Stichwort: Mormonen

Der Raum gleicht eher einer modernen Behörde: Dutzende Computerarbeitsplätze, in der Mitte ein Informationsschalter. Wir sind in Salt Lake City, USA, im größten genealogischen Archiv der Welt. Jeder und jede kann hier, wie übrigens auch in zahlreichen deutschen Niederlassungen, Ahnenforschung betreiben. Im „Joseph Smith Building“, benannt nach dem Gründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, bei uns eher unter dem Namen Mormonen bekannt, wird zahlreich von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

Bereits 1823 hatte Joseph Smith (1805 bis 1844) eine Vision. Ihm erschien, nach eigenen Angaben, ein Engel namens „Moroni“, Sohn eines gewissen „Mormon“, der angeblich im 5. Jahrhundert als Prophet in Amerika gewirkt haben soll. Der Engel zeigte Smith vergrabene Goldplatten, die altertümliche Schriftzeichen enthalten haben sollen. Mit Hilfe einer „Prophetenbrille“ entschlüsselte Smith die Schriftzeichen. Das Buch Mormon war, so die Legende, entstanden. Noch im gleichen Jahr gründete Smith die „Kirche Jesu Christi“ in Fayette/New York und wurde zum „Seher, Propheten und Offenbarer“ bestimmt. Aufgrund von Reibereien mit der alteingesessenen Bevölkerung wurden die Mormonen immer wieder vertrieben. Smith selbst wehrte sich durchaus handgreiflich und zerstörte die Redaktionsräume eines Kritikers. Er wurde daraufhin in das Bezirksgefängnis gebracht. Doch die aufgebrachte Menschenmenge stürmte das Gefängnis und erschoss den Religionsgründer.

Brigham Young, Vorsitzender des Apostelkollegiums, übernahm daraufhin die Führung als neuer „Prophet“. Er organisierte einen Treck westwärts. Rund 15 000 Menschen erreichten 1847 das Salzseetal der Rocky Mountains.“This is the place“, das ist der Ort, soll Young ausgerufen haben, als er das Tal erblickte. In einer beachtlichen Aufbauleistung haben die Mormonen Salt Lake City, ja den gesamten Bundesstaat Utah, aufgebaut. Dieser wurde aber erst als Teil der USA anerkannt, als die Religionsgemeinschaft von der Praxis der Vielehe (1890) Abstand nahm.

Die Tatkraft der Mormonen ist auch heute noch unübersehbar. Der Bildungsstand ist hoch, in Provo/Utah wird eine eigene Universität unterhalten. Vermutlich auch wegen des völligen Verzichtes auf Kaffee, Tee, Alkohol und Tabak ist die Gesundheit der Mormonen überdurchschnittlich. Auch bekämpft die Gemeinschaft soziale Not und unterhält eigene Supermärkte für Bedürftige mit eigens dafür produzierten Waren.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

© Kurt-Helmuth Eimuth

Mormonismus und Christentum
Der Mormonismus gehört aufgrund seiner auf „neuen Offenbarungen“ beruhenden unbiblischen Lehren und der geheimen Tempelrituale nicht zum weiten Spektrum des ökumenischen Christentums. Er ist vielmehr als eine amerikanische, synkretistische Neureligion zu bewerten. Fast alle aus dem biblisch-christlichen Kontext übernommenen Begriffe (z.B. Sünde, Gott, Christus, Schöpfung, Apostel, Auferstehung, Taufe, Heil usw.) sind in ihren Inhalten völlig verändert und „mormonisiert“ worden. Daneben propagiert der Mormonismus Amerika als „Kontinent des Heils“, als Mittelpunkt der göttlichen Heilsgeschichte: Das Paradies Adams und Evas liegt im Bundesstaat Missouri, Christus erschien nach seiner Auferstehung auf dem amerikanischen Kontinent und wird dort auch nach seiner Wiederkunft im Endzeit-Tempel von Independence/Mo. residieren, usw. Deshalb bedeutet ein Übertritt zum Mormonentum nicht nur einen Glaubenswechsel, sondern eine völlige Abkehr von der christlich-ökumenischen Kirchengemeinschaft. Der Mormonismus repräsentiert eine ganz andere, fremdartige Welt. Die Folge ist eine starke Belastung der bisherigen gesellschaftlichen, vor allem aber familiären Bezüge. Die extremen Glaubensvorstellungen der Mormonen und die starke zeitliche Beanspruchung des einzelnen Mitglieds in der Mormonengemeinschaft stellen in konfessionsgemischten Familien in der Regel eine Zerreißprobe dar. Author: Rüdiger Hauth (aus: Bernd Dürholt (Hg.), Streifzug durch den religiösen Supermarkt, Evangelischer Presseverband für Bayern, München 1994)


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