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Chance, nicht Zaubermittel

(Bild: Sauke/Wikimedia, European Commission)

Kurt-Helmuth Eimuth/Evangelisches Frankfur 01/2006

Chance, nicht Zaubermittel

Hartz IV. Für die einen ist das gleichbedeutend mit Verelendung und Zwangsarbeit, für die anderen steht es für eine viel zu teure und auf dem Arbeitsmarkt kaum wirksame Sozialreform. Besonders umstritten sind die so genannten „1-Euro-Jobs“ – die es inzwischen auch bei der Kirche gibt.

Tatsächlich konnte sich kaum jemand vorstellen, wie umwälzend die Zusammenlegung der alten Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zu einem Arbeitslosengeld II (das nach dem Vorsitzenden einer Kommission der Bundesregierung kurz Hartz IV genannt wird) sein wird. Dem Finanzminister fehlen 7 Milliarden. Soviel ist diese Reform teurer gekommen als geplant. Die Kritiker hingegen wollen noch mehr. 345 Euro im Monat plus Miete sei einfach nicht genug zum Leben.
Demgegenüber verweisen die Befürworter der Reform auf die Gestaltungsmöglichkeiten. So ist es nun für einen Arbeitslosen möglich, so genannte Arbeitsgelegenheiten anzunehmen und sich ein Zubrot zu verdienen. Diese „1-Euro-Jobs“ werden in Frankfurt mit 1,50 Euro die Stunde bewertet. Deshalb heißen sie am Main auch Frankfurt-Jobs. Sie machen es möglich, dass ein Arbeitslosengeld II-Empfänger monatlich etwa 900 Euro (inklusive Miete) zur Verfügung haben kann.
Und genau hier liegt ein Problem. „Diese Arbeitsgelegenheiten verstärken den Druck auf den Niedriglohnsektor“, meint Werner Schneider-Quindeau, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung. Die Arbeitsgelegenheiten könnten zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen: „Wer vor drei Jahren einen Hausmeister entlassen hat, kann heute einen 1-Euro-Jobber einstellen.“
Unstrittig ist für Schneider-Quindeau die positive Wirkung der Arbeitsgelegenheiten für die Betroffenen. Davon kann auch Jürgen Simon berichten, der beim Diakonischen Werk für Frankfurt für die Einrichtung der Arbeitsgelegenheiten und für Förderung der Hartz IV-Empfängerinnen und Empfänger zuständig ist. Die Diakonie hat sich verpflichtet, eine Vernichtung von regulären Arbeitsstellen zu verhindern. Simons Problem ist eher, dass viele kirchliche Stellen und Gemeinden über die Möglichkeiten noch nicht richtig informiert sind und zu langsam entscheiden. 150 Einsatzstellen wurden laut Simon in der Frankfurter Kirche eingerichtet. Demnächst will man für die über 50-Jährigen ein besonderes Programm starten. „Es muss einfach schneller laufen“, sagt Simon und betont die Chancen der Arbeitsgelegenheiten für die Menschen und für die Kirche: „Wir können den Menschen auf diese Weise eine Teilhabe am Arbeitsleben bieten und zugleich Kirche vor Ort sein.“
„Hartz IV ist kein Zauberinstrument“, resümiert auch Schneider-Quindeau Kollege, Pfarrer Gunter Volz, denn dauerhafte Arbeitsplätze werden dadurch nicht geschaffen. Aber es hilft bei der Integration der Menschen.“
Kurt-Helmuth Eimuth/Evangelisches Frankfur 01/2006

„Wischiwaschi“ ist nicht ihre Sache

Evangelisches Frankfurt: November 2005

„Wischiwaschi“ ist nicht ihre Sache

Als Pfarrerin Helga Trösken 1987 zur Pröpstin für Frankfurt gewählt wurde, war sie die erste Frau mit bischöflichen Aufgaben in der evangelischen Kirche in Deutschland. 18 Jahre lang prägte sie die theologische Ausrichtung der Frankfurter Kirche entscheidend mit. Im November wählt das hessen-nassauische Kirchenparlament ihre Nachfolgerin, April geht Trösken dann in den Ruhestand. Fragen an eine Kirchenfrau, die selten ein Blatt vor den Mund genommen hat.

Frau Trösken, Kirchliches Führungspersonal war dieses Jahr in den Medien sehr präsent, vor allem Päpste. Sie sind Pröpstin, das klingt ja fast genauso. Sind Sie die evangelische Päpstin von Frankfurt? Oh nein, das wäre ja furchtbar! Ich bin zwar leitende Frau der evangelischen Kirche, aber das ist das genaue Gegenteil von einem Papst. Die evangelische Kirche lebt vom Konsens und nicht vom Diktat einer Person. Das hat man doch beim katholischen Weltjugendtag gesehen: Der Papst ist da der Mittelpunkt eines Events. Ein evangelischer Kirchentag lebt dagegen von vielen, vielen Menschen, die etwas einbringen.

Konnten Sie denn dem Weltjugendtag auch etwas Positives abgewinnen? Sehr wenig. Ich finde es natürlich beeindruckend, dass junge Menschen sich zum Glauben bekennen. Aber dass dort der Ablass wieder propagiert wird – das ist für mich voll daneben. Oder dass per Megafon ständig laut darauf hingewiesen wurde, dass die Teilnahme am Abendmahl nur Katholiken erlaubt ist.

Würden Sie sagen, dass die konfessionellen Unterschiede wieder größer werden? Ja. Allerdings nicht an der so genannten Basis.

