder trotz allem stark war. Sie hätten gewiss oft aneinander gedacht oder voneinander geträumt. Obgleich Jakob Esau betrogen hat, liegen sie sich in den Armen. „Was für eine wunderbare Geschichte von Versöhnung ohne viel Worte, von Versöhnung, die es in Familien nach aller Auseinandersetzung und allem Streit eben auch geben kann.“

In vielen der auf wenigen Seiten beschriebenen Geschwisterbeziehungen werden Verhältnisse deutlich, die uns zunächst fremd zu sein scheinen. Doch auf dem zweiten Blick kennen wir die Probleme auch: Leihmutterschaft, die Sehnsucht nach „eigenen“ Kindern, sexuelle Gewalt. In der Bibel werden diese Probleme häufig sehr direkt, geradezu brutal erzählt. Etwa wenn Lot seine sexuell noch unerfahrenen Töchter an einen Männermob herausgeben will. Später machen dieselben Töchter ihren Vater betrunken und bringen ihn dazu, sie zu schwängern.

Margot Kässmann ist überzeugt, dass hier in Wahrheit ein klassischer Fall von häuslicher Vergewaltigung erzählt wird. „Inzest galt auch in jenen Zeiten als Tabu. Also wird erklärt: Sie haben den armen betrunkenen Vater verführt.“ Für Käßmann ist das einzig Tröstliche an dieser furchtbaren Geschichte, dass die Schwestern nicht alleine sind. Sie haben einander, und sie hatten die Kraft, ihre Söhne groß zu ziehen.

Das Buch lässt die biblischen Familienbanden, die Verzwickungen und Verflechtungen, die Abhängigkeiten und die Zuneigungen, die Sanftheit und Brutalität biblischer Geschichten vor den Augen des Lesers und der Leserin entstehen. Es liest sich Spannend wie ein Krimi, und man bekommt Lust, mehr zu erfahren. Eine empfehlenswerte Lektüre, die einen neuen Blick auf die biblische Überlieferung eröffnet.

Margot Käßmann in der Paulskirche am 3. September 2019 Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Nicht Rechtsform, sondern Qualität entscheidet

Andacht

  1. 4.2016 Familie

Lied:

EG 610

Votum:

Im Namen Gottes kommen wir zusammen.

Gott nimmt uns an, wie wir sind.

Jesus gibt unserem Leben Richtung und Sinn.

Gottes Geist ruft uns auf den richtigen Weg.

Psalm: 98, Nr. 739

Lied: EG 171 Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Unter dem Motto „Jede Familie ist anders“ macht die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in diesem Frühjahr auf die vielfältigen Möglichkeiten des Zusammenlebens aufmerksam. Mit einem Info-Brief und großen Bannern an den Kirchen weist sie auf die besondere Bedeutung der Familie hin.

„Jeder Mensch hat eine Familie. Und jede Familie fühlt sich anders an – sie ist groß, klein, traditionell, modern, zerstritten, harmonisch, kaputt oder heil – vielleicht sogar vieles davon gleichzeitig“, so schreibt Kirchenpräsident Volker Jung. Er betont in seinem Schreiben, dass für die evangelische Kirche nicht die Form des Zusammenlebens wichtig sei, sondern, „dass sich Menschen, aufmerksam über Generationen und Verwandtschaftsgrade hinweg, in ihrer Familie umeinander kümmern“.

Der Begriff „Familie“ wurde erst im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts in die deutsche Sprache aufgenommen und es gibt bis heute keine einheitliche Auffassung darüber, was man als „Familie“ bezeichnet.

Die EKHN hält nun dem klassischen Familienbild von Vater, Mutter, Kind, das Bild der verlässlichen Beziehung entgegen. Zahlreiche Beziehungen sind heute Lebensabschnittbeziehungen. Die Art der Verwandtschaft, das Alter der Personen ist eher nebensächlich. Familie ist vor allem durch die starke Bindung der Personen und die gegenseitige Verantwortung geprägt.

Nicht die äußere Form, die familiäre Bande ist also wichtig, sondern es kommt auf die Qualität der Beziehungen an.

Familie ist also überall dort, wo Menschen verlässlich in Liebe zusammenleben.

Diese Richtung des Denkens ist durchaus historisch angemessen.

In vorindustrieller Zeit hatten Ehe und Familie vor allem einen instrumentellen Charakter. Die Ehe wurde nicht aus Liebe geschlossen, sondern im Hinblick auf die Kinder und zwar um – je nach Schicht – Vermögen oder zumindest den Namen zu vererben und um im Falle von Krankheit und Alter die Versorgung der Familienmitglieder zu garantieren.

In der vorindustriellen Zeit waren die Familien geprägt durch ihre sozial-ökonomische Lage. Im Mittelpunkt stand der „Haushalt“, es waren Haushaltsfamilien. Bei den Besitzenden umschloss dies den Produktionsbetrieb. Der „Hausvater“ und die „Hausmutter“ hatten eine genau definierte Rolle auch im Handwerk, Bauernhof oder Gewerbe. Zum Haus gehörten auch etwa Knechte und andere Bedienstete.

Bei den ärmeren Schichten stand auch die ökonomische Funktion des Hauses im Mittelpunkt, auch wenn weit weniger Mitglieder das Haus hatte. Erwerbstätigkeit beider Eltern und der Kinder waren selbstverständlich.

Auch damals gab es sehr verschiedene Lebensformen. Vor allem Verwitwung – wegen der geringen Lebenserwartung – und ledige Mutterschaft waren oft die Ursache hierfür.

Über all die Jahrhunderte war die Erwerbstätigkeit der Mütter eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Lediglich das Bürgertum konnte sich die nicht-erwerbstätige Mutter leisten. Die Nicht-erwerbstätige Mutter wurde im sogennten Dritten Reich dann ideologisch überhöht und durch Ehestandsdarlehen vom Arbeitsmarkt abgeworben und bei vier Kindern mit dem Mutterkreuz geschmückt. Etwas später brauchte man dann wieder die Frauen zur Kriegsproduktion, was die Nazi-Ideologen in Argumentationsnöte brachte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg behielt die Bundesrepublik das Familienmodell bei, auch wenn die Realität der Trümmerfrauen anders aussah.

In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts sah es dann anders aus. In jener Zeit war die mütterliche Erwerbstätigkeit in Westdeutschland am niedrigsten.

Eine breite Vielfalt von Familienformen ist, historisch betrachtet, der Normalfall. Die bürgerliche Familie als Ideal entwickelte sich erst im 18. Jahrhundert durch die Trennung von männlicher Erwerbswelt und weiblicher Familiensphäre mit Haushalt und Kindererziehung.

Wie stellt doch die EKHN in ihrer Kampagne fest: „Auch heute entsprechen nicht alle Lebensformen der klassischen Vorstellung von Familie. Denn es werden weniger Ehen geschlossen, Familien später gegründet. Patchworkfamilien sind längst keine Ausnahme mehr und Migranten bringen unterschiedliche Familienkulturen mit.“

Das Leben war schon immer komplizierter oder einfach vielfältiger als man denkt.

In der Bibel wird eine große Vielfalt beschrieben, wie Familien zusammenleben. Der Klassiker „Vater, Mutter, Kind“ kommt weniger vor. Vor allem geht es um Nachkommen: Familie soll erhalten werden und wachsen. Dabei greifen manche auch zu unlauteren Mitteln.