Aber wird denn heutzutage die christliche Stimme nicht nur dann gehört, wenn sie gemeinsam auftritt? Nein, das denke ich nicht. Aber bei vielen Punkten sprechen der katholische Stadtdekan und ich ja auch mit einer Stimme, zum Beispiel beim Thema Sonntagsruhe. Es wäre natürlich schöner, wenn es auch theologisch mehr Konsens gäbe, als derzeit möglich ist.

Sie haben sich bei vielen Themen in den städtischen und politischen Diskurs eingemischt – gegen die Öffnung von Geschäften am Sonntag, gegen den Irakkrieg, gegen die Ausstellung „Körperwelten“. Hat die christliche Stimme heute noch Einfluss? Es ist ja kein Zufall, dass die Sonntagsöffnung immer weiter diskutiert wird. Dazu muss die Stellungnahme aber auch klar sein, klarer jedenfalls als so ein angepasstes Wischiwaschi, das wir ja auch manchmal haben. Sicher wird man für klare Standpunkte auch beschimpft. Das muss man in Kauf nehmen. Aber ich habe in diesen 18 Jahren nicht das Gefühl gehabt, dass die Stimme der Kirchen weniger gehört wird, sofern sie christlich begründet ist.

Was sich verändert hat, ist die zahlenmäßige Zunahme des Islam. Wie beurteilen Sie da die Möglichkeiten einer Ökumene, einer interreligiösen Zusammenarbeit? Mit dem Islam sehe ich das als außerordentlich großes Problem an. Ich kann mir keinen ernsthaften Dialog mit dem Islam als Ganzem vorstellen. Es gibt einzelne Konfessionen oder Unterabteilungen im Islam, mit denen es leichter sein kann, sich inhaltlich zu verständigen, aber mit dem Islam als Ganzem halte ich es für ausgeschlossen.

Warum? Weil der Islam in sich noch den Wahrheitsanspruch hat, den die Christen im Mittelalter hatten, das heißt, einen Absolutheitsanspruch, und dieser Absolutheitsanspruch ist nicht zu hinterfragen. Das Problem ist außerdem, dass wir keine richtigen Ansprechpartner haben. Wir haben verschiedene Imame und Gruppierungen, aber niemanden, der für den Islam als Ganzen in Frankfurt sprechen kann.

Nun leben hier aber so viele Musliminnen und Muslime, dass ein Dialog doch unumgänglich ist? Natürlich. Ich rede ja nicht gegen Diskussionsveranstaltungen als solche. Ich rede auch nicht dagegen, das Kennenlernen und die Integration zu versuchen. Im Bereich von Mitmenschlichkeit, Nachbarschaft, friedlichem Zusammenleben und auch bei bestimmten Sachpunkten ist sehr viel mehr möglich, als derzeit gemacht wird. Nur was die religiöse Verständigung betrifft, ist es realistisch zu sagen, das sind unterschiedliche Welten. Man kann sich kennen lernen, aber eine inhaltliche Verständigung halte ich für ausgeschlossen.

Ist das auch der Hintergrund, warum die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau noch einmal bekräftigt hat, keine muslimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen? Ja. Es hat Dialogversuche gegeben, wir haben auf verschiedenen Wegen versucht, einander näher zu kommen. Aber sie sind aus unterschiedlichen Gründen gescheitert. Von daher stellt sich dann auch die Frage der Klarheit und Wahrheit. Deshalb sagen wir jetzt, etwa bei der Frage der Erzieherinnen, etwas deutlicher: Christlicher Kindergarten heißt christlicher Kindergarten.

Es gibt also eine Entwicklung dahin, dass verschiedene Weltanschauungen nebeneinander streiten und auch konkurrieren. Natürlich. Aber sechzig Prozent Christinnen und Christen in Frankfurt sind immer noch sechzig Prozent. Das sollte man auch nicht klein reden. Unter den übrigen vierzig Prozent haben sich inzwischen ein paar andere Religionen etabliert, das hat sich in der Tat verändert. Das ist der Islam, das sind aber auch Buddhistinnen und Buddhisten oder eine ganze Reihe von Esoterikgruppen. Doch sie haben insgesamt nicht so einen missionarischen Erfolg, wie es vielleicht in den Medien den Anschein hat.

Was ist denn die wichtigste Botschaft des Christentums in diesem Wettbewerb? Fromm gesagt: Dass jeder Mensch ein geliebtes Geschöpf Gottes ist und sich nicht selber rechtfertigen muss. Das hat Konsequenzen für den Alltag, es heißt nämlich: Jeder Mensch ist ein freies Geschöpf, ist für seine eigenen Taten verantwortlich, kann aber sicher sein, dass er in jedem Fall von Gott geliebt ist und sich nicht beweisen muss. Mit dieser Botschaft sind wir durchaus konkurrenzfähig.

Nun sind die Zahlen der Kirchenmitglieder aber rückläufig. Anders gesagt: Sie sind zwar überzeugt von ihrem Produkt, aber das Produkt wird nicht mehr so angenommen. Jeder Marketing-Chef würde jetzt etwas tun. Was tut die evangelische Kirche? Diese Analyse teile ich nicht. Ich wehre mich dagegen, dass wir uns immer selber klein reden, so schlecht sind die Zahlen nämlich gar nicht. Es gibt aber trotzdem ein Marketingkonzept, wenn man das so nennen will. Seit Jahren haben wir Kircheneintrittsstellen, Stadtkirchenarbeit, kirchliche Präsenz in Rundfunk und Fernsehen, wir sind beim Museums uferfest dabei, bei der Nacht der Kirchen. Wir haben Seelsorge im Krankenhaus, in Notfällen, viele diakonische Einrichtungen. Und es ist ja auch kein Zufall, dass die Leute an Weihnachten wissen, wo sie hingehen können und das auch annehmen. Man darf auch nicht vergessen, dass wir sonntags wesentlich mehr Menschen in den Gottesdiensten haben, als in die Stadien der Bundesliga kommen. Und zwar in den evangelischen.