Da gibt es etwa die Patchworkfamilie

Jakob, einer der Stammväter Israels, wollte eigentlich nur seine große Liebe Rahel heiraten. Doch der Verliebte hat nicht mit der Hinterlist seines künftigen Schwiegervaters Laban gerechnet: Der jubelt ihm nach sieben harten Arbeitsjahren Rahels ältere Schwester Lea unter. Jakob muss weitere sieben Jahre für Laban schuften, bis er endlich auch Rahel als seine Frau in die Arme schließen kann. Mit den beiden Schwestern und ihren zwei Mägden bekommt er schließlich zwölf Söhne und eine Tochter. Das birgt reichlich Konfliktstoff über zwei Generationen hinweg. Jakob verteilt seine Zuneigung ganz unterschiedlich auf seine Frauen und ihre Kinder. Jakobs Liebe gilt weiterhin der jüngeren Rahel. Ihre ungeliebte, aber kinderreiche Schwester Lea kämpft ein Leben lang um Jakobs Zuneigung. Nach langem Warten bekommt auch Rahel einen Sohn: Josef – Papas Liebling. Der bekommt die Eifersucht seiner Brüder zu spüren: Sie verkaufen Josef an Kaufleute, die ihn nach Ägypten bringen. Jahre später sehen sich dort die Brüder wieder. Es gelingt ihnen, Misstrauen und Feindschaft auszuräumen. Vor seinem Tod segnet ihr Vater Jakob seine Söhne. Immer noch ist deutlich spürbar, wen er besonders liebt und wen weniger: „Isaschar wird ein knochiger Esel sein … Josef wird wachsen wie ein Baum an der Quelle“ (1. Mose 49). Erst Josef gelingt es, seine Familienmitglieder endgültig zu versöhnen. Er macht ihnen klar: Gott will zum Guten wenden, was Menschen im Bösen begonnen haben. Es geht darum, das Leben zu erhalten. (1. Mose 50,18 ff)

Daran glauben sie. Danach leben sie – und vermehren sich. Die zwölf Söhne stehen für die zwölf Stämme Israels. (1. Mose 35, 22 ff)

Es gibt auch Leihmutterschaft

Sara ist hochbetagt und kinderlos. Sie stiftet ihren Mann Abraham an: Er soll mit ihrer Magd Hagar ein Kind zeugen. Gesagt, getan. Hagars Sohn Ismael soll als das Kind von Abraham und Sara gelten. Doch das Dreiecksverhältnis funktioniert nicht: Hagar wird gegenüber der kinderlosen Sara aufmüpfig. Daraufhin drängt Sara ihren Mann, Hagar in die Wüste zu schicken. Der hört auf seine Frau. Später bekommt Sara doch noch einen Sohn: Isaak. (1. Mose 16 und 1. Mose 21) Die Nachkommen Isaaks werden zum Volk Israel. Auf Ismael, den Sohn Abrahams und Hagars, beziehen sich Muslime. Darum gilt Abraham sowohl Juden wie Muslimen als Stammvater des Glaubens.

Selbst Scheidung kommt in der Bibel vor.

Laut 5. Mose 24, 1 ff kann ein Mann seiner Frau einen Scheidebrief geben, wenn sie „keine Gnade vor seinen Augen findet“ oder wenn er „ihrer überdrüssig“ geworden ist. Rein patriarchal für den Mann formuliert. Jesus ist da radikal: Dieses Gebot hat Gott nur wegen „eures Herzens Härte“ geschrieben. (Markus 10, 5) Jesu Ideal heißt: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ (Markus 10, 9) Gleichzeitig weiß Jesus um die Realität, am Ideal zu scheitern. Eine aufgebrachte Menge will eine Ehebrecherin steinigen. Jesus sagt zu ihnen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“ (Johannes 8, 7) Die Leute lassen ihre Steine fallen. Einer nach dem anderen.

Die Bibel kann also nicht für eine Lebensform vereinnahmt werden. Es kommt eben nicht auf die formale Rechtsform der Gemeinschaft an, sondern auf die Qualität des Zusammenlebens. Viel bedeutsamer ist es, dass wir uns liebevoll, und verlässlich umeinander kümmern.

Amen.

Lied: EG 623

Mitteilungen:

Gebet:

Unser Gott,

du hast unsere Welt geschaffen.

Tag für Tag sehen wir so vieles,

was du uns schenkst.

Dafür danken wir dir.

Wir denken jetzt an das,

was wir anderen Menschen wünschen.

Lieber Gott, sei du bei den Menschen,

die auf deine Hilfe warten,

dort, wo wir leben,

zuhause, bei unseren Freunden

und bei denen, die wir Tag für Tag sehen.