Trotzdem sieht das Bild in der Öffentlichkeit anders aus. Ja, das wird so von den Medien geprägt, aber deshalb widerstehe ich dem ja auch und sage, wo immer ich kann: Lasst mich in Ruhe mit diesem Kleinreden.

Es sind aber nicht nur die Medien. Die Gemeinden in Frankfurt werden kleiner, sie müssen Räume abgeben und Personal einsparen. Die Kirche hat die Aufgabe, das Evangelium in zeitgemäßer Form weiter zu geben, und das geschieht natürlich auch in Strukturen und mit Gebäuden. Aber Frankfurt ist da immer achtspännig gefahren. Als ich hier anfing – ich kam ja vom Land – war ich sehr überrascht, wie gut hier die Personalausstattung war. Jetzt ist da ein Anpassungsprozess in Gang, aber davon stirbt keine Gemeinde. Das ist meine feste Überzeugung.

Als Sie Pröpstin wurden, war es ein großes Thema, dass Sie die erste Frau in einem bischöflichen Amt waren. Inzwischen gibt es viele Führungsfrauen in der Kirche. Was hat sich dadurch geändert? In meiner ersten Rede habe ich gesagt, dass ich mir wünsche, dass Kandidaturen von Frauen künftig der Normalfall sind. Das haben wir inzwischen erreicht. Was sich auch verändert hat, ist die Atmosphäre in den Gremien. Seit dort viele Frauen sind, ist der Ton ein ganz anderer geworden. Aber ich kann nicht sagen, dass sich inhaltlich oder von der Art der Arbeit her die Reformation ausgebreitet hat, nur weil wir eine Pröpstin oder andere leitende Frauen haben. Die Strukturen sind schon sehr beharrlich.

Was planen Sie für Ihre persönliche Zukunft? Ich habe viele Interessen und fürchte nicht, dass es mir langweilig wird. Langfristig werde ich mit anderen Menschen zusammen in einer Alten-WG wohnen, in einem Wohnprojekt „Selbstbestimmtes Leben im Alter“. Ich habe immer in Wohngemeinschaften gelebt, auch hier in der Propstei, und ich finde es wichtig, dass man auch im Alter nicht alleine lebt.
Interview: Antje Schrupp / Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: November 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 6

Multikulti braucht Reli

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Multikulti braucht Reli

Noch besucht die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler an Frankfurter Grundschulen den evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Doch diese Zahlen können nicht beruhigen, denn die Entwicklung ist rückläufig: Von den Kindern, die in diesem Jahr in Frankfurt eingeschult werden, gehört nur noch ein gutes Drittel einer Kirche an, Tendenz sinkend. Ist der Religionsunterricht da eigentlich noch zeitgemäß? Warum kommen die Kirchen nicht wenigstens der Forderung der hessischen FDP nach und legen den katholischen und evangelischen Religionsunterricht zusammen? Fragen, die zu Recht gestellt werden.„In ihrer Konstruktion der Welt und ihrem unermesslichen Wissensdrang sind Kinder kleine Philosophen und Theologen. Die Frage nach Gott kann in diesem Sinne eine zentrale Lebensfrage sein.“ Dieses Zitat ist nicht einer kirchlichen Schrift entnommen, sondern dem Entwurf des Hessischen Bildungsplans für Kinder von 0 bis 10 Jahren. Die Notwendigkeit, sich mit den Fragen des Lebens und den Antworten der Religionen auseinander zu setzen, ist unstrittig. Der Religionsunterricht leistet nicht Wissensvermittlung im Sinne einer Religionskunde, sondern bietet eine Person, die an das glaubt, was sie lehrt. Dieses kann kein Ethikunterricht und auch kein Werte-Unterricht nach Berliner Vorbild leisten. Der Religionsunterricht bietet hier einzigartige (Bildungs-)Möglichkeiten.
Es ist nicht die Frage zu stellen, ob wir den Religionsunterricht brauchen, vielmehr ist die Frage zu stellen, wie das System Schule sich auf die Herausforderungen einer multireligiösen Schülerschaft einstellen kann. Die beiden wichtigsten Forderungen liegen dabei auf der Hand: Der Ethikunterricht muss flächendeckend stattfinden, und für die muslimischen Kinder muss ein entsprechendes Angebot gemacht werden. Dies hätte den charmanten Nebeneffekt, dass der muslimische Religionsunterricht aus der Enge mancher Koranschule herausgeholt würde.
Auch die Kirchen müssen abrücken von ihrem Festhalten an überkommenen Strukturen. Der Religionsunterricht sollte sich öffnen. Die Frankfurter Studienleiterin denkt hier in die richtige Richtung (siehe auch Seite 3). Vor Ort ist zu entscheiden, wie das organisiert wird. Dabei wird man je nach Schule zu ganz unterschiedlichen Modellen gelangen. Mal wird klassisch getrennt unterrichtet, mal gemeinsam, mal alternierend. Jede Schule sollte die jeweils auf ihre Situation passende Lösung suchen.
Kurt-Helmuth Eimuth

Religionsunterricht verändert sich

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Religionsunterricht verändert sich

Die Älteren werden sich noch erinnern: Wenn „Reli“ angesagt war, wurde die Klasse geteilt, und es kamen immer die (Blöden) von der Parallelklasse. Nun, heute kommen immer noch die von den anderen Klassen, aber die vertretenen Religionen sind weit vielfältiger: Da gibt es die großen Gruppen der Muslime und Atheisten und natürlich in Frankfurt allerlei andere Glaubensgemeinschaften, etwa die Weltreligionen Hinduismus und Buddhismus. Wie soll die Schule mit dieser organisatorischen Herausforderung umgehen?

Der Berliner Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, drückte die Schulbank, um für den Religionsunterricht zu werben (siehe Box). (Foto: bph/Wikimedia)

Schon Kinder im Grundschulalter stellen Fragen nach den letzten Dingen: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Sie wollen diese Fragen nicht nur abstrakt beantwortet haben, sie wollen vielmehr einen Menschen vor sich haben, der die Antworten glaubhaft vertritt. Jeder Lehrer kennt die plötzlich gestellte Frage: „Glauben Sie denn daran?“ Hier erwarten Kinder und Jugendliche eine persönliche Antwort, keine abstrakten Erläuterungen. Auch lässt es sich besser einen Dialog mit anderen Religionen führen, wenn die eigene Position gefunden ist.
Religion ist als einziges Fach im Grundgesetz verankert: „Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach,“ heißt es da unmissverständlich. Ferner ist geregelt, dass er in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft“ erteilt wird. Dies bedeutet, dass der Religionsunterricht nicht nur einfach eine neutrale Religionskunde ist, sondern die Dinge aus einer Perspektive betrachtet und wertet. Das Bundesverfassungsgericht hat darum festgestellt: „Der Religionsunterricht ist keine überkonfessionelle Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Grundsätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe. Dafür, wie dies zu geschehen hat, sind grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich.“
Das größte Problem des konfessionellen Religionsunterrichts ist nicht er selbst, sondern die (fehlende) Alternative. Welches Unterrichtsangebot gibt es für Kinder, die keiner oder einer anderen als der christlichen Religion angehören? Weder gibt es bisher einen flächendeckenden Ethikunterricht, noch gibt es einen islamischen Religionsunterricht für die muslimischen Schülerinnen und Schüler. Dabei wäre das vor allem in multikulturellen Städten wie Frankfurt besonders notwendig. Denn die religiöse Unterweisung im öffentlichen Raum ist der beste Schutz gegen Fundamentalismus, gleich welcher Religion. Der Religionsunterricht in der Schule kann verhindern, dass sich Religionsgemeinschaften in soziale Gettos zurückziehen und unbehelligt von allen kritischen Anfragen quasi eine sektenhafte Religiosität pflegen.
Die Studienleiterin des Religionspädagogischen Amtes in Frankfurt, Pfarrerin Karin Frindte-Baumann, setzt auf kontinuierliche Veränderung. „Der evangelische Religionsunterricht will sich in die Entwicklung der Schulen im Rahmen ihrer Eigenverantwortung einfügen.“ Derzeit unterrichten in Frankfurt 410 Lehrkräfte evangelische Religion – in allen Schulformen. Frindte-Baumann könnte sich vorstellen, dass neben dem reinen Unterricht die Schulseelsorge ausgebaut wird, dass es Schulgottesdienste oder interreligiöse Projekte gibt. Hessens Kultusministerin Karin Wolff stellt klar: „Eine Werteerziehung auf der Grundlage humanistischer und christlicher Tradition ist zentraler Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule.“ Auch die Hessische Verfassung schreibt den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach fest. Dennoch bleibt angesichts einer Bevölkerungsentwicklung, in der die Schülerinnen und Schüler mit christlichem Hintergrund eine Minderheit sind, die Diskussion um die Zukunft des Religionsunterrichts eine Herausforderung (siehe auch den Kommentar auf Seite 2).
Kurt-Helmuth Eimuth

Jauch und Co. sind für „Reli“
Altbundespräsident Johannes Rau, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die TV-Moderatoren Günter Jauch und Sabine Christiansen sowie andere Prominente unterschrieben einen Aufruf der Berliner Kirchen und der Jüdischen Gemeinde für Wahlfreiheit zwischen dem Religionsunterricht und dem geplanten neuen Ethikfach. Insgesamt kamen seit April bereits 55000 Unterschriften zusammen. In der Diskussion um den „Werteunterricht“ verweist Bischof Wolfgang Huber auf die Aussage eines Schülers: „Der Staat verfügt nicht über Antworten auf die Frage, was gut ist. Es fällt ihm schon schwer genug, die Frage zu beantworten, was gerecht ist.“ Schärfer formuliert es Huber selbst: Kein Fach dürfe zum „Herrschaftsinstrument über Seelen und Köpfe von Schülern“ werden. Nach Plänen des Berliner Senats soll vom Schuljahr 2006/2007 an ein Pflichtfach „Ethikunterricht“ ohne Abwahlmöglichkeit eingeführt werden. Die Kirchen könnten dann zwar weiterhin Religionsunterricht als freiwilliges Angebot erteilen, fürchten aber ein deutlich nachlassendes Interesse. Derzeit nehmen rund 150000 Kinder und Jugendliche in Berlin am Religionsunterricht teil.
Kurt-Helmuth Eimuth

„Welche Werte will man unterrichten?“

In vielen Klassen sind evangelische Kinder die Minderheit, welche Berechtigung hat da noch ein evangelischer Religionsunterricht?