Lass uns selbst für die da sein,

die uns brauchen:

In unseren Familien,

in unseren Häusern und Straßen,

in unserer Welt.

In der Stille nennen wir dir die Namen von Menschen,

die wir lieb haben.

Stille

Sei und bleibe du bei ihnen,

sei und bleibe du bei uns,

guter Gott.

Und was uns noch bewegt, bringen wir vor Dich

mit den Worten, die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Segen unseres Gottes:

Gott segne und behüte uns,

Gottes Licht wärme uns,

Jesus Christus leuchte unseren Weg aus,

Heiliger Geist, lichte unser Leben

Gehet hin in Frieden. Amen.

Lied: EG 421, Verleih uns Frieden gnädiglich

Mit Leib und Seele

Evangelische Spiritualität

19. September 2011

Andacht Peterskirche

Kurt-Helmuth Eimuth

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir haben heute diese Andacht etwas anders gestaltet. Wir hatten vor gut einer Woche auf unserer Fortbildung “Mit Leib und Seele” so viel Freude an dieser Form, dass wir sie heute gerne daran teilhaben lassen wollten.

Mit Leib und Seele – eine Woche auf Körper und Geist hören, Anleitungen zu Sport und Meditation erfahren, und das noch an einem wunderbaren Ort im Jugendwerk Brebbia des Bistums Mainz am südlichen Lago Maggiore. Ist das denn Fortbildung?

Eine Frage, die sich auch den 30 teilnehmenden Erzieherinnen stellte. Gut protestantisch hatten sie doch ein klein wenig ein schlechtes Gewissen gegenüber ihren Kolleginnen. Eine Woche so ganz für sich selbst. Darf man das?

Um es vorweg zu nehmen. Ich meine: Ja, man darf das. Ja, man muss das sogar. Bei all den Arbeitsanforderungen, die ja auch in den Kindertagesstätten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, ist es geradezu notwendig, nach dem eigenen Grund zu suchen, sich gelegentlich wieder zu vergewissern, nach dem Grund unseres Tun`s. Früherer Nannte man das eine Rüstzeit. Da sollte man für den Alltag zugerüstet werden. Heute bedienen wir uns einer anderen Sprache. Aber der Zweck kommt doch der Rüstzeit sehr nahe. Es geht um die Suche, um das Spüren unserer eigenen Religiosität, die uns im Alltag halt gibtt.

In ihrem Buch: „Mit Herzen, Mund und Händen“ zeigt Margot Käßmann Grundlagen für eine christliche Spirituallität auf. Sie betont, dass Sinnlichkeit des Glaubens hier durchaus in reformatorischer Tradition steht und fragt nach evangelischer Spiritualität. Im Neuen Testament ist immer wieder von Gottes Geist die Rede. Der verwendete griechische Begriff hierfür, pneuma, wird im Lateinischen mit spiritus übersetzt. Der Geist steht für die Dimension des Glaubens, und auch für die innere Glaubenserfahrung, für die göttliche Gegenwart. Spiritualität ist damit die Glaubensdimension, die sich durch die dritte Person der Trinität erschließt, den Heiligen Geist. Durch Gottes Geist wird unsere Gottesbeziehung erfahrbar.

Den eigenen sprituellen Weg aber wird jeder Mensch individuell finden müssen. Spiritualität im Alltag zu leben, das scheint wichtig, das ist ein reformatorisches Anliegen für uns als Einzelne, für unsere Gemeinden und für unsere Kirche insgesamt.

Die vier tragenden Säulen evangelischer Spiritualität, die Margot Käßmann sieht, sind die Bibel, der Gottesdienst, das Gebet und das Gesangbuch.

Die Bibel

Aus der Bibel, dem Buch der Erfahrung des Glaubens an Gott, des Lebens mit Gott, finden wir Orientierung. Die Bibel ist niemals ausgelesen. Ein Text der Bibel ist nie ein für alle Mal im Leben derselbe und hat für unterschiedliche Menschen in ihrer je eigenen Lebenssituation eine unterschiedliche Bedeutung. Z.B. ist hier der Psalm 23 für viele Menschen außerordentlich verschieden.