Religionsunterricht ist nicht nur dann legitim, wenn ein Kind getauft ist, sondern bei jüngeren Kindern auch, wenn die Eltern möchten, dass ihr Kind am evangelischen Unterricht teilnimmt, damit es die Tradition des christlichen Glaubens kennen lernt. Der Religionsunterricht ist in den Bildungsauftrag der Schule integriert. Die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und dem Glauben anderer Religionen gehört ebenso wie die Erziehung zur Achtung anderer Religionen zur Aufgabe der Schule.

Regiert die Kirche hier nicht in unzeitgemäßer Form in die Schule hinein?

Nein, und das will sie auch gar nicht. Eher machen die Kirchen den Schulen ein Angebot, die religiöse Frage in den Bildungsauftrag hineinzuholen. Das ist auch gar nicht unzeitgemäß, weil sich ja in den letzten Jahren deutlich zeigt, dass Kinder und Jugendliche ein Interesse an religiösen Fragen haben. Dass in Hessen das Unterrichtsfach, in dem es um diese Fragen geht, in Übereinstimmung mit den Kirchen erteilt wird, ist historisch gewachsen und deshalb Teil unserer Gesellschaft und Kultur.

Was leistet der Religionsunterricht, das andere Fächer nicht leisten können?

Wie der Name schon sagt: Er unterrichtet über religiöse Bezüge. Das kann in anderen Fächern, wenn überhaupt, nur am Rande vorkommen. Religionslehrerinnen und -lehrer stehen den Kindern als Gesprächpartner zur Verfügung, die auch über ihren eigenen Glauben Auskunft geben können und wollen. Neben diesem auf ein Bekenntnis gestützten Unterricht braucht die Schule aber ein Alternativfach, zum Beispiel Ethik, das diejenigen Kinder besuchen, die vom Religionsunterricht abgemeldet sind, denn auch diese Kinder brauchen Orientierung und Hilfestellung für ihr Leben.

Könnte der Religionsunterricht nicht durch ein allgemeines Fach Werteerziehung, so wie in Berlin geplant, ersetzt werden?

Zwar ist Frankfurt eine multikulturelle Metropole wie Berlin oder Hamburg, aber es gibt Unterschiede. In Berlin gibt es keinen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Die dortige Debatte über den „Werteunterricht“ zeigt einerseits den Willen, alle Schülerinnen und Schüler, nicht nur die konfessionell gebundenen, in einem Fach zu unterrichten, das Orientierung über „Werte“ zum Inhalt hat. Andererseits fragt man sich aber, warum hier die Partnerschaft mit den Kirchen nicht gewollt ist. Die Inhalte eines solchen „Werteunterrichtes“ kann ich mir nur schwer vorstellen. Welche Werte sind gemeint? Was will man da unterrichten? Wie werden die Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet? Über die inhaltlichen Fragen hört man ja so gut wie nichts. In den Bundesländern, in denen der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach seit 1945 existiert, wäre ein Werteunterricht überhaupt keine Alternative. Interview: Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

Traditionsbewusst ist man im Westen Frankfurts. Die evangelische Martinusgemeinde im ehemals katholischen Dorf Schwanheim, direkt am Main gelegen, hat ihre Geschichte und ihre Geschichtchen. Es geht die Sage, dass der (katholische) Fährmann den evangelischen Pfarrer vom gegenüberliegenden Griesheim des öfteren etwas langsamer über den Main schipperte, damit dieser sich beim sonntäglichen Gottesdienst in Schwanheim verspäte. Doch längst sind die Zeiten des konfessionellen Behakelns vorbei. Pfarrer Burkhard Sulimma bleibt völlig gelassen, als ihm ein Bauarbeiter in der Kirche erklärt, dass es mit der Konfirmation Mitte Mai ja wohl nichts würde. Der Termin sei nicht zu halten. „Dann gehen wir halt in die katholische Kirche.“ Ökumene ist heute selbstverständlich.

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche. | Foto: Eimuth

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche.
Foto: Eimuth

Genauso selbstverständlich ist der kreative Umgang mit Veränderungsprozessen. Vor bald einhundert Jahren baute man die Martinuskirche. In die alte Kapelle zog der Kindergarten ein. Schon 1907 eröffnete er seine Pforten. Inzwischen verfügt die Gemeinde außerdem noch über einen integrativen Kindergarten und über einen Hort. Eine Krabbelstube, in Regie des Diakonischen Werks für Frankfurt, wird demnächst das Angebot komplettieren. „Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern“, stellt denn auch Sulimma fest. Krabbelgruppen, Miniclubs, Kindergruppen am Nachmittag und Kochgruppen – auch für Jungen! – und die Kindergottesdienstarbeit belegen dies.

Als die Kirchenmusikerstelle kürzlich dem Rotstift zum Opfer fiel, ließ man sich etwas einfallen. Es gelang, die Dekanatskantorin für Gemeinde-, Senioren-, Kinder- und „Spatzenchor“ zu gewinnen. Auch als immer deutlicher der Zahn der Zeit nicht nur am Putz der Kirche im romanischen Stil nagte, ging man das Problem offensiv an. Flugs gründete die Gemeinde einen Förderverein, der inzwischen die stolze Summe von 30 000 Euro für die Restaurierungsarbeiten gesammelt hat. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 220 000 Euro. Silke Wedekind-Hirschberger, Vorsitzende des Kirchenvorstandes, berichtet, dass sich die Gemeinde nicht leicht tat mit der Entscheidung, soviel Geld in den Bau zu stecken: „Aber letztlich gab das Votum der Denkmalpflege den Ausschlag.“ Und so entsteht wieder der ursprüngliche blaue Sternenhimmel in der Apsis. Für nur 50 Euro kann man „Pate“ eines Sternes werden. Bei den Portallöwen wird’s allerdings richtig happig: 3000 Euro kostet die Restauration und die Patenschaft.

Das ehemals katholische Dorf Schwanheim hat längst, so der Gemeindeprospekt, ein „kleinstädtisches und mittelständiges Gesicht“ und wird zunehmend multikulturell. Im alten Pfarrhaus ist ein therapeutisches Wohn­ heim für Flüchtlinge untergebracht. Obgleich es vom Evangelischen Regionalverband getragen wird, ist es doch Teil der Gemeinde. „Wir sind eben“, so Pfarrer Sulimma, „eine typische Gemeinde im Umbruch.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Religion verkauft sich

(Foto von Wolfgang Sauber/Wikimedia)

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Religion verkauft sich

Kaum strömten die Menschen zu den Trauerfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II., konstatierten die Beobachter angesichts der zahlreichen Jugendlichen auf dem Petersplatz eine Renaissance der Kirche, zumindest der Religion. Auf allen Kanälen wurde das Medienereignis einem Wiedererstarken der Religion zugeschrieben.
Zum einen handelte es sich um ein mediales Megaereignis. 7000 Journalistinnen und Journalisten berichteten aus Rom. Die schätzungsweise vier Millionen Menschen, die dorthin reisten, wollten nicht nur einfach „dabei sein“. Sie wollten einen Mann ehren, der sich selbst treu geblieben war. Man teilte nicht immer seine Ansichten, aber viele schätzten diesen Papst, der zu seinen Prinzipien stand, gleichgültig woher der Zeitgeist wehte.
Doch ist dies nur eine mögliche Erklärung für ein bemerkenswertes Phänomen. Das Übersinnliche hat Konjunktur, auch wenn es sich dabei meist um eine Form der „Tante-Emma-Esoterik“ handelt. Nach den jüngsten Branchendaten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist der Bereich der religiösen Ratgeber mit über 30 Prozent das umsatzstärkste Segment. Das Magazin „Esotera“ erreicht eine Druckauflage von 100000, das Magazin „Grenzenlos“ über 80000. Der Zukunftsforscher Matthias Horx sieht sogar eine zunehmende Bedeutung des Themas Spiritualität in Wirtschaftsunternehmen. Er spricht von „Faith Based Business“ (auf einem Glauben basierendes Geschäft). Spirituelle Konzepte würden verstärkt in Management-Konzepte einfließen. So arbeite der japanische Konsumgüterhersteller Kao offensiv nach Prinzipien des Zen-Buddhismus.
Die einsetzende Debatte um soziale Marktwirtschaft und Raubtierkapitalismus darf als ein Ringen um Werte gesehen werden. Hier ungezügeltes Profitstreben, dort ein am Gemeinwohl orientiertes Handeln. Horx rechnet damit, dass weitsichtige Unternehmen künftig Raum schaffen für Mitarbeitermeditationen, Gottesdienste und Gesprächsangebote zu spirituellen Themen. Schließlich sind religiöse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statistisch gesehen glücklicher, gesünder und damit auch leistungsfähiger.
Man möchte ja solchen Prognosen gerne glauben. Doch trotz religiöser Großereignisse ist die Alltagserfahrung eine andere. Flugs wird der Adventssonntag zum Super-Einkaufstag. Nicht nur auf dem Petersplatz im fernen Rom, sondern auch auf der Frankfurter Zeil findet eine Abstimmung mit den Füßen statt.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche. - (Foto: Eimuth)