Für viele Menschen ist der Psalm Trost und Zuspruch in unterschiedlichen Situationen. Aber es gibt auch diejenigen, die innerliche Widerstände spüren, wenn sie hören: Dein Stecken und Stab trösten mich. Sie verbinden damit Schläge in der Familie, die angeblich gut für sie sein sollten.

Es sei eine richtige Tragödie für Käßmann, schreibt sie, dass so viele Menschen in Deutschland die Bibel gar nicht mehr kennen. In diesem Land hat Martin Luther das erste Mal die Bibel in die Volkssprache übersetzt. Er wollte, dass die Menschen selbst nachlesen können. Schulen für Jungen und sogar für Mädchen hat er gegründet, ein Bildungsprozess unvorstellbaren Ausmaßes wurde so in Gang gesetzt.

Vor allem für Evangelische ist die Bibel von zentraler Bedeutung, ja die ganze Reformation ist letzten Endes von Luthers Bibelstudium her entwickelt. Die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache war ein revolutionärer Vorgang.

Vielleicht sei die Poesie die schönste Sprache des Glaubens, so Käßmann. Poetische Texte der Bibel von den Psalmen bis 1. Korinther 13 haben die Herzen der Menschen immer besonders berührt.

Sie gibt die Anregung, doch mal z.B. ein Evangelium zu lesen. Jeden Tag ein Stück.

Der Gottesdienst

So mancher Seufzer ist über den Gottesdienst zu hören: zu trocken, zu lieblos, zu wenig ansprechend. Das Fazit einer Auswertung durch Konfirmanden lautet: Er ist für fast alle langweilig.

Ein Gottesdienst soll Menschen im Glauben stärken, sie aufnehmen in die Gemeinschaft, ihnen Anregung geben zum Nachdenken, sie das Lob Gottes singen und ihre Gedanken vor Gott bringen lassen. In den Gemeinden vor Ort sollte überlegt werden, wie der Gottesdienst lebendiger werden kann, sodass, wer teilnimmt, spirituell gestärkt wird und Gemeinschaft erlebt.

In Psalm 147 heißt es: „Unsern Gott loben, das ist ein köstlich Ding“. Das heißt, es macht Gott Freude, wenn ich Gott zum Lobe singe, wenn wir gemeinsam zu Gott beten, wenn wir Gottes Wort hören. Gottesdienst ist ein Dialog zwischen Gott und Gemeinde, wir hören und antworten, wir bitten um Gottes Gegenwart und erfahren sie.

Gemeinschaft im Hören, Singen und Beten ist Teil christlicher Spiritualität. Die erste Christenheit hat dafür ihr Leben riskiert. Auch heute kann es , etwa in China oder Indonesien, lebensgefährlich sein, an einem Gottesdienst teilzunehmen.

Gottesdienst, das ist die Liturgie, die Erfahrung der Gemeinschaft, die Tradition, in der ich stehe.

Taufe und Abendmahl sind für die Kirche der Reformation die beiden einzigen Sakramente, weil sie direkt auf Jesus Christus zurückgehen. Wasser, Brot und Wein sind elementare Versinnbildlichungen des Glaubens. Und diese beiden Sakramente verbinden uns mit allen anderen Konfessionen. Wir taufen in die eine Kirche Jesu Christi hinein.

Das Gebet

Das Beten gilt als das „Herzstück christlicher Spiritualität“ (VELKD).

Und es ist wohl auch der einfachste Zugang zu Spiritualität. Da bedarf es keiner langwierigen Unterweisung, es betet sich sozusagen von selbst.