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

Traditionsbewusst ist man im Westen Frankfurts. Die evangelische Martinusgemeinde im ehemals katholischen Dorf Schwanheim, direkt am Main gelegen, hat ihre Geschichte und ihre Geschichtchen. Es geht die Sage, dass der (katholische) Fährmann den evangelischen Pfarrer vom gegenüberliegenden Griesheim des öfteren etwas langsamer über den Main schipperte, damit dieser sich beim sonntäglichen Gottesdienst in Schwanheim verspäte. Doch längst sind die Zeiten des konfessionellen Behakelns vorbei. Pfarrer Burkhard Sulimma bleibt völlig gelassen, als ihm ein Bauarbeiter in der Kirche erklärt, dass es mit der Konfirmation Mitte Mai ja wohl nichts würde. Der Termin sei nicht zu halten. „Dann gehen wir halt in die katholische Kirche.“ Ökumene ist heute selbstverständlich.
Genauso selbstverständlich ist der kreative Umgang mit Veränderungsprozessen. Vor bald einhundert Jahren baute man die Martinuskirche. In die alte Kapelle zog der Kindergarten ein. Schon 1907 eröffnete er seine Pforten. Inzwischen verfügt die Gemeinde außerdem noch über einen integrativen Kindergarten und über einen Hort. Eine Krabbelstube, in Regie des Diakonischen Werks für Frankfurt, wird demnächst das Angebot komplettieren. „Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern“, stellt denn auch Sulimma fest. Krabbelgruppen, Miniclubs, Kindergruppen am Nachmittag und Kochgruppen – auch für Jungen! – und die Kindergottesdienstarbeit belegen dies.
Als die Kirchenmusikerstelle kürzlich dem Rotstift zum Opfer fiel, ließ man sich etwas einfallen. Es gelang, die Dekanatskantorin für Gemeinde-, Senioren-, Kinder- und „Spatzenchor“ zu gewinnen. Auch als immer deutlicher der Zahn der Zeit nicht nur am Putz der Kirche im romanischen Stil nagte, ging man das Problem offensiv an. Flugs gründete die Gemeinde einen Förderverein, der inzwischen die stolze Summe von 30 000 Euro für die Restaurierungsarbeiten gesammelt hat. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 220 000 Euro. Silke Wedekind-Hirschberger, Vorsitzende des Kirchenvorstandes, berichtet, dass sich die Gemeinde nicht leicht tat mit der Entscheidung, soviel Geld in den Bau zu stecken: „Aber letztlich gab das Votum der Denkmalpflege den Ausschlag.“ Und so entsteht wieder der ursprüngliche blaue Sternenhimmel in der Apsis. Für nur 50 Euro kann man „Pate“ eines Sternes werden. Bei den Portallöwen wird’s allerdings richtig happig: 3000 Euro kostet die Restauration und die Patenschaft.
Das ehemals katholische Dorf Schwanheim hat längst, so der Gemeindeprospekt, ein „kleinstädtisches und mittelständiges Gesicht“ und wird zunehmend multikulturell. Im altenPfarr-haus ist ein therapeutisches Wohn heim für Flüchtlinge untergebracht. Obgleich es vom Evangelischen Regionalverband getragen wird, ist es doch Teil der Gemeinde. „Wir sind eben“, so Pfarrer Sulimma, „eine typische Gemeinde im Umbruch.“
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Das Leben Jesu zum Anfassen

Erlebnisparcours mit Gebetsgarten im Evangelischen Jugendwerk

Bild: Wikimedia/3268zauber

Der Raum ist abgedunkelt, Kerzen brennen in der Mitte, sphärische Klänge wabern, an der Wand Bilder von Neugeborenen. Die erste Station des Erlebnisparcours über das Leben Jesu knüpft an Bethlehem an. Zahlreiche Jugendliche haben per Zettel auf der Pinnwand die Frage beantwortet, wo sie einen Neuanfang erlebt haben. „Am Ende einer Beziehung“, „nach einer Lungenentzündung“ oder auch „nach dem Sitzenbleiben in der neuen Klasse“ ist da zu lesen. Von den Ängsten junger Menschen ist auch etwas an einer anderen Station zu spüren. „Ich habe oft Angst zu versagen“, bekennt jemand auf gelbem Papier.
Das Evangelische Jugendwerk, das mit seinen ehrenamtlich geleiteten Jugendgruppen in 26 Frankfurter Kirchengemeinden aktiv ist, hatte in seiner Zentrale in Echersheim einen so genannten „Gebetsgarten“ aufgebaut.
„Eigentlich ist der Begriff irreführend, es müsste Erlebnisgarten heißen“, räumt der zuständige Jugendreferent Ralf Herold ein. Doch man habe eben auf den eingeführten Namen gesetzt. Und der Erfolg gab den Initiatoren Recht.
Gut zehn Tage hat es gedauert, bis aus schwarzen Zeltplanen und einem Baugerüst die unterschiedlichen Stationen gebaut waren. Neben dem Engagement Ehrenamtlicher wurden die Kosten mit Hilfe von Sachspenden niedrig gehalten. Zum Beispiel wurde das Gerüst kostenlos zur Verfügung gestellt, das in der Mitte des Saals einen kleinen Turm bildete, der mit seinen Etagen auf die Bergpredigt hinwies.
Ralf Herold ist zufrieden: Über tausend Besucherinnen und Besucher waren da. Vor allem Konfirmandengruppen zeigten sich begeistert von dem Angebot, das Leben Jesu mit allen Sinnen zu erleben.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Mai 2005

Religion muss humanistisch sein

Evangelisches Frankfurt: März/April 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 2

Religion muss humanistisch sein“

Sein bekanntestes Werk „Die Kunst des Liebens“ verirrt sich schon mal ins Sonderangebot beim Discounter. Erich Fromms Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und erreichten eine Gesamtauflage von 50 Millionen. Auch sein Spätwerk „Haben oder Sein“von 1976 erreichte Kultstatus. Der Frankfurter Sozialpsychologe starb vor 25 Jahren, am 18. März 1980.

(Bild: Wikimedia/Erich-Fromm.de)

Obgleich sich Erich Fromm von jeglicher Religion losgesagt hat, ist er der seinen treu geblieben. Am 23. März 1900 in Frankfurt als Sohn des jüdischen Weinhändlers Naphtali geboren, beschäftigt er sich schon als Jugendlicher intensiv mit dem Talmud. Zusammen mit Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Herbert Marcuse gehört er zum Kreis um Max Horkheimer am „Frankfurter Institut für Sozialforschung“, das seine Tätigkeit nach der Emigration wegen des Nationalsozialismus in New York fortsetzt.
Fromm wollte nicht an „irgendeiner Spaltung der Menschheit – ob religiös oder politisch – beteiligt sein.“ Deshalb, stellen die Biografen fest, habe er sich vom orthodoxen Juden zum dogmatischen Freudianer, zum überzeugten Marxisten und schließlich zum radikalen Moralisten entwickelt. Wie konsequent Fromms Denken ist, zeigen seine Ausführungen über die Religion allgemein.
Erich Fromm unterscheidet zwischen autoritärer und humanistischer Religion. Die autoritäre Religion sei gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass eine höhere Macht Anspruch auf Verehrung und Anbetung, aber auch auf Gehorsam habe. Die Macht über Menschen begründe sich eben nicht mit einer besonderen sittlichen Eigenschaft der Gottheit, sondern alleine dadurch, dass die Herrschaft und damit die Macht ihr zustehe. Wesentliches Element der autoritären Religion sei die Unterwerfung unter eine Macht jenseits des Menschen. Allerdings könne diese Macht auch von einem Führer direkt ausgeübt werden.
Die humanistische Religion hingegen beschreibt Fromm so: „Das religiöse Erlebnis innerhalb dieser Art der Religion besteht in der Empfindung des Einsseins mit dem All, gegründet auf die Beziehung zur Welt.“ Selbstverwirklichung, nicht Unterwerfung wolle der Mensch in dieser Art von Religion erreichen. „Glaube ist Sicherheit der Überzeugung, erworben durch eigene Erfahrung mittels Denkens und Fühlens, nicht Annahme einer Satzung auf Grund des Ansehens dessen, der sie gesetzt hat.“ Und Fromm fügt dieser Beschreibung noch hinzu: „Die vorwiegende Stimmung ist Freude, während sie in autoritären Religionen in Kummer und Schuldgefühl besteht.“ Für die derzeitige Diskussion um die Ursachen des religiösen Extremismus, um religiös motivierten Terrorismus ist die weitere Analyse Fromms aktueller denn je: Die Unterscheidung zwischen autoritärer und humanistischer Religion, so Fromm, ziehe sich quer durch alle Religionen. Demnach sind autoritäre oder gar totalitäre Züge von Religionen nicht einer bestimmten Religion zuzuordnen. Leider wird das in überhitzten Diskussionen oft vergessen.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: März/April 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 2

Eine Oase unverplanter Zeit

Ein Ruhetag in der Woche wird nicht nur in den zehn Geboten gefordert, er ist auch im Grundgesetz geschützt. Doch die Sonntagsruhe wird ausgehöhlt: In Frankfurt sollen dieses Jahr erstmals an vier Sonntagen die Geschäfte öffnen.

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Sonntagsbrötchen und Sonntagszeitung – weil Behörden, Baumärkte und Möbelhäuser ohnehin geschlossen sind, kann man sonntags das Frühstück guten Gewissens in die Länge ziehen. Erledigen kann man ja ohnehin nichts, egal wie dringend es ist. Doch die kollektive Aus-Zeit „am siebten Tag“ wird immer weiter aufgeweicht. – Foto: Oeser

Sonntags hält das öffentliche Leben inne. Die U- und Straßenbahnen fahren nach einem besonderen Fahrplan, es gibt keinen Berufsverkehr. Auch in den Wohnungen erwacht das Leben später. Endlich einmal ausschlafen, im Schlafanzug frühstücken, Sendung mit der Maus gucken. Der Sonntag gehört der Familie, den Kindern, den Freunden. Er ist eine Oase der unverplanten Zeit oder auch der geplanten Familienrituale. In manchen Familien kommen etwa die Kinder und Enkel immer sonntags zum Kaffee zu den Großeltern,oder es gibt Ausflüge in den Zoo, in den Wald, ins Museum.
Ein solcher Tag der Ruhe ist durch das Grundgesetz geschützt. In Artikel 140 heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt.“ Doch dieser Schutz wird zunehmend ausgehöhlt. Die Ausnahmegenehmigungen zur Öffnung der Läden häufen sich. Schon hat man sich daran gewöhnt, dass Tankstellen mit ihren Minisupermärkten rund um die Uhr geöffnet haben, und sonntags eben auch Fitness-Studios und Bäckereien.
Der Druck der Wirtschaft auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wächst. Flexibilisierung heißt das Zauberwort. Und auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern wird die Möglichkeit vom schönen, neuen Einkaufssonntag vorgegaukelt: Einkaufsbummel statt Kaffeetrinken mit der Oma. Doch nüchtern betrachtet bedeutet Sonntagsarbeit, dass es eigentlich keine Sonntage mehr gibt. Dann ist nämlich jeder Tag ein Werktag.
Die Wurzeln dieses einen Tages, der den Alltag unterbricht und dem Leben seinen Rhythmus gibt, liegen in der Religion. Feierten die frühen Christen wie die Juden den siebenten Tag der Woche, den Sabbat, so veränderte sich dieses im Laufe der Zeit. In christlichen Ländern wurde das Gebot der Sabbatheiligung auf den Sonntag, den Tag der Auferstehung, übertragen. Kaiser Konstantin machte im Jahre 321 den Sonntag zum allgemeinen Feiertag im ganzen Römischen Reich. Theologisch gibt es keine Wertigkeit der Sonntage. Alle Sonntage haben die gleiche theologische Wurzel, alle Sonntage sind gleich wichtig.
Der Sonntag ist heute noch der Tag des Sich-Zurücknehmens, des Zu-Hörens, des Spielens, des Miteinanders und für manche auch der Tag des Kirchgangs. Für all dieses nutzt es nichts, wenn die Verkäuferin an der Theke der Bäckerei dann am Mittwoch frei hat. Der Sonntag ist eben auch eine soziale Errungenschaft. Wichtig für das Familienleben, das soziale Miteinander – ob in Kirche oder Verein.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Januar 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 1