Martin Luther hat einmal an seinen Barbier Meister Peter geschrieben und ihm Mut gemacht, ganz schlicht das Vaterunser zu sprechen. Nicht allzu viel Brimborium solle gemacht werden, sondern in diesem Gebet sei alles aufgehoben, wenn sich das Herz dafür erwärme. Luther schreibt: „Und ich habe so auch oft mehr in einem Gebet gelernt, als ich aus viel Lesen und Nachsinnen hätte kriegen können. Darum kommt es am meisten darauf an, dass sich das Herz zum Gebet frei und geneigt mache … Was ists anders als Gott versuchen, wenn das Maul plappert und das Herz anderso zerstreut ist?“

Gebet ist auch Konzentration. Es gibt das gemeinsame Gebet im Gottesdienst, aber vor allem auch das persönliche Gebet im Tagesablauf.

Gebet braucht auch eine Form von Disziplin. Eben mal beten, dass dies oder das eintreten möge, das degradiert Gott zu einem Automaten, in den ich eine Münze werde und erwarte, dass etwas herauskommt.

Es geht beim Beten darum, langfristig beziehungsweise auf Dauer mit Gott im Gespräch zu sein, sich auf die Gottesbeziehung einzulassen. Das verändert immer auch mich selbst.

Kraftvoll soll vor allem das „Amen“ gesprochen werden, so Luther, damit wir den Zweifel bekämpfen. Niemand steht so fest im Glauben, dass er oder sie nicht auch wanken würde.

Probleme verschwinden nicht durch das Gebet, aber sie werden manches Mal auf die ihnen angemessene Dimension zurückgestuft.

Gebete verändern. Das hat vor allem die Erfahrung der Montagsgebete in der Leipziger Nikolaikirche gezeigt. Hier konnte in Freiheit ausgesprochen werden, was Menschen bedrängt.

Wenn Menschen in Angst und Gefahr nicht mehr ein noch aus wissen, ist das gemeinsame Gebet ein Angebot der Geborgenheit und Gemeinschaft.

So sind das persönliche Gebet und das gemeinsame Gebet … tragende Säulen christlicher Spiritualität.

Das Gesangbuch

Das Singen ist das Herzstück evangelischer Spiritualität und neben Bibel, Gottesdienst und Gebet der vierte Grundpfeiler.

Die Psalmen fordern uns geradezu heraus: „Singet dem Herrn ein neues Lied!“ heißt es in Psalm 96 oder in Psalm 68: „Singet Gott, lobsinget seinem Namen!“ Gerade die lutherischen Kirchen haben eine große Tradition, im Singen unseren Glauben auszudrücken. Martin Luther selbst war ein äußerst kreativer Liederdichter. Und Paul Gerhardt ist wohl der größte Liederdichter überhaupt. Seine Verse gehören in den deutschen evangelischen Gesangbüchern zu den am häufigsten erscheinenden Texten, aber auch in der katholischen Kirche werden seine Lieder gesungen, ja sie finden sich in aller Welt.

Alte, weise Lieder können unserem Glauben Form, Töne und Text geben. Aber es können auch neue Lieder sein. Auch hier kann es um tiefen Glauben in neuer Sprache und neuen Tönen gefasst sein.

Singen ist zudem Teil von Bildung. Kirchenmusik ist auch religiöse Bildung.

Es geht um Halt und Orientierung in diesem Leben und weit darüber hinaus. Dafür Zeit zu finden in unserem Leben, Freiraum dafür zu schaffen, ist eine lohnende Angelegenheit. Wir lernen auf diese Weise, das Leben in seiner gottgeschenkten Fülle wahrzunehmen. Wir erfahren, dass der christliche Glaube nicht eine Sache allein des Intellekts ist oder des Kopfes, sondern mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann, gerade auch in der lutherischen Kirche.

Davon, so zeigte die Auswertung, haben die Teilnehmerinnen am Lago Maiggore etwas spüren können. Bei den Andachten, beim meditativen Singen am Ufer des Sees, beim Walken und beim Pilgern zu den 15 Kapellen des Sacro Monte bei Varese.

Mitarbeiterinnen zu stärken, ihnen im Käßmann’schen Sinne Zugang neu oder wieder zur eigenen evangelischen Spiritualität zu eröffnen, ist sicher im besten protestantischen Sinne Bildung.